Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11.
Im Dorf.

Das Leben im Dorfe ist ein erweitertes Familienleben. Heitere und trübe Erlebnisse werden von Haus zu Haus empfunden, besprochen, gerühmt oder verurteilt. Ein freundliches Ereignis wird, auch wenn sich Neid und Missgunst hervorwagen, wie ein Gewinn für alle aufgenommen, ein Todesfall entführt auch im einfachen Mitbewohner eine gewohnte und damit unbewusst liebgewordene Erscheinung. Wie herzlich gestaltet sich oft der Abschied eines Burschen, der in die Fremde wandern muss! Vor jedem Hause, neben dem Weg aus den Feldern werden die Hände gereicht, Zurufe ausgetauscht, heimliche Tränen vergossen. Nur nicht auch fort müssen! Das war gewöhnlich meine bange Empfindung, die sich bei solchen Anlässen wie ein Kind an die Mutter an die teure Heimat schmiegte, in der ja alles beisammen war, was uns Leben und umgebende Welt so teuer machte. So darf es nicht wundern, dass auch Muckerls Verschwinden ein Gefühl des Verlustes hinterließ. Der erste Schrecken verwandelte sich in Mitleid, Bedauern, insbesondere da nach und nach viel Liebes und Gutes von dem unglücklichen Taubenfreunde erzählt wurde. Wie sehr mir das Ereignis nahe gegangen sein musste, zeigt wohl schon, dass mir die Erinnerung bis ins späte Alter nachgegangen ist, wo ich derselben im Lebensbilde: »Muckerl, der Taubennarr« Ausdruck und Gestalt gegeben habe. ...

Ja – ein erweitertes Familienleben ist das Leben des Dorfes; es beginnt mit den Spielen der Kinder, die von Haus zu Haus ziehen, bald in allen Stuben, Kammern, Winkeln ihren Schauplatz aufschlagen und dabei Zeugen der besondersten Vorfälle werden. Kaum vier Jahre alt kannte ich bereits Alt und Jung im Dorf, jedes Haus von innen und außen, alle Gärten in der Runde. Zur Zeit der meisten Feldarbeiten begannen unsere Kinderstreifungen. Wenn wir die Spiele im Freien satt hatten, zog es uns in traulich geschlossene Räume. Wo man uns gerne sah oder wenigstens ruhig gewähren ließ, erschienen wir oft, wo etwas Erfreuliches sich ereignete, wollten wir heiter staunende Zeugen sein, wo aber ein besonders trauriges Ereignis eintrat, blieben wir weg. So hatten wir das sonst gern besuchte Häuschen eines Inwohners jahrelang nicht mehr betreten, als man ihn aus dem Walde heimgetragen, wo ihn ein gefällter Baum erschlagen hatte. Wurde aber etwas Erfreuliches berichtet, war ein Sohn aus der Fremde heimgekehrt, war ein Familienfest in Vorbereitung oder jüngst gefeiert, da tummelten wir uns wie Mücken um das Licht einer Lampe. Mit den Schuljahren kamen neue Beziehungen der Kinder untereinander und zu einzelnen Häusern, und leise aufkeimende Herzensneigungen entschieden die Gunst für dieses und jenes Haus, diesen und jenen Schauplatz ... Aber mehr als alles dies tragen zur Verbindung und Verinnerlichung des Volkslebens in Dorf und ganzen Gegenden die gemeinsamen Sitten und Gebräuche bei, die jahraus und jahrein wiederkehren, die Gemüter in Ernst und Freude warm einander nähern und nachhaltig auffrischen. War ein Tanz angesagt, eine Hochzeit vorbereitet, standen Oster- oder Kirchweihgebräuche in Aussicht, näherte sich der »Pfingstelritt«, der »Drescherschmaus«, die Zeit der »Maibäume« und so weiter, dann kündigten sie sich gewiss in unsern Kinderspielen an, prägten sich unauslöschlich unsern schwärmenden Herzen ein. Noch kaum vier Jahre alt, umfassten Geist und Herz das Volksleben der Heimat mit einer Liebe und Begeisterung, dass ich später manches Bild dieses Lebens, das der Strom der Jahre aus der Wirklichkeit weggelöscht, aus der Erinnerung treu und anschaulich nachzeichnen konnte.

In die Zeit meiner wärmsten Liebe für Elternhaus und Heimat fiel ein Ereignis, das mir wie ein Schwert ins Herz drang und eine Wunde der Erinnerung zurückließ, die lange nicht heilen wollte ...


 << zurück weiter >>