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3.
Meine Glückslage. Als heiliger Christoph.

Meine Aufnahme in das Planersche Haus war von einer Bedeutung für mein Leben, die ich erst nach und nach in ihrem vollen Umfange zu erfassen vermochte.

Ich war für Jahre hinaus sicher unter Dach gebracht; ich entging den Entbehrungen und Leiden, die in einer großen Stadt so viele der besten, aber armen Studierenden aufreiben und zugrunde richten; ich genoss nicht nur an Speise und Trank, was zur Erhaltung des Lebens unentbehrlich ist, sondern der Familientisch bot die reichlichen Genüsse eines wohlhabenden Wiener Bürgerhauses; der heitergesellige Ton der Familie wirkte wohltuend und kräftigend auf mein Gemüt, ich lernte mich einleben in die feinern Lebensformen einer gebildeten Familie, die erziehlich auf mich wirkten, während ich bestrebt war, auf die Knaben durch Lehren und Beispiel nützlich einzuwirken. War dies schon unschätzbar, so kam hinzu, dass mir die Pflichten des Hofmeisteramtes die nötige Zeit zu meinen öffentlichen und Privatstudien übrig ließen, denen ich ohne Sorgen und Entbehrungen obliegen konnte; den Privatstudien und Herzensneigungen ganz besonders.

Der Herr wie die Frau des Hauses waren warme Freunde einer guten Lektüre; von neuen Geschichtswerken, Broschüren und den besten Zeitungsblättern Deutschlands durfte nichts auf dem Tische des Herrn von Planer fehlen, und die Dame des Hauses, die neben unsern Klassikern ihren Lord Byron enthusiastisch verehrte, Uhland mit Bewunderung las, Heine unter ihre Lieblinge zählte, sorgte auch dafür, dass es an neuern Erscheinungen, besonders auch der französischen Literatur, im Hause nicht fehle. Ein junger, sehr wackerer Herr, geborner Thüringer, der in der ersten Buchhandlung Wiens, bei Gerold, eine der wichtigsten Stellen versah, war gern gesehener Hausfreund und bestrebt, die neuesten Ausgaben von Druck- und Bilderwerken zur Ansicht in das Haus zu schaffen. Von diesem Kunst- und Literatursegen war ich bald der eifrigste Nutznießer, und was angekauft wurde, hatte keinen wärmern, ausdauernderen Bewunderer, als den glücklich unter so sicheres Obdach gebrachten Hofmeister; – doch ich sehe, dass ich mit diesen Andeutungen den Ereignissen etwas vorgegriffen habe, die ich nun nachholen und in ihrer wachsenden Bedeutsamkeit vorführen will ...

Mit der Übersiedlung in die Stadt begannen auch mein täglicher Verkehr und die Ausübung meiner Pflichten im Planer'schen Hause. Ich kam nach sieben Uhr morgens zum Frühstück dahin, überprüfte die Arbeiten meiner Zöglinge noch einmal, überzeugte mich von deren genügender Vorbereitung für den nächsten Unterricht und führte sie nach der Schule, um dann meinen Collegien nachzugehen. Vor Tische fanden wir uns wieder in der Familie zusammen zu kurzer Erholung und Fortsetzung unserer Aufgaben; dann folgte der Mittagstisch und der weitere Besuch der Schule und Collegien bis zur »Jause«, nach welcher ein ausgiebiger Spaziergang und abends bis gegen neun Uhr der Unterricht an die Ordnung kamen. Um neun Uhr pflegte ich mich wieder nach der Wohnung meines Bruders zu begeben, um noch ein paar Stunden meinen eigenen Studien obzuliegen. Für meine Aufnahme in die Planer'sche Wohnung konnte erst später Raum geschaffen werden ...

Rascher und nachhaltiger als durch meine Pflichterfüllung erreichte ich die ganze und nachhaltige Gunst des Chefs des Hauses und der Mutter meiner Zöglinge durch ein Ereignis, das alsbald nach Beginn meiner Hofmeisterpflichten eintrat.

