Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Den 23sten

Haymarket-Theater ist jetzt mit sehr guten Schauspielern besetzt, und das rendez-vous aller, nach beendigter season vakant gewordener gay-ladies. Ich saß gestern in meiner Loge, ganz aufmerksam auf das Stück, als sich plötzlich der allerniedlichste Fuß, in einen netten Schuh und perlfarbnen seidnen Strumpf gehüllt, auf den Stuhl neben mir auf stützte. Ich sah mich um, und ein paar prächtige braune Augen lächelten mich schalkhaft aus einem Philinen-Gesichte an, das ein großer italienischer Strohhut halb verdeckte, während ein ganz einfaches, sehr weißes Kleid, von einem ponceau-roten Bande unter der züchtig verdeckten Brust zusammengehalten, den ganzen Putz der kleinen Person ausmachte, welche kaum 18 Sommer zu zählen schien.

Alle dandies, und auch viele junge Leute in der großen Welt, die dies eben nicht sind, pflegen hier Maitressen zu halten, denen sie ein eignes Haus mieten, sie darin einrichten, und ihre müßigen Augenblicke dort zubringen, ganz wie ehemals die petites maisons in Frankreich. Sie kommen bald auf einen förmlich-häuslichen Fuß mit ihnen, und sind auch in diesem Verhältnis so systematisch als in allen übrigen. Treu sind diese Art ›Weiber auf Zeit‹ selten, aber oft weit gebildeter an Geist und Sitte als ihresgleichen in andern Ländern.

Die Kleine hinter mir schien die Absicht zu haben, ein solches Verhältnis anzuknüpfen, denn sie benahm sich nicht ohne Feinheit, und wußte ebensosehr durch eine artige Koketterie gegen mich, als durch ein äußerst gemessenes Benehmen gegen andere, die sich ihr zu nähern suchten, bald eine Art Einverständnis zwischen uns hervorzubringen, ohne daß wir noch ein Wort gewechselt hatten. Auch fehlte des Anstandes halber eine Mutter neben ihr nicht, die sie chaperonierte, aber sei es nun eine gemietete oder eine wahre, nirgends sind diese Mütter bequemer als in London. –

Es ist sonderbar, daß die meisten jungen Mädchen die hier einem langen Elend so lustig entgegengehen, nicht von Männern und durch Liebe, sondern, wie mir ein sehr Kundiger versicherte, fast immer von ihrem eignen Geschlecht zu solcher Lebensart verführt werden, wozu der übertriebene Luxus aller Stände so sehr die Hände bietet. Dennoch bleiben viele von ihnen weniger interessiert und weit gefühlvoller, als ihre Nachbarinnen über dem Kanal, ja das Romantische selbst verläßt sie nicht immer bei ihrem jammervollen Beruf! Die Nuancen unter diesen Damen sind übrigens ebenso verschieden, als die der verschiedenen Stände in der Gesellschaft, und ihre Zahl in London bekanntlich ebenso groß, als die der sämtlichen Einwohner Berlins.

Es ist kein zu großer Sprung, wenn ich Dich von hier nach Bedlam, eigentlicher nach Bethlem, führe, das ich diesen Morgen besuchte. Nirgends logieren die Narren besser, das heißt, die eingesperrten. Ein pleasure-ground befindet sich vor dem Tore des Palastes, und nichts kann reinlicher und zweckmäßiger eingerichtet sein als das Innere. Als ich in die erste Weiber-Galerie, von einer sehr hübschen jungen Schließerin geführt, eintrat, betrachtete mich eines der tollen Mädchen, ohngefähr einige 30 Jahre alt, lange aufmerksam, und kam dann plötzlich auf mich zu, indem sie sagte: »You are a foreigner – I know You, Prince! – Warum haben Sie Ihre Uniform nicht angezogen, um mich zu besuchen«, fuhr sie fort, »das hätte sich besser geschickt. Ach, wie schön sah Charles in der seinen aus!«

»Die arme Seele«, sagte die Schließerin, welche mein Befremden gewahr ward, »ist von einem fremden Prinzen verführt worden, und glaubt nun in jedem Ausländer einen solchen zu sehen. Manchmal weint sie tagelang und läßt dann niemanden sich nahe kommen. Nachher ist sie wieder wochenlang ganz vernünftig. Einst war sie sehr schön, aber der Kummer hat jeden Reiz von ihr abgestreift.«

