Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Als Petja Moskau und seine Eltern verließ, eilte er seinem Regiment nach und wurde bald darauf Ordonnanz bei einem General, der einen großen Heeresteil befehligte. Dann nahm er auch an dem Gefecht bei Wjäsma teil. Beständig befand er sich in einem Zustand glücklicher Erregung darüber, daß er zu den Großen gehöre, und in entzückter Erwartung einer Gelegenheit zu einer wirklichen Heldentat. Am 21. Oktober, als der General den Wunsch aussprach, jemand zu Denissow abzusenden, bat Petja so inständig, ihn abzusenden, daß der General es ihm nicht abschlagen konnte. Der General erinnerte sich aber der Unzuverlässigkeit Petjas im Gefecht bei Wjäsma, wo er, anstatt auf dem Wege dahin zu reiten, wohin er gesandt worden war, unter dem Feuer der Franzosen in ihre Kette ritt und zweimal mit seiner Pistole schoß. Deshalb verbot er Petja, an irgendeiner Affäre Denissows teilzunehmen. Das war der Grund, warum Petja errötete, als er Denissow verlegen fragte, ob er bleiben könne. Anfangs war Petja der Meinung, er müsse sogleich zurückkehren, aber als er die Franzosen sah und erfuhr, daß in der Nacht ebenfalls ein Angriff unternommen werde, kam er sofort zu dem Schluß, der General, den er bis jetzt sehr geachtet hatte, sei eine Schlafmütze, ein Deutscher, Denissow aber und der Esaul und Tichon seien Helden, und es wäre eine Schande, sie in einem solchen Augenblick zu verlassen. Es dämmerte bereits, als Denissow mit Petja und dem Esaul zum Wachtposten ritt. Im Halbdunkel sah man gesattelte Pferde, Kosaken und Husaren, die in einer Waldschlucht Feuer anmachten, um nicht von den Franzosen gesehen zu werden. Im Vorhaus einer kleinen Hütte schlachtete ein Kosak einen Hammel, in der Hütte selbst befanden sich drei Offiziere Denissows, die aus einer Tür einen Tisch konstruiert hatten. Petja nahm seine nassen Kleider ab, um sie zu trocknen, und half den Offizieren, den Abendtisch zu decken. Nach zehn Minuten war alles bereit. Eine Flasche Branntwein, Weißbrot und Hammelbraten stand auf dem Tisch. Als Petja mit den Offizieren bei Tisch saß, befand er sich in jenem entzückten, kindlichen Zustand zärtlicher Liebe zu allen Menschen und der Zuversicht, daß alle anderen Menschen eine gleiche Liebe für ihn hegten.

»Was denken Sie«, wandte er sich an Denissow, »es schadet wohl nichts, wenn ich noch einen Tag bei Ihnen bleibe?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, antwortete er selbst: »Ich habe den Befehl, mich zu erkundigen, nun, und ich erkundige mich . . . Aber geben Sie mir nur gleich ein Kommando! Was suchen Sie?« fragte er den einen Offizier. »Ach, ein Messer? Bitte, nehmen Sie!« Er reichte ihm sein kostbares Taschenmesser, das der Offizier bewunderte. »Bitte, behalten Sie es! Ich habe noch viele solche«, sagte Petja errötend. »Ach, Himmel, ich habe ganz vergessen«, rief er plötzlich, »ich habe wunderbare Rosinen! Wir haben einen neuen Marketender mit so wundervollen Sachen. Ich habe zehn Pfund gekauft, denn ich bin an etwas Süßes gewöhnt. Wollen Sie?« Petja lief hinaus zu seinem Kosaken und brachte einen Futtersack herein, in welchem fünf Pfund Rosinen sein mochten. »Bitte, essen Sie, meine Herren! Aber haben Sie nicht Kaffeekessel nötig?« fragte er den Esaul. »Bei unserem Marketender habe ich vortrefflichen Kaffee getrunken, er hat prächtige Sachen! Er ist sehr ehrlich, das ist die Hauptsache! Ich werde Ihnen jedenfalls davon senden. Aber vielleicht sind Ihnen die Flintensteine ausgegangen? Das kommt vor! Ich habe welche mitgebracht, hier!« Er zeigte auf den Futterbeutel. »Hundert Stück! Ich habe sie sehr billig gekauft. Nehmen Sie soviel Sie wollen, oder alle!«

Plötzlich errötete er und dachte nach, ob er nicht irgendeine Dummheit gemacht habe. Und dann fiel ihm der kleine Franzose ein. »Wir leben hier sehr gut, aber wie geht es ihm? Wohin hat man ihn gebracht? Hat man ihm auch zu essen gegeben? Was wird aus ihm? Und hat man ihn nicht schlecht behandelt?« dachte er. Aber als er bemerkte, daß er sich verplappert hatte mit den Feuersteinen, wurde er furchtsam. »Kann ich nach ihm fragen?« dachte er. »Sie werden sagen: ›Er ist selbst noch ein Knabe, darum bedauert er den Knaben.‹ Aber morgen werde ich ihnen zeigen, was ich für ein Knabe bin! Wird es eine Schande sein, wenn ich frage? Nun, gleichviel!« Errötend blickte er die Offiziere an, deren Spott er fürchtete, und fragte: »Kann ich nicht diesen Jungen hierherrufen und ihm etwas zu essen geben?«

»Ja, der arme Junge!« sagte Denissow. »Man muß ihn hierherrufen.«

»Ich werde ihn rufen«, sagte Petja.

»Ja, rufe ihn!« wiederholte Denissow.

Petja war schon an der Tür, als Denissow das sagte. Er wand sich zwischen den Offizieren durch und ging wieder auf Denissow zu. »Erlauben Sie mir, Sie zu küssen! Ach, wie schön! Wie schön!« Dann blieb er an der Tür stehen und rief hinaus: »Vincent!«

»Was wünschen Sie, Herr?« fragte eine Stimme aus der Dunkelheit. Petja antwortete, man solle den kleinen Franzosen bringen.

»Er ist dort beim Feuer und wärmt sich! He, Vissent! Vissent!« schrie der Kosak lachend.

»Ein geriebener Junge«, sagte ein Husar neben Petja. »Wir haben ihm zu essen gegeben, er war schrecklich hungrig.«

Bald erschien der Trommelschläger an der Tür.

»Ach, Sie sind's!« sagte Petja französisch. »Wollen Sie essen? Fürchten Sie sich nicht! Treten Sie ein!«

»Ich danke, Monsieur!« erwiderte der Trommelschläger mit zitternder, fast kindlicher Stimme. Petja wollte ihm noch viel sagen, wagte es aber nicht. In der Dunkelheit ergriff er seine Hand und drückte sie. »Kommen Sie herein!« wiederholte er flüsternd.

Als der Trommelschläger in die Hütte eingetreten war, setzte sich Petja entfernt von ihm nieder, da er es für erniedrigend hielt, ihm seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Aber in der Tasche hielt er Geldstücke in der Hand und war im Zweifel, ob es nicht eine Schande sei, sie dem Trommelschläger zu geben.


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