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CX.

Peregrine verläßt das Fleet und nimmt Besitz von der Hinterlassenschaft seines Vaters.

Auch Crabtree war von dem Vorgange unterrichtet; Pipes mußte hingehen und ihn herbeiholen. Voll Mißmuth, sich so früh gestört zu sehen, kam der Cyniker brummend an, allein kaum hatte er vernommen, von was es sich handelte, da verzog sich sein Gesicht in andere Falten und er

»grinsete gräßlich mit gespensterähnlichem Lächeln Schilderung des Todes in Miltons verlorenem Paradies.

Nachdem auch er seinen Glückwunsch abgestattet hatte, hielt man nun eine Conferenz über das, was zuerst zu thun sey. Die Berathschlagung dauerte nicht lange; einmüthig ward beschlossen, daß sich Pickle in möglichster Eile nach der Garnison aufmachen und daß ihn sowohl Gauntlet als Hatchway dahin begleiten sollten. Pipes erhielt demnach den Befehl, ein paar Postchaisen zu bestellen und Geoffry ging nun, seinen Freund loszubürgen, und sie insgesammt mit dem nöthigen Reisegelde zu versehen, vorher bat ihn Peregrine jedoch noch, seiner Schwester nichts von dem Vorgefallenen zu sagen, damit ihm nicht die Freude genommen würde, dann, wenn er seine Sachen in Ordnung gebracht hätte, sie selbst auf eine angenehme Art zu überraschen.

Alle diese Anstalten waren in weniger als einer Stunde getroffen. Peregrine nahm nunmehr Abschied vom Fleet und übergab dem Aufseher noch zwanzig Guineen, um damit das Schicksal einiger armen Gefangenen zu mildern, von denen ihn eine große Zahl bis an das Ausgangsthor begleiteten, um ihm hier noch ihren Segen nachzurufen.

Mit den frohesten Hoffnungen fuhr unser Held jetzt der Garnison zu und er mußte es sich selbst gestehen, daß unter allen Reisen, die er je gemacht, keine ihm so angenehm war; auch konnte nicht füglich der Schmerz um den Verlust eines Vaters, der sich nie als Vater gegen ihn gezeigt hatte, diese Freude trüben; im Gegentheil empfand er ganz das Entzücken, welches sehr natürlicher Weise die Brust eines jungen Mannes heben mußte, der sich plötzlich aus der mißlichsten Lage in die glänzendsten Glücksumstände versetzt sieht. Er fand sich von Gefängniß und Schande befreit, ohne dafür irgend Jemand auf Erden Verbindlichkeiten schuldig geworden zu seyn; es stand jetzt in seiner Macht, die Verachtung der Welt auf eine Art zu vergelten, wie sie seinen feurigsten Wünschen entsprach; er sah sich mit seinem Freunde ausgesöhnt und im Stande, der Geliebten so wie er es wünschte, sich nahen zu können; dabei war er jetzt im Besitz eines weit größern Vermögens, als seine erste Erbschaft gewesen war und hatte einen so guten Vorrath von Erfahrungen gesammelt, daß er hoffen durfte, nunmehr alle die Klippen vermeiden zu können, an denen sein früheres Glück scheiterte.

Als man auf dieser Reise an einem Wirthshause stillhielt, um einige Erfrischungen zu nehmen, da lief plötzlich ein Postillon auf den Hof auf Peregrinen zu, umfaßte dessen Füße mit dem Ausdruck der größten Freude und zeigte demselben dabei zu seinem Erstaunen das leibhafte Gesicht seines ehemaligen Kammerdieners; so wie ihn aber Peregrine erkannte, befahl er ihm aufzustehen und ihm die Ursache seines so traurigen Glückswechsels zu sagen.

Hadgy erzählte nunmehr, daß ihn seine Frau zu Grunde gerichtet habe und hierauf, nachdem sie ihm auch noch den letzten Rest seiner Baarschaft und Alles, was er an Wert besessen, genommen, mit einem seiner Kundleute durchgegangen sey, der sich für einen französischen Grafen ausgegeben hatte, eigentlich aber nichts sey, als ein italienischer Violinspieler. »Durch ihre Flucht,« fuhr er fort, »sah ich mich außer Stand gesetzt, eine beträchtliche Summe zu bezahlen, die ich für einen Weinhändler zurückgelegt hatte. Der Mann ließ mich jetzt auspfänden und ich ward von Haus und Hof gejagt. Nicht mehr sicher für meine Person mußte ich London verlassen und wanderte nun von Dorf zu Dorf, bis ich endlich hier als Postillon ein Unterkommen fand.«

