Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.
Aus den Tagen des Völkerfrühlings.

1848.

1.
Märzstürme 1848. Ein jüngstes Gericht. Wo und wie fanden wir uns?

Das längst erwartete, gefürchtete und erhoffte Weltereignis, die Bewegung des Jahres 1848 war eingetreten und hatte wie ein Erdbeben mit Wirbelwinden, von Frankreich ausgehend und Europa durchtobend, die Grundlagen der Staaten erschüttert, Throne gestürzt, die Säulen der öffentlichen Ordnung gebrochen, Könige in die Flucht gejagt, unüberwindlich gerühmte Staatsmänner vom Ruder getrieben und zu Flüchtlingen gemacht. Die Welt schien ihren jüngsten Tag erlebt zu haben und das jüngste Gericht für alle, die über Macht und Menschenschicksal bisher verfügt, stündlich hereinzubrechen. Es hat nichts gefehlt als Trompetenschall und himmlische Heerscharen in den Lüften, um das biblische Bild des Weltgerichtes zu verwirklichen. Ausatmend, hoffend, ja siegesgewiss blickte die Menschheit aufwärts, um die neuen Dinge die da kommen und beglücken sollten, aufdämmern und nach und nach in vollem Glanze erscheinen zu sehen. Das Weltall selbst schien mit freudigem Behagen den schönen Völkerfrühling zu begrüßen, der für das Erdenleben angebrochen, die Sonne leuchtete wärmer und beständiger als je auf die in schönen Hoffnungen aufjubelnden Menschen; es schien ein großes Freudenfest der Menschheit nicht nur, sondern auch der Natur gekommen; das Laub trat früher aus den Zweigen, die Blumen früher aus den Knospen, um Zeugen der unvergleichlichen Völkerfreude zu sein und zum Frühling der Menschenherzen den Frühling von Feld und Wald und Wiese zu gesellen ...

Den Sieg und den Jubel der Völker führte die siegreiche Bewegung in Wien zur Höhe des Triumphes. Erst mit dem Einsturz des für unüberwindlich gehaltenen Bollwerks aller Rückstaunung staatlichen Lebens in Österreich schien der Erfolg der europäischen Bewegung gesichert; einem Siegesrausch ohne Gleichen ergaben sich die Völker. Wien selbst, das als leichtlebig hindämmernd verschriene, war über sich und seinen Triumph ebenso erstaunt als entzückt und feierte während einer Reihe der schönsten Tage sozusagen sich selbst und die Freude über die von allen Weltenden einlangenden Huldigungen. Ein Kind war zum bewunderten Helden geworden, das machte: Wien war im Geist und Herzen einig geworden und darum mächtig und groß. Die Idee der Freiheit, noch vielfach unverstanden, schwebte wie das volle Tagesgestirn, die Sonne, leuchtend lind belebend über dem Volke, und in dieser heilig gehaltenen Idee sahen alle, mit Ausnahme der um ihre Vorrechte Besorgten, ihr Heil und ihre Erlösung; in der Einheit und Reinheit dieser Idee lag die Allmacht und Unwiderstehlichkeit des ersten Ansturms der Bewegung ...

Das Wort »Verfassung« ward vom Throne herab verkündigt, und es klang den auflebenden Gemütern wie des Schöpfers Wort: »Es werde Licht« am ersten Schöpfungstage. Alles stürmte herbei zur Hilfe beim Aufbau neuen verfassungsmäßigen Lebens und förderte die Anstalten zur Sicherung des Sieges, zur Klärung der Freiheitsideen und zur Wegräumung der Hindernisse auf dem Boden, der die unerschütterlichen Mauern des Verfassungsbaues tragen sollte. Es fiel die Zensur, die Scheidemauern der Konfessionen wurden eingerissen; das Vereinsrecht wurde vorweg in Besitz genommen und infolge der Volksbewaffnung blitzte es in Straßen und auf Plätzen von Bajonetten und Seitengewehren ... Da war es denn auch natürlich, dass unser »Rütli« aus der dumpfen Enge und Gedrücktheit des Caffehauses auf dem offenen Markt des Lebens herausgerissen und seine Mitglieder wie belebende Atome in die allgemeine Bewegung zerstreut wurden. Die Rütlibrüder trugen Waffen, sprachen in Versammlungen, wirkten in der fesselfreien Presse – und hielten Kandidatenreden, als es galt, die Vertrauensmänner für den neuen Aufbau des Reiches aufzufinden ... Ich gestehe, dass ich verlegen bin, aus der großen Bewegung jener Zeit meine bescheidene Person hervorzusuchen und über sie Nachricht zu geben ... Ich finde mich in der akademischen Legion, als Lieutenant einer Compagnie Studenten, darunter nahe Freunde; ich wohne den Beratungen eines vom öffentlichen Vertrauen berufenen Comites bei, das ein der Regierung vorzulegendes Pressgesetz entwerfen soll – unter den Mitgliedern befanden sich Münch- Bellinghausen (Friedrich Halm), Ignaz Kuranda, Bauernfeld u. a.; ich bin Mitglied eines Vereins, der die Interessen der Deutschen in Böhmen zu vertreten strebt und zugleich auf die Wahlen für den österreichischen Reichsrat und für die Nationalversammlung in Frankfurt Einfluss nehmen soll; – endlich bin ich Redakteur eines Blattes, das die jungen Buchhändler Hügel und Manz (Herrengasse) gegründet ...

