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2.
Wie eine kleine neue Welt entsteht.

In jüngster Zeit war viel vom Nebel der Andromeda die Rede. Ein neuer Stern war in demselben erschienen; ihm sollten noch andere Sterne folgen, um mit der Andromeda nach und nach das darzustellen, was man ein Sonnensystem nennt: einen Zentral-Fixstern mit Planeten und Trabanten. Wird dieser Hypothese auch von Fachgelehrten, die als findige Forscher aus dem Sternenfelde wie daheim sind, vielfach widersprochen, so ist sie doch ein anschauliches Bild der Entwicklung einer kleinen Welt der Kindheit, welche seit dem Tage meiner Geburt um mich entstand oder vielmehr allmählich in mir zum Bewusstsein kam.

Aus dem Nebel des erst unverstandenen Getriebes um mich her trat vor allem ein Stern erster Größe und lieblichen Lichtes, meine Mutter. Bis in die fernsten Tage meiner Kindheit reicht meine Erinnerung an sie, an ihre wohltuende Stimme, an ihre stramme, volle Gestalt mittlerer Größe, an ihr gutes, frisches Gesicht, vom landesüblichen schwarzen Kopftuch umrahmt – aber am tiefsten ging und blieb die Erinnerung an das große, dunkelbraune, seelenvolle Auge der Mutter. Sah dies Auge heiter, so war ich glücklich; sah es vorwurfsvoll, so war ich ganz verzagt; sah es aufmunternd und in unsäglicher Tiefe erglänzend, so waren alle guten Triebe in mir gestärkt und erhöht, und ich blieb bei allem, was ich tat, unter des Mutterauges Banne. – Neben der Mutter trat eine zweite Erscheinung aus dem Getriebe um mich her, in anderer Weise denkwürdig und unvergesslich: die Erscheinung des Vaters. Er war etwas über mittelgroß, nicht sehr kräftig, aber wohlgebaut, dunkelblondes, immer kurzgeschorenes Haar zierte den gutgeformten Kopf mit klarer, leichtgewölbter Stirn. Die Augen waren bläulich-grau und wirkten in Ruhe wie in Aufregung durch einen klaren, eindringlichen Blick. Dass er der Herr und Mittelpunkt des häuslichen und wirtschaftlichen Lebens sei, trat weniger durch geräuschvolles Gebaren als durch mildes, aber doch gemessenes Anordnen hervor. Uns Kinder hatte er lieb, trug die Kleineren gerne auf den Armen, vermied aber alles, was verzärteln oder verwöhnen konnte. Im richtigen Augenblicke eine Warnung, ein kurzer Tadel, ein Lob, eine Zurechtweisung mit entsprechendem Blick, das war seine Erziehungsmethode; hörte er etwas Gutes von fremden Kindern, so pries er dies mit warmen Worten und munterte uns zur Nachahmung auf. – Aus dem Andromeda-Nebel des Lebens um mich her traten weiters und in immer ausgedehnteren Kreisen die Erscheinungen der Geschwister, der Knechte und Mägde, der Nachbarkinder und Dorfbewohner hervor und setzten sich, eine liebe, rührige, eigenartige Welt in meinem Bewusstsein und Gedächtnisse fest; fremde, oft seltsame Gestalten: Händler, Wanderer, Bettler durchzogen und belebten diese kleine Welt in ihrer Art und verschwanden oder kamen wieder, ihren unregelmäßigen Bahnen folgend ...


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