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16.
Zu fernem Walddorfe. Neue Versuchsbahnen. Zeitgenossen. Adalbert Stifter. Friedrich Halm.

Da ich vor Ablauf der Ferien nach Wien zurückgekehrt war, wanderte ich sogleich nach dem schönen, damals noch aus einfachen Bauernhütten bestehenden Walddorfe Kaltenleutgeben, wo meine gütige Beschützerin, Frau v. Planer, mit ihren Kindern bescheidenen Aufenthalt genommen hatte, um ihrer und der Gesundheit ihres Sohnes Theodor den Genuss kostbarer Land- und Waldluft zu verschaffen. Auf beide Patienten hatte der Aufenthalt bereits sehr heilsam gewirkt, und wir durften uns auf den heitersten, wenn auch nur kürzeren Ausflügen ergehen. Mit den Zöglingen hatte ich bald auch anregende Spiele und Affairen vor, ein entdecktes, reichbewohntes Wespenlager am nahen Bachufer, das wir mit großer Tapferkeit bekämpften und, obwohl vielfach verwundet, mit Steinen und Rasenstücken endlich ganz überwältigten und unschädlich machten.

Gegen Ende September begann der Rückzug nach Wien und unsere städtische Einordnung in Familie, Geschäfte und Schulen. Die Zöglinge rückten je eine ihrer Klassen höher hinauf, Freund Theodor, wieder frisch und kräftig, war nun seinen Lieblingsstudien, Gesang und Malerei, ganz hingegeben, und ich suchte meine juridischen Hörsäle auf.

Meine Schilderungen »Aus dem Böhmerwalde« hatten inzwischen in Österreich und Deutschland zahlreiche aufmunternde Besprechungen erlebt, und einige jener Verleger in Wien, welche mich bei meinen ersten Verlagswanderungen unbeachtet gelassen hatten, erwiesen mir nun die Ehre, mich um ein neues Manuskript für ihren Verlag zu ersuchen.

Eine Nachricht aus Berlin erregte mir eine ganz besondere Freude. Einer unserer literarischen Freunde, Dr. Adolf Wiesner, hatte eine Studienreise nach Deutschland unternommen und war auch nach Berlin gekommen. Unter den damals in Berlin lebenden Berühmtheiten besuchte er auch Jakob Grimm, auf dessen Arbeitstische er meinen Band »Aus dem Böhmerwalde« fand. Als Jakob Grimm hörte, dass der eben vorsprechende Fremde aus Österreich, aus Wien komme, griff er freundlich lächelnd nach meinem Bande und sprach sich auf das Anerkennendste über die Schilderungen desselben aus. »Wieder eine willkommene Entdeckung aus unserm geliebten Volksleben«, sagte er, »mich freut es besonders, dass die Gabe von einem jungen Österreicher kommt. Grüßen Sie ihn, wenn Sie nach Wien zurückkommen!« Freund Wiesner meldete mir die erfreuliche Nachricht nicht erst bei seiner Rückkehr nach Wien, sondern beglückwünschte mich schon brieflich aus Berlin, indem er hinzufügte: »Beneidenswerter Freund, dessen Name bereits rühmlich im Umlauf ist, während er ruhig daheim sitzt und ungestört seinen literarischen Arbeiten lebt!«

Unter den neuen Bekanntschaften, die ich in den Kunst- und literarischen Kreisen Wiens damals machte, befand sich vor allen die Adalbert Stifters, des Verfassers der ausgezeichneten »Studien«. Stifter, der als vortrefflicher und hochgebildeter Mann zuerst mit leidenschaftlicher Vorliebe sich der Malerei gewidmet und in dieser Kunst auch wohlausgeführte Bilder vollendet hatte, war erst jetzt zur Entdeckung seines noch bedeutsameren Schriftsteller-Talentes gekommen und stieg in Folge seiner veröffentlichten »Studien« rasch im Ansehen und in der Verehrung des Lesepublikums. Anmutend und anregend wie seine literarischen Arbeiten waren auch die geselligen Eigenheiten des vortrefflichen gemütvollen Mannes und wo Stifter nicht fehlte, da war man der heitersten und anregendsten Unterhaltung gewiss, oft bis in die spätesten Stunden der Nacht.