Nur in Kürze sei über diese zur Zeit hochgehaltenen Funktionen einiges mitgeteilt.

Als Legionär war ich dem Hauptquartier zugeteilt, das im St. Annagebäude (Krugerstraße) untergebracht wurde. Meine Tätigkeit während der kurzen Aktivität beschränkte sich auf fleißige Exerzitien und Scheibenschießen im Stadtgraben und auf das Beziehen mannigfaltiger Wachposten, von denen mir zwei in besonderer Erinnerung geblieben sind, das Hauptpostgebäude in der innern Stadt und eine Station im Prater an der Sophienbrücke. Im Hauptpostgebäude kam ich in die leidige Lage, um Mitternacht die Wachen nicht ablösen zu können; die Mannschaft – darunter einige der besten Freunde – war aus dem Schlafe nicht zu wecken; Bitten, Drohen, Rütteln wurde vergebens verschwendet; Freund Sigmund Engländer lag wie im Starrkrampf, und als er aufgehoben und durch Hin- und Herzerren ein wenig zu sich gebracht wurde, näselte er nur: »Brüderl, bitt' gar schön – nur meine Ruh' nicht stören!« und sank wieder in ohnmachtähnlichen Schlaf. Endlich konnte zur Ablösung geschritten werden – da fanden sich alle Wachen im tiefsten Schlafe. – Beim Abmarsch nach dem Praterposten erheiterte ein tragikomisches Ereignis die nächtliche Aktion. Es war ein leichter Regen eingefallen; die Mannschaft hielt die mit Bajonetten versehenen Gewehre gesenkt vor sich hin, und so erreichten wir die nach dem Prater führende Brücke. Schon auf der Brücke marschierend, wollte Buchhändler Manz einem Hintermanne etwas sagen, hielt, rückwärts blickend, einen Augenblick inne, und in diesem Augenblicke fuhr ihm das Bajonett des Hintermannes in die Wade; großer Aufschrei des Verwundeten, ich kommandiere »Halt!« Es wird nach dem Unfall geforscht und gefunden, dass die Wunde nur unbedeutend sei. Übermütiger Jubel! »Die erste Verwundung«, heißt es. »In die Zeitungen mit der Heldentat!« Der Humorist der Kompagnie rief: »Manz heißt die Wade, die dem Feinde das Weiße im Auge gezeigt hat!« Unter Lachen und Hochrufen gelangen wir zu dem Praterposten, die Wache wird abgelöst, die Wunde verbunden, alles ist glückselig, der Verwundete am meisten; er langt Papier und Bleistift hervor und schreibt seiner Frau: »Bin verwundet, aber leicht; schicke Wein, Schinken und Zunge, aber reichlich, mein Heldenbein wird gefeiert, morgen mit dem Frühesten fliege ich an deinen lieben Hals!« Eine große Sendung Wein mit Schinken, Zunge usw. traf ein und wurde jubelnd genossen; – es war das heiterste Ereignis meines Kompagnie-Kommandos, das übrigens nicht lange dauerte, da ich von dringenden Arbeiten überhäuft war und meinen Austritt aus der Legion veranlasste.

Der Entwurf eines Pressgesetzes, den unser erwähntes Komite zu beraten hatte, war bald und im freisinnigsten Geiste fertig gestellt und veröffentlicht; was mit ihm weiter geschah, ist mir entfallen, doch entsinne ich mich des Umstandes, dass bei der bald eintretenden Verschärfung der Gesinnungsgegensätze ein zweites Komite zusammenberufen und von diesem ein radikaleres Pressgesetz entworfen und der Regierung vorgelegt wurde ...

