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5.
Stillleben. Bewegte Tage.

Spielte kein solcher Zwischenfall in unsere Hausordnung herein, so vollzog sich dieselbe in selbstbestimmter herkömmlicher Weise.

Nach der Morgensuppe und dem gemeinschaftlichen Gebete ließ sich der Vater wieder am rasch gesäuberten Ecktisch nieder und erteilte den Knechten und Mägden, die stehend warteten, die nötigen Weisungen für den Tag. Diese Weisungen lauteten gewöhnlich kurz und bestimmt, zuerst für die Knechte, dann für die Mägde; Bemerkungen oder Bedenken wurden wohlwollend angehört und berücksichtigt oder abgelehnt. Für die Mägde hatte gewöhnlich auch die Mutter noch eine Bemerkung, die sie vorbrachte, indem sie bis in die Mitte der Stube vortrat; solche Bemerkungen fanden immer den Beifall des Vaters.

Hatten sich Knechte und Mägde entfernt, so trat für meinen Vater ein kurzer, kaum eine Stunde dauernder Zeitabschnitt ein, der ihm, wie er oft bemerkte, der angenehmste des Tages war. Es war eine Zeit beschaulichen Nachdenkens über Angelegenheiten des Hauses, der Familie, der Gemeinde und mancher Personen der Umgegend. Denn der Vater war weit und breit bekannt, gesucht und geachtet. Fast kein Tag verging, ohne dass jemand kam, sich Rats zu erholen, Vermittlung zu suchen in Streitangelegenheiten, insbesondere bei Amt, wo mein Vater etwas galt und den Bedrängten oft und wirksam beistand.

Indem nun der Vater am Ecktisch saß, rechts die schwarze Dose, links das blaue Schnupftuch, richteten sich die nachdenklichen Blicke gewöhnlich nach dem nervös zappelnden Pendel der Wanduhr; dann und wann griff die rechte Hand wie in Gedanken nach der Dose, die leise knirschend geöffnet und wieder geschlossen wurde, die geholte Prise musste manchmal lange zwischen den Fingern harren, bis sie der Stelle ihrer Bestimmung zugeführt wurde, schneller ging dies, wenn mein Vater das Töpfchen Kaffee, das ihm die Mutter um diese Zeit vorsetzte, getrunken und dadurch, wie er sagte, den Kopf recht aufgefrischt hatte. Dann begann auch bald die rechte, bald die linke Hand auf dem Tische zu trommeln, zum Zeichen, dass die Gedanken reger sich einstellten. Und da war es oft merkwürdig, dass der Vater wie vorahnend eben an dieselbe Person gedacht hatte, die zuerst erschien und seine Beschaulichkeit störte. »Eben recht«, pflegte er dann zu sagen: »Hab' gerade überlegt, wie wir's machen werden«, und nun folgte Frage und Antwort und ein Auftrag oder guter Rat ...

Waren Händler angesagt, so war der erste, der erschien, der Federnstauber, der aus dem Gewölbe in Papiersäckchen die verschiedenen Sorten: »Pflam« (Flaum), »Schleiß« (geschlissene Federn), »Wassala« und so weiter brachte und als Muster vor den Vater hinlegte. Da es seine Aufgabe war, die Federn zu sortieren, das heißt, sie im Gewölbe mittelst einer Schaufel vor sich hinzuwerfen, so dass die leichteren Federn näher, schwerere weiter niederfielen, der Flaum aber zunächst sich erhob und neben oder auf dem Stauber selbst sich niederließ, so erschien der Mann stets als heller Papageno, indem Mütze, Haare, selbst Augenbrauen und der ganze Anzug voll Flaumfedern hingen. Wir Kinder hatten dann nichts Eiligeres zu tun, als den Mann zu umringen und der Federn zu berauben, die dann in die Luft geblasen und unter Hallo wieder eingefangen wurden; der Lärm und Jubel wurde gewöhnlich so groß, dass Vater oder Mutter Ruhe gebieten musste; diese Ruhe trat aber von selbst ein, wenn die angemeldeten Händler erschienen und an dem großen Ecktisch sich niederließen.

