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15.
Ein Seelenhirt. Zerscheitert. Froh hinan!

Auf der Stelle der Kapelle des Schuldorfes war eine Kirche erbaut und für die umliegenden Dörfer ein Pfarramt errichtet worden. Für die Bewohner der Gegend war die neue Seelsorge eine große Wohltat, da die frühere Pfarrkirche Rothenbaum bis anderthalb Stunden entfernt lag und bei schlechter Witterung, insbesondere in strengen Wintern, nur unter großen Leiden und Beschwerden erreicht werden konnte. Die pfarramtlichen Verrichtungen selbst waren großen Anstrengungen unterworfen und ließen eine neue Seelsorge als geboten erscheinen. Aber das Ausscheiden mehrerer Gemeinden hatte für das alte Pfarramt den Verlust vieler materieller Vorteile im Gefolge und das rief von Seite desselben Amtes einen heftigen Widerstand hervor, der nur beglichen werden konnte durch Regelung der pfarramtlichen Einkünfte, die nicht hinter den ursprünglichen Bezügen zurückbleiben durften. Dies geschah, während der Bau der neuen Kirche bereits rüstig gefördert und eine entsprechende Bestallung des neuen Pfarramts festgesetzt wurde. Beides – Bau der Kirche und Bestallung des neuen Pfarrers – geschah hauptsächlich durch die Beiträge eines Federnhändlers, der, wie man sich erzählte, durch den Gewinn eines hohen Treffers der Lotterie ein reicher Mann geworden war. Dieser Spender, ein braver, bescheidener Mann, war unverheiratet und lebte im neuen Pfarrdorfe mit zwei ebenfalls unverheirateten Schwestern, die in ihren älteren Tagen einer starken frommen Schwärmerei nachhingen. Bei der Wahl des ersten Pfarrherrn hatte der Spender so großer Summen für die neue Kirche natürlich eine entscheidende Stimme, und diese Stimme wussten die frommen Schwestern so zu beeinflussen, dass ein Priester aus dem Gebirge, der im Rufe großer Strenggläubigkeit stand, als erster Pfarrherr berufen wurde. Diese Berufung schien einige Zeit die Erwartungen aller Pfarrkinder auf das Angenehmste zu erfüllen; der Pfarrherr war äußerst emsig in Erfüllung seiner Pflichten, spendete viele Almosen den Armen der Gemeinden, wusste gut und eindringlich zu predigen und war im Umgang mit den Ortsvorständen und Bewohnern sehr zuvorkommend. In dieser trefflichen Führung trat indessen nach und nach eine ganz unliebsame Änderung ein. Den gottesdienstlichen Handlungen wurde eine Ausdehnung gegeben, die in die den Wirtschaften und häuslichen Verrichtungen gewidmeten Arbeiten sehr störend eingriff, den gottesdienstlichen Handlungen sollten nachmittags und abends fromme Übungen und Andachten in der Kirche und in jedem Hause folgen; in den Predigten mehrten sich Anspielungen auf Personen und Privatverhältnisse, die allgemein verständlich waren und die Betroffenen verletzten und empörten, die übrigen Bewohner verstimmten und besorgen ließen, dass sie selbst nicht sicher seien, nächstens in derselben Weise bloßgestellt zu werden. Bald stellte sich auch heraus, dass die Bewohner des Pfarramts nach einer unfasslichen und geheimen Beurteilung in Gute und Böse, Gläubige und Ungläubige, Fromme und Unfromme eingeteilt und als solche behandelt wurden; ein förmliches System heimlicher Denunziation wurde eingeführt, bei welchem alte Weiber eine Hauptrolle spielten, aber auch Nachbar gegen Nachbarn, ja sogar, wie aus Beichtbekenntnissen bekannt wurde, Eltern gegen Kinder und Kinder gegen Eltern als Ankläger gezüchtet wurden. In den bisher im tiefsten Frieden untereinander und mit ihren Familien lebenden Dorfbewohnern brachen Zwistigkeiten aus und machten das Leben fast unerträglich. Das Beichten wurde zur Demonstration für die Rechtgläubigkeit; die sogenannten Frommen beichteten jede Woche und wurden feierlich kommuniziert; die als minder fromm Bezeichneten wurden auffallend lange am Beichtstühle festgehalten und dadurch den Pfarrkindern als große Sünder gekennzeichnet, wenn nicht gar zum großen Entsetzen der Betroffenen und deren Angehörigen von der folgenden Kommunion ausgeschlossen. So sahen sich Eltern vor ihren Kindern und Kinder vor ihren Eltern, Verwandten und allen Nachbarn öffentlich bloßgestellt. Unruhe, Unmut, Ingrimm nahmen reißend überhand, und die herbsten Ausbrüche des Unwillens wurden nicht mehr zurückgehalten. Ein großer Teil der angesehensten Männer besuchte den Gottesdienst nur noch in entfernten Kirchen und wählte zu Beichtvätern die Priester entlegenster Gotteshäuser. Aber wie in allen zum Äußersten getriebenen Fällen brachte auch hier ein kleines Ereignis die Spannung zum Übermaß und zum Bruch. Eines Sonntags während der Predigt hatte einer der geachtetsten Männer des Pfarrdorfs, ein leidenschaftlicher Schnupfer, das Bedürfnis, sein Sacktuch zu gebrauchen. Sachte, um nicht zu stören, zog er sein großes blaues, rot gesprenkeltes Sacktuch aus der Tasche, entfaltete es, sah eine Weile, wie es bei Landleuten üblich ist, stumm und bedächtig herum und wollte es langsam nach dem Gesichte führen, als der Pfarrer sich in der Predigt unterbrach, mit dem Finger nach dem Nichtsahnenden zeigte und ihn so apostrophierte: »Ist das die schuldige Ehrfurcht vor Gott und die Achtung vor dem Priester, der das Wort Gottes verkündigt, dass er seine Taschenfahne prahlerisch ausbreitet und wie eine Merkwürdigkeit der Gemeinde hinhält und ihre Andacht und Aufmerksamkeit stört? Hinaus mit solchen Sündern aus der Mitte der Gläubigen, aus den heiligen Räumen des Gotteshauses!« Die ganze Versammlung der Kirche blickte nach dem so Überfallenen, dieser selbst stand einige Augenblicke wie gelähmt – dann presste er krampfhaft sein Sacktuch zusammen, wehte zwei Male heftig gegen die Kanzel hin, als wolle er lästig in die Augen beißenden Staub wegscheuchen, drehte sich um und verließ langsam, aber scharf auftretend, die Kirche. Draußen hielt er einige Augenblicke stille, gebrauchte heftig schnarrend das Sacktuch und wendete sich nach der Sakristei, in welcher der Geistliche nach der Predigt erscheinen musste. Aber schon waren ihm zwei befreundete Nachbarn nachgeschlichen, die seine Absicht erreicht hatten, nahmen ihn fest zwischen ihre Arme und führten ihn nach seinem Hause, wo sie eine Unterredung hielten, die den Ausgangspunkt einer Bewegung bildete, an die sich die angesehensten Männer der Gemeinden anschlossen und die auch endlich von entscheidendem Erfolge war. Beschwerdeschriften gingen an das Vikariat, an das Konsistorium, an den Bischof und an die politischen Ämter ab, infolge deren Kommissionen an die Pfarrgemeinden abgesendet, Vernehmungen abgehalten, Drohungen und Warnungen versucht wurden, und da dem einmal in Bewegung geratenen Volke damit nicht beizukommen war, erschien der Bischof selbst, um zu hören und zu helfen. Gewaltigere Dinge waren einem Oberhirten wohl selten zu Ohr gekommen, und der Bischof verließ die neue Pfarre mit dem Entschlusse, den so schwer verklagten Seelsorger abzuberufen und ihn durch einen ruhigen, verständigen, seinem Amte würdig vorstehenden Nachfolger zu ersetzen. Dies geschah auch bald darauf; der Abberufene wurde zum bischöflichen Rat ernannt, und seinem Nachfolger gelang das löbliche Werk, durch geschickte Mäßigung und durch heilsamen Gebrauch der geistlichen Berufs- und Amtsmittel den Frieden und die Ruhe im Ganzen wieder herzustellen ...

