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4.
Das Adam- und Evaspiel.

Ich hatte eben mein Frühstück beendet (Milch aus einem Schüsselchen) und war von der Ofenbank zu meinem dicken Freunde, dem großen Haushund, Namens Soltan, gegangen, der gewöhnlich mitten in der Stube lag. Ich ließ mich neben ihm nieder, umschlang seinen Hals, streichelte seinen Rücken und setzte mich zuletzt auf ihn, was er in seiner unendlichen Milde und Güte ruhig geschehen ließ, indem er nur zeitweise seine großen, braunen Augen melancholisch-wohlwollend nach mir richtete. Es war die Zeit, wo Gesinde und Geschwister am Ecktisch ihre Kartoffel geschält und in Pyramiden vor sich aufgestellt hatten. Die Magd sollte die große Suppenschüssel auftischen, hatte sich aber etwas verbrüht und zögerte ein wenig länger; – da wurde die Mutter ungeduldig, rief der Magd, sich zu sputen, worauf diese in großer Eile, die riesige Schüssel in den hochgehobenen Händen, aus der Küche kam, ausrief: »Da bring' ich's!«– an den großen Hund stieß, die Schüssel vor sich hinwarf und selbst hinfiel ... Eine Pause des Entsetzens entstand, bis der Oberknecht Maxenz, den Löffel auf den Tisch stemmend, ruhig und trocken bemerkte: »Das hat der Händlbub auch gesagt: Da bring' ich's – und fällt mit den Eiern zur Tür' herein!...« Schallendes Gelächter folgte, die Spuren des Unglücks wurden beseitigt, die Suppe ersetzt – und nach Tische ging man auseinander, ohne das übliche Gebet verrichtet zu haben ...

Vielleicht war dieser Umstand schuld, dass an demselben Tage das Sprichwort: »Ein Unglück kommt selten allein«, so beunruhigend in Erfüllung ging. Denn nicht lange nach dem Unfall bei der Morgensuppe wurde die Elternstube der Schauplatz eines Ereignisses, das meine jugendlichen Nerven mächtig erschütterte.

Der Vater saß am Ecktisch und machte mit Kreide seine Berechnungen auf der großen Platte, die Mutter begann neben der Kammertüre ihre Vorbereitungen für den Mittagstisch, und ich war auf die Wandbank gestiegen, um nach dem Hofraum zu blicken und zu sehen, was dort Anziehendes vor sich gehe – fiel aber im nächsten Augenblicke vor Entsetzen fast von der Wandbank! Der leibhaftige »Gottseibeiuns«, mit Hörnern, schwarzem Gesicht, roten Augen war in den Hof getreten und kam in Begleitung von zwei abenteuerlich kostümierten Personen nach der Haustüre zu. Ich flüchtete zur Mutter, die am kleinen Ecktisch sich eben anschickte, einen Teig zu kneten, wickelte mich in ihre Schürze und rief, die Blicke angstvoll nach der Türe gerichtet: »Da Tuifl!« Die Mutter legte mir beschwichtigend die Hand auf den Kopf und erkundigte sich nach der Ursache meines Schreckens, wurde aber alsbald durch die Ereignisse selbst belehrt, um was es sich handle. – Die Türe ging auf, und herein trat eine der erwähnten abenteuerlich gekleideten Gestalten; es war ein Mann in langem Hemd über dem Gewande, einen Ledergurt um die Lenden, schwarzen Zottelbart um Kinn und Wangen, er trug einen künstlich verfertigten Apfelbaum in der linken Hand; sogleich nach ihm trat die zweite Gestalt herein, ein Weib, das ebenfalls über dem Gewande Hemd und Gürtel trug, das Haupt aber mit einer Flachsperücke bedeckt hatte, deren Locken tief in den Nacken hinab fielen.

Meine Mutter neigte sich jetzt zu mir, drückte ihre flache Hand an meine Wange und sagte leise beschwichtigend: »Fürcht' dich nicht: es ist nur das Adam- und Evaspiel!«

Mann und Weib stellten sich neben der Türe auf, den Apfelbaum zwischen sich. Nun begann der Erstere (Adam), indem er, singend wie im Rezitativ, die Vorgeschichte des ersten Sündenfalles erzählte, eine an der Rückseite des Stammes angebrachte Kurbel zu drehen, die eine zwischen den Ästen hängende Schlange in Bewegung setzte; diese schoss giftige Blicke, fuhr hin und her und stieß unermüdet mit dem Kopfe gegen einen Apfel, als wolle sie sagen: »Der ist's; der wird dir's weisen!« Adam erinnerte an das Verbot des Herrn und warnte vor dem Genuss des Apfels, Eva aber war schwach genug, das Lob des schönen Apfels zu singen und Adam zum Genusse desselben einzuladen. In einer Arie erzählt sie, wie sie morgens bei schönem Sonnenschein an den prangenden Apfelbaum gekommen; ein Wurm sei von dem Ast gehangen, der habe gar freundlich gegrüßt und gesagt: »Hast du die rote Frucht da schon gekostet? Ei, iss davon, du wirst nicht sterben, vielmehr ewig leben und so viel sein als Gott selber!« Das habe sie sich gemerkt und rate nun, von der Frucht zu essen. Adam macht noch Einwendungen – bricht aber dann einen der Äpfel, genießt davon, lobt ihn über die Maßen – gibt auch der Eva davon zu kosten; – da ist er plötzlich einer Ohnmacht nahe, indem sich alles vor seinen Augen ändert. »Unglückseliger Tag!« ruft er: »Der Teufel hat uns ganz betrogen!« Bei diesen Worten flog die Türe nach der Vorflur auf und mit einem grimmigen Getöse schoss der Satan herein, verhöhnte die Unglücklichen, schwang ein rot angestrichenes Schwert und sang:

»Nun sollt ihr zittern und erblassen,
In den Tod geh'n und das Paradies verlassen!«

Adam und Eva knickten zusammen und stimmten ein Schlussklagelied an; es klang von arger Reue und zählte die Mühseligkeiten auf, unter denen sie fortan leben und ihr Brot erwerben müssten!

Das Spiel war zu Ende. Adam, Eva und der Teufel, aus der Rolle fallend, sagten jetzt in gewöhnlichem Tone, demütig: »Bitten schön auch um was!«

Meine Mutter machte eine Gabe zurecht, der Vater aber wendete sich vom Ecktisch nach der Türe und sagte:

»Wo zu Haus, ihr Leut'?«

Das erste Ehepaar nannte einen Ort der Oberpfalz.

»Merk's, merk's«, erwiderte der Vater: »Sind wackere Leut', auch lutherische dort!«

»Wir sind katholisch«, versicherten Adam und Eva – und auch der Teufel – treuherzig bescheiden.

Mein Vater lachte und sagte zu letzterem: »Das ist dein Glück, so kannst du auch noch einmal durch den Schornstein zur ewigen Seligkeit ausfahr'n! ...


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