Gleichzeitig mit Stifter lernte ich einen jungen Mann kennen, der mit seinen literarischen Arbeiten, meist Novellen, noch nicht in die Öffentlichkeit gedrungen, wohl aber in geschlossenen Kreisen durch Vorlesung seiner Arbeiten bekannt und geschätzt worden war. Er hat sich später einen bedeutenden Namen erworben als Reichstagsabgeordneter und auch als Schriftsteller. Dies war Alexander Schindler. Durch die langen Jahre seiner öffentlichen Wirksamkeit den liberalen Prinzipien treu, hat er während der heftigsten parlamentarischen Kämpfe tapfer, geistreich und witzig gegen die vielnamigen Gegner gestritten, insbesondere gegen die ultramontanen Kämpen, allen voran gegen den rüstigsten derselben Pater Greuter aus Tirol. Seinen am Ende seiner parlamentarischen Laufbahn schwer angegriffenen Namen hat Schindler durch Veröffentlichung trefflicher literarischer Arbeiten wieder aufzufrischen gewusst; diese dürfen zu den besten novellistischen Leistungen der deutschen Literatur gezählt werden. Als witziger, anregender Gesellschafter und schlagfertiger Debatter in literarischen Kreisen war mir Schindler schon in seinen jungen Jahren aufgefallen, und wir standen uns nahe bis zu stillem sechzigsten Lebensjahre, wo er einem hartnäckigen Nervenleiden erlag.

Aus der Menge junger, strebsamer Leute begannen damals bereits als bedeutsamere Charakterköpfe aufzutauchen: Ferdinand Kürnberger, Anton Langer und Eduard Mauthner. Unsere anfangs nur flüchtigen Beziehungen wurden später, besonders zwischen Mauthner und Kürnberger und mir, andauernd fortgesetzt; doch blieb mein literarischer und später auch politischer Verkehr hauptsächlich auf die jungen Freunde beschränkt, die sich täglich im Caffee Geringer einfanden, zu denen bald auch J. N. Berger (der spätere Minister) und Johannes Landesmann (Hieronymus Lorm) gehörten.

Die Fortsetzung meiner akademischen Studien, die Erweiterung meines Verkehrs mit hochgebildeten Männern mannigfacher Berufsklassen und der andauernde Eifer im Studieren und Lesen hervorragender Werke der Kunst, Literatur und Geschichte führten mich nun auch oft in den Lesesaal der Hofbibliothek, wo ich infolge überanstrengender Bemühungen einige Male sehr merkliche und von der Natur wohlgemeinte Winke erhielt, meinen Eifer zu mäßigen, indem mich während des Studiums heftiger Schwindel ergriff und mich zwang, den Lesesaal zu verlassen.

Die wohltätige Erweiterung meiner geselligen Beziehungen zu Familien, die in guten Verhältnissen lebten und nach Wiener Art gar reichliche Unterhaltungen boten, trug viel dazu bei, mich vor einer bedrohlichen Einseitigkeit meines Lebens zu bewahren; namentlich war ich so glücklich, in dem Plauerschen Hause selbst die angenehmste Gelegenheit zu munteren Zerstreuungen zu erhalten, indem die Vorlesungen und die Besuche der Theater fortgesetzt, im Winter aber häufige und höchst vergnügliche Tanzvergnügungen veranstaltet wurden. Jeden Monat gehörte ein ausgiebiger Besuch der Gemäldegallerie im Belvedere zur Ordnung meiner Zeiteinteilung ...

