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II.
In der Kaiserstadt (Wien).

Neue Welt, Neues Leben.

1.
Nach Wien.

Mitte September 1836 fand mein Auszug in die weite Welt (so durfte ich meine Wanderung nach Wien wohl nennen) unter großer Bewegung vom Elternhause aus statt. Mutter, Geschwister, Verwandte, Knecht' und Mägde waren wieder, wie bei meiner Ausfahrt nach dem Gymnasium, vor Tagesanbruch um das Wägelchen versammelt und grüßten, weinten, reichten die Hände, als der vorgespannte »Braune«, vom Vater gelenkt, in Bewegung kam und zum Hofe hinaus schritt. Als Wandergenosse hatte sich ein früherer Dorf-Mitschüler, jetzt Schneidergeselle, eingefunden, der einige Wochen bei seiner Mutter auf Besuch gewesen und nun wieder nach Wien zurückkehrte. Bis Klattau wollte uns der Vater fahren, dann sollte die Reise zu Fuß fortgesetzt werden ... Solange die Dämmerung währte, blieben wir stille nebeneinander sitzen, jeder hatte mit sich zu tun, um Fassung zu finden und sein Gemüt zu beruhigen; mit Anbruch des Tages fanden wir die Sprache wieder, hüteten uns aber, etwas zu erwähnen das an unsern Zustand rühren konnte; nur Gegenstände, die an unserm Wege lagen, wurden besprochen; ich erinnerte mich lebhaft an die Ermahnungen, die der Vater vor sechs Jahren auf diesem Wege mir so herzbewegend nahegelegt hatte; heute unterließ er solche Ermahnungen, wohl aus Rücksicht auf die Gegenwart des Reisegefährten und in Erinnerung an meine treue Befolgung seiner früheren Lehren während der sechs Jahre auf dem Gymnasium. Neun Uhr vormittags mochte es sein, als wir in Klattau ankamen; wir fuhren aber nicht durch die Stadt, sondern lenkten vor dem Reichstore rechts ab, um unterhalb der Kaserne nach der Wiener Straße zu gelangen, auf welcher uns der Vater noch eine Strecke weiter fahren wollte. Hier erinnerte ich aber bald an den weiten Weg, den der Vater heute noch zurückzulegen hatte, bat ihn, stille zu halten, uns aussteigen zu lassen und umzukehren. Nach einigem Widerstreben tat er es, wurde blass und half uns absteigen. Als ich ihm die Hand zum Abschied reichte, wurde er von einer Schwäche befallen, lehnte den Kopf an die Mähne des Pferdes und zuckte ein paar Mal wie infolge eines innern Krampfes – dann half ich ihm wieder auf das Wägelchen, führte, während gewendet wurde, den Braunen am Zügel, und rief nun, als gewendet war, mein halb ersticktes Lebewohl. Ich hörte, während ich weiter eilte, nur noch ein paar gebrochen klingende Worte: »Brav – der gütige Himmel schütze – denk' an uns« ... und stürmte mit meinem Wandergenossen eine Anhöhe hinauf; erst ganz oben hielt ich einen Augenblick inne und sah nach dem Vater zurück, der tiefgebeugt auf dem Wägelchen saß und dasselbe langsam, und ohne aufzusehen, in der Richtung nach der Heimat lenkte. Schweren Herzens riss ich mich von dem Anblick des gebeugten Vaters los und schritt an der Seite meines Wandergenossen die Straße weiter, die in vielen Windungen talabwärts an Höfen, Dörfern und gutsherrlichen Landsitzen vorüberführt. Überall fand ich Gegenstände, die mich an die Heimat, an das Elternhaus erinnerten; eine Erle am Bach, ein Scheunentor, das im Winde knarrte, Hühner und Enten in den offenen Höfen, einfache Obstgärten mit reifenden Früchten – ich fühlte mich der Heimat noch nicht ganz entrissen, solange mir die Fremde so liebe, von Kindheit an vertraute Gegenstände bot; daher es auch nicht lange währte, bis sich meine Stimmung wieder hob und jenen Aufschwung nahm, der mich früher und später in den bedrängtesten Lagen stets vertrauensvoll