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LXIX.

Ankunft in Rotterdam. Gefährliches Abentheuer für den Maler auf der Maas. Ein holländisches Kunstcabinet.

Der Arzt wurde nicht wenig aufgeblasen durch sein Glück; er schrieb den guten Erfolg größtentheils der Art seines Angriffes und der Hymne zu, die er hergeheult hatte, und sagte: »Nunmehr bin ich von der Wahrheit überzeugt, die Pindar in den Worten:

Ὄσσα δὲ μὴ πεφίληκε Ζεὺς, ἀτύζονται βοὰν Πιέριδων αἴοντα. Was aber Zeus nicht liebt, bebt zurück vor dem hallenden Liede der Musen.

ausspricht; denn kaum hatte ich die honigsüßen Strophen des göttlichen Sängers declamirt, als meinen Gegner, den elenden Wicht, Scham und Bestürzung befiel und alle seine Nerven abgespannt wurden.« Auf dem Rückwege nach dem Gasthofe verbreitete er sich nun weitläuftig über sein ruhiges und kluges Benehmen bei dem Kampfe; Pallets Angst dagegen schrieb er dem geheimen Bewußtseyn eines Verbrechens zu, da, wie er meinte, der Tugendhafte unmöglich sich vor dem Tode fürchten könne; denn dieser sey nicht nur der friedliche Hafen, der ihn aufnähme, wenn er auf der stürmischen See des Lebens gescheitert sey, sondern auch das ewige Siegel des guten Namens und Ruhms, die da nicht mehr verscherzt oder verloren werden könnten. Dann beklagte er, in so entarteten Zeiten geboren worden zu seyn, wo der Krieg ein Miethlingshandwerk geworden wäre, und wünschte sehnlich den Tag herbei, an dem er eine Gelegenheit fände, seinen Muth für die Sache der Freiheit zu zeigen, wie die Athener bei Marathon, als sie hier, klein an Zahl, die Macht des Perserreichs schlugen. »Wollte der Himmel,« fuhr er fort, »meine Muse wurde so beseligt, dem glorreichen Zeugnisse auf der Trophäe in Cypern nachzueifern, die man Cimon wegen zweier großen Siege errichtete, welche er an seinem Tage zu Wasser und zu Lande über die Perser erfocht. Hierbei ist zu bemerken, daß das Erhabene dieses Ereignisses den Ausdruck über die gewöhnliche Einfachheit und Bescheidenheit alter Inschriften erhoben hat.«

Er declamirte nun jene Inschrift mit großem Pathos her und äußerte dann seine Hoffnung: daß die Franzosen einst mit einem Heer, wie Xerxes in Griechenland, in England einbrechen möchten, damit er das Glück haben könne, wie Leonidas für die Freiheit seines Landes zu sterben.

Die Reisenden schickten jetzt, nachdem dieser merkwürdige Zweikampf beendet und alles Sehenswerthe in Antwerpen von ihnen in Augenschein genommen worden war, ihr Gepäck die Schelde hinab nach Rotterdam, sie selbst aber fuhren mit Post dahin, und kamen noch denselben Abend wohlbehalten an der Maas an, wo sie in einem Gasthofe abstiegen, dessen Eigenthümer ein Engländer war. Am nächsten Morgen ging der Doctor aus, um einige Empfehlungsschreiben, die er in Paris an ein paar holländische Herren erhalten hatte, abzugeben, die er jedoch nicht zu Hause fand; Beide kamen aber den Nachmittag in den Gasthof, wo einer von ihnen so artig war, die Gesellschaft für den Abend in sein Haus einzuladen.

Mittlerweile hatten die beiden Holländer eine Jacht bestellt und machten jetzt den Reisenden den Vorschlag, eine Spazierfahrt auf der Maas zu machen, und obschon Jolter wegen der stürmischen Witterung die Sache ablehnte, so begaben sich die Andern dennoch an Bord, wo sie in der Cajüte eine sehr hübsche Collation bereitet fanden. Während man nun bei einer Kühlung, wie sie zum Makrelenfange nöthig ist, am Ufer hin- und herfuhr, äußerten der Arzt und der Maler ihre Zufriedenheit über dies Vergnügen; als jedoch der Wind, zur Freude der Holländer, die nun eine Gelegenheit vor sich sahen, ihre Gewandtheit im Manövrieren zu zeigen, immer mehr und mehr sich erhob, da hielten die Gäste es nicht mehr für rathsam, auf dem Verdeck zu bleiben; unten aber zu sitzen, fiel ihnen wegen der Tabakswolken sehr lästig, die in so dicken Wirbeln aus den Pfeifen ihrer Wirthe hervorqualmten, daß sie Gefahr liefen, zu ersticken.

