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10.
Sprengung des Rumpfparlaments.

Nachdem ich davon abgesehen, über die letzten Ereignisse des parlamentarischen Hauptschauplatzes, Frankfurt, ausführlicher zu berichten, wird man es begreiflich finden, dass ich des kurzen, erfolglosen Nachspieles in Stuttgart nur mit wenigen Worten gedenke. Dieses Nachspiel hatte kaum die Dauer von vier Wochen. Die württembergischen Minister, die sich zwar nicht streichen ließen aus der Liste des Rumpfparlaments, erschienen aber in keiner Sitzung und gaben Anlass, das vorauszuahnen, was später auch geschah; das Ministerium Römer hätte seine Entlassung nehmen sollen, anstatt zu bleiben und die Sprengung des Parlamentsrestes selbst vorzunehmen. Aber Minister Römer rechtfertigte sich später damit, dass er als Minister in der Lage war, seine schützende Hand so lange als möglich über eine Versammlung zu halten, die aus einstigen Parlaments-Kollegen Frankfurts und aus mehreren persönlichen Freunden bestand, und dass er, wenn nach Umständen die Auflösung selbst mit Waffengewalt schon erfolgen musste, als Minister doch in der Lage war, den Akt der Auflösung und die Folgen derselben so rücksichtsvoll zu gestalten, als es seiner humanen Natur und liberalen Gesinnung entsprach. Wie dem auch sei, auf den Vorwand zur Auflösung ließ die parlamentarische Versammlung in Stuttgart nicht warten. Die Verhandlungen und Beschlüsse setzten sich im Geiste des Frankfurter Vollparlaments fort, und obwohl der Bundestag in Frankfurt, wenn auch nur zum Schein, offiziell noch bestand, so setzte die Stuttgarter Versammlung ein neues politisches Zentralorgan Deutschlands durch Schaffung der Reichsregentschaft ein und ein Teil der parlamentarischen Mitglieder, die nur mit solchen Absichten nach Stuttgart gefolgt waren, wirkten mehr in den Provinzen Württembergs und Badens als Agitatoren, als dass sie in den Versammlungen erschienen. Es ist anzunehmen, dass auf die Regierung in Stuttgart auch von den Großstaaten Deutschlands stimulierend eingewirkt wurde, als sie endlich den Entschluss fasste, dem parlamentarischen Treiben ein Ende zu bereiten.

Am 18. Juni 1849 morgens 9 Uhr ging ich eben im königlichen Park auf und nieder, als mir Kollege Venedey aufgeregt entgegen kam und mir mitteilte, dass die Regierung die Sprengung des Parlamentes vorhabe und entschlossen sei, schon die heutige Sitzung nicht mehr stattfinden zu lassen. Das Präsidium war ersucht worden, selbst die angekündigte Sitzung abzusagen oder es auf die gewaltsame Sprengung ankommen zu lassen. Nach Venedeys Mitteilung hatte Präsident Löwe ihn und andere gebeten, den parlamentarischen Mitgliedern bekannt zu geben, dass sie sich im Hotel Marquart versammeln und dort das Nötige beschließen sollten; er sei entschlossen, an der Spitze des Zuges den Gewaltmaßregeln entgegenzuschreiten und es auf alle Folgen ankommen zu lassen. Wir eilten in das Hotel Marquart und fanden in dem Saale ebener Erde bereits alle Kollegen in ruhiger Entschlossenheit versammelt. Nach kurzer Besprechung ward beschlossen, die Sitzung abzuhalten und in einem Aufzug von zwei Mann hoch die lange Straße hinauf nach dem Sitzungssaale, einem Holzbau in einem Gasthausgarten, zu ziehen; für den Fall militärischen Widerstandes sollte Präsident Löwe eine kurze Verwahrungsrede halten und dann die Versammelten zurückführen – um Abschied zu nehmen, denn auf einen blutigen Zusammenstoß konnte und wollte man es nicht ankommen lassen. So sah sich jeder nach dem Leidens-Kollegen um, mit dem er den letzten schweren parlamentarischen Gang zurücklegen sollte. Ich stand noch unentschlossen unter einer Anzahl Kollegen in dem Saale, als ich Uhland aus einem Winkel des Saales gerade auf mich zukommen sah; er steckte, bei mir angekommen, seine Hand in meinen Arm und sagte ernst und ruhig: »Wollen wir den Weg gemeinsam gehen?