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24.
Eine singende Lebensgefährtin. Priesterweihe. Bruders
Heimkehr. Ministrant und Altar-Bräutchen.

Einige Tage später, nachmittags gegen vier Uhr, da der Unterricht in der Schule eben geschlossen worden war, stürmten wir wie gewöhnlich durch das Schuldorf dahin und auf dem Heimweg weiter, als ich von den mitlaufenden Knaben auf einen Mann aufmerksam gemacht wurde, der mäßigen Schrittes vor uns herging. Ich erkannte sogleich meinen Vater und eilte mit verdoppeltem Eifer weiter, um ihn freudig zu begrüßen.

»B'hüt' Gott, Vater«, rief ich, an seiner Seite an kommend.

Der Vater lachte und bemerkte: » So sagt man ja beim Abschiednehmen; beim Willkommen sagt man: »Grüß 'Gott! Weißt du das nicht?«

Ich wusste das wohl, ich hatte mich nur versprochen, sagte also geschwind: »Grüß' Gott!« und reichte dem Vater die Hand zum Gruß.

Dieser sah mich und die eben auch ankommenden Knaben lächelnd an und sagte: »Nun, seid ihr fleißig und brav gewesen in der Schule?«

Einige nickten bestätigend, andere sagten frischweg » Ja«, und ich forschte neugierig, warum der Vater an der Brust den Rock so sorgfältig zusammenhalte.

»Was hast du da?« frug ich: »Lass mich's tragen!«

»Was ich trage, ist sehr zerbrechlich«, lächelte der Vater:

»Doch wenn du vorsichtig sein willst – meinetwegen – da nimm's und trag's!«

Heiter ließ er den Rock an der Brust los und zog eine hübsche Violine hervor.

Ein Ruf der Überraschung rang sich aus meiner Brust, mit einem heftigen Ruck nahm ich dem Vater die Violine aus der Hand und betrachtete sie mit Staunen und Entzücken.

»Ist sie mein?« rief ich.

»Was willst du denn mit ihr? Freilich, wenn du spielen lernen wolltest …«

» Ich will! Ich will!« rief ich und drehte mich entzückt um mich selber.

»Das ist was anderes; dann magst du dich zusammennehmen«, sagte der Vater. Er hatte die Violine von einem Händler an Zahlungsstatt annehmen müssen und wollte sie nun in der Familie nutzbar verwenden ...

