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7.
Alma mater von damals. Leseabende. »Othello« mit Anschütz in der Titelrolle. Um Sein und Nichtsein der Tragödie auf der Bühne. Federnkrieg.

Ein Rückblick auf die Zustände unserer alma mater und auf das eigentliche Studentenleben jener Tage wäre hier am Orte, wenn in beiden Richtungen nicht gar zu wenig Erbauliches und Anregendes vorzubringen wäre. Die Universität war eine einfache Dressieranstalt für Fachstudien, die einst dem Staate des allseitigen Stillstandes ihre entsprechenden Vertreter: Beamte, Ärzte, Priester u. s. w. liefern sollten. Die Gegenstände waren vorgeschrieben, die Professoren wohlüberwacht und angewiesen, innerhalb gewisser Vorsichtsgrenzen ihre Vorträge zu halten, von Lehr- und Lernfreiheit keine Spur; ob die Schüler ihrer Pflicht regelmäßigen Besuches der Kollegien nachkamen, kontrollierten die Professoren durch häufiges Vorlesen der Namen, und die wiederholte Abwesenheit des einen und andern zog schwere Folgen bei den Prüfungen nach sich. Alle Studentenverbindungen, Tragen von Abzeichen, Singen von Studentenliedern, Abhalten von Commersen waren strengstens untersagt und dadurch dem Entstehen und Gedeihen des Studentenlebens die Adern unterbunden. Den eigentlichen Brotstudien giengen zwei sogenannte philosophische Jahrgänge voraus, die uns Studien vorschrieben wie Philosophie, Ästhetik, klassische Philologie, Mathematik, Religion, Physik, Österreichische Staatengeschichte. Erst nach Absolvierung dieser Studien war der Weg bereitet zum Eintritt in eines der Brotstudien.

In dieser Vorschule der alma mater, die jetzt mit Recht den Obergymnasien zugeteilt ist, befanden wir uns also, meine Freunde und ich in jenen Tagen geheimnisvollen Strebens, und es ist nicht zu zweifeln, dass es nur eines falschen Freundes bedurft hätte, um durch geheime Verdächtigung unseres harmlosen Strebens uns den schwersten Verfolgungen auszusetzen. Ein solcher Verräter fand sich nicht unter uns, und so genossen wir die Freude ungestörter Fortsetzung unserer Übungen, bis uns Zeit und Umstände trennten und in neue Lebenslagen brachten ...

In dem für meine Geschicke so heilsamen Planer'schen Hause war es auch, dass bei aller Inanspruchnahme des Lebens und der Studien die Fühlung mit den Musen nicht ganz unterbrochen wurde; neben andauernder Lektüre in freien Stunden wurden im Winter Leseabende veranstaltet und »mit verteilten Rollen« insbesondere Theaterstücke vorgetragen. Schiller, der bewunderte Liebling aller, war in erster Reihe bevorzugt und »Don Carlos« eröffnete den Zyklus dieser Abende. Schiller zunächst begünstigt war Theodor Körner, dessen Stücke damals sehr bewundert waren und auch im Hofburgtheater noch öfter gegeben wurden. Den Vorübungen dieser Abende verdankte ich es, dass ich eine große Anzahl Rollen dieser Dichter fast wörtlich auswendig wusste, was mir den selbstverständlich nur mangelhaften Vortrag sehr erleichterte. Zu den Namenstagen der Eltern, namentlich der Mutter meiner Zöglinge ließ ich's nicht an Anregungen fehlen, ich wählte Auszüge aus beliebten Gedichten oder verfasste auch selbst Verse, die mir entsprechend schienen, um sie durch meine Zöglinge vortragen und in schöner Abschrift unter Beifügung von Blumen überreichen zu lassen.

