Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Einundvierzigster Brief

Dublin, den 30sten Oktober 1828

Beste Julie!

O welche Vorwürfe! Aber drei Briefe auf einmal, das macht alles wieder gut. Ich habe mich einmal fast satt an heimischen Nachrichten lesen können! Und weiß Dir meine Dankbarkeit dafür kaum genug auszudrücken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wohl hast Du Recht, daß ein solcher Bundesgenosse wie Du eine große Wohltat für mich gewesen wäre. Gouvernante Prosa hätte die Poesie besser auf dem Boden erhalten und der nie alternde Elfen-Knabe, dessen Natur es ist, mit bunten Seifenblasen zu spielen, während er sich auf einer Blume schaukelt, würde, vom weisen Mentor gezügelt, vielleicht, statt der farbigen Kugeln, eine konsistentere irdische Frucht zu pflücken versucht und auch wohl erlangt haben. Mais tout ce qui est – est pour le mieux. Dieses Axiom laß uns nie vergessen. Voltaire hat Unrecht darüber zu spotten, und Panglos wirklich recht. Nur diese Überzeugung kann über alles trösten, und was mich betrifft, gestehe ich, daß es die Essenz meiner Religion ist.

Dein Brief Nro. 1 ist die Weisheit und Güte selbst – aber gute Julie, in Hinsicht auf die erste, ist, fürchte ich, Hopfen und Malz an mir verloren. Ich bin zu sehr – wie nenn' ichs doch?... ein Gefühlsmensch, und solche werden nie weise, d. h. lebensklug. Desto mehr wirkt freilich Güte auf mich, nur die Deinige ausgenommen, denn davon ist das Maß schon bei mir so voll, daß auch kein Tropfen mehr in mein Herz kann. Mit diesem vollen Herzen mußt Du Dich nun ein für allemal begnügen – mehr kann Dein armer Freund Dir nicht geben! Ist es aber wohl möglich, daß Du dabei immer noch Befürchtungen Raum geben kannst, als hätten die zwei vergangenen Jahre Abwesenheit mich gegen Dich verändern können! Als würde ich in Dir nicht mehr das finden, was ich früher gefunden u. s. w. Weißt Du, wie die Engländer dergleichen nennen? ›Nonsense.‹ – Daß ich übrigens nichts sehnlicher wünschen würde, als Dich wieder zu sehen, solltest Du unversichert schon einem so unermüdeten Korrespondenten zutrauen, doch vergißt Du ganz, daß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie oft habe ich Dir auch nicht schon gesagt, daß ich für die Welt nicht passe. Meine Mängel, wie meine Vorzüge, ja, selbst die geistigere Natur, die Du an mir finden willst, sind nur so viel Steine des Anstoßes in meinem Wege. Geistig, etwas poetisch, gutmütig und wahr – macht in der Regel nur unbehülflich und verdrossen in der Alltagsgesellschaft. Gleichmäßig mit allen denen, wie ein englischer Schriftsteller sagt, deren Gefühle und Neigungen ihr Urteil paralysieren, finde auch ich nie eher als zu spät, wie ich mich mit Klugheit hätte benehmen sollen – ›eine kunstlose Disposition‹, fährt der Engländer fort, ›die übel darauf berechnet ist, mit der Arglist und dem kalten Egoismus der Welt in die Schranken zu treten‹. Ich kenne einen mir hundertfach überlegnen berühmten Mann, dem es in dieser Hinsicht doch beinahe ebenso geht, und der fortwährend bedauert, aus einem Dichter ein Staatsmann geworden zu sein. »Ich hätte mein Leben enden sollen, wie ich es angefangen«, sagte er, »unbekannt in der Welt umherstreifend, und mich ungestört an Gottes Herrlichkeit erfreuend – oder von den Menschen fern, in meiner Stube verschlossen, allein mit meinen Büchern, meiner Phantasie und meinem treuen Hunde«Wir möchten fast um Verzeihung bitten, solche und andere verwandte Stellen nicht ganz unterdrückt zu haben. Wer aber so weit gelesen, muß sich doch einigermaßen für oder gegen den Autor interessieren – und in beiden Fällen können diese unbefangenen Urteile über sich selbst, dem Leser, der das Charakteristische liebt, nicht ganz unwillkommen sein. Wer sich nur an die Sachen hält, der überschlägt sie ja leicht. .


Den 31sten

Ich verbrachte heute einen sehr angenehmen Abend bei Lady M...n. Die Gesellschaft war nur klein, aber geistreich, und belebt durch die Gegenwart zweier sehr hübschen Freundinnen unsrer Wirtin, die mit der besten italienischen Methode sangen. Ich sprach viel mit Lady M...n über mancherlei Gegenstände, und sie hat Geist und Gefühl genug, um durch ihre Unterhaltung immer lebhaft zu interessieren. Im ganzen habe ich Dir in meinem früheren Briefe nicht Gutes genug über sie gesagt. Jedenfalls kannte ich an ihr damals noch nicht die liebenswürdige Eigenschaft: zwei so hübsche Busen-Freundinnen zu besitzen.

