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8.
Parlamentarische Verhältnisse

Die parlamentarischen und politischen Verhältnisse des Jahres 1848 in Frankfurt a. M. hatten damals ihren Höhepunkt erreicht und wankten, von Einsichtigeren deutlich vorausgesehen, ihrem resultatlosen Ende allgemach entgegen.

Wenige, die den damaligen Kampf und das spätere Ende des ersten allgemein deutschen Parlaments gesehen haben, leben noch; rührige zeitgenössische Federn haben in dicken Bänden ausführlich, aber parteilich Bericht erstattet über den Verlauf der Dinge in Frankfurt; die Zeit und ein höheres Geschick haben seitdem die damalige Hauptfrage der Bildung des deutschen Reiches und der Bestimmung der obersten Spitze desselben entschieden gelöst – und es kann daher von keinem Interesse mehr sein, in diesen Aufzeichnungen, die einem bescheidenen Privatleben gewidmet sind, das zufällig in die große Zeitströmung geraten ist, weite ausführliche Berichterstattung zu finden; nur in kurzen allgemeinen Umrissen, mit Einfügung eigener Erlebnisse von nennenswerter Art, kann die Aufgabe weiterer Aufzeichnungen gesucht werden, und diese will ich hier einfach und getreulich noch folgen lassen ...

Es war um die Zeit, wo die kleindeutsche Partei, der parlamentarischen Mehrheit sicher, ihren Vorsatz, den König von Preußen (Friedrich Wilhelm IV.) an die Spitze von Deutschland zu bringen, trotz aller Abmahnungen von Berlin aus, in einem Antrag auf das deutsche Erbkaisertum auf die Tagesordnung brachten und nach schweren Kämpfen auch durchsetzten. Die Deputation der kleindeutschen Mehrheit, welche mit dem Antrag der Erbkaiserwürde nach Berlin ging, wurde bekanntlich unliebsam empfangen und vom König von Preußen mit einem ablehnenden Bescheide heimgeschickt. Dieser Misserfolg machte einen gewaltigen Verlegenheits-Eindruck, aber nur für kurze Zeit, da die kleindeutsche Partei in ihren Hauptgesinnungen festblieb und in ihren Bemühungen bald wieder öffentlich und im Geheimen fortfuhr. Aber der Humor der Gegner fand ein reiches Feld der Ausbeute in dem Berliner Unglück. Eine Episode dieses Parlaments-Humors möge hier ihre Stelle finden, da sie eine hochverehrte Persönlichkeit und eine der populärsten deutschen Dichtungen betrifft.

Eines Tages kam im Parlamente ein poetisches Produkt in Umlauf, welches je nach der klein- oder großdeutschen Richtung viel Heiterkeit und Verdruss verbreitete. Das poetische Produkt war eine Parodie auf Uhlands herrliches Gedicht »Der Wirtin Töchterlein« und wurde in geselligen und Kneipkreisen als eines der vielen Parlamentslieder gesungen. Über die Entstehung des Liedes gibt Karl Vogt, einer der schelmischen Mitschöpfer des Werkes, in der »Frankfurter Zeitung« (vom Dienstag, den 29. November 1881) nachstehende Enthüllung:

»Es war damals, im Winter 1848, eine schlimme Zeit für uns von der Linken. Wenn's hoch kam, konnten wir es auf hundert Stimmen bringen, gegen vierhundert auf der Gegenseite. Es blieb uns schließlich nichts anderes übrig als den andern so viel wie möglich ihre Stimm-Siege zu verbittern. Es blieb uns auch das schöne, helle Lachen Heines. So versammelten wir uns denn in geselligem Kreise, Herren und Parlamentsdamen, Samstagabends nach schwerer Wochenarbeit im Braunfels und suchten uns zu erheitern, so gut es ging. Es war natürlich, dass die Ironie und die Parodie den wesentlichsten Stoff zur Unterhaltung abgeben mussten. Was bleibt dem stets Unterliegenden anderes übrig? Jeder trug sein Schärflein dazu bei. Man brachte einen Gedanken, einen Entwurf; der eine meinte, dieser Vers könnte anders geformt, der andere, jene Pointe könnte besser hervorgehoben werden, und als die Sache einmal in Gang gekommen war, regnete es allwöchentlich Reime und Verse, die in der gemeinschaftlichen Schmiede zum Braunfels oft so umgeformt wurden, dass der ursprüngliche Entwurf zuweilen nicht mehr zu erkennen war. So entstand eine Menge von »Parlamentsliedern«, die auch, glaube ich, später einmal gedruckt wurden. Flüchtige Erzeugnisse flüchtiger Augenblicke, wurden sie aus dem Gedächtnisse gesungen, belacht und wieder vergessen, wenn nicht einer der Anwesenden sie notiert hatte. So kam es denn auch, dass schließlich keiner wissen konnte, wer eigentlich der Verfasser der Parodie auf »Der Wirtin Töchterlein« sei und dass eine Menge von Varianten in Abschrift umliefen, je nachdem der Notierende die Leseart des Anfanges oder des »Endes« zu Papier gebracht hatte. Auf die »Hofräte« hatten wir es besonders gepackt, auf diese ledernen Katheder-Gelehrten, die in langweiliger Eintönigkeit ihre Hefte von der Tribüne herab vornäselten, und als deren Zugführer das Dreigestirn Beseler, Dahlmann und Waitz vorleuchtete, nachdem Gervinus längst von der Bildfläche verschwunden war. Sie machten uns nervös, diese Edeln, die den Patriotismus allein für sich in Pacht genommen zu haben glaubten und in ihrer unendlichen Borniertheit sich einbildeten, die Regierungen würden ihnen den Gefallen tun, nach ihren kurzsichtigen Grundsätzen sich umzumodeln. Frankfurter Paulskirchen-Zentrum, Gothaer, Nationalliberale – dieselbe alte Leier, auf welche die Vertrauensduselei seit jener Zeit ihre eintönige Weise abspielt! Wie gesagt, die »Hofräte« waren das Stichblatt von Dutzenden solcher Ergüsse mutwilliger Augenblicke. Und weil dies sich in dieser Weise so verhielt, so erlaube ich mir auch, hier die richtige Lesart der Parodie herzustellen, wie ich sie mir erhalten habe. Der Entwurf mag von mir herrühren, das will ich gerne zugeben; der drastische Schluss der letzten zwei Zeilen aber, dieser erinnere ich mich mit vollster Bestimmtheit, wurde von Moritz Hartmann im Braunfels selbst nach der ersten Lesung als Amendement vorgeschlagen und unter allgemeiner Akklamation genehmigt. Demnach lautete »Der Wirtin Töchterlein« als Parlamentslied folgendermaßen:

