Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

61

Am 3. März waren alle Zimmer des englischen Klubs von einer geräuschvollen Menge erfüllt. Die Mehrzahl der Anwesenden waren alte, ehrwürdige Leute mit breiten, selbstzufriedenen Gesichtern, dicken Fingern, entschiedenen Bewegungen und lauten Stimmen. Die Mitglieder dieser Sorte saßen an ihren bekannten Stellen und bewegten sich in gewohnten Kreisen. Der kleinere Teil der Anwesenden bestand aus zufälligen Gästen, meist jüngeren Leuten, darunter Denissow, Rostow und Dolochow, welcher wieder Offizier des Semenowschen Regiments geworden war. Auf den Gesichtern der Jugend, besonders des kriegerischen Teils derselben, lag der Ausdruck geringschätziger Ehrerbietigkeit gegen die Alten, welcher der alten Generation sagte: »Wir sind bereit, euch Ehre anzutun, aber erinnert euch, daß die Zukunft uns gehört.« Neswizki war anwesend als altes Mitglied des Klubs. Peter, welcher sich auf Befehl seiner Frau die Haare hatte schneiden lassen, die Brille abgelegt hatte und nach der neuesten Mode gekleidet war, ging mit kummervoller, weinerlicher Miene durch die Säle. Wie immer und überall umgab ihn eine Atmosphäre von Leuten, die sich vor seinem Reichtum beugten und die er mit seiner gewohnten Herablassung und Geringschätzigkeit behandelte. Seinem Alter nach gehörte er zur Jugend, sein Reichtum und seine Verbindungen aber wiesen ihn in die Kreise der alten Ehrengäste, und deshalb ging er von einem Kreis zum anderen.

Graf Rostow ging geschäftig durch die Zimmer und begrüßte die bedeutenden und unbedeutenden Persönlichkeiten, die er alle kannte. Sein Sohn stand am Fenster mit Dolochow, mit dem er kürzlich bekannt geworden war und den er sehr schätzte. Der alte Graf ging zu ihnen und drückte Dolochow die Hand.

Man hörte Glocken erklingen, die Vorsteher eilten hinaus, die Gäste sammelten sich im großen Saal beim Eingang.

Im Vorzimmer erschien Bagration ohne Mütze und Degen, in einer neuen Uniform mit russischen und ausländischen Orden. Er hatte sich augenscheinlich eben erst die Haare und den Bart schneiden lassen, was sein Aussehen unvorteilhaft veränderte, eine naive, feiertägliche Miene verlieh seinen starken, männlichen Zügen etwas Komisches. Er wußte nicht, wo er die Hände lassen sollte und schritt ungeschickt über das Parkett. Die Vorsteher empfingen ihn an der Tür, sprachen ihre Freude über den teuren Gast aus und führten ihn dem Saale zu. Graf Rostow kam aus einem Nebenzimmer mit anderen Vorstehern und trug eine große silberne Schüssel, die er dem Fürsten Bagration reichte. In der Schüssel lagen gedruckte Lobgedichte auf den Helden. Bagration blickte sich erschrocken und hilfesuchend um, dann griff er resigniert mit beiden Händen zu und sah den Grafen vorwurfsvoll an. Jemand nahm diensteifrig die Schüssel aus den Händen Bagrations, welcher sich schon darein ergeben zu haben schien, sie bis zum Abend mit sich herumzutragen. Der Dichter nahm die Gedichte und begann sie vorzulesen, doch bald wurde er von einem lauten Ruf, es sei serviert, unterbrochen. Die Tür öffnete sich und Graf Rostow warf dem Dichter einen bösen Blick zu, welcher eben deklamierte:

»Der Donner des Sieges erschalle,
Freue dich, tapferes Rußland!«

Er verbeugte sich gegen Bagration. Alle standen auf, da sie das Diner für wichtiger hielten als die Gedichte, und Bagration wurde zu Tische geführt. Mit ihm setzten sich noch dreihundert wichtige und unwichtige Personen zu Tisch. Noch ehe man speiste, stellte Graf Rostow seinen Sohn dem Fürsten vor, der ihn erkannte und einige ungeschickte Worte sprach, wie immer an diesem Tag. Der alte Graf blickte sich stolz und stumm um, während Bagration mit seinem Sohne sprach. Nikolai saß mit Denissow und seinem neuen Bekannten Dolochow fast in der Mitte der Tafel, ihnen gegenüber hatte Peter Platz genommen, neben ihm Fürst Neswizki. Der alte Graf Rostow saß mit den übrigen Vorstehern Bagration gegenüber und bemühte sich, die Freude Moskaus zum Ausdruck zu bringen.

Seine Mühe war nicht vergebens gewesen, das Diner war prachtvoll, aber er vermochte doch nicht vor dem Ende ruhig zu sein. Er winkte dem Haushofmeister zu, erteilte den Dienern flüsternd Befehle und erwartete nicht ohne Aufregung jeden ihm bekannten Gang. Beim zweiten Gang knallten die Pfropfen und die Diener gossen Champagner ein.

»Es werden noch viele Toaste folgen, deshalb ist es Zeit, anzufangen«, flüsterte der Graf, nahm das Glas zur Hand und stand auf. Alle schwiegen. »Die Gesundheit des Herrn und Kaisers!« rief er und in seinen Augen glänzten Tränen des Entzückens. Die Nationalhymne: »Der Donner des Sieges erschalle«, fiel ein. Alle standen auf und schrien Hurra. Auch Bagration schrie mit derselben Stimme wie damals bei Schöngraben. Der junge Rostow überschrie alle dreihundert Stimmen. Er war dem Weinen nahe. »Hurra!« schrie er und warf sein geleertes Glas auf den Fußboden. Viele folgten seinem Beispiel und es dauerte lange, bis wieder Ruhe eintrat. Die Diener sammelten die Scherben und alle setzten sich. Dann folgte ein Toast auf Bagration und noch viele andere. Es wurden noch viele Gläser zerbrochen und noch viel geschrien. Bei dem Toast auf den alten Grafen Rostow nahm dieser sein Taschentuch und verbarg weinend sein Gesicht darin.


 << zurück weiter >>