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18.
Risse und Sprünge im Staatsbau. Trema Byzanzio. Flucht. In Ungarns Freiheit.

Wenn ein altes Wohnhaus baufällig wird, so hört man es bei Tag und Nacht unheimlich knistern, von den Plafonds lösen sich Kalksplitter, die Wände erhalten feingeäderte Sprünge und endlich ganze Nisse. Ist die Bauleitung eine richtige und fürsorgliche, so wird sie den warnenden Anzeichen nachgehen, weiteren Gefahren Vorbeugen, die Parteien rechtzeitig delogieren, auf die Demolierung des unhaltbaren Hauses dringen und einem festen Neubau Raum schaffen. Der ganze Staatsbau Altösterreichs war unhaltbar geworden; jedes offene Auge sah es; jedes obachtsame Gehör vernahm bei Tag und Nacht das unheimliche Knistern, die feinädrigen Sprünge reichten von der Decke bis zum Fußboden und erweiterten in den Fundamenten sich zu förmlichen Rissen. Man bat, man warnte, und insbesondere die Tagesliteratur, soferne sie im Ausland sich hörbar machen konnte, wies auf die Gefahren hin, welche für den Staat in den bösen Anzeichen lagen. Ignaz Kuranda, einer unserer »Externen«, hatte seine Heimat verlassen, um in seinen »Grenzboten« die Stimmen der wackern Warner zu vermehren. Was half es? Erst recht nichts. Ein von so weisen Händen gefeiter Staatsbau durfte nicht knistern (»Man knistere nicht!«). Eine so solide Staatswand, wie sie Metternich gegen Bildung und Fortschritt aufgerichtet hatte, durfte keine Risse und Sprünge erhalten (»Man springe nicht!«). Man überpinselte jeden feinen Riss heimlich mit polizeilichem Präventiv-Mörtel, schaffte neue Maulkörbe an und fütterte das blödsinnig-giftige Ungeheuer »Zensur« zu einem für jeden lebensfähigen Geist geradezu mörderischen Ungetüm. Was Wunder, wenn sich endlich auch die sprichwörtlich gewordene österreichische Gemütlichkeit auf die Hinterbeine stellte, Keile in die alten Staatswände trieb, dass sie bersten mussten und denselben großen Staatsweisen, der immer rief: »Man springe nicht–« zu einem der behändesten »Entspringer« nach England machte ... Allein so weit waren wir in jenen Vorfrühlingstagen noch lange nicht. Wir schrieben damals erst 1844 ... Also denken wir uns eine Weile noch in die Banden der Zensur und halte man zu Gnaden, dass wir über diese alte, abgewirtschaftete Drude noch ein flüchtiges Wort verlieren – es wird uns eben nicht erspart, von ihr zu reden, wenn wir Dinge vorbringen und glaubhaft machen wollen, die ohne Bezug auf diese Geistesmörderin (und in Wahrheit Revolutionsstifterin) nicht fassbar gemacht werden können ... Ich hatte frühzeitig, erfüllt von namenlosem Widerwillen gegen die Zensur, den Entschluss gefasst, nie eine Zeile dieser unwürdigen Geistes-Vormundschaft vorzulegen. Tat es eine Redaktion, die einen Beitrag von mir bringen wollte, so konnte ich das nicht hindern; aber meine Mannskripte, die in Buchform erscheinen sollten, wanderten einfach ins Ausland, nach Leipzig. Als mein »Aus dem Böhmerwalde« von dort nach Wien kam, ohne behördliche Bewilligung gedruckt, ging es noch recht glimpflich ab; ein väterlicher Verweis und das Verlangen nach üblichen Pflichtexemplaren war alles. Letzteres wurde vom Verleger erfüllt; damit war die Sache abgetan. Fröhlich ging ich an eine neue Arbeit; eine Volkserzählung ganz harmlosen Inhalts, welche ebenfalls in Leipzig in Buchform erscheinen sollte. An eine politische Anspielung wurde nicht im Entferntesten gedacht. Da geschah es, dass mich eine bezeichnende Heldentat der Zensur in wilde Aufregung versetzte. Der Dichter Carlopago hatte die Herausgabe eines poetischen Albums begonnen, für welches ich ihm auf seinen Wunsch eine kleine dramatische Arbeit zur Verfügung stellte. Der Stoff war der spanischen Geschichte entnommen, politisch ganz unbedenklich und mit einer orientierenden Einleitung versehen. Diese Arbeit kam von der Zensur in folgendem Zustand zurück. Die erklärende Einleitung und der wirksamste Teil des dramatischen Gedichtes waren gestrichen und am Schlusse stand der behördliche Bescheid:

