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12.
Liebevolle Führung. Als Klostergast. Wiener Lebensfreudigkeit. Strauß und Lanner. Bruders Abschied.

Andern Morgens stand ich vor der Frau v. Planer. Sie hatte mich rufen lassen und sagte, nachdem sie mich lange ernst und nachdenklich betrachtet hatte:

»Sie haben um Aufnahme in ein Mönchskloster ersucht und haben die Zusicherung der Aufnahme erhalten?«

Ich verneigte mich bestätigend und tief verlegen.

»Und haben Sie sich auch schon bestimmt verpflichtet, in jenes Kloster einzutreten?« fragte die mütterliche Freundin weiter.

Ich verneinte dies.

Das ist gut. So haben wir freie Hand, Ihre betrübsame Übereilung wieder gut zu machen. Ich werde heute noch nach Klosterneuburg fahren und den Herrn Prälaten bitten, dass er sich für Ihre Aufnahme verwenden möge. Was Sie auch bewogen haben mag, urplötzlich sich in ein armes, weltvergessenes Kloster zu retten – ich will es nicht wissen; aber ich halte es für meine Pflicht, Sie vor einem Schicksal zu bewahren, das Sie für die Tage Ihres Lebens unglücklich machen könnte. Warten Sie also ab, was ich für sie erreichen kann; misslingen unsere Bemühungen und bleiben Sie das Opfer einer traurigen Schwermut, so mögen Sie später sich ganz nach eigenem Ermessen – selbst für das Mönchskloster – entschließen!«

Die edle Gönnerin fuhr nach Klosterneuburg, empfahl dem Prälaten meine Angelegenheit auf das Eindringlichste und kam mit der Nachricht zurück, dass meiner Aufnahme in das Stift seinerzeit die beste Protektion zuteil werden würde; zunächst aber wünsche der Prälat mich persönlich zu sehen, und dazu biete sich am nächsten Feiertage eine günstige Gelegenheit; es finde an diesem Tage eine große Kirchenfeier statt und nach derselben seien viele Gäste im Kloster zu Tische geladen. Unter diesen Gästen möchte ich mich mit dem Sohne der Frau v. Planer, Freund Theodor, einfinden und nach aufgehobener Tafel mich zwanglos und unauffällig dem Prälaten vorstellen.

Ich hörte die Nachricht mit stiller Rührung an und war am nächsten Feiertage mit Freund Theodor auf dem Wege nach Klosterneuburg, wo wir dem Gottesdienste beiwohnten und nach demselben im Speisesaale des Klosters unter zahlreichen Gästen, weltlichen und geistlichen, erschienen. Ein junger Kleriker, der den geheimen Auftrag zu haben schien, uns auszuforschen und bei Tafel wie nach derselben uns Gesellschaft zu leisten, fand uns alsbald heraus, nahm zwischen uns an der sehr reichlich besetzten Tafel Platz und machte nach der Tafel unsern liebenswürdigen Gesellschafter und Führer. Wurden wir vor Beginn der Tasel durch ein auf einer Tribüne von einem jungen Kleriker vorgelesenes Gebet noch lebhaft erinnert, dass wir uns in einem priesterlichen Hause befanden, so nahm nach aufgehobener Tafel alles die Form angenehm weltlichen Lebens an; die Gäste wurden nach dem schönen Klostergarten geführt und dort bei herrlichstem Wetter ganz im Freien oder in Lauben mit Kaffee bedient. Der junge Kleriker, unser liebenswürdiger Begleiter, führte uns nach einer schattigen Laube und sagte uns, dass in freien, heitern Stunden die Herrn Stiftsgeistlichen ihrer guten Laune keinen Zwang anlegen und die Räume des Gartens nach beliebten Wiener Vergnügungsplätzen – so z. B. die Laube, in der wir uns befanden, »zum Sperl« benennen. Wir waren sehr vergnügt, und dazu trug die kurz zuvor noch im Tafelsaale erfolgte Vorstellung beim Prälaten bei. Der hochgewachsene, sehr ehrwürdig sich darstellende geistliche Würdenträger zeigte sich überaus wohlwollend, befragte uns über den Erfolg unserer Studien, munterte uns zu weiteren Erfolgen auf und entließ uns mit dem Auftrag, der Frau v. Planer viele Empfehlungen auszurichten.

