Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

LXXII.

Pickle sieht seine Schwester glücklich verheiratet und besucht seine Geliebte, die ihn so aufnimmt, wie er es verdient.

Pickle war der Meinung, der Antrag von Herrn Clover sey nicht zu verachten, zumal da Juliens Herz sich für ihn entschied. Er sprach daher mit dem alten Trunnion über die Sache und nachdem Mistriß Trunnion ihre Einwilligung gegeben, erklärte sich dieser nicht nur geneigt, sondern wollte auch, daß Alles in größter Eile und ohne weiteres Zuthun der Eltern des Mädchens abgemacht würde, da dieselben, wie er meinte, ihres unmenschlichen Verfahrens wegen, nicht die mindeste Beachtung von Seiten ihrer Tochter verdienten. Ganz so dachte auch Peregrine, allein trotz dem, und daß Clover für die Hindernisse bangte, welche Juliens Eltern machen könnten und er deshalb die Geliebte um ihre unmittelbare Einwilligung bat, so war diese doch durchaus nicht zu diesem Schritt zu bewegen, ohne zuvor um die Erlaubniß ihres Vaters nachgesucht zu haben, wobei sie indeß den stillen Vorbehalt hegte, jedenfalls der Stimme ihres Herzens zu folgen, wenn Sir Gamaliels Einwendungen ungerecht oder zu unbedeutend seyn sollten.

Durch diesen Entschluß sah sich ihr Verehrer demnach genöthigt, dem alten Pickle in der Schenke seine Aufwartung zu machen. Mit vielen Aeußerungen der Ehrerbietung trug er ihm hier seine Wünsche vor, legte ihm seine Vermögensumstände dar, sagte ihm, was er für Miß Julie zu thun gedenke und schloß mit der Versicherung, keine Aussteuer zu verlangen. Dies letzte Anerbieten schien bei dem Vater Eindruck zu machen; er nahm den Antrag höflich auf und versprach in einem oder ein paar Tagen Bescheid zu ertheilen. Diesem Versprechen zufolge ging er auch noch denselben Abend mit seiner Frau über die Sache zu Rathe, diese aber wurde durch die Aussicht, daß ihre Tochter unabhängig werden sollte, äußerst erbittert. Sie brachte die giftigsten Beschwerden gegen diese Parthie vor; nach ihr sollte das Mädchen die ganze Sache blos darum selbst auf die Bahn gebracht haben, um ihren Eltern Hohn zu sprechen, gegen die sie sich bereits des abscheulichsten Unrechts schuldig gemacht habe, kurz, sie wußte nicht allein ihren schwachen Mann dahin zu bringen, daß er ganz von diesem ihm sonst zusagenden Vorschlage abwendig wurde, sondern auch auf ihren Betrieb einen Verhaftsbefehl gegen die Tochter unter dem Vorwande auswirkte, sie stehe im Begriff, sich wider seinen Willen zu verheirathen.

Der Friedensrichter, an welchen er sich dieserhalb wandte, konnte ihm nun zwar diesen nachgesuchten Befehl nicht versagen, da ihm jedoch die boshaften Gesinnungen der Mutter und Gamaliels Einfalt vollkommen bekannt waren – und wem in der Grafschaft wäre Beides auch nicht bekannt gewesen? – so ließ er sogleich im Castell einen Wink von der Sache fallen, worauf man dann ein paar Schildwachen an das Thor stellte, und auf das dringende Anliegen sowohl des Liebhabers als des Bruders und den Betrieb des Commodores und dessen Gemahlin, Julie auf der Stelle verheirathete. Die Trauung wurde von Master Jolter verrichtet, weil der Pfarrer gern jeder Gelegenheit auswich, Jemand zu beleidigen und der Substitut es zu sehr mit der Gegenparthei hielt, um sich seiner zu diesem Geschäft bedienen zu können.

So war denn die Sache zur völligen Zufriedenheit unseres Helden beendigt, der hierauf den folgenden Tag seine Schwester nach der Wohnung ihres Mannes begleitete, von wo dann der Letztere unmittelbar an den Vater schrieb und ihm die Ursache meldete, weshalb man seine Einwilligung übergangen habe. Wie tief sich Mistreß Pickle durch diesen Vorfall gekränkt fühlte, läßt sich nicht beschreiben.

