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7.
Im Frankfurter Parlament

Das waren die Ereignisse, die mich in Frankfurt a. M. empfingen und die noch einige Zeit auf die Gemüter und selbst auf die Verhandlungen in der Paulskirche einwirkten. Alle Parteien machten die aufständige Bewegung und insbesondere die schauderhafte Ermordung zweier Parlamentsmitglieder zu Gegenständen eingehender Erwägung, ohne zu einer weittragenden Gesamtentscheidung zu gelangen. Die über einen größern Putsch nicht hinausgehende Fehde wurde von den Anhängern der äußersten Linken ihres Misserfolges wegen bedauert, von den Anhängern der gemäßigteren Linken als unzeitgemäß und unvernünftig überstürzt verurteilt und nur von den Parteimännern des rechten Zentrums und der Rechten lebhafter und mit dem Hintergedanken in Betracht gezogen, dass man eine Anzahl Mitglieder der äußersten Linken in den Aufruhrprocess verwickeln und empfindlich zur Rechenschaft ziehen wollte. Diese Absicht misslang jedoch ganz, und die begonnene Aktion verlor angesichts der großen Zeitbewegung und der üblichen Putsche in aller Herren Länder an Interesse und Nachdruck, so dass endlich auch die hartnäckigsten Rachebrüter von der Verfolgung der mutmaßlich parlamentarischen Teilnehmer abließen. Die parlamentarischen Verhältnisse gelangten wieder in ruhigeres Fahrwasser, und die Beratungen der Grundrechte wurden fortgesetzt. Ein ununterbrochener »Herbstsommer« verlieh der ruhiger gewordenen Stimmung bald wieder Heiterkeit und Humor, und freie Tage und Stunden wurden zu kostbaren Ausflügen in die schöne nächste und noch schönere weitere Umgebung von Frankfurt benützt.

Eines Sonntags im September lautete das Ziel meiner nächsten Genossen das hessische Bad Wilhelmsthal, das mittelst Eisenbahn binnen kurzer Fahrt erreicht werden konnte. Der Tag war wundermild, wolkenlos, herzerquickend. Der große Park in Wilhelmsthal war überfüllt mit Abgeordneten, ihren Frauen und Töchtern, Frankfurtern und Bewohnern der umgebenden Orte. Alles promenierte vergnügt oder genoss an schattigen Plätzen, was Restauration und Kaffeehaus boten; zahlreiche Gäste wurden auch von dem damals in Wilhelmsthal noch bestehenden Spieltisch angezogen. Ich war einige Zeit mit meinen Landsleuten und Wohnungsgenossen Moritz Hartmann, Alfred Meißner und Franz Hedrich herumgezogen und ruhte dann mit diesen an einem Restaurationstisch, als ein württembergischer Parlamentsgenosse mich von einem Nachbartische her anrief und mir mitteilte, dass er vor Kurzem den Dichter Ludwig Uhland mit seiner Frau begegnet habe, die mich suchten; sie hatten mich aus der Ferne ankommen gesehen und waren längere Zeit meiner Spur gefolgt. Die Nachricht überraschte und erfreute mich höchlich und nachdem ich erfahren, wo die verehrten Personen zuletzt gesehen worden, machte ich mich rasch auf den Weg, sie zu suchen. Ich hoffte Uhland umso sehnlicher zu treffen und mich vorzustellen, als ich gleich bei meinem Eintritt ins Parlament mir vorgenommen hatte, dem hochverehrten Meister persönlich meine Aufwartung zu machen; nachdem ich den Platz erforscht, wo Uhland den Parlamentssitzungen beizuwohnen pflegte und aus der Ferne den Dichter verehrungsvoll betrachtet hatte, hielt mich die angeborene Scheu vor einem entschiedenen Schritte der Begegnung immer noch zurück, weil ich mir eingeredet hatte, dass ich dem berühmten Manne vielleicht aufdringlich erscheinen würde. Der Umstand, dass er mit seiner Frau mich selbst gesucht habe, machte es mir jetzt zur Pflicht, ihn aufzufinden und zu grüßen. Ich fand ihn auch, durch einige Bekannte auf die Spur gebracht, bald an einem Kaffeehaustische, stellte mich ehrfurchtsvoll vor und wurde von Uhland und seiner würdigen Frau auf wahrhaft liebevolle Weise empfangen. Ich gab meiner Freude Ausdruck, dass sie so gütig gewesen, nach mir zu fragen, entschuldigte mein so langes Verabsäumen des ihnen zugedachten Besuches und versprach, mein Versäumen gut machen zu wollen. An die freundlichen Worte erinnernd, durch die mich Uhland durch Nikolaus Lenau gelegentlich der Übersendung meines Werkchens »Aus dem Böhmerwalde« seiner Zeit erfreut, gab ich Anlass zu einer längeren Unterredung über Lenau, den unglücklichen Dichter, der von Wahnsinnsnacht umfangen, dem Irrenhause unrettbar überliefert worden war. Uhland gedachte herzbewegend des lieben Wiener Freundes und wollte noch nicht ganz von der Hoffnung lassen, dass ein so hoher, feinbesaiteter Geist endlich doch noch gerettet und erhellt werden würde ... Von Uhland und seiner Frau begab ich mich an den Tisch meiner heimatlichen Genossen zurück und fand nur Moritz Hartmann in Gesellschaft eines Abgeordneten und seiner Frau.