Das junge Kaiserlein

Es zogen drei Hofräth' wohl über den Main
Bei Frau Germania kehrten sie ein.

»Frau Wirtin! Hat Sie gut Bier und Wein?
»Wo hat Sie das junge Kaiserlein?

»Mein Wein und Bier sind gar nicht klar,
»Das Kaiserlein liegt auf der Totenbahr.«

Und als sie traten zur Paulskirch hinein,
Da lag es in einem ledernen Schrein.

Da trat zu der Bahr der steife Waitz,
Schlug nieder die Augen und macht' ein Kreuz:

»Ach! Lebtest du doch mein Kaiserlein,
»Ich wollte dein treu'ster Professor sein!«

Der Beseler deckte den Schleier zu
Und drehte sich ab und weinte dazu:

»Weh! dass du liegst auf der Totenbahr,
»Ich hab' dich gelehret so manches Jahr!«

Der Dahlmann hub den Schleier sogleich
Und küsste es auf den Mund so bleich:

»Ach! dass du gestorben an Sterblichkeit!
»Ich werde dich lieben – mit Erblichkeit!«

Dieses Parlamentslied war bereits in und außer dem Parlamente zahlreich verbreitet, ohne dass Uhland selbst noch eine Ahnung von der Parodie seiner herrlichen Ballade hatte; und doch gab es Neugierige genug, die nicht erwarten konnten, den Eindruck zu sehen, welchen dieselbe auf Uhland machen werde. Verschiedene Versuche wurden gemacht, dem ernsten Meister das Parlamentslied in die Hände zu spielen, es gelang nicht in erwünschter Weise; endlich, da man gewahrt hatte, dass ich in jüngster Zeit oft mit Uhland vertraulich verkehrte, wurde ich als Bote zur Überbringung des Gedichtes ausersehen. Ich weigerte mich anfangs entschieden, Uhland mit einer Parodie, die ihm bei aller Objektivität des Autorgefühles nicht wohl angenehm sein konnte, bekannt zu machen, allein die Besorgnis, dass Uhland möglicherweise die Bekanntschaft der Parodie auf viel unliebsamere Weise machen würde, bewog mich schließlich, ihm dieselbe im Parlamente – unter großer Spannung stiller Beobachter – nach entsprechender Einleitung zu überbringen.

Uhland las das Gedicht mit großer Ruhe und ohne eine Miene zu verziehen; schon glaubte ich, einige Worte des Tadels über die Kühnheit des Verfassers sagen zu sollen – als sich Uhlands Stirn sachte rötete und eine seltene Heiterkeit um seinen Mund spielte; plötzlich brach er in herzliches Lachen aus und blickte unverwandten Auges nach der Tribüne, wo eben derselbe Beseler erschien und in näselndem, fast weinerlichem Tone über das so übel abgewiesene Erbkaisertum zu sprechen begann. Uhland blickte noch einmal nach der Stelle des Gedichts:

Und Beseler deckte den Schleier zu
Und kehrte sich ab und weinte dazu:

dann sagte er lächelnd: »Ist's erlaubt, die Abschrift zu behalten?« Natürlich wurde das gerne gestattet und die Vorstellung hatte ein Ende ... Uhlands Wirksamkeit im Parlamente ist bekannt. Er hat nur einmal eine längere Rede in der Paulskirche gehalten, aus welcher zwei Kernstellen sofort die Runde durch Deutschland machten. Die eine dieser Stellen bezog sich aus die hohe Mission der Fürsten und lautete dahin, dass jeder derselben, um seine Aufgabe ganz und wahrhaft erfüllen zu können, mit einem Tropfen demokratischen Öles gesalbt sein müsse; die zweite betraf Deutsch-Österreich, das er durchaus mit Deutschland vereinigt wissen wollte; wenn er eine Stimme aus Österreich höre, so sei ihm immer, als höre er das Rauschen des adriatischen Meeres. Uhland gehörte keiner Clubpartei an, ging stets und ohne Rücksicht auf sonstige Gesinnungsgenossen seine besonderen Wege und erwog, was zu tun sei, ganz für sich allein ... Dass Uhland während des Parlaments gleich den vielen berühmten Namen als bedauernswertes Opfer unter der Last der Stammbuchblätter zu leiden hatte, ist selbstverständlich. Er hatte aber dieser Bedrängnis gegenüber bald mit großer Ruhe Stellung genommen; er empfing jedes Stammbuchblatt, groß oder klein, in Folio oder Duodez, mit unbeweglicher Miene und schrieb folgenden Ansangsvers einer seiner Strophen darauf:

»And're Zeiten, and're Lieder!«


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