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23.
Wundersames. Hirtenerlebnis. Dem Maxenz schwant es.

Eines Tages, kurz vor dem schönen Kirchweihfeste, schlich ich, erfüllt von einem festlichen Vorgefühle, nach dem Heiligtum des Elternhauses, dem Hinterstübchen, um in dem großen Wandschrank die neuen Kleider der Brüder wie meine eigenen, bedachtsam durchzumustern und zu bewundern. Sachte hob und bog ich hier eine seidene Weste, dort eine hirschlederne, mit weißen Nähten gezierte Hose auseinander und legte sie sorgsam wieder zusammen, bewunderte die blütenweißen Strümpfe darunter und hatte die Brüder vor Augen, wie sie am Festmorgen in diesen Herrlichkeiten prangen würden. Ein Gefühl der Ungeduld über das langsame Vorrücken der Jahre befiel mich, da ich im vorgerücktern Alter so schmucke Kleider auch erhalten sollte; doch fühlte ich mich bald auch wieder beruhigt bei dem Anblick meines eigenen neuen Festgewandes, Jacke und Beinkleid aus dunkelblauem Manchester, Weste aus blauem Kattunstoff mit eingedruckten Blumen. Auch das fand ich sehr schön und freute mich, darin prangen zu können. Aber eine Entdeckung, die ich, eine Lage tiefer im Kasten suchend, machte, wo die Sonntagshüte der Brüder aufbewahrt wurden, erregte ein solches Staunen und Bewundern, dass ich auf die eben gesehenen Herrlichkeiten vergaß und in stummes Hinstarren verfiel. Einer der Hüte war mit feinem Leinwandtuch überdeckt, und als ich dieses Tuch etwas lüftete und erstaunt weiter aufhob, gewahrte ich, dass der Hut rundum und bis an den obersten Rand hinauf von einem Rosmarinstrauß bedeckt war, an dessen Zweigen zahlloser Schmuck flimmerte; bestehend in Flittergold, silbernem Zitterdraht, bemalten Täubchen, Kunstblümchen, buntschimmernden Glaskristallen. Die leiseste Bewegung des Hutes veranlasste ein holdes Wogen all' der flunkernden Zierden der Zweige. Ich war sprachlos vor Entzücken. Ich hatte Ähnliches noch nicht gesehen. Was bedeutete es? Der Hut gehörte dem zweitältesten Bruder, dem Georg. Da ich mich schämte, nach dem Grunde dieser wundersamen Hutverzierung zu fragen, auch befürchtete, dass mein Herummustern im Kleiderschrank getadelt und der Schrank unliebsamer Neugierde ganz verschlossen werden könnte, so behielt ich mein Geheimnis stille für mich, schlich bis zum Abend noch einige Male zum Kleiderschrank, um den Wunderhut anzustaunen und erwartete den nächsten Festtag, der ja alles enthüllen musste. Richtig holte morgens, am Kirchweihsonntag, Bruder Georg, nachdem er sich festlich angezogen, den Hut aus dem Schrank, hing ihn an das Hirschgeweih in der großen Stube und gab ihn so der Neugier und Bewunderung preis, bevor er sich selbst damit schmückte. Bald waren auch Geschwister, Knechte und Mägde um den buntflimmernden Hut versammelt und bewunderten laut oder schweigend die Herrlichkeit, durch ein geheimnisvolles Lächeln verratend, dass sie über das Wunder einigen Bescheid zu geben wüssten; doch lächelten alle nur, bemerkten aber nichts. Auch die Eltern lächelten nur und betrachteten den Auftritt mit stillem Genügen. Was war's nun mit diesem Lächeln und Geheimtun? Man wusste um die Spenderin der glitzernden Hutzierde und schloss aus dem Lächeln der Eltern, dass sie mit der Bedeutung des Geheimnisses einverstanden seien. Die Spenderin des Schmuckes war die Tochter des Nachbarhofes; sie hatte sich tags zuvor heimlich den Hut überbringen lassen, ihn geschmückt und in aller Herrlichkeit wieder zurückgestellt; am ersten Festtage, wo der Bruder sich mit dem Hute schmückte, mochten nun die Leute raten, ahnen oder laut sagen, dass sie die Spenderin erraten. In der Spenderin sah von nun an jedermann die Zukünftige des begünstigten Burschen – so war es Sitte und Gebrauch. Dem Schmücken des Hutes folgten bald Verlobung und Hochzeit. Beschäftigte man sich im Dorfe nach dem ersten Kirchengang des so geschmückten Bruders meist nur mit dem, was nun folgen würde: Versprechen und Hochzeit, so war mir das Bewundern des so glänzend ausgestatteten Bruders die einzige Quelle unsäglicher Freude, ich lief ihm eine Strecke des Kirchenweges nach und hatte alle Leute gar lieb, die den Bruder und den Schmuck des Hutes schön fanden und lobten. Am zweiten Feiertag, am Kirchweihmontag, nachmittags bei der Musik, waren der geschmückte Hut des Bruders und dieser selbst erst recht ein Gegenstand der Aufmerksamkeit; ich hatte das Glück, in der Nähe der Musikanten sitzend, den Hut des Bruders während des Tanzes halten und schützen zu dürfen. Hier war es auch, wo mir die Bedeutung des geschmückten Hutes aufzudämmern begann; denn der Bruder tanzte fast immer nur mit der Spenderin der Hutverzierung, und diese selbst trat öfter zu mir heran und beschenkte mich bald mit Kuchen, bald mit Obst, indem sie mir zulächelte und freundliche Worte sagte. Aus der Nähe, vom Ofen her, wo auf der Bank die bejahrten