Die Konversation kam einmal auf ihre Werke, und sie frug mich, wie mir Salv. R... gefiele? »Den habe ich nicht gelesen«, erwiderte ich, »weil ich«, setzte ich, mich tant bien que mal entschuldigend hinzu, »Ihre Fiktionen so liebe, daß ich nichts Geschichtliches von der genialsten Romanen-Dichterin habe lesen mögen.« – »O das ist auch nur ein Roman«, rief sie, »lesen Sie ihn in dieser Hinsicht ohne Gewissensbisse.« –›Sehr wohl‹, dachte ich, ›wahrscheinlich ebenso wie Ihre Reisebeschreibungen‹, hütete mich aber doch, es zu sagen. »Ach«, meinte sie nachher, »glauben Sie mir, nur der ennui bringt alles Schreiben bei mir zuwege, unser Menschen-Los ist so elend in dieser Welt, daß ich es schreibend zu vergessen suche.« (Wahrscheinlich hatte sie der Lord-Lieutenant nicht eingeladen, oder sonst ein Großer ihr faux bond gemacht, denn sie war ganz melancholisch.) »Welches schreckliche Rätsel ist die Welt!« fing sie wieder an; »gibt es einen Gott oder keinen? Und wenn er allmächtig ist – und böse wäre! wie furchtbar!« – »Aber um Himmels willen«, sagte ich, »wie kann eine geistreiche Frau wie Sie, nehmen Sie mir es nicht übel, solchen Unsinn sprechen?« – »Ach, ich weiß längst alles«, fuhr sie fort, »was Sie mir darüber sagen wollen. Gewißheit gibt mir doch kein Mensch!« Diese Unklarheit bei dem scharfsinnigsten Beobachtungsgeiste war mir, selbst an einer Dame (ne vous en fâchez point, Julie) beinahe unbegreiflich. Lady M...s Gemahl, früher Arzt, jetzt Philosoph und unbekannter Schriftsteller, übrigens was man im Französischen un bon homme nennt, dabei Gutschmecker und Wichtigtuer, schenkte mir ein Buch von seiner Arbeit, ein ganz materielles philosophisches System enthaltend, das aber dennoch manchen guten Gedanken enthält und mehr wert ist, als ich dem Autor eigentlich zugetraut hätte. Die Lektüre desselben hat mich heute die halbe Nacht beschäftigt, ich merkte aber wohl an der Haltlosigkeit des Ganzen, daß entweder Lady M... ein gutes Teil davon selbst gemacht, oder wenigstens durch diese unverdauten Ansichten so irre und ungewiß geworden ist, daß sie sich einbildete, ›der liebe Gott könnte zufällig wohl böse sein!‹ Die berühmten Leute sind auch Menschen, das weiß der Himmel! Gelehrte wie Staatsmänner – und fast bei jeder neuen Bekanntschaft dieser Art mahnt es mich an Oxenstierna, dem sein noch sehr junger Sohn, da er als Gesandter zum Kongreß nach Münster reisen sollte, Bedenklichkeiten äußerte, welche Rolle er, so weisen und großen Männern gegenüber, spielen würde. »Ach mein Sohn«, sagte der Vater lächelnd, »ziehe hin in Frieden, und siehe, welche Menschen es sind, die die Welt regieren!«


Den 1sten November

Les catholiques me font la cour ici. Der E... B... ließ mir heute durch eine Dame sagen, daß ich mich, da ich ihre Kirchenmusik liebe, doch heute in der Kapelle einfinden möge, wo man das Sänger-Personal besonders vollständig gemacht habe; auch werde er selbst fungieren. In der Tat hörte ich eine herrliche Vokalmusik (hier sind auch weibliche Sänger gestattet), nur von einzelnen Tönen der mächtigen Orgel begleitet. Es war ein hoher Genuß, dieser Sphärengesang, der mit süßer Wonne die Seele füllte und auf den Fittichen der Melodie den Sorgen des Alltäglichen enthob, während die ganze Gemeinde andächtig und betend auf den Knien lag.