Merkwürdig war ein reicher und sehr gebildeter junger Mann, der nur die einzige fixe Idee hat, er sei ein Stuart, und habe daher das legitime Recht zum Throne. Ich unterhielt mich eine halbe Stunde mit ihm, ohne ihn auf dieses Thema bringen zu können. Er brach immer vorsichtig, ja schlau, ab, und sprach dabei höchst interessant über verschiedene Dinge, unter andern über Amerika, das er lange bereist, zeigte auch in seinem Benehmen und Äußern nicht die mindeste Spur von Wahnsinn. Endlich gelang es mir, indem ich bei Gelegenheit von Walter Scotts Romanen des Prätendenten vielfach erwähnte, ihn wärmer zu machen, und als ich endlich vertraulich sagte: »Ich weiß, Sie selbst sind ein Stuart«, schien er zu erschrecken, und den Finger auf den Mund legend, flüsterte er: »Davon dürfen wir hier nicht sprechen. Ich bin es – aber nur von der Zeit kann ich den Sieg der Gerechtigkeit erwarten. Das Licht wird aber bald hell leuchten!« – »Ich gehe nach Wales«, erwiderte ich (dort ist er her, und sein Vater ein reicher Gutsbesitzer) »wollen Sie mir die Adresse Ihres Vaters mitteilen, damit ich Ihre Grüße an ihn ausrichten kann?« – »Mit großem Vergnügen«, erwiderte er, »geben Sie mir Ihr Taschenbuch, ich werde die Adresse hineinschreiben.« Ich gab es ihm, und er schrieb nun seinen wirklichen Namen B... G... hinein, und indem er lächelnd darauf hinwies, sagte er mir ins Ohr: »Unter diesem Namen passiert mein Vater dort. Leben Sie wohl« – und mit gnädigem Winke der Hand entließ er mich.

So etwas ist doch recht schrecklich! Eine einzige fixe Idee macht den liebenswürdigsten Menschen zum incurablen Narren, kostet ihm seine Freiheit, und verdammt ihn für sein Leben zur Gesellschaft der gemeinsten Wahnsinnigen! Was ist doch der unglückliche Mensch im Konflikt mit physischen Übeln, und wo ist dann die Freiheit des Willens!

Spaßhafter war ein fremder Narr, ein deutscher Pedant und Reisebeschreiber, der sich mit anschloß, um das Haus zu besehen, wo er eigentlich hinein gehörte. Er konnte mit seinen Noten kaum fertig werden. Jeden der Eingesperrten redete er weitschweifig an und brachte sogleich seine Antwort sorgfältig zu Papier, ohngeachtet sie manchmal nicht die artigste für ihn war. Kaum hatte er meine Unterredung mit B... G... bemerkt, als er auf mich zustürzte, und dringend bat, ihm doch mitzuteilen, was der Herr, wie er bemerkt, in mein Taschenbuch geschrieben. Ich erzählte ihm kurz die Geschichte. »O vortrefflich, höchst merkwürdig«, rief er, »vielleicht dennoch wirklich ein Verwandter der Stuarts. B... G... – ich muß deshalb gleich nachschlagen, vielleicht ein Staatsgeheimnis, wer kann's wissen? Ist er in der Tat ein Verwandter, wie sehr ist seine Narrheit zu entschuldigen! Sehr merkwürdig, ein reicher Stoff, ich empfehle mich untertänigst«, – und damit stolperte er so tölpisch, so unbeholfen, albern, und doch so mit sich selbst zufrieden von dannen, daß man sich fast verwunderte, ihn nicht gleich wieder einfangen zu sehen. Beim Zuhausefahren begegneten mir abermals eine Menge Leichenzüge, was freilich in einem gouffre wie London, wo der Tod immerwährend hart arbeiten muß, kein Wunder ist, aber doch ein übles Omen bleibt, wenn auch der Aberglaube, der solches glaubt, gleichfalls mehr nach Bedlam als in einen vernünftigen Kopf gehört; bei mir hat er indes einigen Grund.

