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2.
Mein erstes Obdach in Wien. Ein Führer durch die Kaiserstadt. Vor dem Standbild des Kaisers Josef II. Bruder Andreas. Unsere Lage. In der Zelle des Paters Franz. Akademischer Bürger. Freund Theodor. Rührende Fügung: »Herr Hofmeister«.

Mein Absteigquartier war in der Alservorstadt, Schlosselgasse 16. Mein Bruder, der dort wohnte, befand sich noch bei seinem befreundeten Pfarrer in Steiermark, er hatte mir sein Zimmer angewiesen und für meine Verpflegung die nötigen Anordnungen getroffen. Zugleich hatte er mich einem seiner Kollegen empfohlen zur freundlichen Weisung in dem Durcheinander der großen Stadt. Dieser Kollege, ein Egerer, der die Ferien in Wien zubrachte, erschien sogleich nach meiner Ankunft bei mir, beredete mich, bis zur Rückkehr des Bruders bei ihm zu wohnen, seinen Mittagstisch zu teilen und »seine langweilige Gesellschaft«, wie er heiter bemerkte, geduldig zu ertragen. Es war der lustigste, liebenswürdigste junge Mensch, den ich je gesehen habe; als einziger Sohn wohlhabender Eltern, hatte er nicht nötig, von den Sorgen des Tages sich die gute Laune trüben zu lassen, studierte fleißig und war haushälterisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Er wohnte hübsch und luftig in der Alserstraße, nicht weit von dem Drei-Laufer-Haus und ergötzte sich höchlich über meine naive Bewunderung des Lebens und Treibens in der Stadt. Blieben wir zu Hause, so war ich nicht von den Fenstern wegzubringen, da unerschöpflich Menschen, Wagen, Militärauszüge vorüberkamen; mein lieber Wirt war eben so unermüdlich, durch ruhige, heitere Erklärungen Ordnung und Verständnis in dieses scheinbare Chaos zu bringen. Streiften wir durch die Straßen, so durfte ich überzeugt sein, dass er mich an keinem wichtigen Gebäude unbelehrt vorübergehen ließ; Kirchen, Paläste, öffentliche Gärten lernte ich auf diese Weise kennen; die Hofburg (»das Haus des Kaisers«), das Universitätsgebäude, in dem ich meine Studien fortsetzen sollte, zählten zu den ersten Denkwürdigkeiten unserer Märsche; die Josefs-Statue auf dem Josefsplatze hätte meinen Führer bald in unzarte Berührung mit der geheimen Polizei gebracht, denn während er mich auf die Schönheit des Standbildes und auf die Person des verewigten Kaisers aufmerksam machte, wurde er so überlaut und begeistert bei der Verherrlichung des »Schätzers der Menschheit«, dass sich alsogleich Zuhörer um uns sammelten und ein hagerer Mann mit lederartig vertrocknetem Gesicht an seine Schulter rührte. Mein Führer erriet sofort, um was es sich handle, hielt in seiner Rede inne, nahm mich an der Hand und zog mich nach der Augustinergasse weiter. »Hast du dir das Aschengesicht des Glotzbruders angesehen, Freund?« sagte er im Weitergehen: »Ein Geheimer, ein Naderer; vor diesem Gelichter muss ich dich warnen; der hinterlistige Stich eines solchen ist gefährlicher als der Biss der giftigsten Schlange in Vorder- und Hinterindien!