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3.
Publizistische Leiden und Freuden.

Die Ankündigung wirkte. Wir hatten binnen wenigen Tagen eine erfreuliche Anzahl Abonnenten und verkauften von jeder neuen Nummer auf der Straße bei 6000 Exemplare. Der naiv-gemütliche Ton, der in der Ankündigung und in den ersten Blättern angeschlagen wurde, traf trotz Revolution und fieberhafter Aufregung noch auf eine große Menge natürlich fühlender und heiterer Wiener Herzen, die zwar auch den Vorfällen des Tages und den Ereignissen der Zeit das ernsteste Interesse entgegenbrachten, aber um alles in der Welt nicht vertragen konnten, dass jeder Zeitungston wie ein ohrzerreißender Trompetenstoß die Leser überfalle, verwirre und betäube. Die Umgebung Wiens und weithinaus das offene Land lieferten uns besonders wohlgeneigte Leser, die, wie sich später zeigte, ungeachtet der zunehmenden Stürme mit rührender Treue an unseren Gaben hingen. Konnten wir also mit dem Beginne unsers Unternehmens wohl zufrieden sein und das Begonnene mit Zuversicht fortsetzen, so mussten wir doch bald erfahren, wie sehr wir in ungleichem Kampfe standen. Es war in so aufgeregten Tagen, wo nicht nur morgens, sondern auch mittags und abends von Nah und Ferne überraschende und erschütternde Nachrichten erwartet wurden, für ein Blatt schon ein gefährlicher Nachteil, wenn dasselbe nicht täglich, sondern nur drei Male in der Woche und auch da nur einmal des Tages erschien, während zahlreich auftauchende Blätter und Blättchen zwei- und drei Male des Tages erschienen, immer traubenschwer behangen mit tausenderlei wahren, übertriebenen oder ganz erfundenen und für die krankhaft aufgeregte Phantasie berechneten Neuigkeiten. Dazu kam die zunehmende Steigerung der Gesinnungsauswüchse, die vor keiner politischen Extravaganz nach Form und Inhalt zurückschreckte und nach den Forderungen einer Monarchie mit nahezu republikanischen Grundlagen die Republik selbst verwegen genug anzuempfehlen begannen. Die Republik in Österreich, in einem Reiche der disparatesten kleineren und größeren Völkerschaften, die – mit Ausnahme der Deutschen – bei lass gewordenem Gesamtverbande und mit frei werdendem Selbstbestimmungsrechte unverweilt auf Nimmerwiedersehen zentrifugal auseinanderfahren mussten! Und diese Blätter eroberten alsbald die Rolle der Vorkämpfer und rissen durch die Energie ihrer Sprache und Ideenkühnheit einen großen Teil des Publikums mit sich. Mit diesen Vorteilen verbanden viele Blätter eine Verwegenheit und Findigkeit der Reklame, die oft von außerordentlicher Wirkung war, aber dem ehrlichen Mitstrebenden einfach versagt bleiben musste. So traf ich eines Tages, den Kohlmarkt heraufkommend, einen großen Zusammenlauf von Menschen, die alle nach einer Zeitungsverkäuferin hinstürmten; die Blätter flogen nur so aus der Hand derselben unter das Publikum, das unter schallendem Gelächter um sie kämpfte, während die alte, zahnlose Austrägerin, braunrot wie eine Zigeunerin im Gesichte, eine Hiobspost vor sich hinschrie. Und was rief sie? »Der Papst hat g'heirat!« Und was erzielte sie damit? Dass binnen einigen Minuten kein Exemplar des Blattes mehr zu haben war. Und enthielt das Blatt wirklich die so in die Welt gerufene Nachricht? Es brachte nur eine Notiz, dass Pio Nono mit dem Gedanken umgehe, das Zölibat aufzuheben! –

Solche Mittel zu konkurrieren, standen uns nicht zu Gebote. In mir persönlich hatten sich trotz Jugend und feurigem Herzen die Grundsätze einer gewissen Mäßigung bereits kräftig festgesetzt; ich sah in der Übertreibung der Forderungen die ganze Errungenschaft der Zeit gefährdet, die republikanische Vordringlichkeit schien mir Vaterland und die Dynastie, an denen ich von Jugend auf mit pietätvoller Innigkeit hing, toll zu bekämpfen und die kleinlichen, wenn auch mitunter sehr heiteren Reklamemittel, um einen flüchtigen Erfolg beim Straßenabsatz zu erzielen, widersprachen unserer ganzen Denkart. Wir beschränkten uns bei unserm journalistischen Bestreben darauf, dass wir, was wir brachten, durch Humor, Eigenartigkeit und, wo es sein musste, durch Ernst, der zu Herzen ging, belebten und vertieften; dieses Bemühen hielt uns wirklich oben in der Gunst unserer Leser, und nach einigen Wochen überraschten uns Beweise von Befriedigung und Freude am Gebotenen, wie sie schwerlich sonst öffentlichen Blättern zuteile werden.