Die heftige Bewegung des Schiffes und der Tabaksdampf begannen endlich den Kopf und Magen des Malers in Unordnung zu bringen; er bat flehentlich, ihn ans Ufer zu setzen; die Holländer aber, welche durchaus keinen Begriff von seinen Leiden hatten, bestanden mit hartnäckiger Höflichkeit darauf, er möchte so lange noch an Bord bleiben, bis sie ihm einen Beweis von der Gewandtheit ihrer Schiffer gegeben hätten. Sie brachten ihn hierauf auf das Verdeck und befahlen ihren Leuten, das Schiff leiwärts bis über die Stückpforten unter Wasser zu setzen und sogleich ward nun auch dies große Kunststück zur Verwunderung von Peregrine und zum Entsetzen von Pallet ausgeführt, der sich über die Höflichkeit der Holländer kreuzte und segnete und den Himmel um Rettung anflehte. Während sich aber noch die Holländer an diesem Manöver und zugleich an der Angst des Malers ergötzten, packte ein Wirbelwind vom Lande her die Jacht und stürzte sie in einem Augenblicke um, so daß Alle über Bord flogen, ehe noch Einer Zeit hatte, diesen Unfall nur vorauszusehen. Peregrine, ein guter Schwimmer, erreichte bald wohlbehalten das Ufer; der Arzt hielt sich in der Todesangst an den Pumphosen eines Schiffers fest, der ihn bald aus dem Wasser zog, die beiden Holländer schwammen aber ganz unbefangen dem Quai zu und tauchten dabei ihre Pfeifen mit großer Kaltblütigkeit.

Der arme Pallet würde jedenfalls zu Grunde gegangen seyn, wenn ihm nicht glücklicher Weise das Tau eines Schiffes aufgestoßen wäre, an welches er sich, obschon der Sinne beraubt, instinktmäßig so krampfhaft anklammerte, daß, als ein Boot zu seiner Rettung herbeikam, man Mühe hatte, seine Hände davon loszumachen. Aller Empfindung und Sprache beraubt, schaffte man ihn in ein benachbartes Gebäude, wo man ihn bei den Fersen aufhing, worauf denn eine ungeheure Menge Wasser aus seinem Munde stürzte. Nach dieser Ausleerung begann er erst fürchterlich zu stöhnen und dann unaufhörlich zu brüllen, zuletzt aber in eine Raserei zu verfallen, die einige Stunden dauerte. Da dergleichen Unfälle, wie mit der Jacht, sich häufig ereignen und weiter gar nicht beachtet werden, so fiel es übrigens den Holländern nicht im Traume ein, ihren Gästen über den Vorfall ihr Leidwesen zu bezeigen, und sie erstaunten nur, als sie hörten, daß Pallet nicht schwimmen könne, denn einem Holländer ist es eben so natürlich, oben auf dem Wasser zu treiben, als einem Stücke Tannenholz.

Man überließ jetzt die Jacht der Sorge der Schiffer und jeder von der Gesellschaft begab sich in seine Wohnung, um sich anders anzukleiden; des Abends aber führte man die Reisenden in das Haus des einen der Holländer, der, um seinen Gästen desto mehr Unterhaltung zu verschaffen, zwanzig bis dreißig Engländer aus allen Ständen, vom Kaufmann bis zum Perückenmacherjungen hinab, zu sich gebeten hatte.

Mitten im Zimmer stand ein Kohlenbecken, um die Pfeifen anzünden zu können und Jeder von der Gesellschaft hatte ein Spucknäpfchen bei sich. Da war kein Mund, aus dem nicht eine Dampfröhre hervorging, so daß sie einer Versammlung von feuerspeienden Chimären glichen. Um es aushalten zu können, sahen sich unsere Reisenden genöthigt, dem allgemeinen Beispiele zu folgen und ebenfalls zu rauchen. Was die Unterhaltung betriff, so war sie ächt holländisch, d. h. weder lebhaft noch leicht, und Peregrine verfehlte nicht, von heftigen Kopfschmerzen geplagt und zugleich gelangweilt, im Geheim den Arzt zu verwünschen, der ihm eine so lästige Gesellschaft auf den Hals gebannt hatte.