Länger und erfolgreicher war meine Teilnahme an einem Vereine der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien. Als Zweck dieses Vereines galt die Förderung der in diesen Ländern hartbedrängten Interessen der Deutschen, die Einflussnahme auf die Wahlen für den ersten österreichischen Reichsrat und für die Nationalversammlung in Frankfurt am Main.

Obmann unseres Vereines war Ludwig v. Löhner, Dr. der Medizin, wohlhabender Gutsbesitzer in Böhmen und sehr begabter lyrischer Dichter unter dem Namen »Reland«. In dem Ausschusse war ich mit vortrefflichen jungen Männern vertreten, darunter Friedrich Uhl, Eduard Strache, Dr. Emil Kuh. Als Zeichen der Zeit darf erwähnt werden, dass uns Fürst Clary in seinem Palais der Herrengasse ein Zimmer für die Beratungen des Ausschusses und einen Saal für die Vollversammlungen des Vereines anbot. Von dieser fürstlichen Liebenswürdigkeit machten wir auch den ausgiebigsten Gebrauch; es war eine helle Freude, wie da über die brennenden Fragen der Zeit, über Freiheit, Deutschtum, Verfassung, Österreich, das wir liebten, Deutschland, mit dem wir innigern Zusammenhang suchten, verhandelt, gejubelt und beschlossen wurde. Wir waren auch so glücklich, manches Gute für unsere Landsleute daheim ins Werk zu setzen und namentlich bei Wahlen mit Erfolg tätig zu sein; so ist es uns gelungen, die Wahl Heinrich Laubes in Elbogen für das Parlament in Frankfurt a. M. erfolgreich zu fördern. Dass bei der hochgradigen Temperatur der Zeitstimmung nicht manchmal Erregung und Enthusiasmus mit uns jüngeren Vereinsmitgliedern durchgingen, dafür sorgte unser sonst persönlich selbst sehr warmfühlender Obmann Dr. Löhner durch seine nach allen Richtungen maßvoll beherrschte Geistesklarheit und Umsicht. War er doch ein Mann, der nicht nur im engen Rahmen unsers Vereines, sondern in dem weitesten Kreise öffentlicher Wirksamkeit (in Politik, Wissenschaft und Literatur) sich bereits Hochachtung und Anerkennung erworben hatte. Als Mitglied des österreichischen Reichsrats wurde Löhner eine der hervorragendsten Erscheinungen des Jahres 1848. Seine seltene Rednergabe, seine rasche, zielbewusste und lebenswarme Auffassung, die ihm zur Verfügung stehende Fülle wissenschaftlicher Kenntnisse und reicher Lebenserfahrungen machten ihn fähig, über alle auf der Tagesordnung jener Zeit stehenden Gegenstände gewandt, überzeugend und anziehend zu sprechen, besonders über die Hauptgegenstände unseres Vereines, Freiheit und Deutschtum. Und nicht unwürdig, wenn auch oft jugendlich überschäumend, sekundierten wir Jünger des Ausschusses, voran Friedrich Uhl, Eduard Strache, Emil Kuh und andere des Vereines, darunter ein Bruder des berühmt gewordenen Volksfreundes und Bekämpfers der Grund- und Bodenbelastung, Hans Kudlich ... Sehe ich aus der weiten Entfernung meiner 75 Jahre auf das kurze rührige Jugendtreiben jener Tage zurück und lasse die mir liebgewordenen Gestalten des Vereines, soweit sie noch in meiner Erinnerung leben, am Auge meines stillen Gedenkens vorüberziehen, so sehe ich einen langen Zug blasser Gestalten, die in die Gefilde des bessern Jenseits nach und nach ausgewandert sind. Unter ihnen unser trefflicher Löhner, der, in den besten Jahren, schon als Obmann des Vereines den Keim des Todes, ein schweres Lungenleiden, in sich getragen hat. Groß, hager, engbrüstig, die Wangen eingesunken, aber im Feuer der Rede leicht errötend, das Auge hell und freundlich leuchtend – so sehe ich ihn als unvergessliche Gestalt vorüberschreiten, gekleidet in braunem Wollsamtrock, den Sturmhut mit schwarzer Feder auf dem Haupte – er war Offizier der akademischen Legion; – leider hat dieser ausgezeichnete Mann und Patriot seine ewige Ruhestätte nicht im vielgeliebten Vaterlande gefunden, er ruht in fremder, französischer Erde; der Friedhof in Marseille birgt seine irdischen Reste.