Weiber saßen, vernahm ich bald ohne Rückhalt die Bedeutung des Hutschmuckes, und die bald folgende Verlobung und Hochzeit gaben dem geheimnisvollen Ereignis einen lauten und glänzenden Abschluss ... Die Liebe zur Heimat und zum Volksleben war nun wieder mit ganzer Macht erwacht und ließ mir nichts schöner und wünschenswerter erscheinen, als für immer daheim zu bleiben und all das Gute und Schöne selbst zu erleben, was ich im Elternhause und im Dorfe sah und liebgewann. Von nun an war ich eine große Plage für meinen treuen Freund Maxenz, besonders an schulfreien Tagen. Ich musste genau sehen, wie er Pferde und Rinder versorgte, und war oft in Gefahr, zertreten oder erschlagen zu werden; beim Ackern war ich nicht vom Gaul zu bringen; beim Holzfällen im Wald mussten mich die wohlwollenden Augen der Brüder und des Gesindes sorgfältig überwachen, dass nicht ein fallender Ast oder ein hinsausender Baumstamm mich streifte oder erschlug. Neugierde trieb mich unter die Hirtenbuben, die nach der Ernte auf Stoppelfeldern oder zweimal gemähten Wiesen ihr anvertrautes Vieh durften weiden lassen. Sie trieben ihre Herden meist auf weiten Strecken zusammen, ließen sie da ziemlich aussichtslos ihr Futter suchen und vertrieben sich die Zeit durch Spiele, Wettlauf oder Kriegslärm und Kampf mit Hirtenbuben des nächsten Dorfes. Das Treiben fand meinen lebhaften Beifall und ich wünschte nichts sehnlicher, als einmal unsere sämtlichen Stalltiere selbst auf die Weide zu treiben; es gelang mir auch einmal – aber nur einmal und sehr zu meinem Kummer! Unser Hirtenbub war krank geworden, und ein schulfreier Tag, der Donnerstag, war angebrochen; da wurde ich mit dem Anzug und der Waffe eines Hirtenbuben ausgerüstet: ein alter Filzhut des Vaters, der mir tief in die Stirne sank und fast das Sehen hinderte, wurde mir aufgesetzt, der große Zwillichsack, der bei einfallendem Regen mich vor Nässe schützen sollte, wurde mir umgehangen und ein langer, knotiger Hirtenstock mit Peitsche mir in die Hand gedrückt. Nicht ohne Sorge half die Mutter bei dieser Ausrüstung; mit stillem Lächeln waren Knechte und Mägde geschäftig, die Tiere loszukoppeln und in den Hof heraufzutreiben; man half auch, die Tiere in Ordnung zu bringen und über die Brücke auf den Anger zu treiben. Der Abzug konnte nun ohne Schwierigkeit begonnen werden, als mir die Mutter noch nachsprang und mir einen zu Ostern geweihten Palmzweig in die Hand drückte, den ich unterwegs an den großen Stock binden sollte; durch diesen Zweig sollte der Stock eine besondere Kraft erhalten, die Tiere folgsam und vor Unfällen sicher machen. Der Auszug gelang auch herrlich; die Tiere weideten ruhig bis gegen Mittag, und ich konnte mich mit den anderen Hirtenbuben den üblichen Spielen hingeben. Aber kurz vor dem mittägigen Heimtrieb der Tiere änderte sich die Herrlichkeit gar gründlich. Es war ein sehr heißer Tag; über dem »Hochbogen« zog ein Gewitter zusammen; die Sonne stach unleidlich; zahllose Mücken und Bremsen fielen über die armen Tiere her und marterten sie unerträglich; diese wurden unruhig, hoben die Köpfe, spitzten die Ohren und schwangen die Schweife. – Plötzlich ergriffen einzelne, dann ganze Scharen die Flucht (die man »Bisen« nennt) und rannten wie toll nach allen Richtungen, nach dem Walde, durch Saaten, durch Bäche und Hohlwege – unsere älteste Kuh war das einzige Stück, das von der ganzen Herde zurückblieb. Die ältesten Hirtenbuben, die ähnliche Unfälle schon mitgemacht hatten, schrien und fluchten und liefen hier und dorthin, um die Flucht der Tiere nach dem Dorfe hin zu lenken; die jüngeren weinten und klagten hilflos oder riefen ältere Leute um Beistand. Ich war stumm vor Entsetzen, das Ende aller Dinge schien nahe, ich wollte wenigstens unsere alte Kuh, die »Liesel«, glücklich heimbringen und trieb sie langsam nach dem Dorfe. Aber das Unglück nahm bald eine unerwartete, freundliche Wendung. Die fliehenden Tiere waren nach und nach ruhiger geworden; sie erinnerten sich an ihre bekannten Wege und schlugen selbst die gewohnte Richtung ein, wurden von Erwachsenen aus dem Walde und von Hügeln her nach dem Dorfe getrieben oder aus den Saaten und aus Hohlwegen hervorgeholt. Bevor ich mit unserer »Liesel« das Elternhaus erreichte, kamen die Tiere meiner Herde auch bereits von allen Richtungen her mir nach und suchten ihren gewohnten Stall und ihre Futterstellen. Der Unglücksfall trug mir also keine Vorwürfe ein, man belobte vielmehr meine Fassung (die wohl besser Hilflosigkeit heißen sollte) und sprach mir Mut und Trost zu; – nur der Maxenz bemerkte, als er dem zuletzt ankommenden Ochsen an der Stalltüre noch eins klatschend hinten auf gab: »Beberl, 's ist nix für dich mit unserer Bauernschererei – besser wirst du's in der Flohgasse in Klattau, Nr. 144.622 haben! ...«


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