Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9.
Mächtige Überraschung. Bei Anschütz. Bühne und Kirche.

»Wonaus, Beberl?«

Ich überbrachte meine Arbeit, begleitet von einigen Zeilen und wohlverschlossen, in die Wohnung des jungen Anschütz und überließ ihm und den befreundeten Kollegen um so ruhiger die Beurteilung, als ich, wie immer nach Vollendung einer Ausgabe, gegen diese infolge einer gewissen Abspannung selbst gleichgültiger geworden war.

Es war gerade um die Zeit, wo mit Rücksicht auf hohe Feiertage die Kollegien eine Woche geschlossen blieben und ich die ganze Zeit nicht Gelegenheit hatte, den jungen Anschütz wie gewöhnlich zu treffen.

Am neunten Tage, gegen zehn Uhr vormittags, wo der Professor der Mathematik die Vorlesungen wieder eröffnen sollte, wanderte ich, ganz vertieft in die sinnige Idee und in die herrlichen Verse der »bezauberten Rose« von Ernst Schulze, die ich am Tage vorher gelesen hatte, der Universität zu; in die Bäckerstraße einbiegend, sah ich den jungen Anschütz auf mich zukommen und mich freudig grüßen.

»Ich habe Ihnen eine Nachricht zu bringen!« sagte er, mir die Hand reichend; »mein Vater wünscht Sie kennen zu lernen und ladet Sie ein, ihn zu besuchen!«

Ein freudiger Schreck lähmte mir fast die Schritte.

»Ihr Herr Vater« – stotterte ich.

»Mein Vater«, fuhr Anschütz fort. »Er hat Ihren Aufsatz gelesen und ihn so merkwürdig gefunden, dass er gar nicht glauben wollte, es habe ein so junger Mensch, ein Kollege von mir, ihn geschrieben; endlich, wiederholt versichert, dass es doch so sei, beauftragte er mich, Sie ihm vorzustellen und, wenn es Ihnen so passt, schon heute gegen fünf Uhr nachmittags, da der Vater heute nicht zu spielen hat.«

Ich sagte natürlich zu und war um die bestimmte Stunde auf dem Wege nach der Wohnung des bewunderten Hofschauspielers. Da ich diesen noch nicht außerhalb der Bühne gesehen hatte, so erschien er meiner Phantasie nur wie in den Rollen des »Lear« und »Othello«, namentlich in letzterer; und mit stillem Grauen sah ich rasch nacheinander einige der schrecklichsten Szenen des Mohren vor Augen, wie er den Aufruhr in Zypern bändigt:

Rühr' ich mich erst
Und hebe diesen Arm, so soll der Beste
Von euch vor meinem Zorn zu Boden sinken!

Wie er Jago anfährt:

»Gib mir sichere Gewähr,
Dass meine Gattin eine Buhlerin;
Sonst, bei dem Leben meiner ew'gen Seele,
Besser wär' dir's, als ein Hund geboren sein,
Als meinem Grimm dich stellen!«

Voll Neugierde und Sorge, wie ich bei dem Besuche bestehen würde, betrat ich also die Wohnung des Künstlers und wurde diesem von dem Sohne sogleich vorgestellt. Ich traf Anschütz in einem großen Lehnsessel ruhend, die gedrungene Gestalt in einen langen, geblümten Schlafrock gehüllt; er hatte eben sein Mittagschläfchen geendet und aus seinem vollen, wohlwollend lächelnden Gesichte lag freundlich bürgerliches Behagen.

»Seien Sie willkommen«, sagte er, in seiner bequemen Lage verharrend und mir die rechte Hand entgegenstreckend.

»Es freut mich, Sie kennen zu lernen!«

Ich setzte mich auf einen Stuhl neben dem Armsessel, und er fuhr fort:

»Ich war überrascht von Ihrer Arbeit und erfreut von dem Inhalt, der von größerem Ernst und findigerm Studium zeigt, als man von einem so jungen Mann sonst erwarten kann. Sie mussten Shakespeare und insbesondere Othello schon recht genau kennen gelernt haben, ehe Sie die Darstellung des Letzteren sahen.«

»Ich habe die Werke Shakespeares schon auf dem Gymnasium gelesen und sozusagen mit dumpfer Bewunderung angestaunt; aber die volle Einsicht in die Größe seiner Wunderwerke, des Lear und Othello, ist mir erst infolge der Aufführungen im Hofburgtheater geworden«, sagte ich.

»Das ist natürlich«, bemerkte Anschütz. » Mit einerguten Aufführung wird uns die Bedeutung des Dichterwerkes erst klar, und die Leistung jedes darin Beschäftigten ist das Ergebnis des sorgfältigsten Studiums der einzelnen Rollen als Teile des Ganzen; was ich in Ihrem Aufsatze vermisst habe, ist die nähere Würdigung auch der anderen Rolleu im Othello, namentlich des Jago (La Roche) und besonders der Desdemona (Frau Rettich), die ganz Vorzügliches leisten.« »Ich fürchtete durch jedes längere Abweichen von der Hauptgestalt dieser an Interesse zu entziehen und beschränkte mich also auf notwendige kurze Hinweisungen auf die wichtigeren nächsten Rollen.«

»Nun, da lässt sich ja nachträglich noch abhelfen ... Wahrhaft erfreut war ich über Ihre mächtige Liebe und Verehrung für die hohe Tragödie, die bei unserer Jugend und im Publikum überhaupt so bedauerlich im Abnehmen begriffen sind. Wenn es so fort geht, werden wir endlich keine Tragödiendichter und keine Schauspieler mehr für das tragische Repertoire zu finden wissen!«

Mit gutmüthigem Lächeln erzählte er, wie er mit seinen Rollen »Lear«, »Othello«, »Macbeth« in den größten Provinzstädten arge Enttäuschungen erlebt habe.