Um das junge Ehepaar vor allen Beleidigungen zu sichern, schlugen Peregrine, Hatchway und deren Gesellschafter ihren Wohnsitz einige Wochen hindurch bei Clover auf und besuchten in diesen Zeit ihre Bekannten in der Nachbarschaft; als aber endlich die Ruhe in der Familie gänzlich wieder hergestellt und der Ehecontract im Beiseyn des Commodores und dessen Gemahlin, die ihrer Nichte fünfhundert Pfund zu Geschmeide und Kleidern schenkte, ausgefertigt worden war, da konnte Peregrine seine Sehnsucht, die ihm so theure Emilie wieder zu sehen, nicht länger bezähmen. Er sagte seinem Oheim: er sey gesonnen, den nächsten Tag eine kleine Reise zu machen und seinen Freund Gauntlet zu besuchen, von dem er so lange nichts gehört habe.

Auf diese Rede sah ihn der alte Herr starr an und sprach: »Verflucht mit Euren Kniffen! Ich seh's, der Anker hält noch fest. Der hat's Kabel gelichtet und den Ankerplatz verändert, dacht' ich, aber s' ist nicht so, wie ich merke. Wenn so ein junger Kerl von einer schmucken Dirn' einmal aufgebracht ist, dann mag er wohl seinen Kabestan und Windeblock aufstellen, wenn's ihm beliebt, aber den Anker bringt er so wenig in die Höhe, als den Pick von Teneriffa. Blitz und Wetter! hätt' ich gewußt, daß das Weibsen Ned Gauntlets Tochter wäre, dann hätt' ich nicht das Signal gegeben, nicht länger Jagd auf sie zu machen.«

Peregrine stutzte nicht wenig, als er den Commodore so sprechen hörte: er vermuthete sogleich, daß Geoffry den alten Herrn von der Sache unterrichtet habe; statt aber über die Billigung seiner Liebe erfreut zu seyn, verdroß es ihn, daß der junge Krieger das ihm anvertraute Geheimniß verrathen hatte und roth vor Aerger, versicherte er dem Commodore nun, daß es ihm nie eingefallen sey, ernstlich an's Heirathen zu denken und daß man in dieser Hinsicht den Commodore getäuscht habe. »Ohne Ihr Wissen und Ihre Einwilligung,« setzte er betheuernd hinzu, »werde ich mich nie in dergleichen einlassen«.

Wegen dieses klugen Entschlusses lobte ihn der alte Herr gewaltig, machte dann aber die Anmerkung: daß, obgleich ihm Niemand etwas von seiner Verbindung mit seinem »Liebchen« gesagt habe, so sey es doch klar am Tage, daß er in einem Verständnisse mit dem Mädchen stehe und hoffentlich rechtschaffene Absichten auf sie habe, denn daß er so schurkisch denken sollte, die Tochter eines braven Officiers, der seinem Vaterlande redlich gedient hätte, zu verführen, könne man doch wohl nicht annehmen.

Trotz dieser Bemerkung, die unser junger Herr dem Mangel an Weltkenntniß des Commodores zuschrieb, begab er sich dennoch nach der Wohnung der Mistreß Gauntlet mit den verwerflichen Gesinnungen eines Menschen, der entschlossen ist, seinen Begierden jede Rücksicht zu opfern. Da Winchester auf seinem Wege war, so besuchte er hier erst einige seiner Bekannten, von denen er die Nachricht erhielt, daß sich Emilie mit ihrer Mutter gerade in der Stadt befände, was ihn denn sogleich bewog, nach der Wohnung der Geliebten zu eilen.

Als er sich der Thür derselben nahte, empfand er statt jener in einem solchen Verhältnisse so natürlichen Sehnsucht, aber leider nichts, als die Regungen der Eitelkeit und des Stolzes, denen sich eine günstige Gelegenheit darbot, Nahrung für sich zu schöpfen, und er trat demnach mehr mit dem Wesen eines eingebildeten Gecken als mit dem eines Liebenden ein, der voll Sehnsucht dem Augenblicke entgegensah, in welchem er nach siebzehn Monaten Abwesenheit der Geliebten sich wieder nahen konnte.

