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LXV.

Peregrine kommt wieder los. Der Hofmeister geräth durch sein geheimnisvolles Betragen in keine geringe Verlegenheit. Der Dichter und der Maler kommen in einen Streit, der jedoch durch ihre Reisegefährten wieder beigelegt wird.

Peregrinens Benehmen und Aeußerungen nahmen den wachhabenden Officier für ihn ein; er behandelte ihn mit vieler Achtung und versicherte ihm, nachdem er sich von Allem unterrichtet hatte, der Prinz würde gewiß die Sache als einen Jugendstreich betrachten und ihn ungesäumt wieder auf freien Fuß setzen lassen. Wirklich machte der Officier auch am nächsten Morgen einen so günstigen Bericht an den Statthalter, daß der junge Mann auf dem Punkte stand losgelassen zu werden; allein Hornbeck reichte jetzt eine Klage ein, in welcher er Pickle beschuldigte, einen Anschlag auf sein Leben gemacht zu haben, und darum bat, ihn der Natur dieses Verbrechens gemäß zu bestrafen.

Den Prinzen setzte dies Gesuch in Verlegenheit, da er nun voraussah, daß er einen großbritannischen Unterthanen würde beleidigen müssen, und da er dies nicht gern wollte, so ließ er den Kläger, der ihm einigermaßen bekannt war, rufen, und redete ihm zu, die Sache fallen zu lassen; denn, setzte er hinzu, es kann doch zu nichts führen, als daß Ihre Schande nur ausgebreitet wird. Hornbeck war jedoch viel zu erbittert, um einem so vernünftigen Vorschlage Gehör zu geben; er bestand darauf, Gerechtigkeit gegen den Gefangenen zu verlangen, und versicherte nebenbei: derselbe wäre ein unbekannter, gemeiner Landstreicher, der bereits wiederholte Eingriffe auf seine Ehre und sein Leben gemacht hätte.

»Bis jetzt,« sprach der Statthalter hierauf, »habe ich Ihnen als Freund gerathen; da Sie jedoch durchaus den Richter verlangen, wohlan! die Sache soll auf das Strengste untersucht werden.« Hornbeck wurde jetzt entlassen und der Beklagte vorgefordert. Die günstige Meinung, welche der Prinz von dem Gefangenen gefaßt hatte, war durch das, was sein Gegner über seine Herkunft und seinen Stand geäußert, bedeutend gesunken, und Pickle konnte aus einigen Ausdrücken, die diesem Herrn entfielen, abnehmen, daß man ihn für einen Beutelschneider und Vagabunden hielt. Er bat daher um die Erlaubniß, seine Papiere holen zu dürfen, die wahrscheinlich seinen Ruf gegen etwaige Verleumdungen sichern würden. Dies ward ihm zugestanden, und sogleich schrieb er nun an Jolter und ersuchte diesen, seine Empfehlungsschreiben von dem englischen Gesandten in Paris, so wie alle die andern Papiere mitzubringen, die seiner Meinung nach dazu dienen konnten, ihn in einem günstigen Lichte zu zeigen.

Dies Briefchen ward einem Unterofficier zur Bestellung gegeben, der nun sogleich in den Gasthof eilte und Master Jolter zu sprechen begehrte. Zufällig stand Pallet gerade unter der Thüre, als dieser Bote nach dem Hofmeister fragte und sogleich rannte er nun nach dessen Zimmer und rief voll Bestürzung hinein: »Unten steht ein langer Lulei von Soldat mit einem fürchterlichen Schnurrbart und einer Pelzmütze wie ein Scheffel so groß, und erkundigt sich nach Ihnen.« Der arme Hofmeister begann bei dieser Nachricht am ganzen Leibe zu zittern, obschon er sich durchaus keiner Handlung bewußt war, die im Stande gewesen wäre, die Aufmerksamkeit des Staats auf sich zu ziehen; und als nun jetzt der Unterofficier selbst an der Thüre erschien, da gerieth er so gänzlich aus der Fassung, daß Jener seine Botschaft dreimal wiederholen mußte, ehe der Andere dahinter kam, was er wollte, und es wagte, den dargereichten Brief zu nehmen. Endlich raffte er allen seinen Muth zusammen und las die paar Zeilen. Nunmehr verwandelte sich aber seine Bestürzung in die namenloseste Angst; er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Peregrine, wer weiß welches schrecklichen Vergehens wegen, in einem tiefen Kerker säße, und in einer furchtbaren Gemüthsbewegung eilte er nach dem Koffer, um hier schnell ein Bündel Papiere zu nehmen, mit welchem er dann dem Unterofficier folgte, während der Maler, dem er einen Wink von seiner Besorgniß gegeben hatte, ihn begleitete.