»In Linz z. B. habe ich«, erzählte er, »den Lear vor leeren Bänken gespielt, und da ich auf Teilung spielte, entfielen auf mich für den Lear-Abend – 70 Kreuzer! Doch«, fuhr er ernsthaft fort, »lassen wir die Hoffnung nicht sinken. Dem schlaffen Zeitalter, das die meiste Schuld trägt, werden wieder kräftigere Tage folgen, und bis dahin wird unser Burgtheater seine Schar treuer Anhänger der tragischen Muse vollzählig beisammen halten, namentlich wenn unsere Jugend so eifrig wie Sie dem hohen Koturn ihre Treue und Bewunderung widmet. – Fahren Sie fort, im Sinne Ihres Aufsatzes zu wirken, verbreiten Sie Ihre Ansichten durch die Presse, Ihr Talent halte ich für berufen, auf weitere Kreise zu wirken. Ich will sorgen, dass Sie öfter mit meinem Sohne die Sitze benützen können, die uns Hofschauspielern zeitweise zur Verfügung stehen! – Morgen gleich steht ein Sitz zu Ihren Diensten; wir geben »Emilia Galotti«, sehen Sie sich dieses Meisterwerk von Lessing an, es ist eine der besten Vorstellungen im Burgtheater!«

Er hatte sich erhoben und reichte mir mit väterlich-freundlicher Miene die Hand zum Abschied.

Dass Anschütz in der Vorstellung der »Emilia Galotti« den »Odoardo« spielen werde, erfuhr ich erst von seinem Sohne, der mich nach meiner Verabschiedung vom Vater auf sein Zimmer führte, mir die genaue Besetzung des Stückes sagte und dann etwas geheimnisvoll bemerkte:

»Ich bin Mitglied eines Vereins von jungen Freunden, die zeitweise auch Versuche auf der Bühne machen. Zu diesen Versuchen steht uns ein hübsches Theater (in Meidling) zur Verfügung und gerade »Emilia Galotti« soll binnen vierzehn Tagen von uns gegeben werden. Sehen Sie sich morgen die Vorstellung im Burgtheater an und – verfolgen Sie besonders genau die Darstellung des »Prinzen«, denn ich wäre geneigt, Sie als Mitglied unseres Vereins vorzuschlagen und Ihnen gleich die Rolle des »Prinzen« zuzuweisen, da wir eben keinen passenden Repräsentanten für diese Rolle haben!«

Ich erschrak über die Kühnheit eines solchen Unterfangens und fühlte mich doch auch geschmeichelt durch den Antrag.

»Wie soll ich die Verwegenheit haben«, rief ich, »und eine solche Rolle spielen wollen, der ich niemals die Bühne betreten und die Vorübungen gemacht habe!«

»Das wird Ihnen nicht als so großes Wagstück erscheinen,« sagte er; »wenn Sie bedenken, dass alle Mitwirkenden blutige Dilettanten sind und nur vor wohlwollendem geladenem Publikum spielen. Memorieren Sie fleißig Ihre Rolle, sehen Sie sich morgen Herrn Fichtner im Burgtheater als Prinzen an, zahlreiche Proben und eifrige Anleitungen werden das Übrige tun. Ich selbst spiele den »Odoardo«, die Rolle meines Vaters und hätte zumeist alle Ursache, vor dieser Rolle und vor dem gewaltigen Muster zurückzuschrecken ... Ja, wollen Sie mittun?«

Ich zögerte einen Augenblick, dann sagte ich noch unentschlossen:

»Ich will's versuchen; doch bedinge ich, dass die Rolle gleichzeitig von einem andern Mitgliede einstudiert werde, das für mich eintreten kann, wenn im letzten Augenblicke der Mut und der Glaube an meine Fähigkeit mich im Stiche lassen.«

Das Zugeständnis wurde gemacht, und wir schieden, durch ein neues Band der Freundschaft innigst miteinander verbunden ...

Als ich in seltsam gehobener, aber doch etwas »belegter« Stimmung auf die Straße und nach Hanse eilte, begegnete mir ein Kapuziner-Mönch, der, als ich aussah und ihn erblickte, bereits halb vorüber war; es war Pater Franz. Ich hatte nur das Gefühl, als hafteten seine Blicke, die mich gesehen und erkannt haben mussten, nachwirkend noch auf mir ... Betroffen stand ich stille und sah der schlanken, von Alter schon stark gebeugten Mönchsgestalt errötend nach. »Hat er mich wirklich bemerkt und erkannt?« dachte ich. »Ist er verwundert über das Außerachtlassen meiner Zusage, ihn von Zeit zu Zeit aufzusuchen?«

Wo war ich überhaupt auf meinem Wege zum heiligen Priesterstande? Die Studien freilich führten noch weiter auf dem richtigen Wege fort – aber die Versuche meiner jungen Feder? – Die Bewunderung der Herrlichkeiten des Hofburgtheaters? – Die Versuchung gar, auf der Bühne eines Theaters schauspielerisch mitzutun? ...

»Beberl, Beberl«, hörte ich wie aus weiter Ferne den Maxenz sagen, »wo kutschierst du 'naus, und du musst doch wissen, wir warten auf deinen hochheiligen Priestersegen!« ...


 << zurück weiter >>