Von den zur Zeit dieser Aufzeichnungen (1891) noch lebenden Vereinsgenossen kann ich nur noch Friedrich Uhl, Eduard Strache und Dr. Emil Kuh nach ihrer Lebensrichtung vorführen.

Friedrich Uhl hat sich frühzeitig als feiner und gewandter Feuilletonist und Erzähler bemerkbar gemacht. Im Jahre 1851 wurde – anlässlich einer Preisausschreibung des Familienbuches des »Österr.-Lloyd« – seiner Novelle »Taubstumm« seitens der Preisrichter Grillparzer und Hebbel der erste Preis zuerkannt. Uhl übernahm im Jahre 1861 die Redaktion des offiziösen Parteiblattes »Der Botschafter« und führte sie bis zum Jahre 1865; im Jahre 1872 wurde Uhl in die Redaktion der amtlichen »Wiener Zeitung« berufen, deren Chef-Redakteur er gegenwärtig ist und für deren Abendausgabe »Wiener Abendpost« er vorzügliche Beiträge und Theaterkritiken liefert. Von seinen erzählenden Schriften haben seltene Erfolge erzielt: »Die Theaterprinzessin«; »Das Haus Fragstein«; außer »Die Botschafterin« und »Farbenrausch«. Aus Uhls Feder stammt auch der vortreffliche Aufsatz »Die Gesellschaft« in der vom Gemeinderate in Wien anlässlich des 40-jährigen Regierungs-Jubiläums des Kaisers Franz Josef herausgegebenen Festschrift: »Wien 1848–88.« Friedrich Uhl ist gegenwärtig wirklicher k. k. Hofrat und mit in- und ausländischen Orden dekoriert. – Eduard Strache, einige Zeit Bürgermeister von Rumburg, trat später als mehrfacher Verwaltungsrat und Leiter von sich bewährenden Gründungen hervor, zog sich, im Besitze eines ansehnlichen Vermögens, nach Dörnbach bei Wien zurück, wo er, eine prächtige Villa Winter und Sommer bewohnend, musterhafte Gartenanlagen mit Anpflanzungen von edlen (auch portugiesischen) Trauben leitet, als tüchtiger Künstler malt und eine Gemäldesammlung opfer- und geschmackvoll allmählich angelegt hat. Dr. Emil Kuh, auch ein Genosse aus unserm Kaffeehaus-Rütli, ist, wie ich höre, seiner ärztlichen Laufbahn gefolgt und hat sich die Ehrenstellung eines Sanitätsrates in Brünn errungen; sein in Meran erfolgter Tod wird eben, da ich dies niedergeschrieben, gemeldet ...

Eine bedeutsamere Erwähnung verdient wohl meine gleichzeitige Tätigkeit als Redakteur eines in jenen Tagen ungeheuerer Aufregung dringend notwendigen Volksblattes. Die zwei jungen Buchhändler Manz und Hügel, gemeinsame Besitzer und Leiter der ihre Namen führenden Buchhandlung in der Herrengasse (Liechtenstein-Palais), luden mich gleich in den ersten Tagen der siegreichen Märzbewegung ein, mit ihnen ein Blatt zu gründen, das, populär geschrieben, auf die große, gesunde Masse des Volkes in Stadt und Land aufklärend und mäßigend in freisinnigem Geiste einwirken sollte. Ich wurde ausersehen, das Blatt in den Hauptartikeln womöglich allein zu schreiben, damit der Ton und Geist des Blattes einheitlich bleibe und vornehmlich auf das Gemüt der Leser wirke. Wir waren bald einig in unsern Ideen; es wurde der Titel »Der Volksfreund, Zeitschrift für Aufklärung und Erheiterung des Volkes«, für das Blatt gewählt, es sollte drei Male in der Woche erscheinen, jede Nummer einen halben Bogen stark. Ich ging sofort mit Liebe und Eifer ans Werk und verfasste eine Probenummer, die den Beifall der Verleger fand, am 22. März ausgegeben und vom Publikum sehr entgegenkommend aufgenommen wurde. Am 28. März 1848 erschien die erste Nummer des Blattes im Abonnement und wurde zugleich, wie alle Blätter jener Tage, im Straßenverkaufe verbreitet ...

Um nur flüchtig über Geist und Ton des Blattes eine Andeutung zu geben, sei es gestattet, die Ankündigung desselben in Kürze hierherzusetzen ...


 << zurück weiter >>