Unter den noch fühlbaren Nachwirkungen dieses Ereignisses hatte ich die Eltern daheim getroffen und ihnen verdankte ich die entgegenkommende Stimmung derselben, da sie es nun vorzogen, ihren Sohn irgendwelche ehrliche, weltliche Stellung erringen, als im geistlichen Stande vielleicht den Erwartungen nicht ganz entsprechen zu seh'n, die man im Volke von diesem Stande hegte und heilig hielt. Ich bekämpfte zwar die Ansicht der Eltern, dass ich im geistlichen Stande eine der Würde und den Pflichten des schönen Amtes entsprechende Führung irgendwie außer Achtung gelassen haben würde, aber ich räumte doch ein, dass ich bei meiner Vorliebe für ein weltliches Amt dieses mit größerem Eifer und rühmlicheren Erfolgen zu vertreten gedenke. Damit wurden wir Eines Sinnes und erwarteten nun die Zukunft mit jener glücklichen Zuversicht, die nur Gutes und Erfreuliches voraus zu verkündigen pflegt.

Die folgenden Tage und Ferienwochen zählten zu den schönsten und seligsten Zeiten, die ich während meines Lebens zwar selten genug, aber dann auch im tiefsten Grunde meines Herzens genoss.

In schwärmerisch-sanfter Stimmung durchstreifte ich die Heimat, begrüßte alte Leute, die ich kannte, jüngere Leute, die inzwischen ausgewachsen waren, erschien bei der Ernte auf den Feldern, mitten unter Knechten, Mägden und Geschwistern bei Tisch, nahm die Einladungen des Försters an, um in den herrlichen Heimatwäldern heiter und erquickt herumzuschweifen. Die Zukunft lag rosig vor mir, wohin ich blickte, sah ich, wie die Kinder sagen – Gold, Herz und Vernunft gingen Pläne schmiedend und Hoffnungen belebend, Hand in Hand. In solchem Glück und in solchen Träumen näherten sich die Ferien ihrem Ende, die Rückreise wurde angetreten, um in Wien das neue Leben freudig zu beginnen ...


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