Mit größerem Eifer ist noch kein Unterricht aufgenommen worden als der Meinige auf der Violine. Schon am nächsten Morgen wanderte ich, mit der schönen Geige unterm Arm, nach dem Schulhaus, bat im Namen des Vaters, der bald selbst kommen und bitten würde, um Beginn des Unterrichtes und erwarb des Lehrers Zufriedenheit bald in besonderem Maße. Es belebte mich wie eine Ahnung von einem höheren Lebensberufe, zu dem mich das Spiel auf dem so beliebten und berühmten Instrumente fähig mache; selbst wenn ich es nicht weiter bringen sollte als der Primgeiger unserer Dorfmusik oder der erste Violinspieler unserer Musik in der Kirche, dünkte mir meine Kunst geeignet, mir eine Ehrenstellung im, ja über dem Dorfleben zu erringen. Das war schon Sporn genug, um einen regen Ehrgeiz und standhaften Fleiß zu beleben und aufrecht zu erhalten; dass ich dadurch in eine Richtung gedrängt werden könnte, die mich aus dem wieder so lieb gewordenen Volksleben hinausführen müsste, schien mir noch nicht klar zu sein, sollte nur aber bald durch neue Umstände einleuchtend werden. Mein Vater hatte inzwischen den Lehrer ersucht, mich auch im Gesang und Klavierspiel zu unterweisen, und eine gelegentliche Bemerkung desselben, dass der Lehrerstand für jemand, der nicht Haus und Hof oder Vermögen zu erben habe, sehr wünschenswert und ehrenvoll erscheinen müsse, öffnete mir den hellen Einblick in die geheime Absicht meines Vaters. Lehrer also! – und damit stimmte auch die Anregung des Lehrers, mich zum Ministranten auszubilden. Die Lehrer waren damals verpflichtet, Messnerdienste beim Gottesdienst zu verrichten, und wenn kein geeigneter Knabe zur Verfügung stand, persönlich beim Messopfer zu ministrieren. Ein kleines Heft enthielt die deutsch gedruckten Responsorien, die der Ministrant mit dem Priester am Altäre zu wechseln hatte, und besondere Unterweisungen des Lehrers am Altare machten mich bald fähig, dem Priester in jeder Weise beim Messopfer zu dienen. Meine ersten Ministrantendienste leistete ich unserm Katecheten, wenn er in der Kapelle des Schuldorfes zeitweise Messe las, später fühlte ich mich hochgeehrt, wenn ich bei feierlichen Gelegenheiten in der Pfarrkirche Rotenbaum als einer der beim Hochamt dienenden vier Ministranten dienen durfte. Doch trat bald ein Ereignis ein, das an Bedeutung und Anregung alle kirchlichen Feierlichkeiten, die ich bisher gesehen hatte, weit übertraf ... Der Sohn des Schustermeisters im Schuldorf, ein Freund meines Bruders Andreas, hatte Theologie studiert und sollte in der nächsten Zeit daheim seine »Primiz« feiern, das heißt, die erste Messe lesen. Die »Primiz« ist eine große Feierlichkeit, besonders auf dem Lande; sie pflegt eine ganze Gegend in Bewegung zu setzen. Die Eltern des jungen Priesters sehen sich zur Zeit einer solchen Kirchenfeier von der ganzen Gegend hoch geehrt, und der junge Priester empfängt die Verehrung eines Heiligen. Wenigstens damals war es noch so. Vierzehn Tage vor der »Primiz« pflegt der junge Priester jedem, der es wünscht, einen besonders wichtigen Segen zu erteilen, so wertvoll, dass man, nach dem Volksglauben, ein paar eiserne Schuhe durchlaufen sollte, um die Gelegenheit zur Erreichung dieses Segens zu gewinnen. Der junge Priester ist daher während dieser vierzehn Tage in seiner Wohnung, bei Besuchen und sogar auf seinen Wanderungen über Feld ein frommumdrängter Mann, vor dem sich einzelne und ganze Gruppen des Volkes auf die Knie werfen, um den besonders wirksamen Segen zu empfangen. Bei dem Besuche des jungen Priesters in meinem Elternhause, wo er früher als Student oft mit meinem studierenden Bruder verkehrt hatte, sah er sich daher auch bald von Eltern, Geschwistern und Knecht' und Mägden umringt, die, auf den Knien liegend, die Segensspendung zu erhalten wünschten. Darunter war ich natürlich selbst und erlebte, als wir uns wieder erhoben, eine Auszeichnung, die ich lange nicht vergessen konnte. Der junge Priester legte mir nämlich, als ich aufgestanden war, die Hand auf den Scheitel, bog mir den Kopf etwas zurück und sagte lächelnd: » Ei, du wirst ja nächstens mein Ministrant sein, der Herr Lehrer hat mir schon davon gesagt!