mit Hoffnungen erfüllte, erquickte und stärkte. Das gedrückte Bild des heimkehrenden Vaters verwandelte sich bei dem Gedanken an einstige fröhliche Wiederkehr alsbald in die erfreuliche Erscheinung des durch mein Glück (ich wusste freilich noch nicht, welches?) gehobenen und erquickten Vaters; ich spann mich immer tiefer in ein goldenes Netz von beglückenden Hoffnungen ein, und die Wanderung ging frisch und munter von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag weiter. Mein Begleiter hatte, um an Auslagen zu sparen, einen schweren Laib Landbrot sich aufgebürdet und bat mich oft, an einem Rain oder Waldrand zu rasten, während ich, in einfachem Röckchen, den Spazierstock in der Hand und zwölf Gulden, ein für allemal in der Tasche, leichter ausgerüstet fürbass schreiten konnte. Kamen wir in die Nähe einer Stadt, so wurde außerhalb derselben halt gemacht, mit einer Bürste, die der junge Schneider mit sich führte, der Staub von unsern Kleidern gefegt und die Stiefel mit Zweigen oder Taschentüchern gereinigt; wir wollten nicht als bedrängte Wanderer bedauernd angesehen sein, besonders in Budweis, das uns sehr gefiel und das wir während eines längern Aufenthalts näher besehen wollten. In der Erzählung: »Eine Mutter vom Lande« habe ich, zehn Jahre später, ein Stimmungsbild dieser Wanderung sozusagen »lächelnd in Wehmut« wiederzugeben gesucht ... Unterhalb Budweis, nach der österreichischen Grenze hin, namentlich in dem durchaus deutschen Österreich selbst, wurde ich aufs Neue und lebhaft angeheimelt durch die noch vielfach vorkommende Volkstracht, wie sie in der Heimat üblich war, durch die Ähnlichkeit der Häuser und Gärten, ganz besonders durch das Gehaben der Leute und den anheimelnden Dialekt. Neu und höchst anziehend erschien mir der mehr und mehr gepflegte Weinbau und die vielen, sorgfältig angelegten Obstgärten. Es war ein fruchtbares Jahr; die Reben bogen sich von Trauben und die Baumzweige von Obst jeder Gattung – Wir begannen am vierten Tage eben einen Höhenzug der Straße hinauf zuwandern, als wir uns plötzlich von einem seltsamen Farbenschauspiele umgeben sahen; Uniformen aller Gattungen, von Hofgarden, Staatsbeamten, Offizieren und Hofdienern blinkten hinter uns, neben uns und bald auch vor uns, sie bildeten einen Teil des Hofstaates, der voll Prag kam, wo eben die Krönung Kaiser Ferdinands zum König von Böhmen gefeiert worden war. Eine lange Reihe von Landkutschen, die verlassen worden war, um den Pferden bergauf die Last zu erleichtern, folgte der lauten, fröhlichen Schar, die unter Scherzen, Lachen und Gesängen uns bald überholt hatte und oben, nicht ohne Gesellschaft munterer Frauenzimmer, im Waldesdunkel sich verlor ... Gegen Abend, etwas wandermüde geworden, sehnten wir uns besonders nach der Ruhe eines Nachtquartiers; mein Begleiter, der vor einigen Wochen von Wien her des Weges gekommen war, behauptete genau zu wissen, wie wir, die vielen Wendungen der Straße abschneidend, auf Feldwegen mindestens ein paar Stunden früher in das Nachtquartier gelangen könnten; ich war um dieses Vorteils willen gerne einverstanden und folgte meinem Begleiter anfangs munter, dann bedenklich, und als der Abend hereingebrochen war, sehr besorgt. Anfangs seiner Sache gewiss, endlich immer unsicherer, gestand mein Führer, die Richtung verloren zu haben; wir hielten sehr betroffen stille, forschten nach Licht und Lebenszeichen von Ortschaften, hörten aber nur aus weiter dunkler Ferne, gerade vor uns, das unheimliche Bellen von Hofhunden. Dieser Richtung beschlossen