Du wirst am Ende glauben, liebe Julie, daß ich im Begriffe bin, es dem Herzog von C... nachzumachen, und katholisch zu werden. – Nun so ganz ohne Grund kann ich die Ansicht, die dazu verleitet, nicht finden. Der Protestantismus, wie ihn gar viele ausüben, ist eben nicht viel vernünftiger, und bei weitem weniger poetisch und schön, sinnlich gesprochen. Ich glaube aber immer, ein neuer Luther oder gar ein neuer Christus ist nah und wird uns dann allen über die Mauer helfen; – dann bedarf es kein Rückwärtsblicken mehr; bis dahin jedoch finden manche vielleicht – wenigstens mehr Konsequenz im katholischen Kultus! Es ist kein halber, sondern ein vollständiger Götzendienst, dessen Stufenleiter der göttlich gemachten Geschöpfe mit den Heiligen aufhört, diesen lieben teilnehmenden Heiligen beiderlei Geschlechtes, die uns so nahe stehen, und unsre menschlichen Wünsche, Regungen und Leidenschaften so gut kennen!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wenn die Priester und Chorjungen, wie ich erwähnt, die Räucherfässer umherwerfen, dem Bischof jeden Augenblick ein anderer gestickter Rock, Kragen oder Tuch umgegeben wird, er selbst vor dem Hochaltar bald fest steht, bald vorwärts, bald rückwärts läuft, sich mit dem Antlitz auf die Erde niederwirft und zuletzt sich mit der Monstranz, wie eine Windfahne, umdreht, und die Augen auf sie, wie auf ein Mikroskop, geheftet hält etc. – so bin ich vollkommen darauf vorbereitet, nachher von 7000 Mann sprechen zu hören, die mit vier Broten und drei Fischen nicht nur satt gemacht worden, sondern noch so viele Körbe Krumen und Gräten übrig behalten haben – oder vom jüngsten Tage, und Christi Sitz neben Gott dem Vater, wo er Platz nehmen wird, um alle diejenigen zu ewigen Martern zu verdammen, welche nicht an ihn geglaubt haben. – Wenn aber ein schlichter, sich vernünftig anstellender Mann, mir zuerst von Duldung, Tugend, ewiger Wahrheit und Liebe spricht, dann aber vom Gott der Gerechtigkeit und Liebe und einem seiner edelsten Verkünder auf Erden, dergleichen Märchen und Atrocitäten, die den gesunden Menschenverstand beleidigen, erzählt, und sie für etwas Heiliges und Göttliches ausgeben will – so wende ich mich mit Widerwillen von solcher Heuchelei oder Torheit ab. Ein cagot wird mir hierauf antworten wollen: ›Euer gesunder Menschenverstand ist kein Maßstab für Gott‹ – worauf ich ihm erwidere: › Euer Gott ist aber ein Mensch – und unser Verstand und unsere Vernunft ist, mit der Erkenntnis der äußern Natur und daraus abstrahierten Erfahrung, eben die einzige wahre und echte Offenbarung Gottes, deren wir teilhaftig geworden sind.. und die niemand bezweifeln kann. Der Mensch ist allerdings seiner Natur nach dazu bestimmt, sich mit diesen Mitteln durch sich selbst immer weiter fortzubilden, und so war das Christentum auch eine Folge dieser fortschreitenden Zivilisation, wie früher (um bei diesem Zweig der Ausbildung stehen zu bleiben) das mosaische Gesetz, später die Reformation, und ihr zweiter Akt, die französische Revolution; endlich die hieraus allgemeiner erwachsende Denk- und Presse-Freiheit, und alles, was sich jetzt ruhiger, aber desto sicherer, durch diese letztere bereitet. – Wir finden also überall nur die Resultate derselben allmählichen Zivilisation, von der niemand wissen kann, wo sie stehen bleiben wird, – aber welchen Grad sie auch erreiche, immer kann und soll sie hier nur menschlich sein und durch menschliche Mittel befördert werden.


Den 2ten

Mein letzter und längster Besuch an diesem Morgen galt den lieblichen Mädchen, die ich bei Lady M... kennengelernt. Ich brachte ihnen italienische Musik mit, die sie sangen wie Nachtigallen, und auch dabei ebenso anspruchslos als natürlich blieben. Ihr Vater ist ein hochgeschätzter Arzt, und wie hier die meisten Doktoren von Bedeutung, Baronet oder Sir, ein Titel, der, beiläufig gesagt, in England gar nicht zum Adel gerechnet wird, obgleich sehr alte und angesehene Familien sich darunter befinden, aber auch Creti und Pleti, wie bei unserm niedrigen Adel. Ein solcher Sir wird gewöhnlich nicht bei seinem Familien-, sondern Vornamen genannt, als z. B. ›Sir Charles‹, ›Sir Anthony‹, wie man in Wien: ›Graf Tinterle‹, ›Fürst Muckerle‹ u. s. w. zu sagen pflegt. Der ärztliche Ritter, von dem ich jetzt spreche, hat diesen Titel für die Anlegung einer sehr guten Badeanstalt erhalten, die sich in seinem Hinterhause befindet, und ist dabei ein interessanter Mann. Noch geistreicher scheint mir seine Frau, die ihrer berühmten Verwandtin in richtigem Takt und Urteil überlegen ist und ein großes Nachahmungs-Talent besitzt, mit dessen komischer Anwendung sie selbst ihre eigene Familie nicht immer verschont. Die Töchter, obgleich ganz verschieden, sind doch beide sehr originell, die eine im sanften, die andere im wilden Genre, weshalb ich sie auch nur: ›Lady M...s wild Irish girl‹, zu nennen pflege, alle drei aber zeigen eine charakteristische NationalitätDiese ist in der großen Welt hier sehr selten anzutreffen, da die tyrannischen Erfordernisse englischer Bildung sehr allgemein in den drei Inseln wirken, weshalb Du auch bemerkst, daß ich gar oft Irländer und Engländer nur unter dem letzten Namen vereinige. Ich sollte sie eigentlich ›Britten‹, oder nach der neueren Orthographie, ›Briten‹ nennen. , haben auch Irland nie verlassen.

Abends erzählte mir Lady M..., daß ihr die schlechten, und oft ganz sinnentstellenden Übersetzungen ihrer Werke viel Verdruß machten. So habe man in ihren Briefen über Italien, wie sie von den Genuesern sagt: They bought the scorn of all Europe (wörtlich: sie erkauften sich den Hohn des ganzen Europas) für ›scorn‹, ›corn‹ (Korn) gelesen, und frischweg übersetzt: Gênes dans ce temps achetait tout le blé de l'europe. Dies ist ein guter Pendant zu der ›Nation der Heid-Schnucken.‹