Bei meiner Frage nach Alfred Meißner lachte Hartmann und sagte: »Meißner spielt!«

Ich rief: »Schon wieder?«

»Ihn hat der Spielteufel heute, wenigstens mit einer Kralle!« Meißner hatte gleich nach unserer Ankunft in Wilhelmsthal an der Bank sein Glück versucht und gewonnen. »Wie viel?« fragte Hartmann, als Meißner vom Spieltisch zurückkam, hocherfreut und erhitzt. Meißner wollte nicht gleich gestehen, sagte aber dann: »Sechzig Gulden!« Lachend wünschten wir ihm Glück und rieten ihm dann, sich mit dieser Beute zufrieden zu geben und nicht wieder zu spielen.

»Ich? Wieder spielen? Nein, nimmermehr!« rief Meißner und klapperte in der Tasche mit den gewonnenen neuen Silbergulden.

Hartmann erzählte nun, wie Meißner zur Zeit, als ich bei Uhland weilte, unruhig auf seinem Sitze herumfuhr, mit seltsamen Blicken seine Uhr zog und wieder versorgte, endlich aufstand und sagte: »Ich muss Bewegung machen, ich muss gehen! Ich bin bald wieder hier!«

»Spiel' nicht wieder, ich rate dirs als Freund!«

»Was fällt dir ein! Ich wieder spielen!«

Damit entfernte sich Meißner und erschien eben in einiger Entfernung wieder. Hartmann, der ihn zuerst entdeckte, sagte: »Da kommt er – und wenn ich mich nicht täusche – hat er wieder gespielt und – verloren!«

Meißner kam mit langsamen Schritten, sehr nachdenklich näher, blass, verlegen, die rechte Hand tief in der Hosentasche.

»Nun, lieber Freund, du hast länger warten lassen, als wir geahnt; – du scheinst müde und von der Promenade nicht sehr erfrischt; – bist du am Ende wieder an den Spieltisch geraten und hast ein kleines Opfer erlitten?«

Meißner ließ sich an unserm Tische nieder, sah in seine Kaffeetasse, die leer war, starrte nach seinen Stiefelspitzen und sagte: »Warum nicht gar!«

Hartmann und wir Tischgenossen lächelten und waren gewiss, dass der talentvolle Dichter den Pegasus des Glücks geritten; Hartmann fasste den Freund scharf ins Auge und sagte: »Leugne nicht, du hast gespielt und – verloren!« Meißner machte eine zuckende Bewegung, leugnete nochmals und gestand sodann, dass er leider wieder gespielt und verloren habe!

»Wie viel verloren?« rief Hartmann.

»Meinen früheren Gewinn und noch einmal so viel dazu!« würgte Meißner in kostbarer Verlegenheit heraus ...

