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6.
Die Volksversammlung auf der Pfingstweide. Versuch der Sprengung des Parlaments.

Am folgenden Tage, Sonntag nachmittags, fand die angekündigte Demokratenversammlung auf der Pfingstweide statt, bei der ich, von einer gewissen Neugierde getrieben, als Zuschauer erschien. Die Versammlung war zwar zahlreich besucht, machte mir aber einen keineswegs imponierenden Eindruck, da ich von Wien kam, wo die auftretenden Massen an Zahl weit großartiger und, wie die Erfolge bewiesen, kriegerisch praktischer auftraten, indem sie, vom 13. März abgesehen, immer blitzschnell und wohlbewaffnet erschienen. Was auf der Pfingstweide erschien, waren meist blutjunge Leute mit demokratischen Hüten auf den Köpfen und moderne Spazierstöckchen in den Händen; die von einer Tribüne sprechenden Volksredner, darunter auch Abgeordnete, ernteten vielen Beifall, den meisten diejenigen, welche am Grundmäßigsten aufwühlten und am Deutlichsten darauf anspielten, dass mit dem »parlamentarischen Possenspiele« rasch und sauber aufgeräumt werden müsse. Als in diesem Sinne eine Resolution beantragt und aufgefordert wurde, diese durch Aufheben der Hände anzunehmen und zu beschwören, nahm die Szene eine unfreiwillig lächerliche Gestalt an, indem die ganze Versammlung statt der Hände die Spazierstöcke aufhob und die Luft von roten, schwarzen, gelben und weißen Holzstäbchen erfüllt war. Der Heiterkeit, die bei diesem Anblick das Publikum zu weithin schallendem Gelächter hinriss, folgte leider schon am nächsten Tage ein erschütterndes Ereignis, das noch Wochen lange tief betrübend nachwirkte, die Heftigkeit der Parteigegensätze aufs Äußerste antrieb und die Existenz des Parlamentes endlich zu jenem Ende trieb, das die Verschwörer, wenn auch in anderm Sinne, beabsichtigt hatten ...

Die Parlamentssitzung am folgenden Tage begann in der herkömmlichen Weise, ohne bemerkbare Aufregung und ohne Anzeichen, dass man vor einem bedenklichen Ereignis stehe. Freiherr v. Gagern hatte wohl absichtlich einige unwichtige Angelegenheiten an die Spitze der Tagesordnung gesetzt, um die Gemüter der Paulskirche in einer ruhigen, vertrauensvollen Stimmung zu erhalten, nachdem außerhalb derselben eine unverkennbare Aufregung herrschte. Man sprach in der ganzen Stadt von dem offenen Geheimnis, dass schon heute der Tag gekommen sei, an dem der Sturm gegen das Parlament losbrechen solle, vom Lande lief Botschaft um Botschaft nach der Stadt, dass die Revolutionäre aller Gattungen, besonders Turner, sich bewaffnet versammeln und gegen die Stadt in Bewegung setzen, wo die im Einvernehmen stehenden Gesinnungsgenossen sie erwarteten. Wie in solchen Lagen immer, hatten Wahrheit und Übertreibung sich so unentwirrbar durchdrungen, dass der Glaube wie der Zweifel an einem bedeutsameren Ereignis sich die Waage hielten. Im Parlamente wurde die Tagesordnung ruhig und trocken verhandelt, den Abgeordneten merkte man nur an, dass ihre Gedanken mehr an die Dinge außer der Paulskirche als an die Vorträge von der Rednerbühne dachten; ab und zu kamen Abgeordnete von außen und brachten ihren Gesinnungsgenossen Nachricht, was öfter größere Erregung unter einzelnen Gruppen des Hauses hervorrief, namentlich unter den Gruppen der äußersten Linken. Zwischen elf und zwölf Uhr entstand auf der rechten Seite des Hauses eine ungewöhnliche Unruhe, um diese Stunde erschienen dort an der Ausgangstüre geheimnisvolle Berichterstatter, die sehr bedenkliche Nachrichten bringen mussten, denn die ganze Seite der Rechten und des rechten Zentrums war mit einem in besorgnisvoller Aufregung, man eilte nach der Ausgangstüre, suchte sie zu verbarrikadieren, mit den Rücken zu decken und laut sich zuzurufen. Dies rief auch in den übrigen Räumen eine größere Bewegung hervor; man fragte nach dem Grunde der Aufregung und wurde durch einen nun entstehenden dumpfen Lärm vor der Türe der rechten Seite, bald auch durch heftige Schläge und Stöße von Außen aufgeklärt genug. Die Aufrührer waren da; sie wollten ihr Werk erst bei der meist verhassten Seite des Hauses beginnen und dann weiter in der Versammlung aufräumen. Der auf der Tribüne stehende Redner unterbrach sich, der Präsident v. Gagern sah mit erwartungsvoller Ruhe nach dem Schauplatze der Unruhe, im Zuschauerraume begann das Durcheinander eines Fluchtversuches, der nur darum nicht zu einer allgemeinen Auflösung der Ordnung kam, da man sich doch in der Paulskirche noch am sichersten wusste. Aber rasch, wie die Aufregung und der Lärm auf der rechten Seite des Hauses begonnen hatten, fingen sie an, sich wieder zu legen; von dem Kirchenplatze herein wurde das taktmäßige Auftreten des Militärs vernommen, die Aufrührer zogen sich flüchtend von der Paulskirche zurück und mit dem Aufziehen der Militär-Posten vor den Eingängen der Kirche war das Parlament, so schien es, nicht bloß für den Augenblick gerettet. Man erfuhr nun, dass die Schläge und Stöße an die geschlossene Türe der Rechten wirklich von Gewehrkolben und Knütteln der anstürmenden Aufrührer herrührten, dass die Türe bereits zu weichen im Begriffe war und dass der Einbruch in das Parlament nur durch das rechtzeitige Einschreiten des Bundeskontingents noch verhindert worden war.