Den 3ten

Als ich früh aufstand, und ans Fenster trat, bot sich meinen Blicken mitten in den Straßen der Hauptstadt wieder einmal eine echt irische Szene dar, wie sie sonst nur das Land zu zeigen pflegt. Mir gegenüber saß eine alte Frau, Äpfel verkaufend, und behaglich ihre Zigarre schmauchend. Näher dem Hause machte ein Mann in Lumpen allerlei Kunststücke, unterstützt von seinem Affen. Ein regelmäßiger Kreis, vier bis fünf Mann hoch, war um ihn geschlossen, und bei jedem neuen Spaß ertönte lauter Jubel, mit einem solchen Demonstrieren, Geschrei und Gestikulieren verbunden, daß man schon glaubte, Streit sei entstanden und auf irgend jemand würde es bald Prügel regnen. Das neue Angehen des Schauspiels brachte aber jedesmal wieder Totenstille hervor. Jetzt konnte indes die Lebhafteste der Gesellschaft sich nicht länger mehr mit bloßem Zuschauen begnügen. Sie muß selbst agieren, und in unbezwinglicher Lustigkeit springt sie in den magischen Kreis, ergreift den erschrockenen Affen und überbietet ihn in Possen, Sprüngen und Grimassen aller Art, die das verdoppelte Lachen und Jauchzen der erfreuten Menge belohnt. Die Darstellungs-Wut wirkt aber ansteckend – mehrere gesellen sich zu der ersten Aktrice, die bisherige Ordnung fängt an, sich immer mehr in Wirrwarr zu verkehren, der Künstler, besorgt für die Sicherheit seines Affen, oder um ihn nicht durch übles Beispiel verführen zu lassen, bricht schleunigst auf; seine Retirade gleicht schon einer übereilten Flucht, der ganze Haufe stürzt ihm schreiend nach, jeder will der erste hinter ihm sein. Einige schimpfen und verschiedene Shillelaghs, die die vorige Lust in der Scheide erhielt, werden sichtbar. Andere nehmen die Partei des fliehenden Künstlers, dieser entwischt indessen, und ehe man sich's versieht, endet die Verfolgung in einem allgemeinen Gefecht der Verfolger.

Ein garçon-diner bei Lord S..., dem ich nachher beiwohnte, endigte beinahe ebenso geräuschvoll, wenn auch nicht so empfindlich, meinen Tag, und hielt mich bis mitten in der Nacht wach. Voilà tout ce que j'ai à vous conter d'aujourd'hui.


Den 16ten

Ich bringe fortwährend mein Leben bei den kleinen Nachtigall-Engeln zu, sehe öfters Lady M... und vermeide, so viel ich kann, die übrige Gesellschaft. Die Mädchen führen ein burleskes Journal, wo sie, mit den extravagantesten Zeichnungen daneben, eine Chronik unserer täglichen Fata verfassen, die höchst belustigend ist. Nachher singen, schwatzen wir, oder stellen tableaux dar, wobei die Mutter, mit ihrem Schauspielertalent, uns aufs schönste mit den heterogensten Dingen drapiert. Du würdest wenigstens haben lächeln müssen, wenn Du heute gesehen hättest, wie das wild Irish girl sich einen Schnurrbart und favorite mit Kohle malte, einen Überrock ihres Vaters anzog, und Schnupftuch und Stöckchen in der Hand, als meine Karikatur hereintrat, um ihrer Schwester, nach meiner Art, wie sie sagte, die Cour zu machen. Diese Mädchen haben eine unerschöpfliche, gar nicht englische, aber echt irländische Grazie und Lustigkeit, und man erlaubt mir glücklicherweise, von der in diesen Ländern üblichen Etikette etwas abgehend, alle Abende hier zuzubringen (sonst darf dies in England nur gebeten geschehen, da Visiten allein vormittags gestattet sind) welches mir den Aufenthalt in Dublin weit angenehmer macht, als ich hoffen durfte. Um Mitternacht werde ich zwar immer sehr geschmält, viel zu lange geblieben zu sein, aber dem Unverbesserlichen wird doch jedesmal nachher wieder verziehen.

Nach den tableaux magnetisierte ich die Älteste, welche öfters an Kopfweh leidet. Du weißt, daß mir schon oft diese Kuren gelungen sind. An der Verwandtschaft des Magnetismus und der Elektrizität zweifelte ich wahrlich nicht, wenn ich mit den Fingerspitzen den Saum ihres Kleides berührte, oder über die äußersten Enden ihrer seidnen Locken strich, die knisternde Funken von sich zu sprühen schienen. Diese Älteste, affligée de 18 ans, hat braune Augen und Haare von einem ganz seltsamen Ausdruck und Beschaffenheit. Die letztern partizipieren vom Feurigen, ohne rot zu sein, und in den ersten ruht eine feuchte Glut, über die sich gleichfalls oft ein wahrer rötlicher Feuerschein hinzieht, doch immer bleibt es nur Glut, kein aufflackerndes Flammenblitzen, wie es die funkelnden Augen der kleinen Wilden oft erleuchtet. Denn bei dieser ist alles Flamme, und unter dem mädchenhaften Erröten bricht oft die Determiniertheit und der Mut eines Knaben hervor. Unvorsichtig und vom Augenblick hingerissen, erlaubt sie sich sogar manchmal zu große Vivazitäten, die aber, durch ihr allerliebstes Naturell und ihre unnachahmliche Grazie, den seltnen Reiz des Mädchens nur vermehren. Als man heute meinen Wagen anmeldete, rief ich seufzend: »Ah! que cette voiture vient mal à propos!« – »Eh bien!« rief sie, noch im Männerkostüm dastehend, wie ein wahrer kleiner Husar: »Envoyez la au diable!« Ein höchst strenger und mißbilligender Blick der Mama, und das Erschrecken der Schwester überzog sogleich alles, was von dem Gesichtchen hinter dem Schnurrbart zu sehen war, mit Scharlach über und über. Sie schlug beschämt die Augen nieder und war dabei so unwiderstehlich hübsch, daß ich... ja was? – gute Julie, fülle Dir die Phrase selbst aus – und damit gute Nacht.