« Ich empfand zwar einen unheimlichen Eindruck von dieser Bemerkung, war aber zu naiv und unerfahren, um die Bedeutung derselben ganz zu erfassen; vollends wollte mir nicht einleuchten, dass es einem geheimen Späher zukommen könne, eine Lobrede auf Joses II., unsern großen liebenswürdigen Kaiser, bedenklich zu finden und zu verhindern. Ein Besuch der Augustinerkirche, die durch das Canova-Denkmal verherrlicht wird, wirkte bald heilsam beschwichtigend auf mein Gemüt. Der Schatten unheimlicher Gedanken verschwand, und das berühmte Kunstwerk übte einen unendlich wohltuenden Gesamteindruck, ohne dass ich noch im Stande war, mir über diese Wirkung der Kunst irgendwelche Rechenschaft zu geben ... Diese Streifzüge waren endlich auf den Prater, nach den Lustschlössern Laxenburg und Schönbrunn ausgedehnt worden, als mein Bruder aus Steiermark zurückkam, mich aus der liebevollen Obsorge des Kollegen dankend übernahm und in seine Wohnung zurückführte. In dieser, einem geräumigen Zimmer ebener Erde, richteten wir uns brüderlich bescheiden ein und besprachen unsere nächste Lebensführung. Der Bruder bezog als Militärschüler des kaiserlichen Josefinums monatlich 25 Gulden, dazu lieferte ich die restlichen sechs Gulden meiner Reisekasse aus, und damit hofften wir bei den damals sehr billigen Lebensverhältnissen in Wien den ersten Monat auszureichen. Für einen zweiten und dritten Monat war durch einen besondern Umstand weiter geholfen; ein Mitschüler des Bruders, der etwas kränkliche Sohn wohlhabender Eltern in Nikolsburg, hatte die letzte Prüfung nicht abzulegen gewagt und meinen Bruder, der sein Examen glücklich bestanden hatte, um freundliche Nachhilfe ersucht; für diese Hilfe, die zwei Monate andauern sollte, bot er ihm monatlich 60 Gulden. Mein Bruder sagte zu und war nun im Stande, uns für drei Monate über Wasser zu halten. »Und dazu lebt ein gütiger Gott über uns!« rief ich einmal in dem grundmäßig festen Vertrauen, das ich aus dem Elternhause mitgebracht hatte. Wir fühlten uns glücklich und schwatzten uns in manche liebe und gute Stimmung hinein. Es wurde viel von der Heimat, den Eltern, von frühern Tagen geredet, und ich scherzte über den Scherz des Maxenz, der mir das erste Studentenquartier in der »Flohgasse« zu Klattau prophezeit hatte; »wenn er noch lebte«, schloss ich, »würde er sagen: Schau den Beberl an – jetzt hat er's bis zur Flohgasse in Wien gebracht – der wird noch Papst oder Kaiser von Pamphilien!« ... Teils in Gesellschaft des Bruders, teils schon allein setzte ich meine Wanderungen in der Stadt fort. Als ich eines Tages an dem Kapuzinerkloster auf dem Neuen Markte vorüberkam, erwachte in mir die lebhafteste Neugierde, die im Kloster befindliche Kaisergruft zu sehen; zugleich erinnerte ich mich an ein Empfehlungsschreiben, das ich von meinem Professor der Humaniora aus Klattau an einen damals hochangesehenen Mönch des Klosters mitgebracht hatte, ich beschloss sofort, das Empfehlungsschreiben abzugeben und dabei um die Begünstigung zu bitten, die Kaisergruft sehen zu dürfen. Ich trat ins Kloster, durchschritt einen großen dunklen Raum, der mich zu einer halblichten Treppe führte, über die ich in einen langen düstern Klostergang mit Zellen gelangte. Hier kam mir mit raschen, energischen Schritten ein hochgewachsener junger Mönch entgegen, der einen gewaltigen, fast erschreckenden Eindruck machte; ein fanatischer Unmut sprach aus seinen Zügen, und im schwarzen, schwärmerischen Auge leuchtete ein unheimliches Feuer. Ich wagte es nicht, ihn anzusprechen, doch da er mich fragend ansah, bat ich um Weisung nach der Zelle des »Paters Franz«. Bei diesem Namen glitt ein freundlicher Schein über das Antlitz des Mönches, der nach einer Zellentüre zeigte und halblaut sagte: »Dort!