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6.
Im Leben und Tod.

Ich hatte mich spielend am Bach herumgetrieben und wollte eben über die Brücke nach dem Nachbaranger gehen, als ein hochgewachsener, breitschultriger Fremder in Volkstracht, einen breiten Gurt um den Leib, gleichzeitig an die Brücke trat und mir entgegenkam. Das gebräunte markige Gesicht des Mannes, sein düsterer Blick aus den von dichten Brauen überschatteten Augen erschreckten mich, ich hielt inne, wendete mich zur Flucht und eilte nach der Stube, wo die Mutter meine Aufregung gewahrte, mich betroffen an sich zog und nach der Ursache meines Zustandes fragte. Ich hatte noch kaum einige verstörte Worte gesprochen, als die Türe aufging und der schreckliche Fremde in die Stube trat. Ich lief nun nach der Türe und verbarg mein Gesicht an der Mutter; aber das genügte, der Mutter alles zu erklären. Sie kannte den in der Gegend ebenso angesehenen als gefürchteten Mann, der im Rufe stand, einer der verwegensten Wilderer zu sein und manchen angeschossenen oder tot aufgefundenen Forstmann auf dem Gewissen zu haben. Die Mutter grüßte den Mann, nannte ihn bei Namen und hieß ihn am Ecktische Platz nehmen. Das tat er, indem er mit schweren Tritten durch die Stube ging und sich niederließ; dann schnallte er sofort die »Geldkatze« ab und warf sie auf den Tisch mit der Frage: »Wo ist der Mann?« Die Mutter erwiderte: »Gleich nebenan!« Sie öffnete das Fenster, rief nach der Scheuer: »Alter!« und wendete sich nach der Stube, während ich mich von mächtiger Hand am Arm ergriffen und nach dem Ecktisch hingezogen fühlte. Der Händler war's, der mich ergriffen hatte, um mir einen Apfel von seltener Schönheit und Größe zu übergeben. Die Wirkung dieser Aufmerksamkeit war eine seltsame: Freude mit Schrecken gemischt. Ich sah nur einen Augenblick zu dem düsteren Spender auf, dessen Gesicht blitzartig vor jäher Freundlichkeit leuchtete, als seiner ersten Gabe eine zweite folgte: eine Glaskugel, rein wie Kristall, in deren Mitte ein Weihnachtsbäumchen mit dem Christuskindlein auf dem Gipfel erschien, köstliche Farben spielend. Mein Staunen und Entzücken war groß; doch eilte ich unverweilt, beide Geschenke hoch emporhaltend, der Mutter nach und warf nur aus der Entfernung glücklich-schüchterne Blicke nach dem Manne, der bereits mit dem Vater im Gespräche war, nach kurzer Unterhandlung seinen Geldgurt leerte und seine Schuld in blanken Münzen auf den Tisch hinzählte, ohne einen üblichen Abzug zu begehren. Einen Kauftrunk mit Imbiss, der ihm geboten wurde, lehnte er ab, erhob sich nach kurzem Aufenthalt und nahm mit wenigen, nur halb verständlichen Worten Abschied – für immer ... Einige Tage später, an einem Sonntag früh morgens, durchlief ein Gerücht Dorf und Gegend: ein Förster sei angeschossen, aber noch am Leben; sein Gegner, ein Wilderer, sei totgeschossen und liege an der Lichtung des Fuchsberger Waldes ... Jung und Alt war den ganzen Tag auf den Beinen nach der Unglücksstätte – Straßen, Felder und Wiesen waren von unheimlich schweigsamen Wanderern bedeckt – ich lief der Menge nach, wurde glücklicher Weise von einer Nachbarin entdeckt und mitgenommen nach der Waldesecke, wo er lag, der düster-seltsame Mann. Er war noch in demselben Anzug, den er zuletzt bei uns getragen; er lag etwas nach vorne gewendet, man konnte das halbe Gesicht sehen und die Stelle, wo die Kugel eingedrungen; diese hatte knapp über der rechten Hüfte Tuchjacke und Lederhose durchbohrt, das ausgetretene und erstarrte Blut bezeichnete die Todeswunde ... Mit Schauern und Entsetzen wich ich zurück, als die gehobenen Tannenäste wieder sachte auf die Leiche niedergelegt wurden. Lange sah ich den unheimlichen Mann im Wachen und Träumen vor mir; auch die schauernde Menge, die ununterbrochen herankam, sich lautlos sammelte, mit langgestreckten Hälsen vorstarrte und wieder zurückwich, um den Nachfolgenden Platz zu machen ... Aus dieser Zeit stammen zahlreiche und abenteuerliche Wilderergeschichten, welche die jugendliche Phantasie lebhaft beschäftigten und das Gemüt in die seltsamsten Stimmungen versetzten ... Hatte das tragische Ende des düstern Händlers durchaus erschütternd gewirkt, so waren die Eindrücke in anderen Fällen wieder äußerst anziehend, wo man schöne, von Kraft strotzende und stets heiter und harmlos erscheinende Bursche als tollkühne Wilderer bezeichnete; mancher von diesen lag angeschossen im Elternhause, während verbreitet wurde, er sei schwer erkrankt oder durch den Hufschlag eines Pferdes lebensgefährlich verletzt. Meine Geschichte »Ein Tellschuss« ist aus den Erinnerungen und Stimmungen jener Tage hervorgegangen ... Hat so das Leben schon in frühester Jugend in die Familienstube des Elternhauses herein gewirkt, so fehlte es auch nicht an Beziehungen zu einer andern, höheren Welt, die trotz aller Entdeckungen der Wissenschaft ewig ferne, geheimnisvoll – eine Welt der höchsten Wunder ist und bleiben wird ...


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