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10.
Klosterneuburg? »Emilia Galotti.« Freiherr v. Hofmann.

Als ich nach Hause kam, fand ich einen Brief meines Vaters, der, erfreut über meine Berichte aus Wien, mich beauftragte, meinem Chef und dessen Gattin den verehrungsvollsten Dank meiner Eltern zu sagen und um Entschuldigung zu bitten, dass sie durch den Geistlichen der Heimat ihrer Verehrung hätten Ausdruck geben lassen, da sie selbst ja nicht im Stande wären, ein so hoher Herrschaften würdiges Schreiben zu verfassen.

Wirklich war an Frau v. Planer ein in etwas überschwänglichen Ausdrücken abgefasstes Dankschreiben unsers Landpfarrers eingetroffen, in welchem insbesondere die Andeutung bemerkt wurde, dass ich für den geistlichen Stand bestimmt und darum dem Himmel so besonders zu Dank verpflichtet sei, dass ich auf dem Wege meines künftigen Berufes unter sicherem und ehrwürdigem Obdach vor Um- und Abwegen behütet werde.

Lächelnd übergab mir Frau v. Planer den Brief des Geistlichen und sagte: »Also Priester wollen Sie werden? Davon haben Sie bisher nichts merken lassen.« Verlegen erwiderte ich, dass es der lebhafte Wunsch meiner Eltern sei und ich selbst auf dem Lande große Neigung für den geistlichen Stand gefühlt hätte.

»Und jetzt?« fragte die kluge, liebenswürdige Dame weiter.

»Jetzt fühle ich wohl, dass es mit der Standeswahl nicht so leicht gehe, als ich mir früher eingebildet habe«, erwiderte ich verlegen. »Ich sehe, dass es in der Welt gar wichtige und angesehene Dinge gibt, die uns anziehen und mächtig bewegen. Doch wird wohl alles nicht helfen, der Wille meiner guten Eltern wird erfüllt werden müssen!«

»Übereilen Sie nichts«, fuhr Frau v. Planer fort. »Sie haben noch ein Jahr Zeit sich zu entscheiden. Haben Sie sich entschieden, dann sagen Sie mirs, damit ich mich für Sie verwenden kann. Sie sollen nicht dem Lose eines in irgendeinem verlornen Winkel der Welt verschlagenen armen Landpfarrers verfallen; Sie sollen eine Stellung finden, in der Sie trotz ihres geistlichen Berufes in Fühlung bleiben mit den geistigen und Kulturinteressen der Zeit, und dazu bietet Ihnen der Eintritt in eines unserer großen und reichen Klöster die beste Gelegenheit. Diese Klöster besitzen viele und ansehnliche Pfarreien, wenn Sie doch einmal Liebe zu ländlicher Pfarrtätigkeit behalten sollten, und der Rücktritt ins Kloster, besonders in ältern Tagen, wird für Sie immer ein Trost und eine lohnende Aussicht bleiben. Ich denke z. B. an unser nahes Klosterneuburg«

Ich hatte dieses großartige und reiche Kloster erst vor einigen Wochen besucht und seine Merkwürdigkeiten bewundert; die Andeutung, dass es mir einmal gegönnt sein könnte, Mitglied des Ordens dieses angesehenen Priesterhauses zu werden, wirkte sehr gewinnend, und ich bemerkte mit einiger Besorgnis: »Die Aufnahme in dieses Kloster wird aber sehr schwer durchzusetzen sein!«

»Mit Hilfe einiger Protektion nicht allzuschwer! Der Herr Prälat des Klosters ist unserm Hause sehr befreundet, und ich glaube, seine Geneigtheit, Sie als Novize aufzunehmen, erwirken zu können ... Doch davon später mehr; nur sagen Sie mir Ihren Entschluss rechtzeitig, damit wir unsere Absicht vorbereiten können!«

Ich verneigte mich lebhaft dankend vor der wohlwollenden Dame und wollte mich rasch entfernen, als ich nochmals angesprochen und durch eine Mitteilung überrascht wurde.

»Es wird Sie interessieren«, bemerkte Frau v. Planer lächelnd, »dass ich auch für unsern Theodor in der Stille Vorsorge treffe, ihn, wenn er seiner Zeit Neigung fühlen sollte, in einem geistlichen Stifte unterzubringen. Seine Liebe für Gesang und Oper führt auf gar unsicherer Bahn zu einer Lebensstellung, die schöne Stimme kann bei bester Ausbildung leiden oder ganz verloren gehen; da ist's geraten, im Notfalle auf einen schon geebneten Weg hinweisen zu können, der in den Hafen führt. Im Erzbistum Olmütz befindet sich ein adeliges Domherrnstift, in welchem unser Theodor Aufnahme finden wird, wenn seine Wünsche und Bemühungen, bei der Oper sein Glück zu machen, nicht in Erfüllung gehen ... Theodor hat bisher nur gelegentliche Andeutungen über diese Angelegenheit erhalten, sprechen Sie jetzt als Freund vertraulich mit ihm darüber, teilen Sie ihm mit, dass für Sie in Klosterneuburg Platz geschaffen werden soll, Sie werden so am besten erfahren, ob er glaube, in dem Stande eines Geistlichen Befriedigung finden zu können. Doch tun Sie mir den einen Gefallen, suchen Sie ihn nicht zu überreden und auch nicht abwendig zu machen, sich dem geistlichen Stande zu widmen; es soll ganz seinem freien Willen überlassen bleiben, seinen künftigen Beruf zu wählen!«