« Ich eilte nach der Türe, bog den Zeigefinger, um anzuklopfen, klopfte aber noch nicht. Eine eigentümliche Unruhe, Verlegenheit, ja Furcht bemächtigte sich meiner. Mein Professor hatte mir gesagt, Pater Franz sei ein halber Heiliger, sei berühmt und beliebt am allerhöchsten Hof und in den vornehmsten Häusern der Aristokratie und des Bürgertums, und als Beichtvater sei er der gesuchteste Priester in Wien. Jetzt fiel mir ein, dass mich dieser gewiss strenge Priester fragen könnte, welche Standeswahl ich treffen würde. Konnte ich dem heiligen Manne eine Unwahrheit sagen und bemerken, dass ich mich für den geistlichen Stand entschieden habe? Ich blieb betroffen stehen und wurde schwankend in meinem Vorsatz, einzutreten; da wurden rasche Schritte hörbar in dem düstern Klostergange, ich fürchtete die Rückkehr des unheimlichen Mönches von früher, der mich unwirsch fragen konnte, warum ich noch zögernd dastehe. Rasch war mein Zeigefinger wieder gebogen; ich klopfte und hörte eine schwache Stimme zum Eintritt einladen. Ich trat in eine wenig geräumige, längliche Zelle, an deren Ende, gerade unterm Fenster, der altehrwürdige Pater in einem unscheinbaren, hochlehnigen Armstuhl saß. »Salve!« sagte er sanft, und ohne sich zu regen; die rechte Hand bewegte sich schwach zum Zeichen, dass ich eingeladen sei, ihm näher zu treten. Ich folgte dem Wink und trat vor: »Wer bist du, mein Sohn? Und was führt dich zu mir?« fragte der Pater freundlich. Ich zog den Empfehlungsbrief hervor und überreichte ihn. Der ehrwürdige Mann las den Brief aufmerksam durch, blickte dann über das Blatt hinweg schweigend nach mir und ließ seine linke Handfläche über den dünnen weißen Bart am Kinn sachte herabgleiten. Nach längerem Schweigen sagte er liebevoll: »Du bist gut empfohlen, mein Sohn, und es soll mich freuen, dir in etwas nützlich werden zu können. Unter welchen Umständen befindest du dich in Wien?« Ich schilderte ihm flüchtig die Lage der Eltern und meines Bruders, der mich bei sich aufgenommen, und sprach die Hoffnung aus, dass der Himmel weiter helfen werde. »Das wird er, mein Sohn, wenn du brav und fleißig bleiben wirst«, erwiderte er. »Und welche Standeswahl denkst du nach den nächsten zwei Studienjahren zu treffen?« setzte er hinzu. Ich erwiderte, dass die Eltern den geistlichen Stand allen anderen vorzögen, dass ich selber Neigung für denselben fühle, aber auch Vorliebe für das Studium der Medizin hege; »wahrscheinlich aber ist, dass ich Geistlicher werde,« schloss ich. Der Pater wurde wärmer, richtete sich im Lehnstuhl straffer auf und sagte: »Es ist ein schöner Stand, der Stand des Geistlichen; ein schöner und heilsamer Stand; aber der ihn wählt, muss dazu berufen sein. Mein Sohn, treffe deine Wahl nicht übereilt, überlege sie wohl und komme noch zu mir, bevor du deine Wahl getroffen hast!« Er erhob sich, schritt nach einem kleinen Schrank an der Wand, holte ein Andachtsbuch daraus hervor und entnahm demselben einige zwischen den Blättern liegende Banknoten, die er mir mit den Worten reichte: »Hier, eine kleine Beihilfe für die erste Zeit; viel habe ich in barem Gelde nicht zu verfügen, aber lasse bald wieder von dir hören, wir können Freitische ausfindig machen, auch einige Unterrichtsstunden – und nun sei Gott mit dir, mache dich ihm zum Freund, und du hast das beste Teil erwählt!