Als sie sich der Wache näherten, die gerade unter den Gewehre stand, erstarrte Beiden vor Angst und Furcht das Herz im Leibe, und wie sie hierauf vor den Prinzen geführt wurden, da zeigte Jolter in seinem ganzen Benehmen eine solche namenlose Bestürzung, daß sich der Prinz bewogen fand, ihn durch die Versicherung aufzurichten: er habe durchaus nichts zu befürchten. Dies gab ihm denn so viel Fassung wieder, daß er auf Peregrinens Verlangen die Briefe des Gesandten vorzulegen vermochte. Da sie offen waren, so las Se. Hoheit sie durch, und da Dieselben sowohl den Schreiber dieser Briefe, als mehrere der Personen, an die sie gerichtet waren, kannten, und alle zusammen mit der größten Wärme von unserm jungen Herrn sprachen und ihn in das vortheilhafteste Licht stellten, so überzeugte sich der Statthalter, daß dessen Charakter durch Hornbeck war verleumdet worden, und nahm ihn nun bei der Hand, indem er ihn seiner Achtung versicherte und zugleich den Befehl gab, ihn auf freien Fuß zu setzen, wobei er ihm noch seinen Schutz versprach, so lange er sich in den österreichischen Niederlanden aufhalten würde. Doch verfehlte der Prinz auch nicht, Peregrinen den Rath zu geben, hinführo bei seinen Liebeshändeln mit etwas mehr Bedachtsamkeit zu Werke zu gehen, und ließ sich dann von ihm auf sein Ehrenwort versprechen, auf keinerlei Weise, so lange er sich hier aufhielte, Rache an Hornbeck zu nehmen.

So ehrenvoll entlassen, dankte Peregrine dem Prinzen in den ehrerbietigsten Ausdrücken für seinen Edelmuth und seine Milde und begab sich dann mit seinen Freunden fort, die über Alles, was sie gesehen und gehört hatten, in nicht geringer Verwunderung und Bestürzung waren und den ganzen Vorgang noch nicht zu begreifen vermochten, der ihnen auch durch Pipes unerklärbare Erscheinung, welcher mit dem Kammerdiener am Schloßthore zu ihnen stieß, nicht aufgehellt wurde. Wäre Jolter ein Mann von lebhafter Einbildungskraft gewesen; so hätt' es leicht seyn können, daß sein Gehirn von der Menge Muthmaßungen, die er über das geheimnißvolle Betragen seines Untergebenen anstellte, in Unordnung gerathen wäre; allein sein Verstand war zu gründlich, um durch so etwas erschüttert werden zu können, und da sein Zögling es nicht für rathsam fand, ihm die Ursache seiner Verhaftung zu entdecken, so begnügte er sich mit der Muthmaßung: es müsse hier wohl ein Frauenzimmer im Spiele seyn.

Pallet, dessen Einbildungskraft lockerer gewebt war, stellte dagegen eine Menge chimärischer Vermuthungen auf, die er Peregrinen, in der Hoffnung, durch dessen Antworten die Wahrheit herauszubekommen, durch allerlei Winke zu erkennen gab. Um ihn jedoch zu martern, wich dieser allen seinen Fragen mit einer so sichtbaren Geflissenheit aus, daß des Malers Neugierde dadurch nur noch mehr erhöht und bis zu einem Grade getrieben wurde, daß wirklich sein Verstand einer Zerrüttung nahe war und Peregrine zuletzt sich genöthigt sah, um ihn nur einigermaßen zu beruhigen, ihm im Vertrauen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu entdecken: er sey als ein Spion in Haft genommen worden.

Dies Geheimniß drückte Pallet aber noch mehr als seine vorherige Ungewißheit, und er lief nun aus einem Zimmer in das andere wie eine Gans, die ein Ei legen will. Seine Absicht war dabei, sich seiner drückenden Last zu entledigen; allein Jolter besprach sich gerade mit Peregrinen, und von den Leuten im Hause verstand keiner die einzige Sprache der er mächtig war. In dieser Noth sah er sich endlich genöthigt, sich an den Doctor zu wenden, der sich in sein Zimmer eingeschlossen hatte. Pallet klopfte an; vergebens, keine Antwort erfolgte; er guckte nun durch das Schlüsselloch und erblickte den Arzt an einem Tische, den Kopf in die Hand gestützt, Feder und Papier vor sich, in einer Art von Verzückung, die ihm glaublich machte, Jener habe gichterische oder epileptische Zufälle, weswegen er denn nun die Thüre aufzusprengen suchte, was natürlich ein solches Geräusch verursachte, daß der Doctor zuletzt aufmerksam werden mußte. Voll Zorn, sich auf eine so unangenehme Art gestört zu sehen, sprang er auf und öffnete die Thüre; kaum erblickte er aber hier den Maler, so schlug er sie ihm wieder heftig vor dem Gesichte zu und verfluchte dessen unverschämte Zudringlichkeit, die ihm, wie er versicherte, des wonnevollsten Gesichts beraubt habe, das jemals einen Sterblichen beglückte.

