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14.
Ferienheimkehr. Die gerettete Schwester. Die große Lebensfrage. Bahn frei!

Die Ferien waren gekommen, und mein Besuch bei den Eltern im Böhmerwalde war nicht zu umgehen.

Die Freude des Wiedersehens aller Lieben, der Eltern wie der Geschwister, war so innig als je zuvor, aber in diese Freude mischte sich diesmal doch die Sorge, dass ich daheim bald nach der ersten Begrüßung schwere Stunden des Kampfes wegen meiner Standeswahl zu bestehen haben werde; die Eltern, so musste ich erwarten, würden auf ihre Hoffnung, mich den geistlichen Beruf wählen zu seh'n, gewiss nicht so leicht Verzicht leisten. Aber an ein Nachgeben meinerseits, so wusste ich auch, war nicht zu denken. Das Schicksal hatte mich in jüngster Zeit doch auch schon durch manchen Widerstand abgehärtet, und das feste Vertrauen auf eine glückliche Zukunft hielt mich aufrecht, wenn es wirklich zu einem ernstern Widerstreit mit den Wünschen der Eltern kommen sollte.

Unverhofft, in Folge einiger Umstände, die auf das Gemüt der Eltern, tiefen Eindruck machten, fanden meine Sorgen bezüglich der Heimkehr und der Standeswahl eine Lösung, die ich zu erwarten und zu hoffen nicht gewagt hätte.

Ich brachte den Eltern ein Kind, das sie kurz vorher schon als verloren betrachtet hatten, eine jüngere Schwester, lebend und vollständig genesen mit von Wien nach Hause. Schwester Leni war zu Ostern mit einer Anzahl junger Mädchen aus dem Böhmerwalde nach Wien gewandert, um sich dort durch Arbeit etwas zu erwerben und gegen den Winter hin mit ihren Ersparnissen die Heimat wieder auszusuchen. Am ersten Mai hatte sich die Schwester mit ihren Landsleuten nach dem Prater begeben, auf einer schattigen Wiese zusammengefunden und den Nachmittag auf heimatliche Weise heiter verlebt. Sei es, dass die Schwester schon etwas unwohl nach dem Prater kam, sei es, dass die kühle Witterung und der etwas feuchte Wiesengrund schädlich auf sie wirkte – gegen Abend wurde sie von Schüttelfrost ergriffen und musste von Landsleuten unter großen Beschwerden nach der Leopoldstadt und in das Krankenhaus der barmherzigen Schwestern gebracht werden. Ich erfuhr erst zwei Tage später von dem Unglück und beeilte mich, die Schwester in dem Kloster aufzusuchen. Sie lag bereits im wildesten Nervenfieber, und ich konnte nur mit Mühe die Erlaubnis erhalten, sie zu sehen und zu sprechen. Es war eine ergreifende Szene, als ich vor das Lager der Schwester trat und von der armen Leidenden erkannt wurde. Sie rief meinen Namen, ergriff mit fieberhafter Heftigkeit meine Hände, hielt sie in den Ihrigen fest, die in trockener Hitze brannten, und musste endlich durch eindringliches Zureden und zuletzt mit Gewalt von mir getrennt werden. Ich kam in arger Gemütsbewegung nach Hause, fühlte mich selber von einer Fieberanwandlung befallen und musste auf Anordnung des Hausarztes zu Bette; doch fühlte ich mich nach einiger Ruhe und stärkerm Transpirieren wieder wohl, durfte das Bett schon am nächsten Tage verlassen und blieb vor weiteren Folgen bewahrt. Die Schwester aber musste ein gefahrvolles, langes Leiden durchmachen, wurde einige Male für tot nach der Heimat gemeldet und überstand mit Hilfe ihrer glücklichen Natur endlich Gefahren und Schmerzen. Als die Wendung zum Bessern eintrat und ich die Erlaubnis erhielt, die Schwester öfter zu besuchen, trug unser fast tägliches Wiedersehen und die Erheiterung, die ich zu erregen suchte, sichtlich zur Genesung bei, und um die Zeit, die meine Ferien und meine Heimreise näher brachte, hatte die Schwester bereits Spaziergänge im Klostergarten und endlich ins Freie machen dürfen. Acht Tage vor meiner Abreise brachte ich die Schwester aus der Klosteranstalt, deren liebevolle Wartung ich nicht genug rühmen kann, und führte sie zu einer bekannten Familie in demselben Hause der Schlösselgasse, in dem ich seiner Zeit mit dem Bruder Andreas einige Monate gewohnt hatte ...