« Ich verneigte mich zustimmend, und bald standen wir in dem Zuge, der vor dem Hotel Marquart sich aufgestellt hatte. Langsam und würdig setzte sich der Zug in Bewegung, die lange Straß e hinauf, an dem alten Landhause vorüber und näherte sich der Straße, welche die Richtung unseres Zuges durchschneidet. Hier sahen wir die Anstalten, welche bereits getroffen waren, unserm Zug ein Ziel zu setzen und dem »ungesetzmäßigen parlamentarischen Treiben«, wie es hieß, »ein Ende zu machen«. Uns gegenüber, am Beginn der Fortsetzung der langen Straße, hatte eine Reihe Fußvolk Posto gefasst, hinter dem ein Zivilkommissär und einige offizielle Persönlichkeiten sich befanden; rechts und links in der Querstraße standen Reihen von Kavallerie mit gezogenen Säbeln aufgestellt. Der Präsident unseres Zuges, Löwe von Calve, hatte mit den Vordermännern des Zuges kaum den Rand der Querstraße erreicht, als ihm von der Straße gegenüber ein Halt mit der kurzen Erklärung zugerufen wurde, dass jeder Weitermarsch und jeder weitere Versuch parlamentarischer Tätigkeit untersagt sei. Präsident Löwe erhob sofort seine Stimme, protestierte energisch gegen Recht und Sitte dieser gewalttätigen Unterbrechung des Zuges und der parlamentarischen Tätigkeit und erklärte, im Einverständnis mit seinen Kollegen nur der Gewalt weichen zu wollen. Aber von der Rede Löwes verstanden nur die Nächststehenden einiges, denn fast gleichzeitig mit der Stimme Löwes erhoben mehrere militärische Trommelschläger, die gegenüber aufgestellt waren, einen Wirbelsturm, der seine Bestimmung, die Rede Löwes unverständlich zu machen, vollkommen erfüllte. Mit den Trommeln wurden zugleich Trompetenzeichen links und rechts vernommen und aus den Seitenstraßen rasselten Kavalleristen mit gezogenen Säbeln hervor und fuchtelten über den Häuptern der Deputierten drohend umher. Wir standen ruhig, der Drohungen kaum achtend. Da erhob sich eine Stimme jenseits der Straße, sie rief: »Uhland! Lasst den Uhland herein!« Der Zivilkommissär, der hinter den Trommlern stand, hatte Uhland in der ersten Reihe der Abgeordneten entdeckt und wollte ihn gegen jeden Unfall hinter seiner Fronte sicher stellen. Aber Uhland stand ruhig, wo er stand, und sah unentwegt in das Reitergewirre; ich zog meinen Arm aus Uhlands Arme, um ihn nicht zu hindern, wenn er dem Rufe des Kommissärs zu folgen willens sei; aber Uhland blieb fest auf seiner Stelle stehen und machte keine Miene, sich dem Schicksale seiner Kollegen zu entziehen; er erklärte später, den Ruf des Kommissärs nicht vernommen zu haben, aber auch, dass er seine Stelle nicht verlassen hätte, wenn er den Ruf vernommen haben würde, denn das Schicksal seiner Kollegen sollte auch das Seinige werden ... Nicht lange nach dieser Episode gab Präsident Löwe das Zeichen zur Rückkehr und die Schar seiner Kollegen folgte ihm in derselben Ordnung, in der sie gekommen war. Man war der Gewalt gewichen. Während unserer Rückkehr hörten wir fernher ein dumpfes Lärmen, das von aufgeregtem Volke kam, das Miene machte, sich auf das Militär zu werfen, aber glücklicher Weise noch rechtzeitig zurückgehalten