Einer unserer Leseabende sollte einst ein sehr gewagtes Unterfangen bringen: den Vortrag von Shakespeares »Othello«, da sich ein Hausfreund, ein in Gesellschaftskreisen vielbewunderter Deklamator, für das Stück warm einsetzte und die Titelrolle selbst lesen wollte. Eine gewisse Aufregung und Spannung ergriff uns Teilnehmer an dem verwegenen Unternehmen, wir lasen, ja memorierten förmlich unsere Partien mit großem Eifer und erwarteten von dem Vortrage der Titelrolle die größte Wirkung. Da wollte es der Zufall, dass für den Abend unseres Leseabends der Zettel des Hofburgtheaters die Vorstellung des »Othello« mit Anschütz in der Titelrolle ankündigte und uns der Sohn des großen Künstlers schon vormittags im Kollegium mitteilte, dass er uns, Freund Theodor und mir, für den Abend zwei gute Sitze ins Hofburgtheater bieten könne. Einer solchen Gabe und einem solchen Hochgenuss konnte natürlich nicht widerstanden werden, unsere »Absage« für den Leseabend wurde vorgebracht und ganz selbstverständlich befunden, da auch der Deklamator es für angezeigt hielt, lieber einen Anschütz als »Othello« zu bewundern als diese Rolle im Familienkreise selbst vorzutragen.

Der Eindruck, den ich aus dem Theater von der Vorstellung des »Othello« heimbrachte, war nicht weniger großartig und nachhaltig als der Eindruck der früher bewunderten Vorstellung des Königs »Lear«.

Noch in der Nacht las ich Shakespeares unvergleichliche Tragödie mit Bewunderung durch und suchte mir die meisterhafte Darstellung, bei welcher sich außer Anschütz als »Othello«, Laroche als »Jago«, Frau Rettich als »Desdemona«, Fichtner als »Cassio« und Lucas als »Roderigo« ausgezeichnet hatten, noch einmal zu vergegenwärtigen.

Unsern Deklamator, der die Vorlesung des »Othello« so sehr befürwortet hatte, suchte ich von seinem ehrgeizigen Vorhaben abzubringen unter Hinweis auf die unvergleichliche Leistung des Meisters Anschütz und der übrigen Darsteller des Stückes. Er war gerne bereit, von der Vorlesung des »Othello« abzustehen, da die Aufführung des Stückes auf ihn selbst den außerordentlichsten Eindruck gemacht hatte.

Selbstverständlich war die Aufführung des »Othello« bei der nächsten Zusammenkunft unserer jungen Literaturfreunde der Hauptgegenstand der Unterhaltung. Sie hatten alle dieser Aufführung beigewohnt und sprachen von den Leistungen der Künstler mit Begeisterung. Auch rücksichtlich der Bewunderung des Stückes gab es nur eine Stimme; doch wollten einige der Freunde den Ansichten des Publikums gerecht werden, welche die Wirkung der großen Tragödien, wie »Othello« und »Lear,« für gar zu entsetzlich und grausam erklärten.

Diesen Ansichten trat ich, unterstützt von Anschütz junior, lebhaft entgegen.

»Die Darstellung von Tragödien im Burgtheater, insbesondere des Othello«, rief ich, »ist ihrer vornehmen Abdämpfung und einheitlichen Auffassung wegen eine solche, dass die erschütternde Wirkung im Ganzen voll erzielt, aber die Marter, auf welche es sogenannte ungezügelte Realisten absehen, vermieden und das ästhetische Gleichgewicht des Gemütes nach jedem Ansturm einer Szene immer wieder hergestellt wird. Das vornehme Ensemble und die wundersame Gemütszugabe, welche Anschütz im »Othello« auch den wildesten Ausbrüchen der Eifersucht zu verleihen weiß, wirken gleichzeitig wie lindernder Balsam auf die eben geschlagenen Wunden!«

Meine warme Verteidigung der Tragödie und des »Othello« insbesondere wollte bei den widerstrebenden Freunden nicht viel fruchten, und der eine, ein sonst herzensguter und gescheiter Kollege, hielt sogar mit der Ansicht nicht zurück, die er mit dem großen Publikum teilte, dass im Allgemeinen gar nicht schade wäre, wenn in den Theatern – auch im Hofburgtheater – die große Tragödie ganz und gar ausgeschlossen würde.