Ihm wäre, so erzählte er später Peregrinen, gewesen, als hätte er sich in den blumenreichen Auen am Fuße des Parnaß ergangen; da sey ein ehrwürdiger Greis auf ihn zugetreten, den er sogleich an dem göttlichen Feuer, das aus seinen Augen gestrahlt, für den unsterblichen Pindar erkannt habe. Ein heiliges Grauen habe sich seiner nun bemächtigt und er sey vor der hohen Erscheinung in den Staub gesunken, aber der große Dichter habe ihn sanft bei der Hand ergriffen, ihn aufgehoben und mit Worten, milder als Hyblas Honig, ihm zu verstehen gegeben, daß unter allen Neueren er der Einzige sey, den die himmlische Gluth beseele, die ihn einst begeistert hätte, als er seine unsterblichen Oden sang. Nach diesen Worten habe er ihn auf den heiligen Hügel geführt, ihn daselbst aus der Hippokrene trinken lassen und dann den sangreichen neun Schwestern vorgestellt, die seine Schläfe mit einem Lorbeer umwunden hätten.

Man darf sich daher wohl nicht wundern, daß der Doctor wie rasend war, sich einer so erhabenen Gesellschaft plötzlich entrissen zu sehen. Er überschüttete den Zudringlichen mit Schmähungen in griechischer Sprache, doch war Pallet viel zu sehr mit seinem Vorhaben beschäftigt, um hierauf zu hören und sich an das Mißvergnügen des Arztes zu kehren; im Gegentheil legte er den Mund an die Thüre und rief: »Ich will jede Wette halten, daß ich die wahre Ursache von Sir Pickle's Verhaftung errathe.« Da diese Aufforderung unbeantwortet blieb, so wiederholte er sie nochmals und setzte hinzu: »Sie bilden sich wahrscheinlich ein, er sey wegen eines Duells oder weil er einen vornehmen Herrn beleidigt, oder vielleicht die Frau eines Andern verführt, oder wegen sonst etwas Aehnlichem festgenommen worden? aber da schneiden Sie sich gewaltig! Ich setze meine Cleopatra gegen Ihren Homerskopf, daß Sie in vierundzwanzig Stunden die Sache nicht herausbringen.«

Der Liebling der Musen wurde durch diese Beharrlichkeit des Malers ungemein erbittert. »Gern opferte ich dem Aesculap einen Hahn,« entgegnete er endlich, »wenn ich versichert wäre, daß man Jemand darum hingesetzt hätte, weil er einen so überlästigen Gothen, wie Ihr, von der Erde vertilgt habe. Und was Eure so hochgepriesene Cleopatra anlangt, zu der, wie Ihr sagt, Euer Weib Euch als Modell gedient hat, so glaube ich daß die Copie gerade soviel von dem το καλον an sich hat, als das Original. Ich an Eurer Stelle wurde das Ding in den Tempel der Cloacina als das Bild dieser Göttin hängen, denn dies dürfte das einzige Gemach seyn, wohin es gehört.«

Diese schmachvolle Erwähnung des Schooskindes seiner Kunst brachte den Maler auf das Aeußerste. »Mein Herr,« erwiederte er, »von meinem Weibe mögen Sie so schlecht reden als es Ihnen beliebt; aber von meinen Werken muß ich mir das verbitten. Diese sind die Kinder meiner Phantasie, mit glühender Imagination empfangen und durch die Kunst meiner Hände gebildet. Was Sie aber anlangt, so mögen Sie selbst ein Gothe, ein Türke und obendrein noch ein unverschämter, anmaßender Geck seyn; denn sonst würden Sie sich nicht unterstehen, von einem hohen Meisterwerke so unehrerbietig zu reden, das von allen Kennern als ein Meisterstück seiner Art gepriesen worden und dem menschlichen Geist und der Kunst zur höchsten Ehre gereichen wird, wenn es erst wird vollendet seyn. Daher sage ich Euch nochmals, Ihr, Ihr, und abermals Ihr, Ihr habt gerade soviel Geschmack als ein Karrengaul, und Eure lächerlichen Begriffe von dem Alten sollten Euch mit einem tüchtigen Bakel ausgetrieben werden, damit Ihr in Zukunft lerntet, Männern von Talent mit Hochachtung begegnen. Gebt Acht, Ihr werdet vielleicht nicht immer gute Freunde zur Seite haben, die um Beistand für Euch schreien, wenn Andere Euern Uebermuth züchtigen wollen, so wie ich es that, als ihr den Schottländer gereizt hattet, der Euch bei Gott! tüchtig würde gepfeffert haben, wie Fallstaff sagt, wenn ihn der französische Officier nicht in Arrest geschickt hätte.«

