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I.
Elternhaus und Jugendjahre.

1.
Ein Lebenslichtlein wird angezündet.

Die ersten Nachrichten über mein Leben habe ich aus dem Munde unsers Oberknechts, Maxenz, so hieß er, teilte mir (»als bereits ein gescheites Wort mit mir zu reden war«) vertraulich mit, dass er einer meiner ältesten Bekannten sei, dass er schon am Tage meiner Geburt viel Löbliches von mir vernommen habe; es sei in den Morgenstunden des 10. Juni 1810 gewesen, eine gewisse Unruhe habe im Hause geherrscht, er, der Maxenz, sei gerade vor der Stalltüre gestanden und habe nach dem Wetter ausgeschaut, als es aus einem Fenster der großen Stube lautete: »Ein Bübel ist's! Lebt!« Er habe vor sich hingesehen und gedacht: »Sieben! Nun, der Hof kann's tragen!«

Am zweitnächsten Tage schon habe er, der Maxenz, das Vergnügen gehabt, mich persönlich kennen zu lernen. Es sei um die Mittagszeit gewesen; Geschwister, Knechte und Mägde seien um den großen Ecktisch gesessen und hätten tapfer zugelangt; da wär' ich, noch völlig ungetauft, dem Volk des Hauses vorgestellt worden. Die Kammertüre sei aufgegangen, die Amme, ein längliches weißes Bündelchen im Arm sei herausgetreten und bis an den Ecktisch vorgegangen; hier habe sie geheimnisvoll lächelnd gesagt: »Keinen bösen Blick machen!« habe am obern Teil des Bündelchens ein Stück Linnen zurückgeschlagen und bemerkt: »Beberl (Josef) wird er heißen!« Alle hätten freundlich ausgeschaut; die Großmagd habe gerufen: »Jegerl! Beberl!« und Maxenz selbst: »B'hüt' Gott!« Das hätten ihm alle so gewiss andächtig nachgesagt. Nun wäre eine Weile das Geschau gewesen zwischen mir und den Tischgenossen, bis die Amme sich wendete, mit dem Daumen ein Kreuz zog über meine Stirne, das Linnen sachte herabließ und in die Kammer wieder zurückging.

Da sei es geschehen, wie es in der Welt schon zu gehen pflegt. Ich hatte den Tischgenossen kaum den Rücken gekehrt, als das Gerede hinter mir losging. Zwar über das Gesichtchen war nicht viel zu sagen, es war zu klein, um ein ausgiebiges Gefechtsfeld für besondere Ansichten abzugeben; aber die Augen – die hätten so starr und vielsagend dreingesehen! Nun wollte jedes etwas anderes in meinen Blicken gelesen haben. Die Großmagd fand, dass ich die große Warze an der linken Nasenseite des Kleinknechts sehr verwundert angesehen; der Kleinknecht widerstritt diesem Vorgeben und behauptete vielmehr, meine Blicke hätten sich mit einem gewissen Kopfschütteln auf die Großmagd gerichtet: »Er muss was von Dir wissen«, sagte er. Da fuhr der Großknecht dazwischen und bemerkte, sie sollten sich nicht einbilden, die Gedanken eines Neugeborenen zu erraten; ihm sei vorgekommen, der »Beberl« habe alle nur so angesehen, als wolle er sagen: »Woher und wer seid Ihr, sündhafte Fremdlinge?«

Es ist tausendschade, dass hier die Berichte des Großknechts eine Unterbrechung von drei Jahren erleiden. Maxenz musste Familienverhältnisse wegen in den Dienst eines anderen Hofes treten und kam erst nach drei Jahren wieder in unser Haus zurück.

Da hat er freilich vieles und mich selber sehr verändert gefunden. Mein Vater hatte neben der Hofwirtschaft auch einen Handel mit Bettfedern begonnen und dem Wohnhause gegenüber in einem Nebenbau ein Gewölbe errichtet. Die schon früher lebhafte Bewegung im Hause war dadurch auffallend vermehrt worden. Händler kamen und gingen, Frachtwagen fuhren ein und aus im Hof; beim Abladen der großen Federnsäcke fiel auch für die Jugend ein unschätzbarer Vorteil ab; die abgeladenen Säcke, die einzelnen wie die aufgeschichteten, wurden stets im Nu erstürmt und von den Siegern gegen die später Anrückenden hartnäckig und mit wildem germanischem Geschrei verteidigt.

Inmitten eines solches Gefechtes, an dem ich mich als dreijähriger Knabe natürlich weniger im Handgemenge als mit germanischem Geschrei beteiligte, fiel das Wiedersehen mit Maxenz, dem in unseren Dienst zurückkehrenden Großknecht.

Ich stand eben »hemdärmelig bis an die Knie« unter dem Vordach des Hauses und schwang eine Geißel – die größte, deren ich habhaft geworden – um einesteils aus respektvoller Entfernung in das Gefecht an den Federnsäcken einzugreifen, anderseits meine Kunst zu knallen recht auffallend zu erweisen; allein diese Kunst misslang urplötzlich in sehr schmerzlicher Weise, indem sich die Geißelschnur zwei- bis dreimal um mein Gesicht hieb. Das war der Augenblick, in dem der Oberknecht Maxenz vom oberen Weg her in den Hof trat. Mich in meiner Unglückslage sehen, herzuspringen und mich von der Umarmung der Geißel befreien, das war das Werk eines Augenblicks. Dann sah mich Maxenz an, sagte: »Wehweh getan? Kennst Du mich noch?« Ich starrte ihn an und erwiderte nichts, ging ihm aber nach, als er in den Stall trat, folgte ihm auf den Futterboden, nach der Scheuer, wohin er eben ging, und konnte den halben Tag von ihm nicht mehr losgebracht werden.

Dies war der Anfang einer Liebe und Freundschaft zueinander, die fürs Leben dauerte und mir große Vorteile brachte; ich durfte in freien Stunden neben Maxenz auf der Futterkiste im Stalle sitzen, beim Ackern auf dem großen Schecken reiten, beim Heueinfahren auf der hochgeschichteten Ladung liegen – und um das Größte und Beste nicht zu vergessen: ich verdankte Maxenz zwei Jahre später die Rettung meines Lebens ...


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