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13.
Stunden der Andacht. Brüderl »Johannesle«. Eine Segensstunde.

Der Freude über den Sieg im Kampf ums Elternhaus war inzwischen – und zwar gleich am Morgen nach der Entscheidung – noch ein ganz besonders weihevoller Herzensakt gewidmet worden.

Im Garten hinter der Scheuer standen drei Birnbäume, die uns von frühester Kindheit an lieb und merkwürdig waren. Der mittlere und ansehnlichste derselben trug kleine, rotwangige, genießbare Früchte, die wir »Honigbirnen« nannten zur Unterscheidung von den bitteren Früchten der Nachbarbäume, die nur in gekochtem Zustand genossen werden konnten. Dafür waren diese Bäume umso fruchtbarer, hingen jedes Frühjahr voller Blüten und boten den Sommer über lieben und reichlichen Schatten. In diesem Schatten zu spielen, wachend oder schlafend zu ruhen, war uns Kindern sehr anziehend; dahin floh oder schlich ich auch, wenn mich Freude oder Betrübnis besonders tief ergriffen hatten. Als eines Tages die Mutter erkrankte und der Geistliche »versehen« kam, lag ich unter diesen Bäumen auf den Knien und stammelte eine Bitte an den Himmel um Hilfe für die Mutter. Als der Vater einmal an der »Heinzelbank« sich eine breite Schnittwunde beibrachte und das Blut in hellem Strom hervorschoss, floh ich entsetzt unter meine Bäume, um nach himmlischer Hilfe zu rufen. Aber als die Freude über die Rettung des Elternhauses das Herz glückselig machte, fehlte ich auch nicht unter meinen Bäumen, um entzückt etwas zu stammeln, das wie Dank eines Kinderherzens aussah ... Bald darauf geschah es, dass mein alter Freund, der treue Wächter des Hauses, »Soltan«, aus dem Leben schied, und ein diesem sehr unähnlicher, krittlicher Nachfolger ins Haus genommen wurde. Nur der Vater durfte ihm nahekommen. Tagsüber musste er an der Kette liegen, nachts wurde er losgelassen und war ein gefürchteter Hüter des Hofes. Eines Tages führte ihn der Vater an der Kette in die große Stube, setzte ihm Nahrung vor und wollte ihn so geselliger und zutulicher machen; da kam mein jüngeres Brüderchen Johannesle dem Futtertopf etwas nahe – die Bestie riss sich aus den Händen des Vaters los, sprang an dem Brüderchen empor, fasste mit wütenden Tatzen dessen Schultern und hatte blitzschnell das halbe Gesicht des Kindes zwischen den Zähnen. Entsetzt sprang der Vater zur Hilfe und wer in der Stube war – zu spät, ein Blutstrom schoss aus zwei tiefen Wunden über und unter dem linken Auge, dieses, ja das Leben des Brüderchens selbst schien verloren. Während man wusch und verband und das Kind zu Bette brachte, war der Hund durch die offene Türe entflohen und trieb sich wie ein schuldbewusster Verbrecher in der Nähe des Hofes herum. Aber nicht lange, mit der geladenen Hausflinte folgte ihm der ergrimmte Vater – ein Knall – die Bestie lag verendend in ihrem Blute ... Das Brüderchen kam glücklicher davon als befürchtet wurde, zwei Narben über und unter dem linken Auge erinnerten später allein an den Unglückstag. Auge und Leben des Brüderchens waren gerettet – und dazu glaubte auch ich beigetragen zu haben: die drei Bäume im Garten waren Zeugen meines Kniefalles, meiner Tränen und Fürbitte. ... Kam der Herbst und begannen die drei Bäume sich allmählich für den Winterschlaf zu entkleiden, so schienen sie noch bedacht, uns Kindern eine kleine Abschiedsfreude zu bereiten. Ihr Laub färbte sich so schön gelb und rot, dass es ein Ergötzen war, die Blätter an den Zweigen und später auf dem Boden wie holde Spielwaren ausgebreitet zu sehen. Wir waren dann frohgeschäftig, die schönsten Blätter auf unsere selbst verfertigten Wägelchen zu laden und die übrigen in sorgfältig geformte Hügel aufzuhäufen ... Bei einer solchen Geschäftigkeit war es einst, ich hatte mein Wägelchen mit goldigen und roten Blättern vollgeladen und begann, mit dem Rechen weit ausgreifend, die dicht gestreuten Blätter in kleinere und größere Haufen zusammenzuziehen, als ich in einen wundersamen Leibes- und Seelenzustand versetzt wurde. Die Arme wurden lass und stützten sich auf den eingezogenen Rechen; die Augen suchten den sanft blauen Himmel, von dem der mildeste Sonnenschein niedersank, eine Wonne, unsäglich erquickend und rührend, bebte mir im Herzen, es schien sich eine zarte Hand auf meinen Scheitel zu legen und eine Stimme, leise wie das Atmen der weihevollen Luft, über meinem Kopfe hinzusprechen – die Stimme eines Vaters, der sich mild zufrieden äußerte ... Vermessen wäre es zu glauben, dass ein Augenblick, der schönste selbst des Kindesalters oder ein Moment des rühmlichsten Mannesalters der Gnadennähe des höchsten Wesens besonders wert befunden werde – allein nicht ausgeschlossen mag es sein, dass das Gemüt, gleichviel durch welche unfassbaren Einflüsse, die höhere Empfänglichkeit erhält, die Nähe des ja immer Allgegenwärtigen deutlicher zu fühlen und an ihn sich in einem Wonneschauer wie das Kind an seinen liebevollen Vater anzuschmiegen. Der Augenblick ist mir unvergesslich geblieben und schien in Träumen später beseligend sich zu wiederholen – besonders in Tagen großer Bedrängnisse, die unlösbar schienen – und doch fast überirdische Hilfe brachten. Ich gedachte der wundersamen Segensstunde stets in höchster Freude, wenn mir wie ein holdes Wunder die Güte des Geschickes Hilfe brachte. – War in jener Segensstunde schon vorsorgend beschlossen worden, mir diese wundersame Hilfe befreiend, rettend und erquickend zu gewähren? ...


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