Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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29

Schon flogen zwei feindliche Granaten über die Brücke, auf welcher Gedränge entstand. Mitten auf der Brücke stand Fürst Neswizki. Er war vom Pferde gestiegen und vom Gedränge bis ans Geländer geschoben worden. Lachend sah er sich nach seinem Kosaken um, der mit den beiden Pferden am Zügel einige Schritte hinter ihm stand. Eben wollte Neswizki seinen Weg fortsetzen, als wieder Soldaten und Wagen ihn ans Geländer drängten, so daß ihm nichts übrigblieb, als zu warten.

»Hört ihr da!« rief der Kosak. »Haltet euch links, damit der General vorüber kann.« Aber die Soldaten zogen Schulter an Schulter in einer dichten Masse über die Brücke.

»Sind denn noch viele dort?« fragte hoffnungslos der Kosak.

»Einer weniger als eine Million!« sagte lachend ein vorübergehender Soldat. Hinter ihm kamen vergnügte und augenscheinlich angetrunkene Soldaten.

Nun kamen andere Fuhren, darunter ein Bauernwagen vom Lande, dem Anschein nach beladen mit einem ganzen Haus. An diesem Wagen war eine schöne bunte Kuh angebunden. Auf dem Wagen saßen zwei Frauen, eine ältere und ein rotwangiges Mädchen. Augenscheinlich wurden diese Auswanderer zufolge besonderer Erlaubnis durchgelassen. Die Augen aller Soldaten richteten sich auf die Frauen, während der Wagen im Schritt vorüberfuhr. Auf allen Gesichtern erschien derselbe zynische Gedanke.

»Wohin fahrt ihr?« fragte ein Offizier, der einen Apfel aß und lächelnd nach dem hübschen Mädchen blickte.

Der Fuhrmann deutete an, daß er nichts verstehe.

»Willst du? Da nimm!« sagte der Offizier, indem er dem Mädchen den Apfel reichte, den es lachend nahm. Neswizki wandte ebenso wie alle anderen die Augen nicht von den Frauen ab, bis sie vorübergefahren waren. Nach ihnen kamen wieder Soldaten und endlich blieben alle stehen. Die Pferde an einem Regimentswagen waren in Unordnung gekommen, und die ganze Menge mußte warten.

»Warum warten sie? Was ist das für eine Ordnung?« riefen die Soldaten. »Zum Teufel, jetzt ist nicht Zeit, zu warten. Es kann schlimm werden, wenn er die Brücke anzündet!«

Mit »er« meinten die Soldaten immer den Feind.

Neswizki blickte auf die Wellen der Enns hinab, als er plötzlich ein ihm neues Geräusch vernahm, das rasch näher kam. Etwas Großes fiel klatschend ins Wasser, die Menge setzte sich wieder in Bewegung. Neswizki merkte, daß es eine Kanonenkugel gewesen war.

»Heda, Kosak, gib das Pferd her!« sagte er. »Nun zur Seite mit euch, gebt den Weg frei!«

Mit großer Anstrengung erreichte er das Pferd und setzte sich mit unaufhörlichem Schreien in Bewegung. Die Soldaten drückten sich aneinander, um ihm Raum zu geben, aber das Gedränge wurde immer stärker.

»Neswizki! Neswizki! Du Fratze!« hörte er eine heisere Stimme hinter sich. Neswizki sah sich um und erblickte fünfzehn Schritte entfernt, durch die Massen der Infanterie gedrängt, den hübschen schwarzen Denissow, die Mütze im Genick und den Dolman umgehängt.

»Befiehl doch diesem Satansvolk, mir den Weg freizugeben«, rief Denissow. Er war in heftigen Zorn geraten und schwang den Säbel in der Scheide.

»Eh, Wassja«, rief Neswizki freudig aus, »wie geht's dir?«

»Die Schwadron kann nicht hinüber«, rief Denissow zornig. »Wie eine Hammelherde! Gebt den Weg frei! Höre du da auf der Fuhre, ich steche dich nieder!« schrie er und zog wirklich den Säbel. Die Soldaten drängten sich erschrocken zusammen, und Denissow erreichte Neswizki.

»Warum bist du heute nicht betrunken?« sagte Neswizki zu Denissow.

»Sie lassen einem nicht Zeit dazu«, erwiderte Denissow. »Den ganzen Tag wird das Regiment bald hierhin, bald dorthin gejagt. Wenn man sich schlägt, so schlägt man sich, aber der Teufel weiß, was das heißen soll.«

»Wie du heute fein bist!« sagte Neswizki, seinen neuen Dolman betrachtend.

Denissow lächelte, zog sein parfümiertes Taschentuch heraus und hielt es Neswizki unter die Nase. »Es geht nicht anders, heute geht's ins Gefecht, darum habe ich mich rasiert und die Zähne geputzt und mich parfümiert.«

Der Anblick der mächtigen Gestalt Neswizkis, begleitet von dem Kosaken, und die Entschiedenheit Denissows, der den Säbel schwang und fortwährend schrie und tobte, brachte es so weit, daß sie endlich das jenseitige Ufer erreichten. Neswizki fand den Obersten, dem er den Befehl zu überbringen hatte, und nachdem er seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ritt er zurück. Als er den Weg freigemacht hatte, blieb Denissow am Ende der Brücke stehen. Er hielt sein ungeduldiges Pferd zurück und blickte der herankommenden Schwadron entgegen. Auf den Brettern der Brücke ertönten die Hufschläge, als ob einige Pferde galoppierten, und die Schwadron, mit den Offizieren an der Spitze, ritt in Gliedern von vier Mann über die Brücke. Die Infanteristen, die dadurch aufgehalten worden waren, standen vor der Brücke im Schmutz und betrachteten mit jenem besonderen mißgünstigen Gefühl und jener Spottsucht, womit Soldaten verschiedener Art gewöhnlich einander musterten, die reinlichen, zierlichen Husaren, die an ihnen vorüberritten.

»Niedliche Kinderchen! Wie vom Jahrmarkt!«

»Taugen nicht viel, sind nur zum Ansehen«, bemerkte ein anderer.


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