Wohin mich mein Drang zu schaffen endlich hauptsächlich führen würde, wollte mir gar lange nicht ganz klar erscheinen. Kleine volkstümliche Geschichten mit charakteristischen Schilderungen zogen mich wohl zunächst an, befriedigten aber meine Schaffensliebe weitaus nicht genug. Die Lyrik, die ich in den Meisterleistungen unserer Dichtergroßen mit Begeisterung genoss, zog mich auch nicht andauernd genug zu Versuchen dieser Art hin. Dagegen erwachte der Drang, in dramatischer Form zu schaffen, sehr bald übermächtig und keine geringeren Muster als Schiller und Shakespeare, insbesondere Letzterer, dessen tragische Hauptwerke bei den Aufführungen im Hofburgtheater alles überboten, schwebten mir zur Nachbildung vor. Natürlich fielen diese dramatischen Versuche übel genug aus, und ich lernte daraus wenigstens erkennen, dass es verwegen und vom Übel sei, die schwerste poetische Kunstform, das Drama, schon in früher Jugend bemeistern zu wollen.

Dieser Einsicht ungeachtet wurde es mir sehr schwer, von dramatischen Versuchen ganz abzulassen, namentlich angesichts des Erfolges eines bis dahin noch unbekannten Dichters, Friedrich Halms, dessen Drama »Griseldis« recht zeitgemäß in die damals herrschende, weiche, weltschmerzliche Stimmung mit größtem Erfolge einschlug, wobei zwei berühmte Hofschauspielkräfte, Ludwig Löwe und Frau Julie Rettich, sich außerordentlich auszeichneten. Der Enthusiasmus, insbesondere der Frauenwelt für »Griseldis« riss auch mich hin und eine Strecke weit mit, so dass ich meinen dramatischen Idealen eine Weile entrückt und zu der neuen, Gemüt und wohlklingende Verse vorwiegend pflegenden Dramatik hingezogen wurde.

Eine dramatische Arbeit dieser Richtung, ein Fragment: »König Manfreds Kinder«, wurde in einem Wohlthätigkeits-Album abgedruckt und erregte in weiteren Kreisen freundliche Aufmerksamkeit; ein angenehmer Zufall wollte sogar, dass mir infolge dieser Aufmerksamkeit der Anteil einer Erbschaft zufiel, die ein Freund der Literatur bei seinem Tode für junge aufstrebende Dichter und Schriftsteller bestimmt hatte. Friedrich Halm, der Dichter der »Griseldis«, hatte über die Verteilung der namhaften Summe zu verfügen, und Adalbert Stifter erwies mir den Freundschaftsdienst, mich für die Beteiligung vorzuschlagen. Der Betrag, den ich erhielt, war für meine Verhältnisse namhaft und beglückte mich in hohem Grade; ich beschloss, behufs meiner Danksagung den Dichter Halm (Baron Münch-Bellinghausen) persönlich aufzusuchen und so dessen Bekanntschaft zu machen.

Münch-Bellinghausen führte damals, wenn ich nicht irre, den Titel Regierungsrat und hatte sein Bureau in einem alten Hofgebäude der Schauflergasse, wo er auch Besuche zu empfangen pflegte. Hier wollte ich ihm ebenfalls meine Aufwartung machen und meinen Dank sagen; allein als ich durch das enge Haustor getreten und eine Treppenabteilung hinaufgestiegen war, überfiel mich jene Schüchternheit, die mich so oft im Leben von entschiedenen Schritten abgehalten hat; ich kehrte wieder um und verließ das Haus mit dem bei solchen Gelegenheiten immer wiederkehrenden Gedanken, dass ein junger Mann sich nur nach anerkannten würdigen Leistungen berühmten Großen der Zeit zu nähern unterfangen dürfe ... Wundersame Fügungen des Schicksals! Fünfundzwanzig Jahre später trat ich täglich durch das enge Tor desselben grauen Hauses und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sich das Bureau des General-Intendanten der k. k. Hoftheater – des Barons Münch – befand; ich hatte als Direktions-Sekretär des Hofoperntheaters und als persona des Dichters unangemeldet Zutritt und amtlichen Vortrag ...


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