Den 17ten

Lady M... empfing mich heute früh in ihrem Autor- boudoir, wo sie im eleganten Kostüm, mit einer Feder aus Perlmutter und Gold in der Hand, nicht ohne Koketterie an ihren Werken schreibt. Sie war mit einem neuen Buch beschäftigt, zu dem sie einen ganz guten Titel erfunden hat: ›Memoiren von mir und für mich.‹ Sie frug, ob sie ›von mir‹ oder ›für mich‹ zuerst setzen sollte? Ich entschied für das erste als folgerechter, weil sie erst schreiben müßte, ehe sie für sich geschrieben haben könnte, worüber wir in einen scherzhaften Streit gerieten, indem sie mir meine deutsche Pedanterie vorwarf, und behauptete, daß von jeher bonnet blanc und blanc bonnet einerlei gewesen sei, was ich lachend zugeben mußte. Das von ihr gewählte Motto war: Je n'enseigne pas, je raconte (Montaigne). Sie las mir einiges vor, was ich vortrefflich fand. Mit der Feder in der Hand wird diese, sonst ziemlich superfiziell erscheinende Frau, ein ganz andres Wesen. Man könnte sagen: der Perlmutter-Feder entfallen echte Perlen, die Mutter bleibt als kalte Schale zurück.

Sie sagte mir, daß sie den Winter nach Paris ginge und von da nach Deutschland reisen möchte, hatte aber eine große Furcht vor der österreichischen Polizei. Ich riet ihr Berlin zu wählen. »Werde ich nicht da auch verfolgt werden?« rief sie lebhaft. »Gott bewahre«, tröstete ich, »in Berlin betet man Talente an, nur rate ich Ihnen wenigstens eine Ihrer hübschen Freundinnen mitzunehmen, die gut und gern tanzt, damit Sie beide auf die Hofbälle gebeten werden und die liebenswürdige militärische Jugend kennenlernen, was der Mühe wert ist, und Ihnen sonst vielleicht nicht zuteil werden würde.« Hier kam der Mann hinzu und bat mich, sein philosophisches Buch doch in Deutschland übersetzen zu lassen, damit er nicht bloß als Adjutant seiner Frau, sondern mit eignen Flügeln angeflogen kommen könne. Ich versprach alles was man wollte, machte jedoch bemerklich, daß dermalen ein neues Gebetbuch mehr Glück machen würde, als ein neues philosophisches System, deren wir ohnehin genug hätten.

Abends nahm ich für die jungen Damen, die noch sehr wenig ausgehen dürfen, eine Loge im Pferde-Theater, wohin ich sie begleitete. Ihr naives Vergnügen an den vielfachen Künsten der Rossebändiger war ergötzlich anzusehen. Die kleine Sechzehnjährige verwandte kein Auge von Ducrows halsbrechenden Manövern, und hielt, vor Angst und Begierde zitternd, die ganze Zeit ihre Händchen fest zusammengeballt; die ältere betrachtete schon still errötend die schönen Formen und üppigen Stellungen der gewandten Reiter.