Für uns lag der Humor der Sache im Charakter des Dichters, den wir alle sehr genau kannten. Meißner war von Hause aus ein Glückskind, das einzige Kind sehr wohlhabender Eltern, der äußern Erscheinung nach wohlgebildet, im Benehmen feinfühlig und zart, was zwei herrliche, blaue Augen erkennen ließen; aber in das Herz dieses Glückskindes hatte die Natur einen harten störenden Zug gelegt, der ihn den Freunden in trüben Stunden unlieb erscheinen ließ, in heitern Stunden manchen ironischen Bemerkungen aussetzte. Meißner war geizig und habsüchtig, was ihn den jungen Freunden, meist Literaten und Künstlern gegenüber, die ihn als Sohn reicher Eltern wohl ungebührlich oft in Anspruch nehmen wollten, in einen gewissen, leise herumgesagten Verruf brachte. In diesem Verrufe lag aber viel ungerechte Übertreibung. Meißner versagte wohl häufig oder leistete nur sehr unbedeutende Hilfe, aber er war auch nicht oft in der Lage, mehr oder immer zu geben. Sein reicher Vater hielt ihn mit Taschengeldern sehr knapp, aber man hatte erfahren, dass seine Mutter, eine geborne Engländerin, die dem Sohne mit wahrer Begeisterung anhing, ihm ihre heimliche Nachhilfe reichlich angedeihen ließ. Diese Sparpfennige verwahrte und verteidigte Meißner hartnäckig und gab sie nur flott und oft überreichlich aus, wenn es sich um Befriedigung feinerer Lebensgenüsse handelte, denen Meißner zeitweise leidenschaftlich nachhing, so dass er oft in Bedrängnis kam und in sich Geiz und Verschwendungssucht gegenseitig hart sich bekämpfen sah. Aus diesem Zwiespalt sind auch alle spätern Fährlichkeiten und Leiden Meißners zu erklären. Ein scharfer Zug nach seinem Wohlleben und die hartnäckige Versagung ausreichender Hilfsquellen aus dem elterlichen Hause haben Meißner unzweifelhaft dahin getrieben, seinen schriftstellerischen Ruf mehr nach finanziellem Ertrage als nach poetischen Vorzügen auszubeuten, er geriet auf das Gebiet der prosaischen Massenproduktion und verabsäumte dort weitere Erfolge zu erringen, wo er mit großem Glück aufgetreten war und von wo sein Name fort und fort vornehmlich seinen Nachglanz erhielt – auf dem Gebiete der lyrischen Poesie! Auf diesem konsequent und leidenschaftlich verfolgten Irrwege erreichte Meißner allerdings auch da schon reichlichere Einnahmen zu Reisen und Genüssen in Paris und großen deutschen Städten, als das väterliche Vermögen noch unter unnahbarem Verschlusse des Vaters versagt blieb, aber der verirrte Wanderer war gezwungen, um seine finanzielle Ausbeute zu erweitern, mit einem Gehilfen zu arbeiten, was ihm allerdings die Einnahmen vermehren half, aber ihn auch zwang, diese Einnahmen reichlich zu teilen – und zuletzt in Gefahr brachte, selbst das endlich ererbte väterliche Vermögen an den literarischen Hilfsarbeiter zu verlieren, wovor ihn der unglückselige freiwillige Tod noch rettete ... So weit von seinem eigentlichen Ruhmeswege war Alfred Meißner zur Zeit des kleinen Abenteuers in Wilhelmsthal noch nicht abgewichen, was er herausgab, schrieb er damals noch ganz allein; die Romane, Feuilletons, Broschüren, Erinnerungen an Heine u. dgl. waren ausschließlich seine Werke und Hedrich war ihm nur der literarische Landsmann, den er von Prag her kannte und dessen äußere Lage, durch die Abgeordnetendiäten gedeckt, Meißners Hilfe damals noch nicht beanspruchte. Was von Hedrichs poetischen Arbeiten damals bekannt war, namentlich sein biblisches, in barockem Stil gearbeitetes und von manchem Gedankenblitz erleuchtetes Drama »Kain« konnte unmöglich Meißners leicht und feurig schaffendes Talent damals schon angezogen und zu gemeinsamen Arbeiten angeregt haben, die seltsamen barocken Manieren in Hedrichs Lebensführung, die uns Wohnungsgenossen so vielen Anlass zu fröhlichen Exzessen gaben, waren noch weniger geeignet, den leicht entflammten und begeisterten Dichter des »Ziska« zu gewinnen. Wie und wie weit sich später, nach Auflösung des Parlamentes, zwischen Meißner und Hedrich das Verhältnis einer Mitarbeiterschaft an Romanen und Novellen angesponnen und verwickelt hat, ist mir wie allen Freunden und Bekannten Meißners Geheimnis geblieben; ich erfuhr in spätern Jahren bei zufälligen Begegnungen mit Meißner nur, dass es Hedrich nach Aufhören der Parlamentsdiäten bitterlich schlecht ergangen, dass Meißner, um einen alten Bekannten aus der Heimat nicht ganz untersinken zu lassen, namhaft unterstützt und endlich es zuwege gebracht hatte, dass der Herzog von Coburg Hedrich eine kleine Jahrespension bewilligte. Von einer eigentlichen literarischen Ausnützung Hedrichs durch Meißner war damals und noch nach Jahren umso weniger die Rede, als Meißners geniale und formgewandte Anlage, die sich in Versen und Prosa schon vielfach hervorgetan, zu den noch meist unbekannten ersten, unbehilflich-naiven, meist dramatischen Versuchen so widerstrebend sich verhielt, dass ein gemeinsames Arbeiten gar nicht möglich und begreiflich schien und das Erscheinen einer Hedrich'schen Arbeit unter Meißners Namen gar nicht öffentlich sich hervorwagen durfte. Die Tatsache einer Mitarbeiterschaft zwischen Meißner und Hedrich ist indessen seiner Zeit unzweifelhaft entstanden, Meißner selber leugnet eine solche nicht, nur will er sie auf eine Bedeutung reduziert wissen, die nicht im Entferntesten die Entschädigungsansprüche Hedrichs zu begründen im Stande ist. Meißner hat diese Behauptung mit dem Leben besiegelt, Hedrich hat nach dem Tode Meißners die Autorschaft der meisten Romane des toten Dichters in Anspruch genommen. Wir sind der Ansicht, dass, wenn Hedrich schon Anteil an der Arbeit jener Romane genommen, dies nur durch teilweisen Ratschlag und stellenweise Skizzierung geschehen ist, denn Ideenentwurf und Stilisierung der Romane tragen Meißners unverkennbare Signatur ...


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