Schon durch seine kränkende Nachlässigkeit gegen den Brief ihres Bruders war Emilie mit Recht mißvernügt geworden, und ihr beleidigter Stolz und ihre entschlossene Gemüthsart setzten sie nach kurzem Kampf in den Stand, so tief ihr diese Gleichgültigkeit auch schmerzte, ihm doch nur Ruhe und Gelassenheit in seiner Gegenwart zeigen zu können. Jetzt war es ihr doppelt angenehm, daß gerade in dem Augenblick, wo er bei ihr erschien, einige junge Herren sich bei ihr befanden, die sich für ihre Bewunderer erklärten, und kaum hatte er sich daher melden lassen, so sammelte sie alle ihre Coquetterie, nahm ein munteres Wesen an und scherzte laut, als er in das Zimmer trat. Nachdem die Begrüßungscomplimente vorüber waren, bewillkommte sie ihn auf eine nachlässige Art, fragte ihn nur ganz im Vorübergehen nach Neuigkeiten aus Paris und wandte sich dann wieder, ohne seine Antwort abzuwarten, an ihre anderen Gesellschafter.

Peregrine, welcher nicht zweifelte, dies Benehmen sey nur gemacht, um ihn für sein unartiges Stillschweigen während seiner Reise zu bestrafen, lächelte bei sich darüber und war überzeugt, daß ihm ihr Herz dennoch gänzlich gewidmet sey. In dieser Voraussetzung bediente er sich aller zu Paris erlernten Geschicklichkeiten in der Kunst des Umganges und brachte tausenderlei artige Dinge in Complimentenform mit solcher Schnellzüngigkeit hervor, daß seine Nebenbuhler vor Erstaunen verstummten und Emilie dadurch, daß sie sich des Vorrechtes ihres Geschlechtes beraubt sah, aus ihrer Gleichgültigkeit herausgeärgert ward. Trotz dem blieb Peregrine jedoch bei seiner Geschwätzigkeit, bis die Anderen es für rathsam fanden, sich zu entfernen; nunmehr lenkte er jedoch die Unterhaltung auf seine Liebe, die freilich jetzt einen anderen Charakter als sonst hatte. Statt der achtungsvollen Verehrung, die ihm die Gegenwart der Geliebten sonst einzuflößen pflegte, statt der Reinheit der Gesinnungen und der Zartheit im Ausdruck, stierte er sie mit den Augen eines Lüstlings an und führte, indem er ihr solche Gunstbezeigungen zu rauben suchte, die sie ihm wohl ehemals, da ihre Herzen noch eine gegenseitige Zärtlichkeit fühlten, verstattete, eine Sprache, die sich höchstens in den Schranken des gewöhnlichen Wohlstandes hielt.

So tief sich aber auch Emilie durch dies Alles gekränkt fühlte, so verschmähte sie es dennoch, ihn an sein früheres Betragen zu erinnern. Mit verstellter Heiterkeit spottete sie über seine glänzenden Fortschritte im Ton der Galanterie, doch war sie dabei weit entfernt, ihm auch nur die geringste Freiheit zu gestatten. Nicht einen Handkuß gewährte sie ihm und so hatte er denn von der Anwendung seiner Talente bei dieser eine ganze Stunde dauernden Zusammenkunft keinen andern Vortheil, als den, die Erfahrung zu machen, daß er seine Vorzüge zu hoch angeschlagen, und daß Emiliens Herz keine so leichte Eroberung sey.

Mistreß Gauntlet, die von einem Besuch zurückkehrte, unterbrach endlich diese Scene. Die Unterredung ward nun allgemein und er vernahm, daß Geoffry sich jetzt in London befände, um daselbst um eine bei seinem Regiment erledigte Lieutenantsstelle anzuhalten, und daß sich Miß Sophy in dem Hause ihres Vaters aufhielt.

Obschon dieser erste Besuch somit nicht ganz den guten Erfolg gehabt hatte, auf den er rechnete, so gab er aber doch die Hoffnung nicht auf, die Festung einzunehmen. Die Zeit, glaubte er, würde zu seinen Gunsten wirken, aber er irrte, denn, wiewohl er die Belagerung mehrere Tage fortsetzte, so nutzte ihm dies doch zu nichts, und da er zuletzt die Dame nach ihrer ländlichen Wohnung zurückbegleitet hatte und sich dennoch um keinen Schritt gefördert sah, so begann er nun das Ganze für einen Zeitverlust anzusehen und in der Hoffnung, günstigere Gelegenheiten zu finden, seine Bewerbungen einzustellen. Sein Ehrgeiz trieb ihn an, seine Vorzüge, die, wie seine Eitelkeit ihm einredete, hier übel angewendet wären, in einer höhern Sphäre leuchten zu lassen.


 << zurück weiter >>