Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12.
Der Kampf ums Elternhaus.

Man hatte meinen Vater zu überreden gesucht, Haus und Hof zu verkaufen und dafür ein Haus mit Wirtsgeschäft zu erwerben, das, zwei Stunden landeinwärts, schon im tschechischen Gebiete lag. Kauth heißt der Ort dieses Besitzes, er war damals der Amtssitz der Patrimonialherrschaft der Grafen Stadion, die auch dort in ihrem Familienschloss residierten. Die Vorteile, welche mein Vater durch den Besitzwechsel erzielen sollte, wurden als sehr erheblich geschildert: amtliche Angelegenheiten führten die Bevölkerung der Gegend zahlreich nach Kauth, das Wirtshaus hatte einen günstigen Platz neben dem Amtsgebäude, zahlreiche Beamte des Grafensitzes waren tägliche Gäste der Schänke, auch ein namhafter Feldbau gehörte zu dem Hause ... Die Unterhandlungen waren einige Tage lebhaft im Gange. Sie bestürmten eine schwache Seite meines Vaters. Er, regsam und aufstrebend, ersah wirklich manche Vorteile und wurde von dem Ehrgeize lebhaft erfasst: am Sitz des Amtes zu wirken, wo man ihm sehr wohlwollte und ihn dringlich aufmunterte, den Handel abzuschließen. Der Vater war so gut als entschlossen, selbst in der Mutter und uns Kindern war durch die Aussicht auf eine neue Welt von Menschen und Genüssen eine unruhige Neigung erregt worden, die aber bald in bange Unsicherheit überging und Furcht und Sorgen, vermischt mit Heimweh, erregte ... Der Tag der Entscheidung war endlich gekommen. Vom frühen Morgen an kamen und gingen Boten, die einerseits den Vater zum Verkaufe seines Hofes drängten, andererseits vom Verlassen seines Besitzes und der Heimat abzureden suchten, denn er war für Dorf und Gegend vielfach wichtig, ja in Zeiten äußerer Not und Gefahr, wie zur Zeit der Kriege mit Frankreich, bei Durchmärschen und Brandschatzungen oft ein Retter des Dorfes gewesen. Während alles flüchtete, die Mutter selbst mit den drei ältesten Kindern im dichten Walde saß, kaum für drei Tage mit Lebensmitteln versehen, empfing und führte der Vater die französischen Offiziere in unsern Hof, wusste ihnen in aller Ruhe und Eindringlichkeit das Elend des Dorfes durch den Dolmetsch darzulegen, die Brandschatzung abzuwehren oder wesentlich zu vermindern, wobei er durch den Umstand gefördert wurde, dass er durch eine alte, tapfere Magd reichlich für Stärkung sorgen ließ. Ein solcher Mann, der auch sonst immer mit Rat und Tat zu Händen war, sollte dem Dorfe nicht verloren gehen ... Nachdem, wie erwähnt, den ganzen Tag die beiderseitigen Unterhändler hin- und hergegangen, sollte die Entscheidung in der Dorfschänke erfolgen. Wir Kinder saßen auf der Wandbank – dort, wo ich beim Abendgebet immer nach den Linden und dem Abendstern zu blicken pflegte – enge aneinander gerückt, bange und furchtsam, neben der Mutter, als der Vater den Hut vom Hirschgeweih nahm, um nach der Schänke zu gehen. Er machte einige Schritte, kehrte wieder um, legte der Mutter die Hand auf die Schulter, beugte sich etwas und sagte mit halber Stimme: »Was meinst du, Lene?« Die Mutter schüttelte nur den Kopf und sagte: » Mir ist so bang!« Bei diesen Worten begann das jüngste Kind, das an der Brust der Mutter lag, leise zu weinen ... Der Vater ging. Es war gegen Abend. Wir Geschwister saßen wie festgebannt, keines sprach ein Wort. Der erste Bote, der aus der Schänke kam, brachte die Nachricht: »'s geht arg zu, 's dürfte was werden.« »Der Kopf der Mutter sank tiefer, sie bebte wie von innerem Schluchzen, die Wanduhr tickte wie im Fieber. Der zweite Bote brachte die Nachricht: »Sind wieder auseinander; wird sich schwer machen!« Aber gleich darauf kam ein anderer Bote, der sagte: »Mit einem Handschlag ist's jetzt getan!« Die Mutter stand auf, um das weinende Schwesterchen zu beruhigen – da war auch schon der vierte und letzte Bote da mit der Nachricht: »Aus ist's! Euer Mann ist abgesprungen – schickt mich voraus – wird gleich da sein …« Und wirklich hörten wir die Türklinke drücken, der Vater trat ein und wurde von uns Kindern umringt. »Aus ist's«, erzählte der Vater nach einer Pause der Bewegung. »Schon hat der Bohmann die Hand hingehalten, und ich will einschlagen, – da hör' ich das Margerl weinen und dich sagen: mir ist so bang ... – und vorbei ist's auf einmal, ich hab' keinen Mut und Willen mehr – alles wankt um mich her – ich sage: Nein! – und wir bleiben, wo uns Gott hingesetzt hat! ...«

Da gab's einen großen Jubel. Weinend und lachend hingen wir uns an den Vater, dem die Mutter die Hand reichte, indem sie sagte: »Jetzt ist alles wieder gut!« Knechte und Mägde, die schwer sinnend auf den Wandbänken herumgesessen, zogen sich freudig erregt zurück und Maxenz sagte, schon zwischen der Türe: »Schön ist's wieder auf der Welt!« Und die Freude dauerte am andern Tage und Wochen lange noch fort. Zahlreich erschienen die Nachbarn und wünschten Glück; erschienen wir Kinder vor einem Hause im Dorf, so sprang die Jugend heran, die Erwachsenen gaben uns die Hand und sagten: »Recht ist's, wir bleiben bei'nander!« Licht und Luft schienen heller, froher. Das Frühjahr war da, Wiesen und Gärten grünten, es schien, als geschehe es uns zu Liebe und noch in der Erinnerung erscheinen mir Elternhaus und Heimat wie von unvergänglicher Verklärung umflossen .


 << zurück weiter >>