»Omissis deletis imprimatur.«

Diese stupende Entscheidung machte mich sprachlos. Also, nachdem die erklärende Einleitung und die wirksamste Szene der Arbeit wegbleiben würden, konnte das Übrige gedruckt werden. Die Bekannten und Freunde lachten; ich lachte endlich auch mit, aber eine kleine Emotion sollte der Zensur gleichfalls bereitet werden. Ich durchflog meine neue harmlose Erzählung, brachte einige politische Floskeln darin an, darunter: ...»und Metternich ist Minister; was will das sagen? Nichts für das Volk.« Ich sah mit einiger Genugtuung voraus, wie der erschrockene Zensor beim Anblick einer solchen Verwegenheit von seinem Sitz aufspringen und seinen geistigen Todschläger, den Rotstift, schwingen würde. Ruhig packte ich mein Manuskript zusammen und schickte es nach Leipzig; es wurde »mit Vergnügen« gedruckt und kam in hübscher Ausgabe, mit einigen Druckfehlern, aber sonst wohlbehalten nach Wien zurück ... Es dauerte auch nicht lange, bis ich merken konnte, es gehe etwas hinter mir, über mir und um mich herum vor. Ich konnte wohl erraten, was es sein möge, wartete aber ruhig ab, was folgen würde ... Eines Nachmittags saß ich ruhig lesend in der Nische unsers Rütli-Cafes, als die Spieluhr ihr kollerndes Zeichen gab, dass uns eine musikalische Nummer bevorstehe; dies kollernde Zeichen hatte viel Ähnlichkeit mit dem Rodeln und Brodeln eines Blähhalsigen, der nicht gleich die Sprache finden kann. Aber plötzlich brachs durch, und in herrlichem Fortissimo erscholl die Melodie zu: »Trema Byzanzio!« Was? Sind Sie bei Trost, Gevatterin? dachte ich und blickte lächelnd nach der Uhr. Wer soll zittern? Byzanzio? Ich oder der Staat? Wer von uns ruft es dem andern drohend zu? ... Die Aufklärung folgte nur zu bald. Einige Freunde hatten erfahren, dass die Zensurbehörde ihre Einleitungen treffe, mich wegen des doppelten Deliktes, dass ich ein Manuskript ohne väterliche Bewilligung habe drucken lassen und dass in diesem Manuskripte eine anzügliche Stelle gegen den allmächtigen väterlichen Staatskanzler enthalten sei – mich ernstlich ad coram zu nehmen. Die erste Nachricht wurde mir zuteil, während die Spieluhr noch ihr »Trema Byzanzio!« donnerte.

»Was willst du tun?« fragte der Freund.

»Still sein und Almosen geben.«

»Du wirst große Unannehmlichkeiten haben!«

»Dafür geht's andern Leuten umso besser!«

»Scherz bei Seite, du solltest seh'n, wie du den Unannehmlichkeiten entgehst!«

»Sie dürfen mich nur in Ruhe lassen, und ich bin vor ihnen sicher!« ...

Ein zweiter und dritter Freund kam hinzu und half in mich dringen, die Prozedur nicht abzuwarten und Anstalten zu machen, dass ich »nicht gefunden« werde.