wurde, ein nutzloses Blutvergießen herbeizuführen ... In dem Gartenhause eines Gasthauses, dessen Name mir entfallen ist, versammelten sich die von der Sprengung zurückkehrenden Abgeordneten, um Abschied zu nehmen. Es gab eine ergreifende Szene. Unter den Abgeordneten gab es viele Verheiratete, die mit Frau und Kindern nach Stuttgart gezogen waren; sie hatten zu Hause Stellungen verlassen, die ihnen voraussichtlich bei der Heimkehr vorenthalten wurden. Auch die ledigen Mitglieder sahen sich in einer keineswegs beneidenswerten Lage. Die für eine Stellung bereits in Aussicht Genommenen durften auf Berücksichtigung nicht mehr rechnen und die Übrigen standen hoffnungslos in der Luft, sofern sie Anwartschaft hegten auf eine Anstellung im Dienste des Staates; denn mehr oder minder war jeder der aus Stuttgart Heimkehrenden als geächtet anzusehen. Diese Lage war es, die beim Abschied einem jeden nun schwer aufs Herz fiel. Es gab nicht viele Worte, aber Tränen, heiße und bittere genug. Ein solcher Abschied – nach solchem Aufschwung der Begeisterung für Deutschland, das gemeinsame Vaterland, nach solchen Kämpfen, Erwartungen und Träumen! Da ist mir noch der alte biedere Kollege Schott erinnerlich, der Schwiegervater des Ministers Römer, der mit tränenerstickter Stimme von einem zum andern ging, um Abschied zu nehmen und seinen Schmerz auszudrücken, dass es sein Schwiegersohn war, der durch die Sprengung alle so tief und schwer verletzt hatte. Durch ihn erfuhren wir einen Herzenszug des Königs von Württemberg, der, nachdem er den herben Akt der Sprengung anbefohlen, doch seinem schwäbischen Gemüte Gehör gab und den schwer gekränkten Deputierten bekannt geben ließ, dass ihre Lage ihm menschlich nahe gehe. Jeder, der ihm seine Bedrängnis vertraulich eröffnen würde, sollte Hilfe und Unterstützung finden und Stuttgart nicht hoffnungslos verlassen; wer in Stuttgart bleiben wolle, solle in seiner Absicht verharren können – nur keiner politischen Aktion solle er sich schuldig machen. So viel ich erfuhr, hat keiner der Abgeordneten von dem Anerbieten Gebrauch gemacht; die nötige augenblickliche Hilfe wurde von einem Komite liberaler Männer geleistet, das schon längere Zeit Sammlungen veranstaltet und den Deputierten auch ihre Diäten verabreicht hatte ...

Ich zog mich in mein Quartier zurück, das sich im alten Landhause in der langen Straße befand. Besitzer dieses Hauses war jetzt ein wohlhabender freisinniger Bürger, Georg Müller, Ultramarinfabrikant. Er hatte beim Einzug des Parlaments gleich mehreren Stuttgarter Bürgern sich bereit erklärt, zwei Abgeordnete, aber Österreicher müssten es sein, in sein Haus aufzunehmen und als Gäste frei zu halten. Bocek und ich wurden ihm empfohlen. Wir fanden eine Aufnahme wie Söhne des Hauses. Jetzt, nach der Sprengung des Parlaments, war nun die Frage, abreisen oder länger bleiben? Bocek beschloss, sofort nach Österreich zurückzukehren; ich war entschlossen, noch eine Zeit lang zu bleiben und das Weitere reiflich zu überlegen. Eine literarische Arbeit, die ich angefangen, wollte ich in Stuttgart noch beenden. Damit war Müller, der mir wahrer und warmer Freund geworden, sehr einverstanden, aber schon in den nächsten Stunden erklärte ich, dass ein kurzer Ausflug nach Baden-Baden unentbehrlich sei, meine angegriffenen Nerven zu beruhigen und zu stärken. Damit gab sich Müller zufrieden, und ich reiste ab mit den Worten: »Auf Wiedersehen!«


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