Denn das waren gar merkwürdige Männer, viel in der Welt herumgekommen, redegewandt, hitzig und verschlagen, und wenn sie mit der Unterhandlung begannen, tolldreist und fast gewalttätig. Verschüchtert saßen wir Kinder dann in einer fernen Ecke und horchten, staunten und waren voll Schrecken und Sorgen für den Vater, der nur selten lebhafter wurde, im Allgemeinen ein angenehmes Gleichmaß der Rede und Gegenrede einhielt; ich hätte oft gewünscht, dass der Vater ebenfalls energischer auffahre, wenn Faustschläge auf den Tisch fielen, wilde Reden hin und wieder fuhren; aber der Vater wusste, was er tat. Schweigend lehnte er sich zurück, nahm langsam eine Prise, reichte dann und wann einem, der schwieg, Feuer für seine Pfeife – geraucht wurde immer, dass die Stube in blaugrauen Wolken schwamm – und sagte endlich, wiederholt um seinen Entschluss bestürmt: »Zum Verlieren ist immer Zeit, lassen wir's!« Dabei reichte er die offene Dose lächelnd dem Gegner hin, der ablehnte – aber doch angriff – mit Daumen und Zeigefinger tief in der Dose wühlte, die Riesenprise halb schnupfte, halb wegwarf – und nach kurzem Geplänkel gegen ein geringfügiges Nachgeben des Vaters – den Kauf abschloss. Dabei ist es mir aufgefallen, dass der Vater gewöhnlich mit den heftigsten, verwegensten Gegnern zuerst Handeleins wurde; das hatte aber, wie ich bald herausfand, seinen guten Grund. Denn diejenigen, welche ihren Kauf in Ordnung hatten, suchten gewöhnlich bei den Verhandlungen mit den übrigen Händlern im Interesse meines Vaters zu vermitteln und führten zu schnelleren Abschlüssen, als es sonst der Fall gewesen wäre ... Ganz anders gestalteten sich die Dinge nach der Heimkehr der Händler aus dem »Gäu«, das heißt aus den Gauen des deutschen Reiches, der Schweiz, Tirols, der Niederlande usw. Die Händler erschienen dann gewöhnlich einzeln, den großen Geldgurt um den Leib, es galt Rechnung zu legen und die auf Kredit genommene Ware zu bezahlen. Da ging es anfangs so gewiss feierlich her: man begrüßte sich ernsthaft, besprach dann die Zeitverhältnisse, die immer so schlecht als möglich gemacht wurden, endlich wurde der schwere Geldgurt abgeschnallt und dröhnend auf den Tisch geworfen, denn er enthielt nur Silberstücke, Taler, Gulden, Vierundzwanziger. Aber ausbezahlt wurde dann noch lange nicht; es schien das Leben an jedem Geldstück zu hängen. Erst wenn der Vater aus seinem Geschäftsbuch die Summe mit Kreide auf den Tisch geschrieben hatte, wurde der Inhalt des Geldgurts in eine große Schüssel geleert und aus dieser in geschlossenen Reihen die Silberstücke auf den Tisch gezählt, der oft, so groß er war, damit bedeckt erschien. »Kinder, wie viel Geld ist auf der Welt!« pflegte dann die Mutter manchmal leise zu sagen, beim Kochen innehaltend und nach den Geldsummen sehend. Die Zahlungen schlossen aber nicht ohne lärmenden Auftritt ab, denn die Händler suchten von der Zahlsumme stets einen kleinen Betrag zurückzuhalten als Belohnung für ihre pünktliche Rechnungslegung unter Hinweis auf die schlechten Zeiten, aus der Notwendigkeit, den Käufern Kredit zu gewähren. Der Widerstreit schloss dann gewöhnlich mit einer gelinden Nachgiebigkeit des Vaters und einem heftigen Hinfeuern der noch zu zahlenden Silberstücke auf den Tisch ... War dies geschehen, so trat für uns Kinder eine liebe, erfreuliche Wendung ein. Die Händler wurden plötzlich liebenswürdig und rückten, während der Vater die aufgezählte Summe in eine hölzerne Schüssel strich, mit kleineren Geschenken heraus, die sie uns aus dem »Reich« mitgebracht hatten. Nürnberg, Augsburg, Koblenz, Köln und Frankfurt, welche bei solchen Gelegenheiten zumeist genannt wurden, haben sich seitdem mit einem Märchenschimmer in meinem Gedächtnis erhalten; sie bildeten die ersten Wunderstätten des »Reiches«, welche die kindliche Fantasie festhielt, ausschmückte, bewunderte ... Merkwürdiger Weise war es gerade ein Händler von wildem, abschreckendem Aussehen, der mir einst das holdeste aller Geschenke aus Nürnberg überbracht hat ...


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