»Nein!« sagte ich, »da würde ich nur ein drittes Delikt auf mich laden – dass ich mich einem ordentlichen Richter entzogen habe!«

Dies wussten die Freunde zu entkräften. Man gab mir den wohlgemeinten Rat, nach Pressburg zu fahren, dort pro forma den Sitzungen des ungarischen Landtags beizuwohnen und als Berichterstatter für ein Wiener Blatt zu fungieren. Eine gerichtliche Vorladung war mir noch nicht zugekommen, also könne auch von einem Entziehen der Verantwortung nicht die Rede sein.

Ungern – aber doch endlich, das Wohlmeinende des Rates einsehend, gab ich nach.

Die Freunde empfahlen mich dem Redakteur Dr. Adolf Neustadt in Pressburg, der die »Pressburger Zeitung« mit der »Pannonia« redigierte. Also wurde mein Ränzel geschnürt; mit einem Stellwagen bis an die ungarische Grenze gefahren, dort rechtzeitig, um der Passrevision zu entgehen, ausgestiegen, über die Grenze gewandert und »auf dem Boden der Freiheit«, in Ungarn, wieder in den Wagen gestiegen ...

Nun war ich frei – aber auch Flüchtling – und Märtyrer!

Es ist unglaublich, wie sensitiv damals bereits die öffentliche Meinung war, ohne es viel merken zu lassen. Wer aus irgendeinem Anlass infolge der jetzt kaum mehr fassbaren kleinlichen Staatsrancüne litt oder zu leiden schien, wurde populär, erhielt in aller Stille Zeichen der Zuneigung und Aufmunterung. So erging es auch mir; – und dazu war ich in einem Lande, wo sich keine Polizei fühlbar machte, von einem Pass keine Rede war, überhaupt all' die kleinlichen Seccaturen des Polizeistaats, die den ehrlichen Menschen wund reiben, nicht zu erdulden waren. Tat mir Ungarns freiheitliche Luft sehr wohl, so hatte ich bald Ursache, meinen Freunden für den guten Rat zu danken, der mich großen und langen Quälereien entzogen und neuen, interessanten Erlebnissen zugeführt hatte ... In Pressburg wurde ich bestens empfangen und untergebracht. Adolf Neustadt war die Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit selbst. Er räumte mir einen Teil seiner Junggesellenwohnung ein und sorgte wahrhaft brüderlich für jede Bequemlichkeit. Ich hatte Ruhe zu arbeiten; ich fand Gelegenheit zu geistigem Verkehr und fand ein Schauspiel vor, das mein lebhaftestes Interesse erregte. Dies bot der ungarische Landtag, einer der letzten in Pressburg vor 1818. Ein Deak (Vater), Eötvös (Vater), Kossuth und andere später berühmt gewordene Männer waren Mitglieder desselben. Ich war ein fleißiger Besucher der Sitzungen und erlebte dort Auftritte, welche später nur im deutschen Parlamente zu Frankfurt übertroffen wurden, wo die Paulskirche einen großartigeren Schauplatz, die Zeit eine wildere »Massen-Leidenschaft« und die wenigstens viermal größere Abgeordnetenzahl eine gewaltigere Menge der Streiter bildete. Im Pressburger Sitzungssaal waren die sogenannten »Juraten« (Rechtsbeflissene in magyarischer Tracht mit Schleppsäbeln) der eigentliche Chor der Rache. Die Gesinnung war natürlich ultra-magyarisch; überschwellend von leidenschaftlichem Hass gegen Österreich. Die Abgeordneten, welche mäßig sprachen und in dem Verdachte standen, mit den leitenden Staatsmännern in Wien Fühlung zu haben, wurden mitunter auf eine unerhörte Weise misshandelt. Man verhöhnte und bedrohte sie während ihrer Reden im Sitzungssaal; man verfolgte sie vom Sitzungssaale bis zum Wagen, der sie rasch entführen sollte; man bewarf sie mit Schneeballen und bedrohte sie mit gezogenen Säbeln. Merkwürdig erschien mir die verhältnismäßig maßvolle Haltung und Sprache der berühmtesten Männer des Landtags und die