wir zu folgen, schritten, ja liefen mit dem Aufwand aller Kräfte, sprangen bald hier bald dort in tiefe Pfützen, die ein vorhergegangener Regen gebildet hatte und erreichten endlich fast erschöpft und in Kleidern, die von Nässe trieften, einen Ort, der an der vorüberführenden Landstraße liegt und Zuckmantel heißt. Das Wirtshaus, das uns beherbergen sollte, fanden wir leider von Gästen derart überfüllt, dass wir kaum Platz finden konnten. Rauch, Dunst und wüster Lärm erregten fast Unwohlsein, und doch konnte uns der Wirt für die Nachtruhe keinen andern Raum in Aussicht stellen als diese Wirtsstube. Resigniert ließen wir uns etwas Warmes zum Essen geben, tranken ein Glas Wein und suchten, als die Gäste sich größtenteils verloren, unser Lager auf, das aus Bündeln Stroh bestand, die aus umgelegten Stühlen, nach oben ein wenig erhöht, in der ganzen Stube herum ausgebreitet wurden. Wanderer, Hausierer, Fuhrleute und Zigeuner-Musikanten waren unsere Schlafgenossen rechts und links; ich sagte meinem Wandergenossen leise »gute Nacht«, wischte mir eine Träne aus den Wimpern und dachte: »Wenn mich die Mutter so sehen könnte!« Doch schliefen wir auch in dieser Lage erquickend bis zum anbrechenden Morgen, erhoben uns mit den Fuhrleuten, reinigten unsere Kleider und zogen nach Genuss eines Töpfchens Kaffee wieder munter von dannen ... Anfangs schien es uns, als wären wir so wandertüchtig wie bei Beginn der Reise, allein nach zwei bis drei Stunden fühlten wir die Folgen der überwundenen Beschwerden und mussten oft am Rande der Straße Rast halten. Gegen Mittag, als wir uns eben gelagert hatten, hielt eine Landkutsche, die unbesetzt war, neben uns an, und der Kutscher fragte, ob wir nicht Lust hätten mitzufahren; wir beschlossen, unsern Beinen eine Erleichterung zu schaffen und je einen Gulden zu opfern, stiegen ein und fuhren ein paar Stunden unsers Weges. Das Opfer an Geld sollte dadurch großenteils wieder hereingebracht werden, dass wir auf das Mittagessen verzichteten, was uns während des Hochgenusses der Fahrt nicht schwer zu fallen schien; allein da wir endlich gegen Abend den Wagen verlassen mussten und die Wanderung bis nach einem Nachtquartiere fortsetzten, überfiel uns ein Heißhunger, der uns zwang, das Mittagessen nachzuholen und ein Abendbrot hinzuzufügen; es war der schlimmste Tag für den Laib Landbrot, den der Schneider-Wandergenosse mitgeschleppt hatte, wir halfen ausgiebig zusammen, sein Gewicht zu erleichtern ... Auch wenn wir nicht gewusst hätten, dass wir dem Ziele unserer Reise, Wien, immer näher kamen, mussten uns die immer zahlreichern hübschen Ortschaften und die immer belebteren Wege und Straßen davon überzeugen. Wanderer, Fuhrwerke aller Art drängten in immer dichtern Reihen und Gruppen an uns vorüber, und in Korneuburg und Stockerau überraschten uns blitzschnell ab- und zufahrende Wiener Fiaker, die ein besonderer Anlass zahlreich dahin geführt hatte. Verwunderung, Staunen, ja Beängstigung überfielen mich bei diesen Erscheinungen erhöhten und drängenderen Lebens, und ich verlor mit jedem Schritte, der uns Wien näher führte, die Fähigkeit, das neue, fast wunderbar erscheinende Leben um mich her zu begreifen. So musste ich oft, während wir durch die Donauauen und am »Spitz« vorbei nach der langen Brücke und an den Tabor gelangten, mir in Erinnerung bringen, dass wir Wochentag haben, da zahlreiche Spaziergänger, einzeln und in Gruppen, in schönen Sonntagskleidern, singend und lachend uns umschwärmten und immer zahlreicher wurden, je näher wir der Vorstadt kamen. An