Es war ein wunderschönes Kind bei der Gesellschaft, welches, erst sieben Jahre alt, bereits auf dem Pferde tanzte, eine Menge Rollen mit ungemeiner Grazie spielte, und besonders, als Napoleon angezogen, wo das winzige Mädchen die schroffen Manieren des Kaisers höchst possierlich nachahmte, immer den rauschendsten Beifall einerntete. Meine jungen Freundinnen wünschten dies Kind von nahem zu sehen, und ich begab mich daher auf's Theater, wo der kleine Engel eben ausgekleidet wurde, und ganz nackt, wie ein leibhaftiger Amor, vor dem Spiegel stand. Ihre Rolle war für heute ausgespielt, und sobald die neue Toilette beendet war, nahm ich sie auf den Arm, und brachte ›l'enfant prodige‹ wie sie auf dem Zettel genannt wurde, im Triumph herauf. Nach den ersten Liebkosungen ward die Kleine, von uns allen, die aufmerksamste Zuschauerin des Schauspiels, obgleich man hätte glauben sollen, sie habe täglich genug daran. Nur eine Tüte mit Süßigkeiten, die ich ihr präsentierte, konnte sie eine Zeitlang davon abwendig machen, und wir mußten alle über ihr naives und drolliges Benehmen herzlich lachen, als sie, auf Miss S... Schoße sitzend, die Hälfte der Bonbons in ihren Busen schüttete, und dann wieder, mit den Samthändchen darnach langend, der sie Abwehrenden zurief: »Let me alone, that is my favourite cake« (Laß mich, das ist mein Lieblings-Bonbon). Miss S..., die über die Äußerung und Beharrlichkeit der Kleinen rot wurde, schob sie endlich mit etwas Übereilung von sich, so daß das Kind sich an einer hervorstehenden Nadel blutig stach. Wir fürchteten sie würde weinen, aber der Diminutiv-Napoleon wurde nur böse, schlug die Beleidigerin so derb als möglich und rief entrüstet »Fie, for shame! You stung me like a bee!« (Pfui schäme Dich, hast mich wie eine Biene gestochen) und damit voltigierte sie auf den Schoß der Schwester, legte ihr Ärmchen über das Logenbrett, und sah von neuem mit ungestörter Aufmerksamkeit der ›Belagerung von Sarogosse‹ zu. Im Entreakt sagte ihr Lady C... (auf das lächerliche quid pro quo in Limerick anspielend, das ich ihr erzählt hatte) ich sei Napoleons Sohn. Sie sah mich schnell an, fixierte mich eine Weile, und rief dann mit der ernsthaftesten Grandezza: »O! Ich habe selbst Ihren Herrn Vater mehrmals gespielt und immer außerordentlich Beifall mit ihm erworben.« So natürlich, drollig und ohne alle Verlegenheit machte die liebliche Kleine unser aller Eroberung, und wir sahen mit Bedauern das Ende der Vorstellung heranrücken, wo wir sie wieder abliefern mußten. Sie wollte sich nur von mir wieder hinuntertragen lassen, weil ich sie heraufgebracht, und als ich mit ihr hinter den Kulissen ankam, wo alles voller Pferde stand und ich schon ganz besorgt war, wie ich mich da durchdrängen sollte, schrie sie gleich mit großer Lebhaftigkeit, und ungeduldig auf meinem Arme zappelnd: »Nun fürchtest Du Dich? Nur vorwärts, ich werde die Pferde schon in Ordnung halten!« Und damit teilte sie rechts und links Klapse auf die Nasen der alten Bekannten aus, die auch folgsam wichen, bis wir hindurch waren. »Jetzt laß mich hinunter!« rief sie, und kaum berührten ihre Füße den Boden, als sie mit der Behendigkeit eines Häschens über den Hintergrund der Bühne floh, und schnell im Getümmel verschwand. – Kinder sind gewiß die anmutigsten Geschöpfe, wenn sie nicht durch Verziehung verkrüppelt sind, selten aber mag so viel Natürlichkeit auf den Brettern, noch seltener vielleicht auf dem höhern Theater der großen Welt gedeihen.


Den 18ten

Daß ich O'Connell hier wieder getroffen, vergaß ich Dir zu melden. Ich hörte ihn schon einigemal in der Catholic-Association, dem jetzigen irländischen Nationalparlament, welches ich heute zum zweitenmal besuchte. Man empfing mich, als einen gut gesinnten Fremden, mit Applaudieren, und Hr. O'Connell machte mir sogleich Platz, zwischen sich und einem Lord C.... Der Saal ist nicht zu groß und ebenso unreinlich als der des Unterhauses in England. Auch hier behält jeder den Hut auf dem Kopf, ausgenommen wenn er spricht; auch hier gibt es gute und schlechte Redner, aber allerdings zuweilen noch weniger anständige Sitte als dort. Die Hitze war stickend, und ich mußte demohngeachtet 5 Stunden aushalten, die Debatten waren aber so interessant, daß ich die Unbequemlichkeit kaum bemerkte. O'Connell sprach, ohne Zweifel, am besten. Obgleich vom größten Teile vergöttert, ward er doch auch von manchen sehr hart bedrängt, und verteidigte sich mit ebenso vieler Mäßigung als Gewandtheit, dagegen er ohne alle Schonung und meines Erachtens nach mit zu starken Ausdrücken, die Minister und das englische Gouvernement angriff. Daß viel Intrige und fest verbundene, im voraus bestimmte, Parteien, hier so gut wie bei andern Körpern dieser Art herrschen, und daher die Diskussion oft nur Spiegelfechterei bleibt, war leicht zu ersehen; die Führer aber haben wenigstens ihr Handwerk sehr gut einstudiert. Die drei hervorstechendsten Redner sind O'Connell, Shiel und Lawles, auch Mr. Fin und Mr. Ford sprechen gut und mit vielem persönlichen Anstande. Shiel ist ein Mann von Welt, mit noch mehr Unbefangenheit und aisance, in der Gesellschaft, als O'Connell, aber als Redner erschien er mir viel zu affektiert, zu künstlich und präpariert in dem was er sagte, dabei ganz schauspielermäßig, ohne alles wahre Gefühl in der delivery seiner Rede, wie es die Engländer bezeichnend nennen. Es wundert mich nicht, daß er, ohngeachtet seines nicht unbedeutenden Talents, so viel weniger populär ist, als O'Connell. Beide Männer sind sehr eitel – die Eitelkeit O'Connells ist aber offner, vertrauender und bereits zufriedener gestellt, die von Shiel hingegen peinlich, wund und finster. Der eine ist daher, die eigne Partei betreffend, sozusagen, in Honig, der andere in Galle getaucht, und der letztere, obgleich für dieselbe Sache streitend, sichtlich eifersüchtig auf den Kollegen, den er mit Unrecht zu übersehen glaubt. Herr L...s dagegen ist nur der Don Quixotte der Association. Sein schöner Kopf, sein weißes Haar, sein wilder, aber edler Anstand und ein herrliches Organ, lassen, wenn er auftritt, Außerordentliches erwarten, aber bald löst sich die ernst begonnene Rede in die unglaublichsten Extravaganzen und oft ganz verwirrten Unsinn auf, welcher Freund und Feind mit gleicher Wut angreift. Man achtet ihn daher wenig, lacht ihn oft aus, wenn er, wie König Lear, raset, unachtsam auf das Publikum, oder was um ihn vorgeht. Die dominierende Partei gebraucht ihn aber, wo nötig, als Schreier. Heute verflog er sich so sehr, mit unaufhaltsamem Schwunge, daß er plötzlich mitten in der katholischen und archikatholischen Association, die Fahne des Deismus aufpflanzte, vielleicht auch nur um O'Connell Gelegenheit zu geben, ihn mit Indignation zur Ordnung zu rufen, und dabei eine fromme Tirade anbringen zu können; denn auf der Rednerbühne, wie auf dem Böttgerfaß, auf dem Throne, wie auf der Marionettenbude – gehört Klappern zum Handwerk.

