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6.
Unter Musen-Söhnen.

Hofburgtheater, Lear und Anschütz waren und blieben fortan die Gegenstände meiner höchsten Verehrung und Bewunderung. Der Einladung, in nächster Zeit auch Darstellungen anderer Stücke zu sehen, widerstand ich lebhaft, meine Sehnsucht war und blieb nur Lear und wieder Lear mit Anschütz in der Titelrolle, und als ich mich endlich verleiten ließ, ein Lustspiel im Hofburgtheater zu sehen, verließ ich trotz der Meisterleistung der darin beschäftigten Künstler das Theater enttäuscht, da die Handlung mir alltäglich, die Personen um zu kleinlicher Dinge und Verhältnisse willen in Bewegung schienen. Erst die bald erfolgende Wiederholung Lears sah mich wieder im Hofburgtheater, unter denselben Hindernissen und Beschwerden des ersten Besuches, wie in der gleichen Begeisterung bei dem Genüsse dieser großartigsten aller Bühnentragödien.

Eine kleine Episode während dieser Vorstellung trug auch bei, mir den Abend noch besonders denkwürdig zu machen; denn während eines Zwischenaktes entdeckte ich in einer Loge einen jungen Mann, den ich als einen unserer Universitäts-Kollegen erkannte und den mir Freund Theodor, als ich auf ihn aufmerksam machte, als den Sohn des Hofschauspielers Anschütz, des großen Lear-Darstellers, bezeichnet. Wie es in solchen Fällen bei der Jugend üblich ist, ging ein Teil der Liebe und Verehrung, die ich für den berühmten Vater hegte, sofort auf dessen Sohn über, und ich beschloss, den interessanten Kollegen, der im Hörsaale nur zwei Bänke hinter mir seinen Sitz gewählt hatte, bei der nächsten Vorlesung anzusprechen und für den Fall freundlichen Entgegenkommens meinen Platz im Kollegium an seiner Seite zu wählen.

Andern Tages konnte ich die Stunde der Vorlesung und der Ankunft des mir so denkwürdigen Kollegen kaum erwarten, um meinen Vorsatz auszuführen; meine Ansprache, so bescheiden als möglich, hatte den erfreulichsten Erfolg, denn der Ausdruck höchster Bewunderung für den Vater fand wohlgefällige Aufnahme im Herzen des Sohnes, und dieser wünschte schon nach kurzer Unterredung Gelegenheit zu erhalten, mich näher kennen zu lernen. Mein Besuch in seiner Wohnung folgte alsbald, und sein Gegenbesuch ließ nicht auf sich warten; nach wenigen Tagen waren wir uns lieb und wert geworden und hatten an unserer Begeisterung für Literatur, an unserer Bewunderung der Größen der Poesie einen unerschöpflichen Stoff des Verkehrs, besonders da uns allmählich das schüchterne Geständnis entschlüpfte, dass wir heimlich bereits Versuche gemacht hätten im Lyrischen und Epischen und selbst im Drama. Nun musste mit diesen Versuchen herausgerückt und mit gegenseitigen Beurteilungen vorgegangen werden. Dies führte bald zur Erweiterung unsers Seelenbundes, indem der junge Anschütz ersuchte, mich seinen ältern Freunden, mehreren Kollegen, anzuschließen, die schon von den Gymnasialjahren her Freunde der Musen wären und denselben lebhaft huldigten. Diese Vereinigung mit talentvollen und strebsamen jungen Kollegen hatte bald ihre angenehmen und guten Folgen; wir regten uns geistig an, ermunterten uns zu fleißigen Versuchen poetischer Arbeiten, empfahlen und verschafften uns gegenseitig die vorzüglichsten Meister der Literatur und gingen mit großem Eifer daran, unsere Versuche in Vers und Prosa gegenseitig zu kritisieren, wobei manchmal mit unnachsichtiger Schärfe, nicht selten auch mit vielem Humor vorgegangen wurde. So schrieb ich einmal über das lange Gedicht eines besonders begabten Freundes: »Nachtgedanken« nur: »Hätten Sie diese Gedanken nicht auch am Tage haben können?« Das Beste unserer Arbeiten wurde in Monatshefte zusammengeschrieben, in einem eigenen Archive aufbewahrt und auf besonderes Verlangen den bevorzugten Kollegienfreunden zur Lektüre anvertraut ...

Damit uns diese literarischen Liebhabereien, die schon manches hübsche Talent auf Abwege geführt, nicht von unseren wichtigsten Aufgaben, unsern Studien, abdrängten, kamen wir rechtzeitig überein, zwischen unsern literarischen Abenden auch solche Zusammenkünfte zu veranlassen, welche unseren Studien galten und diese Zusammenkünfte waren auch in jeder Hinsicht unsern Aufgaben förderlich. Wir führten sorgfältig und sauber gehaltene Kollegienhefte, die wir gemeinsam durchgingen, verglichen und ergänzten, und wenn die Zeit der Prüfungen kam, waren wir unermüdlich im gegenseitigen strengen Examinieren. Wir bestanden daher auch unsere Prüfungen gut, und die Freude hierüber brachte unsere Herzen einander wo möglich noch näher, als sie es durch die literarischen Neigungen schon waren.


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