Den andern Morgen statteten die Holländer bei guter Zeit ihren Gegenbesuch ab und führten dann nach dem Frühstück die Reisenden in das Haus eines Mannes, der ein Kunstcabinet besaß und seines Zeichens ein Käsehändler war. Er empfing die Fremden in einer wollenen, mit ledernen Riemen unter dem Kinn festgehaltenen Nachtmütze und da er keine andere Sprache als die seines Landes verstand, so gab er ihnen durch Hülfe eines ihrer Führer zu verstehen: es wäre zwar sein Casus nicht, einem Jeden seine Curiosa zu zeigen, da sie jedoch Engländer und seinen Freunden empfohlen wären, so wolle er ihnen wohl einmal die Erlaubniß geben, Alles durchzustänkern.

Mit diesen Worten führte er sie eine dunkle Treppe hinauf in ein enges Stübchen, das mit einigen armseligen Gypsfiguren, zwei oder drei eben solchen Landschaften, dem Balge einer Otter, einem Seehundsfelle und einigen ausgestopften Fischen geziert war, während in einer Ecke ein Glasschrank stand, in welchem sich mehrere Arten von Eidechsen, Fröschen und Schlangen, ein ungeborenes Kind und ein Kalb mit zwei Köpfen in Weingeist befanden, so wie einige Dutzend angepflöckter Schmetterlinge.

Da der Kunstkenner sah, daß diese Merkwürdigkeiten die Fremden ziemlich gleichgültig ließen, zog er einen Vorhang weg, hinter welchem sich ein Wandschrank mit Schiebkästchen befand, und gab ihnen zu verstehen: hier wären Dinge enthalten, die sie auf das Angenehmste überraschen würden. Unsere Reisenden glaubten jetzt eine Sammlung seltener Münzen oder andere Kunstwerke des Alterthums zu erblicken; sie waren aber nicht wenig in dieser Erwartung getäuscht, da sie nichts als eine Menge verschiedener Muscheln fanden, die in allerlei wunderliche Figuren gelegt waren. Nachdem sie aber von dem Besitzer zwei volle Stunden mit einem höchst langweiligen Commentar über die Gestalt, Farbe und Größe des Inhalts von jedem Fache gequält worden waren, bat er sie mit einem hochmüthigen Lächeln, nunmehr ganz offen zu erklären, ob sein Cabinet oder das von myn heer Sloane in London bedeutender sey? Als diese Frage der Gesellschaft war verdolmetscht worden, rief der Maler sogleich aus: »O! o! die lassen sich an einem Tage nicht nennen. Ich möchte nicht einmal eine Ecke von Saltero's Caffeehaus für all' den alten Plunder geben, den man uns hier gezeigt hat.« Peregrine, der nicht leicht gern Jemand kränkte, der sich bestrebte, artig sich gegen ihn zu erweisen, erwiederte aber: was sie hier gesehen, wären zwar große Seltenheiten und bewundernswerthe Sachen, allein keine Privatsammlung in Europa gliche dem Cabinet des Sir Hanns Sloane, das, die Geschenke abgerechnet, hunderttausend Pfund Sterling gekostet hätte. Bei dieser Versicherung stutzten die beiden Führer, und als man sie dem Käsehändler übersetzte, schüttelte er lächelnd den Kopf und gab, wenn auch nicht durch Worte, doch durch Mienen, seine Unglauben an der Sache zu verstehen.

Von dem Hause des holländischen Naturaliensammlers führten nun die beiden Begleiter die Reisenden in der ganzen Stadt umher und verließen sie nicht eher als spät des Abends und nachdem sie ihnen versprochen hatten, sie den nächsten Tag nach einem Landhause zu begleiten, das jenseits des Flusses bei einem anmuthigen Dorfe lag.

Diese Aussicht machte Peregrine aber wenig Freude, er beschloß, sich dieser Vergnügungsparthie zu entziehen. Er befahl deshalb seinem Diener, einige Kleidungsstücke und Wäsche in einen Mantelsack zu packen und stieg am frühen Morgen mit Jolter in eine Treckschuyte, die nach dem Haag ging, indem er vorgab: dringende Geschäfte riefen ihn dahin, und es seinen Reisegefährten überließ, ihn bei den beiden Holländern zu entschuldigen und ihnen die Versicherung gab, daß er sie im Haag erwarten wolle.

Noch des Vormittags kam er daselbst an und speiste zu Mittag in einem Gasthofe, den Herren von Stande zu besuchen pflegten; als er hier aber erfuhr, daß die Prinzessin für den Abend Gesellschaft annehmen würde, warf er sich in Glanz und begab sich ohne weitere Einführung an den Hof, wo der Prinz, nachdem er sich nach seinem Namen und Stande erkundigt hatte, sich einige Minuten sehr artig über gleichgültige Gegenstände mit ihm unterhielt.


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