der Taborlinie, an dem Mauthause, wussten wir kaum vorüber zu kommen, so groß war die Menge von Wagen, die untersucht wurden, von Menschen, die sich zu legitimieren und ihre Päcke, Karren und Kisten vorzuzeigen und zu öffnen hatten; die Szene glich dem Gedränge einer Schlacht, so lärmte, stritt, drängte und trieb alles durcheinander. Aber die Überraschungen steigerten sich bei der Fortsetzung unsers Weges. Wir hatten die Taborstraße erreicht und durchwanderten sie, umschwärmt von Menschen, die alle große Eile zu haben schienen, erschreckt von Wagen, die wie der Blitz an uns vorüberflogen oder, mit Lasten beschwert, dem knirschenden Pflaster ein ohrzerreißendes Geräusch entlockten ... In die Nähe der Kirche gekommen, an der die Taborstraße vorüberführt, lud mich mein Reisegefährte ein, bei einem Freunde vorzusprechen, der als Geselle in einer größern Werkstatt arbeitete, und uns bei ihm Kleider und Stiefel sorgfältig zu reinigen, da wir nach kurzem Marsche schon die innere Stadt, den Haupt- und Glanzpunkt Wiens, betreten sollten. Die Einladung wurde angenommen und nach kurzem Aufenthalt verließen wir, säuberlich gebürstet, den Freund meines Reisegefährten und setzten unsere Wanderung fort. Wir verließen die Taborstraße, wendeten uns rechts nach dem großen Kirchenplatz und betraten eine Straße, die am damals berühmten Vergnügungslokale »Sperl« vorüberführt; unser Ziel war die Augartenbrücke, die uns über den Donaukanal nach einer Allee gelangen ließ, quer über das Glacis nach dem Schottentore zu. Die Allee, die wir gingen sowie die das Glacis nach allen Richtungen durchschneidenden Wege waren außerordentlich belebt, der festtägliche Eindruck, den ich schon früher erhalten, wurde mit jedem Schritte mächtig verstärkt, die schön gekleideten Menschen, Frauen und Herren, schienen alle große Eile, aber keine Geschäfte zu haben, eine gewisse Heiterkeit und Lebenslust zeigte sich auf allen Gesichtern, viele sangen oder lachten, niemand trug etwas in den Händen, Spazierstöcke oder Sonnenschirme ausgenommen, die mehr zum Spiel als zu anderm Zwecke zu dienen schienen. In der Nähe des Schottentores, zu dem eine Brücke über den Stadtgraben führte, kamen zu den dahin führenden Alleen zwei Fahrstraßen, die, von Gefährten sehr belebt, an der Brücke zusammenliefen und über dieselbe durch das Tor nach der Schottengasse und weiterhin nach der »Freiung« führten. Eine Flut von Menschen drängte uns dem engen Tore entgegen; die schnellfahrenden Wagen machten Vorsicht nötig, meinem Staunen und Verwundern mengte sich Bestürzung bei, als bei der Wanderung durch die Schottengasse Schritt für Schritt ausgewichen werden musste, was der Wiener mit aalglatter Leichtigkeit vollführte, wir, vom Lande kommend, nur langsam und bedächtig, immer voll Sorge vor den knapp am Gehweg vorübersausenden Wagen, zuwege brachten; am Ende der Schottengasse, schon den Ausblick nach dem schönen, von Wagen und Menschen dicht belebten Platze »Freiung« genießend, sollte sich zu dem erstaunlichen auch ein heiterer Auftritt finden, indem zwei Karrenschieber einander begegneten und einer dem andern nicht ausweichen wollte. Sie sahen sich einen Augenblick herausfordernd an, ließen dann die Handhaben ihrer Karren fallen, erhoben sich in ganzer Länge und begannen mit ernsten Gesichtern unerschöpflich die drolligsten Schmähungen einander zuzurufen, die zuerst dem Aussehen, der Kleidung und äußern Umständen galten. »Mopperlnasen!« begann der eine.

»Schwammakappen!« erwiderte der andre.

»Schlampets Hirn!« fuhr der erstere fort.