Am gewöhnlichen Orte ruhte ich abends aus. tableaux waren wieder an der Tagesordnung. Nacheinander mußte ich als Brutus, orientalischer Jude, François Premier, oder Saladin erscheinen. Miss J... war als ›Student von Alkala‹ ein verführerischer Wildfang, und ihre ältere Schwester, als ›Sklavin des Serails‹, eine willkommene Gefährtin für Saladin, und als ›die schöne Rebekka‹ Walter Scotts auch nicht übel mit dem ›orientalischen Juden‹ gepaart. Alle diese Metamorphosen bewerkstelligte die Mutter nur mit vier Lichtern, zwei Spiegeln, einigen shawls, bunten Tüchern, einem am Licht gefärbten Korkstöpsel, einem Schminktopf und verschiedenen Haartouren. Dennoch hätte Talma den Brutus nicht besser drapieren können und täuschender die Physiognomien verändern, als diese geringen Mittel es, unter der geschickten Leitung von Lady C..., vermochten. Zuletzt wurden Karikaturen gezeichnet, und auf meine Bitte versuchte jede Schwester das Portrait der andern zu malen. Beide gelangen sehr gut und befinden sich bereits in der Galerie meiner Lebensbilder.


Den 19ten

Ich sah mich heute zu etwas Unangenehmen genötigt, was ich schon lange aufgeschoben, und mußte endlich mein großes Mittel anwenden, um meine Abneigung zu besiegen. Du wirst lachen, wenn ich Dir es nenne, aber mir hilft es, für Großes und Kleines. In der Tat gibt es wenig Menschen, die nicht zuweilen leichtsinnig, noch öfter schwankend wären. Da es mir nicht besser geht, so habe ich ein eignes Mittel erfunden, mir in Dingen, die mir schwer ankommen, künstlich Entscheidung, und den Halt zu verschaffen, der mir sonst vielleicht fehlen könnte, und den der Mensch einmal durch irgend etwas außerhalb Hingestelltes bedarfSelbst Religion und Moralität reichen in dem verwickelten Zustande der menschlichen Gesellschaft nicht für alle Fälle aus – Beweis: die konventionelle Ehre, welche oft gegen beide streitet, und deren Gesetze doch von den besten befolgt werden. . Ich gebe nämlich in solchem speziellen Falle ganz feierlich mir selbst mein Ehrenwort darauf, dies oder jenes zu tun oder zu lassen. Ich bin natürlich sehr vorsichtig damit, und überlege nach Kräften, ehe ich mich dazu entschließe, ist es aber einmal geschehen, und hätte ich mich dann auch geirrt oder übereilt, so halte ich es bestimmt, wäre selbst gewisser Untergang die Folge. Und ich befinde mich sehr wohl und ruhig dabei, einem so unabänderlichen Gesetz unterworfen zu sein. Könnte ich es brechen, so würde ich, nach dem einmal hineingelegten Sinn, von dem Moment an, alle Achtung für mich selbst verlieren, und welcher denkende Mensch müßte, bei einer solchen Alternative, nicht unbedenklich den Tod vorziehen. Denn sterben ist doch nur eine Naturnotwendigkeit, und folglich nichts Übles – es scheint uns nur so, in bezug auf unsre hiesige Existenz, d. h. der Selbsterhaltungstrieb muß den Tod fürchten, die Vernunft aber, die ewig ist, sieht ihn in seiner wahren Gestalt, als einen bloßen Übergang von einem Zustand zum andern – sich aber von eigner, unbesiegbarer Schwäche überzeugen, ist ein Gefühl, dessen Stachel wenigstens dieses Leben fortwährend verbittern müßte! Daher ist es jedenfalls besser, im Kollisionsfall, mit innerm Triumph für diesmal aufzuhören, als im Seelen-Lazarett fortzuvegetieren. Ich werde also keineswegs abhängig durch dieses Wort, sondern grade durch dasselbe bleibe ich unabhängig. Solange meine Überzeugung nicht ganz fest steht, wird, wie schon gesagt, die mysteriöse Formel ohnedies nicht ausgesprochen, dann aber darf, für das Heil meiner Seele, keine Veränderung der Ansicht, nichts mehr meinen Willen brechen, als die physische Unmöglichkeit. Indem ich mir aber hierdurch in den äußersten Fällen eine sichere Stütze schaffe, siehst Du ein, daß ich zugleich eine furchtbare Waffe zum Angriff erhalte, wenn ich gezwungen würde, sie anzuwenden, so kleinlich auch das Mittel manchem dünken mag. Ich dagegen finde es schön, daß der Mensch solche Dinge sich aus nichts, oder dem Trivialsten, selbst schaffen kann, nur durch seinen hierin wahrhaft allmächtig zu nennenden Willen!