Gemütlichkeit, mit welcher einzelne derselben, nach erfolgreicher Rede, unter einem Sturm von Beifall auf ihren Sitz niedergelassen, mit ihren Nachbarn scherzten oder kindliche Possen trieben. So hatte sich einmal Deak nach einer berühmten Rede niedergelassen, als ihm der alte Eötvös, der hinter ihm saß, von Zeit zu Zeit ein Papierkügelchen auf die Glatze warf, worauf sich Deak immer, als verjage er eine Fliege, über den Scheitel fuhr, bis er hinter die Ursache der Belästigung kam, sich umsah und – die herzlich dargereichte gratulierende Hand des politischen Freundes fasste und schüttelte ... Eine unvergessliche Erscheinung in den Sitzungen war mir der damalige berühmte und allverehrte Palatin Josef. Eine höchst ehrwürdige Greisengestalt mit weißem Haar und Schnurrbart, saß er immer unentwegt auf seinem erhöhten Platze und blieb am ruhigsten inmitten der allerschlimmsten Tumulte im Saale. Zeitweise ergriff er auch das Wort. Er sprach kurz, gedrungen, mit leiser, zerschlissener Stimme und wurde mit andachtsvoller Ruhe angehört. Dabei blickte er nur selten in den Saal, sein Auge ruhte auf dem Tische, der vor ihm stand, und seine rechte Hand stach dabei mit einem halbgeöffneten Federmesser sachte in das Papier, das zu Notizen vor ihm lag. Palatin Josef war ein weiser Mann, ein Staatsmann ersten Ranges seiner Zeit; er hat arge Konflikte zwischen der maßgebenden Regierung in Wien und Ungarn beizulegen verstanden, und mit Recht hat ihm die ungarische Nation in Pest ein imposantes Denkmal errichtet ... In persönliche Beziehungen trat ich außer mit Adolf Neustadt hauptsächlich nur mit drei jungen Männern, die in Pressburg noch ihren Lyceal-Studien oblagen: Adolf Dux, Sigmund Deutsch und – Leopold Kompert. Es war ein lieber freundlicher Verkehr mit diesen jungen, strebsamen Männern; sie hingen wissenschaftlichen Studien ernstlich nach und trugen sich bereits mit literarischen und schöpferischen Plänen. Insbesondere war es Komperts Persönlichkeit und Geistes- wie Gemütsrichtung, welche mich anzogen. Von Gestalt schmächtig, die Brust beinahe schwach gebildet, trug Komperts Gesicht doch bereits klare und fest ausgebildete Züge; das große dunkle Auge voll Milde und Licht, das alle Eindrücke rasch und ausdrucksvoll wiedergab, wurde mir ein Gegenstand angenehmer Betrachtung. Aus ihm sprach ein tiefes Gemüt, ein reger sinniger Geist. Wir fanden auch bald einen geistigen Berührungspunkt, der uns rasch und dauernd näher brachte. Hatte ich, von dem gesunden Boden meines heimatlichen Volkslebens aufbauend, die Grundlage gefunden, aus der sich eine frische, kräftige Literatur schaften und weiter entwickeln ließ, so begann er eben, in richtiger Würdigung des dankbaren und ausgiebigen Stoffes, sein schöpferisches Auge aus das Volkstum seines Stammes zu richten, das er in den »Ghettos« so ausgeprägt vorfand. Es bedurfte keiner weitläufigen Auseinandersetzungen, um uns zu verständigen und zu verstehen; Andeutungen und Winke genügten, uns fröhlich und folgenreich anzuregen. Was Kompert später auf seinem speziellen Gebiete geschaffen, ist heute jedem Freunde der Literatur bekannt, und das dankbarste Publikum für seine ausgezeichneten Werke ist – sein eigenes Volk! ... Unter solchen Umständen konnte es nicht anders kommen, als dass bei meinem Scheiden von Pressburg – Ende Winters 1844-45 – Kompert und ich als Freunde Abschied nahmen, die wir auch geblieben sind, während unsers Lebens, in allen Lagen, Glücksfällen und Drangsalen ...


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