« Ich war sprachlos vor Glückseligkeit, wurde aber bald durch neue Ereignisse in eine noch glücklichere Stimmung versetzt. Der studierende Bruder Andreas, der einige Jahre während der Ferien nicht nach Hause gekommen war, schrieb aus Wien, dass er diesmal die Ferien daheim zubringen werde, um zugleich der »Primiz« seines Freundes beizuwohnen. Bei dieser Nachricht war ich mit einem Ruck wieder von den früher so sehnlich gehegten Ideen und Wünschen erfüllt, das Ideal, zu studieren, aus dem einfachen Volksleben wie der junge Priester und mein Bruder hervorgehoben zu werden, lebte wieder leidenschaftlich auf und zog mein Herz bald noch in ein süßes, eigenartiges Interesse. Zum sogenannten Bräutchen des jungen Priesters, das am Tage der »Primiz« aufs Schönste geschmückt an der Spitze des festlichen Einzugs in die Kirche gehen und dann am Altare einen Ehrenplatz einnehmen sollte, war eine Mitschülerin, das Töchterchen eines reichen Wirtschaftsbesitzers und Federnhändlers, ausersehen worden, für das in mir eine unglaublich süße, ängstlich behütete Neigung glühte, von der niemand, am wenigsten die Kleine selbst, eine Ahnung hatte. Beim Festzug und am Festaltar selbst sollte ich als Ministrant die herrliche Feierlichkeit in der nächsten Nähe der kleinen Braut mitmachen und also in doppelter Glückseligkeit schwelgen. An einem Donnerstag vor der »Primiz« saß ich wie vor Jahren auf dem Feldrain in der Nähe des Föhrenwäldchens und erwartete den aus Wien heimkehrenden Bruder Andreas. Er kam diesmal nicht zu Fuß, sondern auf einem Wägelchen sitzend, das unser Maxenz bis Klattau entgegen gefahren. Plötzlich zuckte ein Sonnenstrahl wie ein Blitz vom Wäldchen her, es war die Rückstrahlung der Sonne von der Metallrose am Kopf unseres Pferdes, und das Wägelchen mit dem heimkehrenden Bruder erschien an dem Saume des Wäldchens. Ich war schnell in der Höhe und sprang hochglühend dem Wägelchen entgegen, das bald stille hielt, weil der Bruder wünschte, dass ich einsteigen und, neben ihm sitzend, die Heimfahrt mitmachen sollte. Die großen seelenvollen Augen des Bruders leuchteten freundlich, als er mir die Hand reichte, mich neben sich auf den Sitz zog und mir sachte den Arm um den Hals legte. »Dir geht's gut«, sagte er liebreich, »auch bist du gewachsen, find' ich. Vater und Mutter und alle zu Hause wohlauf?« Ich konnte nur mit dem Kopfe nicken, mir war vor Freude und Rührung die Kehle wie zugeschnürt; ich verblieb in diesem Zustand bis nach Hause, wo uns Eltern und Geschwister, den Fahrweg abschneidend, durch den großen Obstgarten entgegen kamen. Die Begrüßung war die innigste; der Bruder stieg aus, umhalste Vater und Mutter, gab den Geschwistern die Hand und begab sich dann, umringt von allen, nach der Familienstube, während Maxenz, bewegt vor sich hinlächelnd, das Pferd nach dem Stall führte, dann den Koffer des Bruders vom Wägelchen hob und nach der Stube trug. »Ich erleb's auch noch, Beberl«, sagte er leise zu mir, als er die Stube verließ: »Dich führ' ich auch noch einmal so heim wie den Bruder!