Ich nahm noch an demselben Tage, gelegentlich eines üblichen Spazierganges um die Basteien, Anlass, mit Freund Theodor über den eben beregten Gegenstand in dem von seiner Mutter gewünschten Sinne zu sprechen und fand ihn, ganz seiner weichen, biegsamen Natur gemäß, nicht abgeneigt, unter den günstigen Auspizien, welche die Mutter in Aussicht gestellt, ins Domherrnstift zu Olmütz einzutreten. »Wenn du von Adel wärst, würde ich's zur Bedingung machen«, sagte er heiter lächelnd, »dass du mit mir ins Domstift aufgenommen würdest. Das wäre herrlich, fürs Leben beisammen bleiben zu können und als zwei stattliche Domherrn Hand in Hand durchs Leben zu schreiten!«

»Nun«, erwiderte ich ebenfalls heiter, »es wird sich auch so nicht übel machen – du als Domherr in Olmütz und ich als Ordenspriester zu Klosterneuburg – liebenswürdiger Briefwechsel Jahr aus Jahr ein, zeitweise ich Gast in deinem, du Gast in meinem Stift – dann Erinnerungen an unsere Studentenjahre; was wir für feurige Kreuzköpfeln gewesen sind; du als skalenstürmender Opernstreber, ich als federnschwingender Musenjünger – nun, unter allen Umständen wird es einst von Interesse sein, von den Fügungen zu sprechen, welche uns beide in die heiligen Hallen geistlicher Stifte geführt haben – oder geführt haben sollten!«

Theodor wurde nachdenklich und sagte dann: »Ich seh' uns schon die erste Zusammenkunft feiern, beide im geistlichen Habit dass uns doch nicht gestattet ist, in die Zukunft zu sehen – ich möchte so gerne wissen, was heute in zehn Jahren mit uns geworden ist!«

»Die Voraussicht in die Zukunft«, sagte ich, »hat uns die Vorsehung mit gütiger Weisheit versagt; wir würden oft Dinge sehen – die uns um Lebensmut und Zuversicht bringen würden, auf der Lebensbahn munter fortzustreben!« Und ich hatte richtig bemerkt, – Freund Theodor hätte bei Erfüllung seines Wunsches in zehn Jahren sich im Grabe gebettet – und mich als politischen Flüchtling in der Fremde umirren gesehen! ...

In glücklicher Unkenntnis der Zukunft gaben wir uns also wie bisher dem Leben hin, wie es sich uns bot, setzten unsere Studien fort, trieben nach wie vor unsere musikalischen Übungen und die kaiserlichen Theater in der Burg und am Kärntnertor sahen uns, so oft es ging, als aufmerksame bewundernde Jünger.

Der nächste Besuch gehörte dem Hofburgtheater, da richtig der Zettel, wie es mir vorhergesagt worden war, am nächsten Tage »Emilia Galotti« von Lessing ankündigte. Der junge Anschütz erfreute mich mit dem versprochenen Sitze, er selbst benützte rechts neben mir den zweiten Platz, Theodor wurde von seiner Mutter mit einem Sitze überrascht, den ich in ihrem Auftrag heimlich kaufen musste; er war der nächste Sitz links lieben mir.

Drei gespanntere und empfänglichere Besucher sah wohl das Hofburgtheater selten als uns, die wir lange vor Beginn der Orchestermusik vor dem Vorhang saßen und der endlichen Vorstellung mit glühender Teilnahme folgten.

Die Vorstellung, die ich später noch öfter besuchte, war in der Tat eine der vortrefflichsten im Burgtheater; Fichtner als »Prinz« war gut; Löwe als Appiani war trefflich; Korn als Marinelli vorzüglich; Anschütz als »Odoardo« unübertrefflich; Frau Rettich als Orsina sehr schneidig und wirkungsvoll und D'lle. Pistor als »Emilia« sehr anziehend.

Nach der Vorstellung gingen wir drei Freunde, wie es in Wien üblich war, noch in ein Kaffeehaus, um unsern begeisterten Herzen Luft zu machen, und der junge Anschütz benützte die Gelegenheit, mir die von Fichtner gespielte Rolle des »Prinzen« nach allen Richtungen auszudeuten und für meine Darstellung zurechtzulegen. Nach diesen Andeutungen memorierte ich auch in den freien Stunden der nächsten Zeit fleißig und fand mich bald wie in einem neuen Lebenselemente, indem in den Kollegien immer neue gleichstrebende Talente auftauchten, sich näher an Anschütz und mich anschlossen und mich bald dahingebracht hatten, das Hauptziel meiner Studien, den Priesterstand, nur von Ferne, wie hinter einem dichten Nebelschleier, von Zeit zu Zeit noch zu sehen.

Unter den Kollegen, welche sich mir infolge der Lektüre des Aufsatzes »Othello« und als Mitstrebende bei unsern künftigen Bühnenversuchen lebhafter näherten, befand sich auch der später durch rasche und auffallende Karriere bis zum Reichsfinanzminister sich aufschwingende Freiherr v. Hoffmann, der bekanntlich sein Leben in einer Liebhaberstellung als – General-Intendant der kaiserlichen Hoftheater schloss. Er war mir als Universitäts-Kollege vom ersten Tage an durch einen eigenen Umstand aufgefallen, indem er als wahrhaft quecksilberartig beweglicher junger Mann beim Eintritt in den Hörsaal stets sofort auf die erste Schulbank sprang und seinen Spazierstock wie eine Balanzierstange schwingend über alle Bänke des Hörsaales weglief, bis er auf seinem Platze ankam und untertauchte. Er ist mir mein ganzes Leben lang wohlgeneigt geblieben, bis er in die Hände eines Dämons und Hochstaplers geriet, der ihn mir abwendig machte und gegen mich geradezu feindlich und gefährdend zu stimmen wusste.


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