Eine längere Pause unterbrach die Verhandlung der Tagesordnung, man hatte zu sehr mit Fragen und Erkundigungen zu tun, ein Teil der Abgeordneten verließ die Paulskirche und kam mit den buntesten Nachrichten zurück; danach waren die Aufständischen in entferntere Straßen der Stadt und außerhalb derselben in die Gärten der Villen zurückgedrängt, aber keineswegs entmutigt, ihr ernsterer Angriff müsse erwartet werden und drohe umso verhängnisvoller zu werden, als der Zuzug von Bewaffneten immer rascher und in dichteren Scharen eintreffe; alle Haustore und Kaufläden seien geschlossen und die Besorgnisse in der Bevölkerung groß. Während diese Nachrichten durch die Räume der Paulskirche liefen, gab die Glocke des Präsidenten das Zeichen zum Wiederbeginn der Tagesordnung, und die Verhandlung wurde unter großer Teilnahmslosigkeit und Unruhe fortgesetzt; aber schon nach ein Uhr sah sich Herr v. Gagern veranlasst, die Sitzung für heute ganz zu schließen. Alles beeilte sich, die Paulskirche zu verlassen und die Wohnungen oder Gasthofe aufzusuchen, da die Zeit des Mittagstisches nahe war. Auch wir, eine größere Gesellschaft von Abgeordneten, die gemeinsam in einem nicht weit entfernten Gasthofe zu speisen pflegten, begaben uns zu unserem Mittagstische, von den Dingen, die erwartet wurden, nicht sonderlich bewegt. Die Tischgesellschaft hatte sich bereits vollzählig versammelt, und die Kellner begannen aufzutragen, als die äußern Läden der Gaststube plötzlich heftig geschlossen wurden, einzelne Schüsse gehört wurden und rund um den Gasthof in den engen Straßen mit Blitzesschnelle Barrikaden entstanden. Der Wirt und die Kellner berichteten: »Der Kampf geht los! Er zieht sich in die engen Straßen herein! Sehe jeder, wie er sich am besten vor Gefahr bewahre!« Diese Worte und das rasch zunehmende Gewehrfeuer erregten zwar einige Unruhe, aber niemand von den Gästen verließ die Tafel. Einige Damen bedeckten mir mit den Servietten die Augen und kreischten laut auf, als hie und da eine Kugel in einen Fensterladen schlug und Kanonenschüsse von der Zeile her verkündigten, dass der Kampf in der Stadt allgemein und ernst geworden war. Indem die Kellner zaghaft und unregelmäßig weiter bedienten, wurde zeitweise berichtet, dass auf den Barrikaden und auf dem Straßenpflaster bereits Verwundete und Tote liegen; als infolge heftiger Schläge das Haustor etwas geöffnet wurde, sah man knapp vor dem Tore zwei Soldaten (Österreicher) tot liegen, ein Turner, blass wie eine Leiche mit starren, wild leuchtenden Blicken trat zwischen das Tor, bat um ein Glas Wasser und lehnte, als man ihm Wein anbot, kurz und heftig ab; als er Wasser getrunken hatte, trat er wieder auf die Straße und war wohl bald auch das Opfer einer Kugel des immer heftiger werdenden Gewehrfeuers ... Als das Abenddunkel bereits eintrat, der Kampf sich weiter nach breiteren Straßen hinzog und um unseren Gasthof völlige Ruhe eintrat, wurde allseits überlegt, ob und wann es geraten sein werde, sich auf den Weg nach den teils weit entfernten Wohnungen aufzumachen; einige beschlossen im Gasthof über Nacht zu bleiben und mieteten Zimmer, andere, die durch das Andauern des Gewehrfeuers ganz entmutigt waren, beschlossen, sich auch ohne Zimmer im Gasthof zu behelfen, und die Mehrzahl begann Versuche zu machen, sich durch die seit dem Kampf ganz verödeten Straßen einen Weg zu suchen nach den Wohnungen. Zu diesen Gästen zählte auch ich; denn ich fand es unerträglich und für meine Wohnungsgeber beunruhigend, mich eine ganze Nacht hindurch von meiner Wohnung fern halten zu lassen. Also brach ich auf. Von zwei Gästen begleitet, die nach derselben Richtung wollten, verließ ich den Gasthof. Die toten Soldaten vor dem Gasthof waren bereits fortgeschafft; ich dachte schmerzhaft der armen Landsleute, die fern aus der Heimat hier, unwissend für was, ihr unschuldiges Leben gelassen hatten. Einige Barrikaden übersteigend und öde Straßenstrecken in der Dunkelheit durchwandernd, trafen wir einzelne Turner auf dem Rücken oder auf dem Gesichte ruhend, regungslos liegen; sie hatten ausgerungen; in den Mienen einiger herrschte noch der Ingrimm, der sie während des Kampfes beherrscht hatte, während andere bereits den Ausdruck milden, ewigen Friedens angenommen hatten ... Als wir bis an die Straße vorgedrungen waren, die aus der Stadt nach der Mainbrücke führt, glaubten wir schon aller Sorgen überhoben zu sein; denn nach Überschreitung dieser Straße waren wir bereits im Bereiche unserer Wohnungen. Aber es sollte anders kommen; denn in dem Augenblicke, als wir die Straße betraten, begann auf der Mainbrücke, von Sachsenhausen her kommend, ein heftiges Gewehrfeuer, dessen grimmige Kugeln über unsern Köpfen wegpfiffen oder neben uns in das Steinpflaster einschlugen. Das hessen-darmstädtische Militär war eben im Eilmarsche eingetroffen und begann seinen Vormarsch unter einem heftigen Kugelregen. Wollten wir nicht mutwillig unser Leben in den sichern Tod führen, so mussten wir auf den Weitermarsch über die Straße verzichten, zurückweichen und in einem der gedeckten Häuser Unterstand suchen. Das Letztere war aber nicht so leicht, da alle Haustore fest verschlossen waren. Nach einigen vergeblichen Versuchen um Einlass, öffnete sich endlich das Tor eines großen Hauses vorsichtig und nur so weit, dass ein Mensch mit einiger Not sich durchdrücken konnte; dann schloss es sich wieder, und wir standen in einem großen Hofraum, in dem sich schon früher eine größere Anzahl von Männern und Frauen angesammelt hatte. Indem wir uns unter einem Dachvorsprung aufstellten und unsern Betrachtungen nachhingen, begann das Gewehrfeuer der über die Brücke vordringenden Hessen wieder, und heftiger als zuvor und wurde von den Aufständischen sehr kräftig erwidert. Die Kugeln schlugen häufig unter unserm Dachvorsprung ein und fielen meist in Tellerform zerdrückt zu unseren Füßen nieder; wir hoben viele davon auf und nahmen sie, als der Kampf endlich nachließ und ganz aufhörte, als Erinnerungszeichen mit nach Hause ...