Mitte August verließ ich mit der Schwester Wien. Wir fuhren in einer der damals üblichen Landkutschen und bedurften drei volle Tage, bis wir die Grenze der Heimat erreichten. In Klattau, der Gymnasialstadt, erwartete uns das Hauswägelchen der Eltern und führte uns die letzte Strecke heim. Es mochte vier Uhr nachmittags sein, als das Wägelchen um das Föhrenwäldchen bog und uns den ersehnten Ausblick nach unserm Dorf und Elternhaus gewährte. Die Schwester, welche so nahe daran gewesen war, die Heimat nie wieder zu sehen, weinte vor Freude bei dem Anblick; ich selbst war nicht weniger bewegt, als ich oberhalb des Elternhauses Kinder und Erwachsene zusammenlaufen sah, um uns zu erwarten. Nicht weit vom Föhrenwäldchen, halbwegs vom Elternhause, auf einem Feldrain saß eine Gruppe Kinder, die uns schon früher entgegengekommen war; die Kinder sprangen jubelnd auf, als sie das Wägelchen erblickten und liefen uns entgegen – voran Johannesle, den einst der böse Haushund so übel zugerichtet; – ganz so war ich einst dem von Wien heimkehrenden Bruder Andreas mit den jüngern Geschwistern entgegengesprungen. Die Begrüßung war dieselbe wie einst, so herzlich und so rührend. Unterwegs kamen noch Schnitter von den Kornfeldern, um uns zu grüßen und die Hände zu reichen; – aber unsere Augen und Herzen waren bereits weit voraus, beim Elternhaus oberhalb des Feldwegs, wo die Ansammlung aller Lieben, der Eltern, Geschwister und Nachbarn immer dichter und bewegter wurde. Nun nur noch eine kurze Fahrt – und der Bruder, der das Wägelchen führte, hielt das Pferd an; wir stiegen ab und konnten nichts mehr sehen; desto lauter vernahmen wir Zurufe, gebrochene Stimmen und fühlten rasch zufassende Arme, die sich zitternd um Hals und Schultern schlangen. Die Mutter hatte schluchzend die heimkehrende Schwester umfangen und führte sie langsam nach dem Elternhause, mich hatte der Vater am Arm und folgte der Mutter und uns nach zog Groß und Klein bewegt und leise redend; alsbald hatten wir den Hof, das Vorhaus erreicht, die Stubentüre ging auf und ließ uns ein; – wir waren zu Hause ...

Das Glück des Wiedersehens beherrschte uns alle am Tage der Ankunft und drängte auch während der nächsten Tage alle anderen Anliegen aus dem Kreise unserer Besprechungen. Die Mutter lebte nur für den Anblick und für die Pflege der wiedergefundenen Tochter und wurde nicht müde, mir für die der Schwester gewidmete Sorge und Hilfe zu danken. Der Vater schloss sich diesem Danke an und ließ sich nur ausführlicher über die Erlebnisse im Kloster der barmherzigen Schwestern erzählen. Meine Schilderung der liebevollen, aufopfernden Pflege der Klosterschwestern erregte seine wärmste Teilnahme und ich erwartete dabei bestimmt seine Frage nach meiner Standeswahl; allein diese Frage erfolgte nicht. Erst am dritten Tage nach meiner Heimkehr, während eines Spazierganges um unsere Felder, nahm der Vater Anlass, über meine Zukunft zu sprechen. Ob ich noch gesonnen sei, den geistlichen Stand zu wählen, fragte er, oder ob ich glaube, in einem anderen Berufe mich glücklicher zu fühlen. Aus der Art der Frage glaubte ich zu entnehmen, dass der Vater auf seiner früher so bestimmten Erwartung nicht mehr bestehe; ich äußerte mich daher offen und ohne Rückhalt, dass ich es für meine Person und für meine Zukunft angemessener halte, die juridischen Studien zu wählen, die mir die Wege öffneten zum Staatsdienst oder zur Advokatie. Einige Augenblicke ging mein Puls schneller, und der Vater blickte schweigend, ohne besonders betroffen zu sein, zu Boden; dann hustete er ein paar Male, schaute nachdenklich in die Ferne und sagte: »Nun, du musst am besten wissen, was deinem Leben heilsam ist; was du auch für einen Stand erwählen wirst – in jedem kannst du Gott wohlgefällig leben – wir sind alle Gottes Kinder!« Mein Herz wurde leichter bei dieser Bemerkung und drohte weich zu werden bei der Äußerung, die der Vater dann hinzufügte. »Dass du unser guter Sohn bist und dass du brav bleiben wirst dein Leben lang, was auch aus dir werden wird, das glaub' und hoffe ich; du hast an uns gedacht beim Erscheinen deines Buches, du hast wie ein Bruder an deiner kranken Schwester gehandelt – du wirst also Gott vor Augen haben auf allen Wegen! Studier' die Rechte!« Mit gehobenem Herzen schritt ich neben dem Vater weiter, die Heimat glänzte im Sonnenschein wie verklärt vor mir, meine ganze Zukunft erschien mir in gleich heiterer Verklärung, und ich schwur mir hoch und teuer, an die väterlichen Worte zu denken in jeder Lage des Lebens, bei jedem Entschluss, der eine wichtige Wendung meines Schicksals zur Folge haben müsste! ...

Denselben Tag noch wurde auch die Mutter verständigt, dass ich hinsichtlich des geistlichen Standes andern Sinnes geworden; sie nahm die Botschaft ebenfalls gefassten Sinnes hin und machte dabei die bedeutsame Bemerkung: »Wir seh'n ja Tag für Tag, dass es auch Geistliche gibt, die nicht gottwohlgefällig sind!« Mir war diese Äußerung unfassbar, bis ich erfuhr, was während der letzten paar Jahre in der Heimat vorgefallen war und bis in den Frieden meines Elternhauses ärgernisvoll hereingewirkt hatte! ...


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