Ob Du, gute Julie, dies Raisonnement nicht verwegen und tadelnswert finden wirst, mag ich nicht verbergen, ja für ein Weib wäre es auch nicht gemacht, und ein ganz kräftiger Geist hätte es vielleicht ebensowenig nötig. Jeder muß sich aber nach seiner Natur einrichten, und so wie noch niemand das Geheimnis erfand, ein Rohr wie eine Eiche, oder einen Kehlkopf wie eine Ananas wachsen zu lassen, so werden auch Menschen sich immer, wie das gemeine, aber gute Sprüchwort sagt: ›nach ihrer Decke strecken müssen‹. Wohl dem, der sich nicht mehr zutraut, als er kann! Ohne es übrigens so tragisch zu nehmen, dient das große Mittel auch ganz vortrefflich bei Kleinigkeiten. Z. B. unerträglich langweilige Gesellschaftspflichten als gelassenes Opfer zu erfüllen – die Faulheit zu besiegen, um eine immer aufgeschobene Arbeit endlich gewaltsam zu erledigen – sich eine wohltätige Enthaltsamkeit aufzulegen um nachher desto besser zu genießen – und viel, viel dergleichen mehr, wie es das zuweilen erhabne, und noch öfter kindische Leben darbietet.

Nachmittags ritt ich, die Grillen zu vertreiben, weit in das Land hinein, dem Gebürge zu. Nach ohngefähr zwölf Meilen kam ich in eine ganz kahle Gegend wellenliniger Torfmoore ohne Ende, die sich nach allen Richtungen ausdehnten. Man hätte sich hundert Meilen von einer Hauptstadt entfernt geglaubt. Der Eindruck war nicht wild, nicht ganz so öde wie Sandflächen, aber schauerlich leer, einsam und monoton. Eine einzige elende Hütte stand darauf, aber in Ruinen, ohne Bewohner, und wie ein großer Wurm schlängelte sich ein weißer Fußweg an ihr hin, sich mühsam durch das braune Heidekraut windend. Das Ganze war mit ein wenig Schnee gepudert, und der Wind auf den kahlen Höhen eisig kalt. Demohngeachtet zog mich das Melancholische der Szene so an, daß ich nur notgedrungen mein Pferd wieder rückwärts wendete. Näher an Dublin fand ich auf einer isolierten Bergspitze eine eigne Spielerei ausgeführt, nämlich ein Haus, das in Gestalt eines nachgemachten Felsen gebaut war, so täuschend in der Tat, daß man es für einen wirklichen ansah, bis man vor dem Eingang stand. Erst bei Mondschein langte ich, mit von der scharfen Luft brennendem Gesicht, in meinem Gasthofe zum Mittagsessen an, zu dem ich Vater Lestrange gebeten hatte, car j'aime les prêtres, comme Voltaire la Bible, malgré tout ce que j'en dis.

Ich fand auch einen Brief von Dir, klage aber, daß Du mir zu wenig Details schreibst! Bedenke doch, daß jede Kleinigkeit von dort mir wert ist. Ob mein Lieblingspferd wohl ist, meine süße Freundin (die perruche) noch zuweilen meinen Namen ruft, Dein Haustyrann ›Fancy‹ mehr oder weniger unartig, die Papageien in good spirits, die neuen Pflanzungen gut gewachsen, die Badegäste fröhlich gewesen sind, alles das hat, ein paar hundert Meilen weit, bedeutendes Interesse. Um aber davon etwas zu erfahren, sehe ich wohl ein, daß ich Dich einmal, wenn auch nur auf einen Tag lang, überraschen muß. Du weißt, ich hasse Szenen und Feierliches, also auch geräuschvollen Empfang, wie alles Abschiednehmen – un beau matin also, wirst Du mich in Deinem Frühstücks-Salon etabliert finden, wo ich Dich scherzend und neckend empfangen will, als sei die lange Reise nur ein Traum gewesen, et toute la vie hélas! est-elle autre chose? Ganz im Ernst, man sollte alle solche Dinge weit gleichgültiger und behaglicher nehmen, als man tun zu können glaubt. Ein englischer dandy diene Dir darin zum Muster. Sein bester Freund und Regimentskamerad ging nach Indien, und als dieser gerührt von ihm Abschied nehmend, in hoher Bewegung seine beiden Hände ergreifen wollte, um sie zum letztenmal vielleicht zu schütteln, hielt der incroyable ihm, halb abwehrend, nur die Fingerspitzen hin, indem er lächelnd lispelte: »Sonderbare und höchst fatiguante englische Gewohnheit, sich gegenseitig die Körper zu pumpen, indem man ihre Schwengel auf und ab bewegt!«

Dein Portrait hat mir nicht so viel Freude gemacht als es sollte. Die Züge sind viel zu hart, und müssen erst gesanftet (softed) werden, ehe ich sie als Stellvertreter des Originals gelten lassen kann, dessen Bild übrigens lebhaft genug in meinem Herz lebt, um daß es keines andern zur Auffrischung bei mir bedarf.

Dein ewig treuer L...


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