Am nächsten Morgen hatte Frankfurt wieder sein gewöhnliches Aussehen; die Barrikaden der breitern Straßen waren entfernt, die armen Opfer des Kampfes waren bei Seite geschafft und die Wege nach allen Richtungen der Stadt wieder frei; nur in den Straßen, wo der Kampf am schärfsten geführt worden war und wo neben dem Gewehrfeuer auch Kanonen in Aktion gekommen waren, wie in der Hauptstraße, der Zeil, bildeten noch zertrümmerte Fenster, weggeschossene Ecken der Häuser und zahllose in den Wänden steckende Gewehr- und Kanonenkugeln redende Andenken an den überstandenen Kampf; in der Apotheke auf der Zeil waren alle Fenster und Türen durchschossen, und die Kugeln, welche ins Innere gedrungen waren, hatten alles zertrümmert, was sie trafen, und ruhten nun zwischen Apothekerfläschchen und Büchschen friedlich in den Wänden ... Der Kampf war ganz vorüber; die Aufständischen waren nicht nur in der Stadt geschlagen, sondern auch aus der nächsten Nähe der Stadt vertrieben, nicht ohne vorher noch grausame Angedenken an ihre Anwesenheit zu hinterlassen. Was schon in der Nacht vielfach verbreitet worden war, kam am Morgen zu allgemeiner Kenntnis, dass die zwei Parlamentsdeputierten, Fürst Lichnowski und General Auerswald, am Vorabend des Kampfes auf der Bornheimer Heide in die Hände der Freischaren geraten und grauenerregend ermordet worden waren. Die Anregung zu dem Ritt unter die fanatisch erregten Feinde soll Fürst Lichnowski in übermütiger Verwegenheit und Missachtung der Gegner gegeben haben …


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