« ... Ein leichter Wink der Hand bedeutete mir, dass ich entlassen sei; freundlich ruhten die Blicke des Mönches auf mir, als ich mich verneigte und zur Zellentüre hinausschritt; ich eilte den Klostergang entlang, die dunkle Treppe hinunter und zur Klosterpforte hinaus, als wär' ich einer großen Gefahr entgangen, und doch war der Eindruck, den ich aus der Klosterzelle mitnahm, ein außerordentlich wohltuender und beruhigender; erst im Freien fiel mir ein, dass ich auf den Besuch der Kaisergruft ganz vergessen hatte ... Der Bruder hörte meinen Bericht mit einiger Überraschung an; der große Ruf des Pater Franz war auch zu ihm gedrungen, und die Aussicht auf den einflussreichen Helfer für den Fall meiner künftigen Bedrängnis konnte ihm auch nicht unerwünscht sein. Als ich ihm die sieben, vom Pater Franz erhaltenen Guldennoten überreichte, lehnte er es ab, sie anzunehmen. »Du hast«, sagte er, »einige dringende Auslagen, die du mit dem Gelde bestreiten kannst. Du hast Kollegienbücher zu kaufen und wirst ab und zu, wenn ich gehindert bin, mit dir Mittag zu halten, dein Essen selbst besorgen müssen; behalte das Geld!« Er führte mich nach einer damals bei ärmeren Studenten sehr berühmten Speisewirtschaft, in der man sich um acht Kreuzer übersatt essen konnte und in welcher der Bruder früher selbst lange Zeit, als ihn der Vater erhalten musste, seine Mittagskost aufgesucht hatte. Man erhielt für die acht Kreuzer freilich nur zwei Knödel mit Zwetschkenröster oder Bratensauce, aber die Knödel waren von einer so riesigen Größe, dass nur der allerstärkste Esser sie ganz bewältigen konnte. In diesem Beisel, das sich in der »Blutgasse«, einer kurzen, dunklen Nebengasse der Grünangergasse ebener Erde befand, aß ich an einem hochwichtigen Ehrentage zum ersten Male – an dem Tage nämlich, an welchem ich an der Universität inscribiert wurde und dadurch die Würde eines akademischen Bürgers erhielt. Von diesem Tage an mussten die Professoren Sie und Herr zu uns sagen und neben andern Rechten auch gestatten, dass wir mit Spazierstöcken in den Kollegien erschienen. Einen solchen Spazierstock kaufte ich mir denn auch sogleich nach der »Inscription« und suchte dann, von einem seltenen Hochgefühle getragen, die »Blutgasse« auf, um – alles auf Kosten der Gabe des guten Paters Franz – die berühmten Knödel zu versuchen, die ich trotz meines akademischen Hochgefühls und großen Hungers nicht ganz bewältigen konnte ... Einige Tage später wurden unsere Collegien eröffnet. Ihnen ging ein Hochamt voraus, das sogenannte »Heiligengeistamt«, durch das uns Kraft und Segen gespendet werden sollte für das glückliche Bestehen der beginnenden Studien. Neugierde und Studieneifer führten mich an diesem Tage schon viel früher als nötig nach den Collegiensälen, und da ich auf meinem Wege aus der Vorstadt die Franzensbrücke passieren musste, wo der arme Werkelmann mit seinem Affen-Husaren bereits auf dem Posten stand, so dachte ich: »Glückauf! zu dem neuen akademischen Leben!« und spendete dem armen Werkelmann einen Kreuzer – natürlich auch einen Bruchteil jener Spende des guten Paters Franz. Aus dem Heiligengeistamt in unsern großen Hörsaal zurückgekehrt, wogten wir, zwei hundert Kollegen, alle mit Stöcken bewaffnet, unter wildem Stimmenbrausen einander begrüßend und Bekanntschaften schließend, durcheinander, als ich, bisher vergebens nach einem von früher her bekannten Kollegen forschend, an der Schulter gefasst und mit Namen genannt wurde – von einem Kollegen, der die zwei letzten Gymnasialjahre in Klattau mit mir absolviert hatte! Er hieß Theodor v. Planer, war der Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten in Wien und sollte seine Studien in der Kaiserstadt fortsetzen. Unsere Überraschung und Freude war umso größer, als wir uns auf dem Gymnasium schon sympathisch