Mit Bedauern hörte Peregrine diese Erzählung an, und entschuldigte jetzt im Stillen seinen ehemaligen Diener dafür, daß derselbe sich nicht bei ihm im Fleet gezeigt und ihm hier seine Dienste angeboten hatte, was er bisher immer dessen Undankbarkeit und Geiz zuschrieb, und da er sich nun gewissermaßen die Veranlassung zu dessen Unglück zurechnete, indem er ihm die Versuchung in den Weg gelegt hatte, deren Opfer er geworden war, so versprach er ihm, sich seiner anzunehmen und ihn wieder in bessere Umstände zu bringen; auch gab er ihm sogleich durch ein Geschenk einen Beweis von seinem Wohlwollen und sagte dann zu ihm, er solle einstweilen so lange in seiner gegenwärtigen Beschäftigung verharren, bis er zurückkehren würde, wo er dann sein weitres Fortkommen in Ueberlegung ziehen wolle. Aber Hadgy bat so dringend, seinem gütigen Herrn gleich folgen zu dürfen und stellte so flehentlich vor, daß er unmöglich den Gedanken ertragen könne, sich zum zweiten Male von demselben zu trennen, daß ihm Pickle endlich auf Zureden von Hatchway und Gauntlet erlaubte, ihnen sogleich nachfolgen zu dürfen. Hierauf setzte man den Weg fort und langte endlich gegen zehn Uhr des Abends an den Ort der Bestimmung an.

Statt im Castell abzusteigen, fuhr Peregrine jedoch gerade vor seines Vaters Haus und da hier Niemand erschien, um ihn zu empfangen, so ging er nun mit seinen beiden Freunden nach dem Vorsaale, wo er eine Klingelschnur erblickte und so heftig zu läuten begann, daß augenblicklich ein paar Diener herbeieilten. Mit einem strengen Gesicht verwies er ihnen ihre Nachlässigkeit und befahl, daß man sogleich Zimmer anweisen sollte; da sie aber sich eben nicht geneigt zeigten, diesem Gebote zu gehorchen, so fragte er sie nun: ob sie etwa nicht in das Haus gehörten.

Jetzt trat der Eine vor und entgegnete mit einem trotzigen Wesen: »Wir waren in Diensten des alten Herrn und glauben nicht nöthig zu haben, dermalen Jemand Anderes als der Frau und dem jungen Squire Gam gehorchen zu dürfen.« Kaum war diese Erklärung aber gethan, so befahl ihnen Peregrine, da sie nur diese für ihre Herrschaft anerkennen wollten, augenblicklich das Haus zu verlassen, und da sie nicht sogleich gehorchten, so jagte er sie, mit Hülfe seiner beiden Freunde, mit Faustschlägen zur Thüre hinaus. Durch den hierdurch entstehenden Lärm ward aber Squire Gam herbeigerufen, der jetzt, mehr denn je von Groll entflammt, seinen Ergebenen mit einer Pistole in der Hand zu Hülfe kam und dabei laut: »Diebe! Diebe!« brüllte, als ob er die Fremden wirklich dafür hielte. In der That feuerte er auch seine Pistole unter diesem Vorwande auf Peregrine ab, doch dieser wich dem Schuß geschickt aus, schlug ihm das Gewehr aus der Hand und warf ihn dann seinen beiden Dienern auf den Hof nach.

Während der Zeit hatten Pipes und die beiden Postillone, ohne daß man ihnen einen Widerstand entgegensetzte, Besitz vom Stall genommen; jetzt aber stürzte, begleitet von ein paar Mägden und dem Vicar, der noch immer seinen Platz als Gewissensrath im Hause behauptete, Mistreß Pickle in das Zimmer, wo sich die Angekommenen befanden, und würde hier ohne Zweifel einen Angriff mit ihren Nägeln auf Peregrinens Augen gemacht haben, wenn man sie nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte. Ihrer Zunge ließ sie jedoch keinen Zaum anlegen; sie überhäufte Peregrinen mit den schmachvollsten Benennungen, indem sie die Behauptung hinzufügte, er allein habe die grauen Haare seines Vaters mit Leid in die Grube gebracht und dessen Leichnam wurde bluten, so wie er sich ihm nähere.