« Die abermalige Begrüßung in der Stube war kaum vorüber, als an die Türe geklopft wurde und der junge Priester hereintrat, um den Bruder sogleich nach seiner Heimkehr willkommen zu heißen. Die Freunde umarmten und küssten sich; der Bruder sagte dann ein paar Worte leise dem Priester ins Ohr, warf einen freundlichen Blick auf die nebenan stehenden Eltern – plötzlich glitten die Hände des Bruders an den Armen des priesterlichen Freundes herunter, seine Knie beugten sich vor ihm – »deinen Segen, Freund«, sprach er leise, und sogleich breiteten sich die Hände des Freundes über ihn, und der lateinische Segen wurde gesprochen ... Ich habe Vater und Mutter selten so bewegt gesehen als in diesem Augenblicke; sie hegten, namentlich seitdem der Bruder von der Bahn des Priestertums »abgesprungen«, den stillen Argwohn, dass es mit seinem Glauben nicht ganz sei wie es sollte; aber der Wunsch des Bruders, den Segen des jungen Priesters zu erhalten, flößte den Eltern wieder Vertrauen ein, dass es mit dem Christentum desselben doch besser stehe; der Bruder gestand mir auch nach Jahren, dass er den Eltern zum Troste den Segen des Freundes erbeten habe ... Der feierliche Akt der »Primiz«, der einige Tage später vollzogen wurde, ist mir, da ich noch nichts Großartigeres gesehen hatte, unvergesslich geblieben. Der Zudrang des Volkes war außerordentlich; die Festpredigt ergriff die Herzen der Hörer stellenweise so mächtig, dass in der weiten Kirche Tränen flossen und Schluchzen vernommen wurde; Priestertum und der junge Priester insbesondere wurden den Gemütern aufs Ergreifendste gepriesen, und als unter mächtigstem Brausen der Orgel und der spätern Instrumental-Musik mit Gesang das vom neugeweihten Priester zelebrierte feierliche Hochamt begann, da verrichteten wir vier schön ausgestatteten Ministranten mit Begeisterung unsere Aufgabe, ich hatte das Weihrauchfass zu schwingen und sendete dichte Wolken Weihrauchs nach dem Altar nach rechts und links hin – besonders in der Richtung, wo das Bräutlein des jungen Priesters am Altare wie ein furchtsames Opferlämmchen saß ... Nach dem Hochamte erteilte der junge Priester der ganzen Gläubigenschar in der Kirche noch seinen hochwichtigen Segen, dann begab sich der ganze Festzug wieder nach dem Pfarrhof, von wo er aus gegangen war, und als er da sich auflöste und ich mich eben aus der Ministrantenhülle schälte, wurde ich von einer lebhaften Hand ergriffen und eine Stimme sagte: »Mein lieber Ministrant bleibt da und iss mit uns!« Es war die Stimme des jungen Priesters, der mit meinem Bruder herausgetreten war und mich über die Treppe des Pfarrhofs hinauf in eine große Vorhalle führte, wo in drei Reihen lange Tafeln gedeckt waren für die als Gäste anwesenden Priester der Gegend, für den Herrn Pfarrer und dessen Kaplan, für die Eltern des Primizianten, die rechts neben dem geistlichen Sohne den obersten Platz an der Haupttafel einnehmen mussten; an den zwei übrigen Tafeln waren die weltlichen Gäste, Ortsvorsteher, Lehrer und sonstige Respektspersonen untergebracht; – mein Bruder musste links neben dem geistlichen Freunde sitzen, seine liebe Nachbarin war das Bräutchen des großen Festes – und neben das Bräutchen hatte mich der junge Priester selbst gesetzt ... Es war eine kostbare Tafel, die nach meinen Begriffen alles übertraf, was in der Gotteswelt gut und herrlich war, es wurde viel gegessen, viel getrunken, viel geredet, auch gesprochen und zu guter Letzt auch noch gesungen, wobei ich mit Verwunderung gewahrte, dass unser Herr Pfarrer, ein schon bejahrter und immer sehr ernster Herr, der Heitersten einer war, noch mächtig anklingende, ehrenhafte Studentenlieder anstimmte und mächtige Wogen aus einem hohen Deckelglase sog ... Die zwei stillsten, immer verlegen dreinsehenden Gäste waren ich und meine bräutliche Nachbarin; wir hätten schwerlich etwas zu essen und zu trinken gewagt, wenn uns nicht immer aufmunternd vorgelegt worden wäre. Ich konnte eines tief geheimsten Gedankens nicht los werden, wenn ich auch einmal Geistlicher würde, das Bräutchen neben mir müsste auch mein Bräutchen werden; – dass es sich aber bis dahin nicht würde abhalten lassen, älter und größer zu werden – daran dachte ich freilich nicht ...


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