genähert hatten. Planer lud mich dringend ein, nach der ersten Vorlesung ihn nach der Wohnung seiner Eltern zu begleiten, sich diesen vorstellen zu lassen und – wie er mit freundlich glänzenden Augen sagte – vielleicht bei ihnen ganz untergebracht zu werden! Er wollte diese Andeutung näher erklären, als der Professor erschien und durch seinen Vortrag eine Stunde lang unser Gespräch unterbrach. Aber kaum hatte der Professor – es war Lichtenfels, Professor der Philosophie – seinen Vortrag (Propädeutik) beendet, als mein lieber College – später der unentwegteste Freund meiner Jugend – mich schon wieder unter dem Arme hatte und mit sich fortführte. Unterwegs gab er mir Aufschluss über seine frühere Andeutung und teilte mir mit, dass er drei kleinere Brüder habe, für welche, da ein früherer Hofmeister eben in das Kloster der Michaeler eingetreten sei, ein Nachfolger gesucht werde; und dieser Nachfolger könnte vielleicht ich werden – was ihn glücklich machen würde! Ich war fast bestürzt über ein so großes Glück und folgte stumm dem Freunde nach der Wohnung seiner Eltern, die sich im sogenannten Passauer Hof, nächst der Kirche zu »Maria Stiegen«, befand und den ganzen ersten Stock einnahm. ... In der Wohnung ließ mich Freund Theodor einige Augenblicke im Vorzimmer warten, während er seine Mutter vorbereitete, und kam dann freudig leuchtenden Angesichts, um mich bei der Mutter einzuführen. »Du wirst aufgenommen werden!« flüsterte er mir noch schnell und aufgeregt zu, bevor er die Türe des Empfangzimmers öffnete. Wir traten ein und standen vor einer ansehnlichen, noch überaus blühenden Dame. Das runde und leicht gerötete Gesicht derselben leuchtete von freundlichem Wohlwollen, und die großen, dunkelbraunen, grundgütigen Augen – ganz die Augen ihres Lohnes Theodor – ruhten freundlich prüfend auf dem verlegen ihr gegenüber stehenden jungen Fremden. »Es freut mich«, sagte Theodors Mutter mit angenehm hellklingender Stimme, »in Ihnen einen Freund meines Sohnes kennen zu lernen; es wäre mir sehr lieb, wenn Sie ihm nahe bleiben und die Studien gemeinsam fortsetzen könnten.« Nach einer Pause fuhr sie fort: »Würde es Ihnen vielleicht auch möglich sein, über drei Knaben die Aufsicht zu führen und ihnen – sie besuchen erst seit Kurzem die Volksschule – mit Rat und Tat beizustehen?« Ich erwiderte, dass ich über mich und meine Zeit frei verfügen könne und dass es mich glücklich machen würde, mich eines so ehrenvollen Vertrauens wert erweisen zu dürfen! »Gut,« sagte Theodors Mutter mit jener lauteren Heiterkeit, die mich an Wiener Frauen stets so entzückt hat, »dann kommen Sie morgen nach Döbling und seien Sie unser Mittagsgast, damit ich Sie meinem Manne vorstellen und mit den Kindern bekannt machen kann! Theodor wird Ihnen das Nähere mitteilen!« Sie ging hierauf ins anstoßende Zimmer – Theodor und ich eilten Hand in Hand glücklich nach dem Vorzimmer und auf die Straße, um das Nötige für den nächsten Tag, einen Sonntag, zu verabreden ... Lange vor der Mittagsstunde stand ich am andern Morgen in Oberdöbling vor dem Tore der Planer'schen Villa (Hauptstraße) und zog die Glocke. Ich hörte sogleich eilige Schritte und Knabenstimmen vom Garten her sich nähern, und das Haustor flog auf. Ich wurde von Theodor und seinen kleinen Brüdern empfangen, die schon auf mich gewartet hatten. An Letzteren lernte ich drei allerliebste, zutuliche Kerlchen kennen, die sich bald, wo sie nur konnten, vertraulich an meine Hand hingen