Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Die Gesundheit und der Charakter des alten Fürsten Bolkonsky waren in diesem letzten Jahr nach der Abreise des Sohnes sehr angegriffen. Er wurde noch reizbarer als früher, und die Ausbrüche seiner Wut richteten sich zumeist auf Marie. Er schien absichtlich die empfindlichsten Stellen aufzusuchen, um sie so grausam als möglich zu verwunden. Die Fürstin Marie hatte zwei Leidenschaften und darum zwei Freuden, ihren Neffen Nikoluschka und die Religion, und beide machte der alte Fürst vorzugsweise zum Gegenstand seiner Ausbrüche und Spottreden.

»Du willst wohl aus dem Kleinen eine ebensolche alte Jungfer machen, wie du selber bist? Aber das ist falsch, Fürst Andree braucht einen Sohn und kein Mädchen«, sagte er. Oder er wandte sich an Mademoiselle Bourienne und fragte sie in Maries Gegenwart, wie ihr unsere Popen und Heiligenbilder gefallen, und scherzte darüber.

Beständig beleidigte er Marie auf das grausamste, aber es kostete sie nicht einmal eine Anstrengung, ihm dies zu vergeben. Konnte ihr Vater unrecht haben? Alle menschlichen Gesetze vereinigten sich für sie in dem einen einfachen und klaren Gesetz – im Gesetz der Liebe und Selbstverleugnung. Sie wollte nur leiden und lieben.

Als Fürst Andree im Winter nach Lysy Gory gekommen war, war er heiter und zärtlich, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Sie fühlte, daß mit ihm etwas vorgefallen war, aber er sagte ihr nichts von seiner Liebe. Vor der Abreise hatte er lange mit dem Vater gesprochen, und Fürstin Marie hatte bemerkt, daß beide miteinander unzufrieden waren.


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