Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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Graf Rostow kam Ende Januar mit Natalie und Sonja in Moskau an. Das Rostowsche Haus in Moskau war nicht vorbereitet, außerdem waren sie nur auf kurze Zeit gekommen und deshalb beschloß der Graf, in Moskau die Gastfreundschaft von Maria Dmitrijewna Achrosimow anzunehmen, die sie ihm schon lange angeboten hatte. Maria Dmitrijewna war eine rüstige, energische Frau, welche ein Gut ganz in der Nähe von Otradno besaß und dort den Sommer zubrachte, im Winter aber in Moskau lebte. Spät am Abend kamen die vier Fahrzeuge Rostows vor dem Hause von Maria Dmitrijewna vorgefahren. Sie wohnte allein; ihre Tochter hatte sich schon verheiratet und ihre Söhne waren im Dienst.

Ihre Haltung war noch immer so gerade, und sie sprach ebenso gerade, laut und entschieden ihre Meinung aus wie früher. Am frühen Morgen widmete sie sich in ihrer Pelzjacke den Wirtschaftsangelegenheiten, dann fuhr sie an Feiertagen zur Messe und von der Messe in die Gefängnisse, wo sie Angelegenheiten hatte, von denen sie mit niemand sprach. Werktags aber nach dem Ankleiden empfing sie zu Hause Bittsteller aller Art, deren sich jeden Tag eine Anzahl bei ihr einfanden, und dann speiste sie. Bei Tische waren immer drei oder vier Gäste zugegen. Nach Tische spielte sie eine Partie Boston und abends ließ sie sich Zeitungen und neue Bücher vorlesen, während sie strickte. Sie fuhr selten aus, und dann nur, um Besuche bei sehr vornehmen Personen in der Stadt zu machen.

Sie hatte sich noch nicht niedergelegt, als Rostows ankamen. Mit der Brille auf der Nase und zurückgeworfenem Kopf stand sie in der Tür des Saales und blickte die Eintretenden mit strenger Miene an. Man konnte glauben, daß sie über die Ankunft der Gäste entrüstet sei.

»Die gräflichen Koffer? Hierher damit!« sagte sie, ohne jemand zu begrüßen. »Der Koffer des Fräuleins hier nach links! Nun, was rennst du da umher?« schrie sie eines der Mädchen an. »Man soll den Samowar anzünden. Nun, fett und hübsch geworden«, sagte sie, indem sie die vom Frost gerötete Natalie an sich zog. »Pfui, wie kalt! Nun lege ab!« rief sie dem Grafen zu, der ihre Hand küssen wollte. »Du wirst erfrieren! Bringt Rum zum Tee! Sonja, bon jour!« sagte sie mit herablassender Freundlichkeit.

Als sie alle am Teetisch saßen, küßte Maria Dmitrijewna sie der Reihe nach ab.

»Ich bin von Herzen erfreut, daß ihr gekommen seid und bei mir wohnt«, sagte sie. »Es war schon lange Zeit dazu, der Alte ist hier, und man erwartet seinen Sohn von Tag zu Tag. Man muß mit ihm Bekanntschaft machen – nun, davon sprechen wir später! Aber jetzt höre«, sagte sie zum Grafen, »was hast du morgen vor? Wen wirst du besuchen? Schinschin?« Damit bog sie einen Finger. »Die weinerliche Drubezkoi? – Nun, das sind zwei. Sie wohnt hier mit ihrem Sohn, er soll heiraten! Dann Besuchow, nicht wahr? Ist auch hier mit seiner Frau. Er ist ihr davongelaufen, aber sie ist ihm nachgaloppiert. Mittwoch hat er bei mir gespeist. Nun, und diese da«, sie deutete auf die Mädchen, »führe ich morgen zur Kirche und dann fahren wir zur Oberschelm! Es wird natürlich alles neu angeschafft? Neulich war die junge Fürstin Irena Wassiljewna bei mir. Merkwürdig anzusehen, als hätte sie zwei Fäßchen über die Arme gezogen. Jeden Tag gibt's eine neue Mode! Nun, und was hast du selbst hier vor?« fragte sie mit strenger Miene den Grafen.

»Es hat sich sehr eilig gemacht«, erwiderte Rostow. »Da ist ein Käufer für mein Gut bei Moskau und für mein Haus. Wenn es Ihnen recht ist, so werde ich auf einen Tag nach Marinskoje fahren und lasse Ihnen so lange das Mädchenvolk auf dem Halse.«

»Gut, gut, ich werde sie schon behüten. Bei mir sind sie sicher wie auf einem Vormundschaftsgerichte.«

Am andern Morgen führte Maria Dmitrijewna die Mädchen nach der Kirche und dann zur Madame Oberschelm, welche Maria Dmitrijewna so fürchtete, daß sie ihr alles zum niedrigsten Preise überließ, um sie nur schnell los zu werden. Maria Dmitrijewna bestellte fast die ganze Aussteuer. Zu Hause angekommen, jagte sie alle außer Natalie aus dem Zimmer und rief ihren Liebling an ihren Stuhl.

»Nun, jetzt wollen wir sprechen! Ich gratuliere dir zu deinem Bräutigam, hast einen feinen Jungen gefangen! Ich freue mich für dich, ich kenne ihn von Jugend auf!« Natalie errötete freudig. »Aber nun höre! Du weißt, der Alte will nicht haben, daß sein Sohn heiratet. Ein kluger Mensch! Natürlich ist Fürst Andree kein Kind und könnte ohne seine Einwilligung auskommen, aber es ist nicht gut für dich, gegen seinen Willen in die Familie einzutreten. Das muß alles in Frieden und Liebe geschehen. Du bist ein kluges Mädchen und verstehst dich zu benehmen, wie es sein muß, also sei klug und gutherzig, dann wird auch alles gut werden.«

Natalie schwieg, wie Maria Dmitrijewna glaubte, aus Schüchternheit, in Wirklichkeit aber war Natalie verdrießlich über diese Einmischung in ihre Liebesaffäre, welche ihr als eine von allen menschlichen Angelegenheiten so verschiedene Sache erschien, daß nach ihrer Meinung niemand sie begreifen könne. Sie liebte und kannte nur den Fürsten Andree, er liebte sie und mußte in einigen Tagen ankommen und sie zu sich nehmen; mehr wollte sie nicht.

»Siehst du, ich kenne ihn schon lange und auch Marie, deine Schwägerin! Diese kränkt keine Fliege. Sie hat mich gebeten, sie mit dir bekannt zu machen. Morgen gehst du mit deinem Vater zu ihr und da suche dich beliebt zu machen. Du bist jünger als sie. Wenn dein Bräutigam ankommt, so bist du mit seiner Schwester und seinem Vater schon bekannt, und sie werden dich schon lieben, nicht wahr? Ist das nicht das beste?«

»Ja«, erwiderte Natalie mit Widerstreben.


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