und sich offenbar als wahre Kinder von dem »neuen Hofmeister« gar schöne Tage versprachen. Nach dem Garten gehend trafen wir auch Theodors Schwester, ein Fräulein von 15 Jahren, blühend und heiter, rotwangig wie ein frisches Landmädchen und ausgestattet mit zwei herrlichen Augen – den Augen der Mutter! Ich wurde dem Fräulein vorgestellt, und es eilte zur Mutter, um ihr zu melden, dass ich richtig angekommen sei. Theodor aber, begleitet von den drei künftigen Zöglingen, führte mich unverweilt zu seinem Vater, der sich bereits bei seinem Sonntagsvergnügen (er war großer Garten- und Blumenfreund) im Glashause befand und durch einen umfangreichen »Stecher« Blumen und exotische Pflanzen sorgfältig betrachtete. Ritter v. Planer war ein hochgewachsener ansehnlicher Herr, bedeutend älter als seine Frau, aber noch rüstig, aufrecht in Haltung und Gang; sein ernstes und längliches, nicht volles Gesicht war rötlich angehaucht von Gesundheit und täglichem, aber (wie ich später bemerken konnte) ganz mäßigem Weingenuss. Herr von Planer stammte aus Südtirol und hatte von dorther noch etwas von steifen, zurückhaltenden Manieren. In einem langen Schlafrock noch größer erscheinend, richtete er sich bei Theodors Begrüßung von einem Blumengestelle auf, ließ den an einem Bande befestigten »Stecher« auf die Brust niederfallen und sah mich erst ernst und gleichgültig, dann nach Theodors Vorstellung freundlich und wohlwollend an. »Freut mich«, sagte er und nahm seinen Stecher wieder auf – »Sie sind doch unser Gast für heute?« Ich verneigte mich bestätigend und empfahl mich für jetzt, da sich mein später so lieb und wert gewordener Chef alsbald wieder zu seinen Blumen wendete und den Gärtner rief, um ihn auf eine Unordnung aufmerksam zu machen ... Der Vormittag gehörte nun dem heiteren Verkehre mit Theodor und seinen Brüderchen, wir wanderten durch den ausgedehnten, sorgfältig gepflegten Garten, von dessen südlichem Ende man eine hübsche Aussicht nach der Brigittenau genoss; ich erwarb mir die wachsende Gunst der Zöglinge durch Angabe einiger Spiele, namentlich des spannenden Kampfes zwischen Grenzwächtern und Schleichhändlern, welcher Kampf in unsern Böhmerwälder Kinderspielen eine große Rolle spielte. Gegen elf Uhr suchte uns Theodors Schwesterchen »Risa« (verkürzter Name von Theresia) auf, um uns zu melden, dass die Mutter im Garten erschienen sei und mich zu sehen wünsche. Wir zogen nun alle fröhlich nach dem oberen Teile des Gartens, wo die lebensfrohe, gütige Mutter meiner Begleiter in schönem, aber einfachem Anzug, einen, damals besonders modernen breitkrämpigen Strohhut auf dem Kopfe, unter einem großen Nussbaume Anordnungen traf für die Mittagstafel, an welcher heute mehrere Freunde des Hauses teilnehmen sollten. Sie begrüßte mich mit liebenswürdiger Güte, fragte, wie mir Haus und Garten, ihr Sommeraufenthalt, gefalle, und als ich meine freudige Bewunderung darüber aussprach, sagte sie: »Leider ist die Zeit schon nahe, wo wir wieder nach der Stadt ziehen müssen; aber Sie sollen sich im nächsten Sommer mit uns hier freuen, da ich hoffe, dass Sie unsern Wunsch erfüllen und vom Oktober an als lieber Hofmeister meiner Knaben ständig zur Familie gehören werden!« Ich war stumm vor Überraschung und Glück, ich fühlte das Blut nach Wangen und Stirne strömen und ergriff bebend die Hand der gütigen Dame, um den wärmsten Kuss meines Dankes darauf zu drücken ...


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