Peregrine gab sich nicht die Mühe, auf alle diese Beschuldigungen auch nur ein Wort zu erwiedern; ruhig ließ er sie toben und lärmen; endlich aber eröffnete er ihr ganz kaltblütig: sie möchte sich still auf ihr Zimmer verfügen und sich so betragen, wie es einer Frau in ihrer Lage zukomme, da er sie sonst, im entgegengesetzten Falle, bitten müsse, sich nach einer andern Wohnung umzusehen, indem er fest entschlossen sey, Herr in seinem Hause zu seyn. Mistreß Pickle, welche in dem Glauben gestanden hatte, Peregrine würde sich mit kindlicher Unterwürfigkeit bemühen, sie zu besänftigen, fühlte sich durch diese Aeußerung so erbittert, daß sie den Sturm in ihrem Innern nicht zu ertragen vermochte und in Ohnmacht sank. So wurde sie von den Mädchen fortgetragen, während zugleich der dienstfertige Geistliche auf dieselbe Art wie sein werther Zögling entlassen ward.

Unser Held nahm nunmehr von den besten Zimmern im Hause Besitz und ließ seinem Schwager Clover seine Ankunft melden, der sich auch noch in der Nacht mit seiner Frau einfand und sich nicht wenig darüber freute, daß Peregrine so schnell festen Fuß im Hause zu fassen gewußt hatte.

Juliens Zusammenkunft mit ihrem Bruder war sehr rührend; sie hatte ihn stets mit großer Zärtlichkeit geliebt und nur mit Schmerz seine Ausschweifungen und seine Verhaftung vernommen, von der sie zufällig durch einen von London kommenden Gentleman unterrichtet worden war. Es war ihr daher jetzt eine doppelte Freude, ihn so glücklich aus allen diesen Verlegenheiten gerettet zu sehen.

Nach den gegenseitigen Bezeugungen ihrer Freude, begab sich Julie auf das Zimmer ihrer Mutter, um derselben ihre Dienste anzubieten, was sie bereits gleich nach des Vaters Tod schon einmal gethan hatte, jedoch auf eine verächtliche Art zurückgewiesen worden war. Peregrine zog unterdessen Nachrichten von seinem Schwager über die Familienangelegenheiten ein und Clover sagte ihm nun, obschon er nicht das Vertrauen des Verstorbenen genossen, so wisse er doch durch einige genaue Bekannte desselben, daß Mistreß Pickle sich vergebens bemüht habe, ihren Mann dahin zu bringen, ein Testament zu machen und daß derselbe in diesem Punkte mit einer ungewöhnlichen Festigkeit allen ihren Ermahnungen und selbst denen mehrerer anderen Personen, die sie dahin vermocht hatte, ihn in dieser Hinsicht mit bearbeiten zu helfen, widerstanden habe, und dies, wie man vermuthen müsse, einzig aus dem Grunde, weil er gefürchtet habe, im Fall er diesen Schritt zum Besten seines jüngern Sohnes thäte, nicht mehr seines Lebens sicher zu seyn.

»Gänzlich beruhigt durch diese Nachricht,« fuhr Clover in seinen Erzählungen fort, »begab ich mich, so wie ich den Tod des alten Herrn vernahm, der sich in Tunley's Club zutrug, sogleich mit einem Notarius hierher, um jeder Durchsteckerei zuvorzukommen. Ich ließ dem zufolge in Gegenwart einiger mitgebrachten Zeugen Alles versiegeln, nachdem mir die Wittwe in der ersten Aufwallung ihres Schmerzes und Aergers selbst gestanden hatte, ihr Mann sey ohne Testament verschieden.«

Durch Alles dies fand sich Peregrine jetzt mächtig beruhigt, da hierdurch jeder etwaige Zweifel ihm noch benommen wurde. Vergnügt verzehrte er mit seinen Freunden die kalte Küche, welche sein Schwager zur Vorsorge mit gebracht hatte, sodann aber begab man sich zur Ruhe, nachdem Julie abermals noch eine abschlägige Antwort von ihrer erbitterten Mutter erhalten hatte, deren lauter Zorn sich jetzt wieder in das Bett eines eingewurzelten stillen Grolls zurückgezogen hatte.

Den nächsten Morgen ließ Peregrine einige Leute aus dem Castell kommen, um die Anstalten zum Begräbniß zu treffen, Gam aber, der seine Wohnung in der Nachbarschaft aufgeschlagen hatte, kam mit einer Kutsche und einem Rüstwagen, um sowohl seine Mutter als deren und seine eigenen Sachen abzuholen. Mit Begierde ergriff die Wittwe diese Gelegenheit, ein Haus zu verlassen, wo es jetzt mit ihrer Herrschaft vorüber war; Peregrine aber trug dem ihr folgenden Kammermädchen auf, ihrer Herrschaft zu sagen, daß dieselbe so lange, bis eine ordentliche Versorgung für sie ausgesetzt sey, sowohl in Rücksicht auf Geld, als jeder andern Bequemlichkeit, die er ihr zu verschaffen vermöge, gänzlich über ihn zu befehlen habe.


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