Der Aufenthalt im Klostergarten mochte eine und eine halbe Stunde gedauert haben, als die Gäste freundlich eingeladen wurden, das Konzert anzuhören, das in einem schönen Saale des Stiftes stattfinden sollte. Ich war auf das Freudigste überrascht, unter den Mitwirkenden des Konzertes Meister Clement auftreten zu sehen, der durch ein paar Bravourstücke auf seiner Violine die Zuhörer wahrhaft entzückte ...

Auf das Angenehmste befriedigt, kam ich mit meinem Freunde nach Wien zurück und hatte, obwohl es bereits spät Abend geworden war, noch Gelegenheit, meiner mütterlichen Gönnerin Bericht zu erstatten über unsere freundliche Aufnahme im Kloster. Frau v. Planer war über die gute Stimmung, in der ich berichtete, sehr erfreut und sagte: »Nun aber fort mit Ihren trüben Gedanken, die Sie auf Ihrem Lebenswege nur stören; leben Sie in der angenehmen Hoffnung, einst Mitglied dieses schönen, reichen Klosters zu werden; Sie werden mirs noch danken, dass ich Sie vor dem Schicksale bewahrt habe, in einem licht- und freudlosen Mönchskloster lebendig begraben zu werden!«

Ich fühlte schon jetzt, wie viel Grund ich hatte, Dank zu empfinden; ich gab mir auch alle Mühe, trübe Gedanken abzuwehren und namentlich mein Herz in angemessenen Schranken zu halten. Rieserl sollte mir eine liebe Freundin bleiben für mein Leben, und wie ich bisher durch kein Geständnis die Leidenschaft meines Herzens verraten hatte, so sollte künftig der Schleier des Geheimnisses mein Leiden und Kämpfen nur tiefer und sorgfältiger verhüllen.

Um mein kämpfendes Herz durch guten Humor zu stärken, suchte ich in Kunst und Literatur besonders heitere Werke aus, lernte Hogarths sinnreiche Zeichnungen kennen, ergötzte mich an den grassen Witz- und Schlagworten in Webers »Demokritos« und wurde entzückt von Shakespeares heiteren Stücken, insbesondere von den Fallstaffiaden in den »Lustigen Weibern« und in Heinrich dem Vierten und Fünften. In gute und poetische Stimmung versetzten mich Grimms deutsche Märchen und ein wahres Labsal bereiteten mir die damals sehr beliebten Umrisse von Retsch zu Schillers Gedichten. Auch im Hofburgtheater suchte ich jetzt heitere Stücke auf und in den Vorstadttheatern gute Volksstücke und Possen. Raimunds »Der Bauer als Millionär«, » Der Alpenkönig und der Menschenfeind« und » Der Verschwender« hatten bald mein ganzes Herz gewonnen. Zeitweise war es mir, als wäre die ganze liebenswürdige Wiener Lebensfreudigkeit in mich eingezogen; ich konnte mit meinem Freunde Theodor ganze freie Sommerabende in Gärten, wo Strauß oder Lanner spielten, in heiterster Stimmung sitzen und den köstlichen Melodien der genannten Meister lauschen. Umso befremdender musste es Frau v. Planer erscheinen, als sie mir eines Tages begegnete und mich ganz niedergebeugt und tieftraurig fand.

»Was ist das wieder?« rief sie, meiner ansichtig. »Hat Sie der alte Schwersinn wieder erfasst und in Ihr graues Unglück zurückgestoßen?«

»Ich habe eben von meinem Bruder Abschied genommen«, sagte ich verlegen. »Ich werde ihn einige Jahre nicht wieder sehen; es geht mir nahe!«

So war es auch.

Mein Bruder musste als Militärschüler des Josefinums nach damaliger Vorschrift seine Studien unterbrechen und zu einem Regimente in die Provinz abziehen, um ein paar Jahre praktischen Vorübungen seiner künftigen ärztlichen Praxis zu widmen. Seine erste Station war Rezow in Galizien. Der Abschied hatte uns wirklich sehr ergriffen, und ich vermisste den Bruder lange Zeit, da er mir in allen wichtigeren Angelegenheiten (mit Ausnahme der sorgfältig verschwiegenen Angelegenheit meines Herzens) ein gar treuer und lieber Ratgeber gewesen ...


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