»Schwitz' um s Eck'!« schrie der andere; und dann folgten:

»Karabinerschnauzen!« – »Fransets Loch am Knie!« – »Fürst von der Wanzenauer Lende!« – »Blader Fisolenf!« – »Mussierender Praterstern!« – »Scheckiger Flohstichwinkel!« und das hin und her würde noch lange kein Ende gefunden haben, wenn nicht die anschwellende Menge lachender Menschen die Straße gesperrt und Polizeimänner den Karrenschiebern gezeigt hätten, wie sie auch ohne Schmähungen an einander vorüberkommen können. Das Anschwellen von Menschen war so schnell vor sich gegangen, dass die Stauung bereits bis in die Teinfalt- und Herrengasse reichte, die Wagen aber in langer Reihe bis zum Platze »am Hof« zum Stillstand gezwungen waren. Verwirrt und geängstigt von dem außerordentlichen Schauspiel folgte ich meinem Wandergenossen und Führer, der Wanderstock geriet mir zwischen die Beine, so dass ich mir ihn selbst aus der Hand schlug, worüber die Fiaker in der Nähe in heiteres Lachen ausbrachen ... Wunderbare Fügung des Schicksals! Zwölf Jahre später, Mitte August 1848, fuhr derselbe zaghafte Wanderer, der beim Einmarsch die immer rege Laune der Fiaker so lebhaft erregt hatte, in einem ihrer Gefährte über denselben Platz und durch dasselbe Schottentor hinaus – als Abgeordneter des deutschen Parlamentes nach Frankfurt am Main! ... Ohne Ahnung einer so unfassbaren spätern Fügung folgte ich meinem Begleiter nach der Teinfaltstraße, die, damals enge und von hohen Häusern eingefasst, gewöhnlich wenig belebt war, heute von einem dichten Menschenstrome durchwogt wurde. Zahllose Neugierige eilten nach dem Franzenstore und von da links hinauf nach der Bastei und dem »Paradiesgärtchen«, um die Aussicht nach dem Glacis zu gewinnen, wo zwischen der Stadt und den Vorstädten die Garnison Wiens, etwa 20.000 Mann, in Parade aufgestellt war und vor dem Kaiser Revue passieren sollte. Mein Begleiter rief: »Das müssen wir sehen!« und so eilten wir in unserm Reiseanzug, von der heutigen Wanderung schon stark mitgenommen, dem Volksstrome nach und eroberten im Paradiesgärtchen auf der Festungsmauer eben zwei Plätze, als Kaiser Ferdinand mit glänzender Suite von der Hofburg her geritten kam, um die Revue abzunehmen ... Welch' ein Schauspiel, das ich kaum im Traume für möglich gehalten hätte! Wie blendeten die Uniformen! Wie stiegen die Pferde! Wie wallten die Federbüsche, wie schmetterten die Trompeten, wie entzückten die Musikbanden unter donnernder Mitwirkung der großen Trommel, als der Kaiser, der kleine liebe Herr in Marschalls-Uniform, auf prachtvollem Schimmel, feiner Suite etwas voraus, an die Spitze einer neuen Fronte vorritt! Wie groß und durchschauernd wurde die Wirkung erst, als der Kaiser sich dem Artillerie-Park näherte und die Kanonen das »Gott erhalte!« mitsangen, dass auf der Franzensbastei die Fenster klirrten und auch mitunter sprangen! ... Wir saßen noch sprachlos, wie träumend, auf der Mauer, als der Kaiser und die Suite bereits nach der Hofburg zurückgeritten und die Regimenter bis auf einen kleinen Rest vom Paradeplatz abgezogen waren; – da ertönte fröhliche Musik in der Nähe, das Orchester, das jeden Morgen im Paradiesgärtchen aufzuspielen pflegte, nahm sein unterbrochenes Spiel wieder auf, zahlreiche Gäste ließen sich in der Nähe der Musik unter schattigen Bäumen zu einem zweiten Frühstück nieder – alles schien sich in Heiterkeit und fröhlichen Genuss aufzulösen, während wir, mein Reisegefährte und ich, nach dem Franzenstor herab gingen, um über die Stadtgrabenbrücke nach dem Glacis und nach der Alservorstadt zu gelangen, wo sich unsere Absteigquartiere befanden. Drüben, an der Stadtgrabenbrücke saß ein alter Bettler mit einem kleinen Leierkasten, den er matt-mühselig drehte und aus dem er altväterliche Ländler wehleidig zu Gehör brachte, während aus der Orgel ein halbverhungerter Affe, in roter, zerschlissener Uniform, Federhut auf dem Kopf und einen Blechsäbel schwenkend, seine Exerzitien hielt, um die Vorübergehenden zu erheitern und zu einer kleinen Gabe zu bewegen; – auch ein Bild der großen Stadt neben der eben bewunderten glänzenden militärischen Szene! Ich folgte, von stillem Hinsinnen bedrückt, die Zukunft schüchtern überdenkend, meinem Führer nach der nahen Vorstadt – die müden Orgeltöne folgten uns noch lange bänglich zitternd auf dem Wege; – ich war in Wien – mit dem Rest von sechs Silbergulden in der Tasche – das Herz voll Beklemmung – aber auch voll von überschwänglichen Idealen! ...


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