Auf diese zum Schlüsselloch hinein gehaltene Rede entgegnete der Arzt, Pallet stehe zu unendlich tief unter ihm, als daß er ihn nur der mindesten Rücksicht würdigen könne; sein Gewissen würfe ihm nur eine tadelnswerthe Handlung in seinem ganzen Leben vor, und das sey die, einen so elenden Schächer zum Reisegesellschafter gewählt zu haben. Bisher hätte er aber freilich Pallets Charakter mit zu großem Mitleiden und Güte betrachtet; dies hätte ihn verleitet, ihn mitzunehmen, um ihm dadurch eine Gelegenheit zu verschaffen, seinen beschränkten Ideenkreis zu erweitern: allein er habe seine Güte und Nachsicht auf eine so schändliche Art gemißbraucht, daß er nunmehr jetzt entschlossen sey, ihn gänzlich aus seiner Bekanntschaft zu verbannen, und ihm daher riethe, sich zur Stelle wegzupacken, falls er nicht mit Fußtritten auf die Kehrseite wolle begrüßt werden.

Viel zu entrüstet, um sich durch diese Drohung in Furcht jagen zu lassen, erwiederte der Maler die Vorwürfe des Doctors mit großer Bitterkeit und forderte ihn auf, herauszukommen, damit man sehe könne wer am geschicktesten Fußtritte zu geben vermöge; und um zu zeigen, welche Gewandtheit er in dergleichen Uebungen habe, begann er mit einem so donnernden Getöse gegen die Thüre zu trampeln, daß der Hofmeister und Peregrine herbeieilten, um sich nach der Ursache dieses Aufruhrs zu erkundigen. Da Pickle sah, was er trieb, so fragte er ihn: ob er das Salzwasserbad zu Aalst bereits vergessen habe, und machte ihm bemerklich, daß er sich wenigstens so betrüge, als verlange ihm wieder nach dieser Arznei.

Jetzt, da der Doctor vernahm, daß mehrere Menschen da waren, öffnete er die Thüre und sprang voll Erbitterung auf seinen Gegner zu, und sicher würde es, zum unendlichen Vergnügen unsers jungen Herrn, zu einer Balgerei zwischen Beiden gekommen seyn, wenn sich nicht Jolter dazwischen gelegt und sie mit eigener Gefahr aus einander gerissen und so theils durch Gewalt, theils durch Ermahnungen das Treffen beendet hätte, eh' es noch recht angegangen war. Nachdem er ihnen aber vorgestellt hatte, wie unanständig ein solches Benehmen für Landsleute und Männer ihrer Art sey, bat er sie, ihm die Ursache ihrer Uneinigkeit wissen zu lassen und erbot sich zum Vermittler ihres Streites.

Da Peregrine sah, daß kein Kampf mehr zu hoffen war, machte er dasselbe Anerbieten; aber aus Gründen, die leicht einzusehen sind, weigerte sich der Maler, eine Auseinandersetzung des Vorfalls zu geben; der Doctor erzählte dagegen, wie er durch die unverschämte Zudringlichkeit des Andern sey gestört und um eine erhabene Vision gebracht worden, und Pickle that nun den Ausspruch: daß hiernach allerdings der Maler verbunden sey, eine Genugthuung zu gewähren. »Die würd' ich gern gegeben haben,« entgegnete Pallet, »wenn der da sich wie ein Gentleman geäußert und betragen hätte; aber durch die pöbelhafte Art, mit welcher er von meinen Werken sprach, hat er sich einer solchen Ehre verlustig gemacht. Hätte ich Belieben gehabt,« setzte er hinzu, »seine Verleumdungen zu erwiedern, so würden mir seine Werke Stoff genug geboten haben, ihn zu kritisiren und lächerlich zu machen.«

Nachdem man sich lange auf diese Art noch mit Worten gestritten hatte, ward endlich unter der Bedingung Friede geschlossen, daß der Doctor gar nicht mehr von der Cleopatra des Malers sprechen sollte, wofern er sie nicht loben wolle, und daß Pallet zur Buße dafür, der angreifende Theil gewesen zu seyn, den Arzt malen solle, damit dann das Bildniß in Kupfer gestochen und der nächsten Ausgabe von des Doctors Oden vorgebunden werden könne.


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