Ich wohnte in dem Hause des Kohlmarkts, in welchem ebener Erde sich das zu jener Zeit mit Recht sehr beliebte Gasthaus »Zum Lothringer« befand. Eines Morgens, da sich auf der Straße ein wilder Lärm erhob, wie er plötzlichem Barrikadenbau und Straßenkämpfen vorherzugehen Pflegte, trat ich an ein Fenster meiner im 3. Stocke befindlichen Wohnung, um über die Bewegung Näheres zu erfahren, als, umdrängt und umtobt von einer zum Teil bewaffneten Menge, ein Bauernwägelchen vor dem »Lothringer« vorfuhr und neben dem Haustore hielt. Die Menge, eine gewöhnliche Lärmtruppe, wie sie damals täglich, den Verkehr störend, durch die Straßen tobten, zog ohne Aufenthalt nach dem Graben weiter, von dem Wägelchen aber, das am Haustore neben dem »Lothringer« hielt, stiegen drei anständig gekleidete Bauern ab.

Vom Fenster zurücktretend, war ich im Begriffe, mich an meinem Schreibtisch niederzulassen, um eine angefangene Arbeit fortzusetzen, als es leise und bescheidentlich an meine Türe klopfte. Auf mein »Herein!« klopfte es noch einmal, dann wurde die Türe sachte aufgedrückt und zwei Bauern, die breitkrämpigen Hüte an die Brust drückend, traten verlegen lächelnd herein. Ich ging ihnen entgegen und fragte, was sie wünschten? Sie lächelten noch auffallender und sagten, sie hätten was zu übergeben und ob ich erlaube, dass sie's bringen dürften? Ich fragte, was sie brächten? Für wen sie's brächten? Ich hätte nichts zu erwarten; – sie irrten sich vielleicht in der Adresse? Sie nannten meinen Namen, sagten, dass sie Abonnenten des »Volksfreundes« seien und mir gerne eine Freude machen möchten – ich machte ihnen auch mit dem Blatte eine so große Freude! Erstaunt blickte ich sie eine Weile an, dann sagte ich: »Aber Leute! Wer hat Euch auf solche Gedanken gebracht? Ich brauche nichts; ich hab', was ich brauche, und die größte Freude, die Ihr mir erweisen könnt, habt Ihr mir schon gemacht, da Ihr sagt, dass Ihr mit meinem Blatte zufrieden seid!« Sie wiederholten jetzt zutraulicher ihre Bitte, sagten, was sie bringen, befände sich schon vor der Türe – ich möchte nur erlauben, dass sie's in das Zimmer bringen – und ohne dass sie meine Antwort erwarteten, öffneten sie die Türe und schleppten durch dieselbe: einen Riesenlaib Landbrot, zwei Keule Rauchfleisch, einen sauber in Leinwand gehüllten Ballen kostbarer Butter und drei gemästete Haushühner! Ich schlug die Hände zusammen, lachte und rief: »Aber Leutchen! Wann soll ich das aufessen? Wer soll mir's bereiten? Ich bin nicht verheiratet und pflege nur wenig zu essen!« Das verschlage nichts, meinten die Spender, ich würde schon eine Verwendung finden, ihnen sei die Hauptsache, mir einen guten Willen zu zeigen und Dank zu beweisen! Damit zogen sie mit Komplimenten ab und ließen mich mit den Geschenken allein, die ich nicht anders zu bewältigen wusste, als dass ich mir Jugendfreunde einlud und dieselben unbeschränkt genießen ließ; die Reste verschenkte ich an ärmere Familien im Hause, namentlich an die Frau und Kinder eines nebenan wohnenden Schneidermeisters ...

So war also dem Frohmut zu weiterer Tätigkeit eine artige Aufmunterung zuteil geworden, und wir arbeiteten auch wohlgerüstet weiter ... Und das war keine leichte Aufgabe. An allen Ecken und Enden zuckte es fort und fort; was errungen war, drohte mit jedem Tage wieder verloren zu gehen'; »Freunde des Volkes« tauchten auf, die an den bisherigen Erfolgen nicht den mindesten Anteil hatten, jetzt aber um so zudringlicher das Wort zu führen strebten und heimlich die Agenten für alles waren, nur nicht für das, was sie als ihre Zwecke angaben. Wien war überflutet von Agenten aller Sorten, die die Revolution hassten und nur aufzuregen und zu verwirren suchten, die Wien hassten und es um seinen glänzenden Ruf einer deutschen und freisinnigen Stadt zu bringen bemüht waren. Von Wien aus, wussten sie, gingen tausend Anregungen im Guten wie im Schlimmen aus, und je nach den geheimen Zwecken wählten auch die geheimen Agenten. Diese zu kennzeichnen, diesen entgegenzuwirken, überhaupt das Errungene zu sichern, einzubürgern, aus den allgemeinen Umrissen herauszuarbeiten – kurz, Österreich in einen freien, ehrlich konstitutionellen Staat zu verwandeln, galt es, und in diesem Sinne setzten wir also unsere Tätigkeit fort ...


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