Die ersten Tage des Oktober waren schön, warm, wahre Sommertage; der erste Sonntag nach unserm Umzug nach Wien zeichnete sich besonders durch hochgradige Wärme aus. Ich beschloss nachmittags einen Spaziergang mit meinen Zöglingen nach dem Prater. Um vier Uhr schien die Sonne noch wunderschön, aber die Luft war bereits ungewöhnlich schwül, und über dem Kahlenberge stand regungslos eine finstere Wetterwand. Um die letztere kümmerten wir uns so wenig wie das zahlreich nach dem Prater strömende Publikum; aber das Wetter kümmerte sich auch nicht um uns. Nach einigen dumpfen Donnerschlägen und ruckweisen Windstößen war das Gewitter sozusagen in Eilmärschen in Bewegung und erreichte über Grinzing und Währing her Wien und den Prater. Die Art, wie Wiener in solchen Fällen flüchten, ist bekannt. Wir hatten in der Hauptallee die Gegend, wo jetzt das dritte Caffeehaus steht, eben erreicht, als die ersten großen Regentropfen niederschlugen und der Sturm in den Kronen der Kastanienbäume zu rasen begann; nun hieß es: »rechtsum!« und »rette sich, wer kann!« Mütter schrien, Kinder jammerten, den Blitzen folgten betäubende Donnerschläge, an dem Firmamente schienen Dammrisse entstanden zu sein, ein Wolkenbruch goss unermessliche Wassermassen nieder. Ich nahm meinen kleinsten Zögling auf den Arm, den beiden größern rief ich Mut zu, und so rissen wir uns durch Wassergüsse, schwarze Knäuel von Menschen, schritten am Eingang in die Praterstraße bereits fußtief in den Fluten und mussten, unterm ersten Haustor angelangt, die überschwemmte Einfahrt entlang noch weiter flüchten und Rettung suchen auf der Treppe unter triefender, schreiender, dampfender Flüchtlingsmasse! ... Herr des Himmels! Welche Lage! Wie ihr entrinnen? Und Regenguss, Blitz und Donner wüteten ununterbrochen fort! ... Als ich nach einiger Fassung Umschau hielt, entdeckte ich, dass zwei Knaben eines in unserm Hause wohnenden Klosterbeamten unser Schicksal teilten und auf der Treppe neben uns Schutz gesucht hatten. Um, selbst gar üblen Mutes, bei meiner kleinen Umgebung doch gute Stimmung zu erregen, machte ich einige Scherze, schien von besonderer Tapferkeit beseelt, sagte, dass das Wasser doch nur nass machen könne und wir eine schöne Gelegenheit gefunden hätten, uns wie Seehelden durch die Fluten zu kämpfen! Meine lieben Knirpse blickten wirklich ermuntert auf, nur wussten sie nicht, welche Gestalt unsere Tapferkeit annehmen solle. Das wurde ihnen klar gemacht, als der Regen etwas nachließ, die Blitze leichter und die Donner träger wurden ... »Jetzt«, rief ich meinen drei anvertrauten und zwei aufgefundenen Jüngelchen zu, »jetzt passt auf! Kennt ihr die Sage vom langen heiligen Christoph? Nun, wenn ihr sie nicht wisst, so hört, dass er das getan hat, was ich jetzt tun werde; er hat ein Kind durch das große Wasser getragen und ich – ich will euch, wie ihr da seid, durch die überschwemmte Praterstraße tragen!« Und damit nahm ich meinen jüngsten Zögling auf die Arme, den zweitjüngsten hieß ich rückwärts aufhocken und meinen Hals umfassen, und so trug ich sie fünf Häuser weit wieder unter einer Toreinfahrt nach einer Treppe, wo ich sie ablud und warten hieß, bis ich zurückkehre; dann holte ich die drei zurückgebliebenen Knaben, nahm diesmal zwei derselben auf die Arme und hieß den dritten rückwärts aufhocken, und so trug ich sie ebenfalls fünf Häuser weit und stellte sie zu den früher transportierten auf die trockene Treppe. Nicht länger als bis ich etwas verschnauft und meine anvertraute Herde getröstet hatte, hielt ich in meinem Rettungswerke inne, dann fuhr ich in derselben Weise fort, meine liebe Jugend durch die ganze überschwemmte Praterstraße, je fünf Häuser weiter, auf Rücken und Armen zu tragen bis zur Ferdinandsbrücke, die für alle zu Fuß zu passieren war. Ziemlich spät abends, bei einbrechender Dämmerung, erreichten wir glücklich den Passauerhof zur großen Freude der beiderseitigen sehr geängstigten Eltern! ...


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