Diese Äußerung setzte mich in Harnisch. Mit ungewohnter Leidenschaftlichkeit fuhr ich etwa folgendermaßen heraus:

»Ein Theater ohne Tragödie will mir vorkommen wie ein ebenes Land ohne Hochgebirge und Alpen. So lieblich die weite Ebene mit Wiesen, Feldern, Wäldern und Gärten auch erscheinen mag, ihr fehlt doch immer das erhaben Kraftvolle, das gewaltig Ergreifende, das Erstaunen und zugleich höchste Vergnügen Erregende, das uns der Anblick der Alpen mit ihren Steinschroffen, Eisfeldern und über den Wolken nach der Himmelswölbung ausgreifenden Felszinken erregt. Lustspiel, Familien- und Salonstück, auch in guter Auswahl und musterhafter Darstellung geboten, müssen doch in ununterbrochener Reihenfolge das zeitweise gründlicher Erschütterung bedürfende Gemüt des Menschen ermüden, wie die unabsehbare, noch so schöne und kultivierte Ebene den wohlgeneigten Wanderer abstumpft, wenn er nicht dort und hier einen dunkelblauen Bergzug wie eine Wetterwolke hangen sieht, ein kühlerquickendes Bergtal betreten, eine Hochwand erklimmen oder die über Wolkenhöhen thronenden Eis- und Schneefelder einer Alpe begrüßen kann. Unserm Theater die Tragödie nehmen, heißt aus der Schweiz die Eisberge entfernen, den Wolken die Majestät ihrer Gewitter entziehen, den Kriegen das gewaltige Schauspiel der Schlachten nehmen und ihnen nur Märsche und Paraden belassen. Der heute von allen Seiten ertönende Ruf nach Vergnügen im Theater ist ein böses Zeichen für den Kultur- und Charakterzustand der Menschen, namentlich wenn unter Vergnügen nur leichte, sinnliche Zerstreuung oder possenhafter Unverstand begriffen wird. Oberflächliche, durch Genüsse des Wohllebens abgeschwächte und in gedankenbarer Halbkultur verkommende Individuen mögen dem Rufe nach ausschließlichem, frivolem Vergnügen im Theater zustimmen; ernste, hochgebildete und natürlicher Empfänglichkeit noch nicht verlustig gewordene Menschen werden dem Begriffe des Vergnügens einen würdigeren Inhalt geben, der auch das Vergnügen an tragischen Gegenständen enthält, worüber sich unser gottbegnadeter Schiller in einem seiner ästhetischen Essays so anziehend äußert. In diesem Sinne wird der nach Vergnügen an theatralischen Vorstellungen Verlangende auch den Beifall der rigorosesten Theaterbesucher umso mehr finden, als gerade in den gewaltigsten Erschütterungen einer richtig dargestellten Tragödie ein ästhetischer Genuss geboten wird, der tiefer, erfrischender und nachhaltiger ist als das Vergnügen an den erheiternden Situationen und witzigen Spielen des Geistes im Lustspiele!«

Diese keck hervorgestoßenen, von steigender Leidenschaft getragenen Bemerkungen verblüfften meine jugendlichen Freunde einen Augenblick, reizten aber dann die Verteidiger des Schauspiels und der Lustspiele zu ebenso heftigen Entgegnungen, die schließlich einen dauernden Zwiespalt unseres Vereines herbeizuführen drohten. Freund Anschütz senior, der sich meinen Äußerungen zuneigte, trat bald als gewandter Vermittler zwischen unsere Hitze und machte einen Vorschlag, der uns endlich alle beruhigte und zufrieden stellte; wir sollten, sagte er, unsere Streitobjekte nicht mündlich, sondern schriftlich ausfechten, über eine Tragödie wie über ein hervorragendes Lustspiel Studien zu Papier bringen und damit unsere ohnehin etwas spärlich fließenden Beiträge zu den Heften fleißig bereichern. Ich wurde ersucht, über »Othello«, Stück und Darstellung, meine Ansichten festzustellen und in einem Vortrage der nächsten Versammlung vorzulegen. Meine Zusage erfolgte mit Vergnügen, und mit fieberhaftem Eifer brachte ich unter Verwertung jeder freien Stunde binnen vierzehn Tagen die folgende Arbeit zu Stande, die, mit zahllosen Korrekturen versehen, unter meinen vergilbten Heften noch vorgefunden wurde und die ich hier einschalten will als Zeichen, mit welchem Ernst, wenn auch mit noch unzulänglichen Kräften wir unsere jugendlichen Versuche durchzuführen strebten ...


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