Ich fuhr einst, als ich noch sehr jung war, in einem eleganten Curricle durch die Stadt J..., wo ich mich damals aufhielt. Ein langer Begräbniszug kam mir entgegen, ich mußte halten, und da meine Pferde scheu und unruhig wurden, so daß ich Mühe hatte, sie zu regieren, teilte sich endlich ihre Ungeduld mir selbst mit. Ich brach mit Gewalt durch den Zug, und rief die unbesonnenen Worte: »Hole der T... den alten Leichenprunk, ich werde mich nicht länger von ihm aufhalten lassen.« So stürmte ich dahin, und war kaum 50 Schritte weiter gefahren, als ein kleiner Knabe aus einem nahestehenden Laden heraussprang, und wie eine Fliege ins Licht, mit solcher Schnelligkeit zwischen die Pferde und den Wagen lief, daß es unmöglich war, sie eher anzuhalten, bis schon das Rad der Länge nach über den armen Knaben gegangen war, und er leblos, wie ein aus dem Wagen verlornes Bündel auf dem Pflaster lag. Du kannst Dir meinen tödlichen Schreck denken! Ich sprang hinaus, hob den Kleinen auf, und schon attroupierten sich viele Menschen um uns, als die jammernde Mutter herzustürzte, mit ihren Wehklagen mein Herz zerriß, und zugleich den Pöbel dadurch aufregte, sogleich ihre Rache zu übernehmen. Ich mußte das Volk schnell haranguieren, um den beginnenden Tumult zu beschwichtigen, und indem ich den Hergang der Sache kurz erzählte, meinen Namen nannte und der Mutter Geld zurückließ, gelang es mir endlich, wiewohl nicht ohne Mühe, meinen Wagen wieder zu besteigen und mich aus der bagarre ziehen zu können. Ich befand mich nahe am Tore, vor welchem sich ein ziemlich steiler Berg hinabsenkt. In der Zerstreuung mochte ich auf die Zügel nicht gehörig achten, kurz, einer entglitt meiner Hand, die wilden Pferde gingen durch und trafen in einem Querwege mit dem Karren eines Frachtfuhrmanns dermaßen zusammen, daß eins davon auf der Stelle tot blieb und mein Wagen ganz zerschmettert wurde. Ich selbst ward mit unwiderstehlicher Gewalt hinausgeschleudert und einen Augenblick durch den ungeheuren Schock betäubt. Im zweiten fand ich mich mit dem Gesicht in den Boden eingedrückt, so daß ich fast erstickte. Über mir aber fühlte ich das Toben eines rasenden Tieres und hörte das Donnern von Schlägen, die meinen Kopf zu treffen schienen, und dennoch mir nur wenig Schmerz verursachten. Dazwischen vernahm ich noch deutlich das Wehklagen vieler Umstehenden und den Ausruf: »der ist eine Leiche, schießt doch das Tier tot...«. Bei diesen Worten erhielt ich eine Verwundung am Schlaf, nach welcher ich die Besinnung gänzlich verlor.

Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich mitten in einer ärmlichen Stube auf einer Matratze, eine alte Frau wusch mir das herabrinnende Blut vom Kopf und Antlitz, und ein Chirurgus, mit seinen Instrumenten beschäftigt, schickte sich eben an, mich zu trepanieren. »O, laßt doch den armen Herrn ruhig sterben«, rief mitleidig die Frau, und da ich selbst, einigen Schmerz meiner äußern Wunden ausgenommen, mit Gewißheit zu fühlen glaubte, daß keine innere wesentliche Verletzung stattgefunden habe, so widersetzte ich mich noch glücklich der Operation, die auch ganz unnütz gewesen wäre, obgleich der junge Mann, ein élève der klinischen Anstalt, sehr begierig war, seine Geschicklichkeit an einer Operation zu erproben, die er bis jetzt, wie er sehr encouragierend versicherte, noch nicht selbst zu machen Gelegenheit gehabt hätte.

Ich raffte mich sogleich auf, um meine rückkehrenden Kräfte zu beweisen, verlangte einen Wagen und ließ, um mich zu reinigen, mir einen Spiegel geben, in dem ich jedoch mein Gesicht durchaus nicht wieder erkennen konnte, weil der größte Teil der Haut davon in der Chaussee geblieben war. Erst später, als sie die Natur durch eine neue wieder ersetzt hatte, erklärte mir mein Kutscher, der während des accident neben mir saß, und seitwärts ins Feld geschleudert, weniger beschädigt worden war, welche wirklich seltsamen Umstände die Begebenheit begleitet hatten. An dem Frachtwagen war nämlich die Deichsel des zweirädrigen Curricle wie eine Lanze am Harnisch zersplittert, das leichte Fuhrwerk vorwärts gestürzt und ich mit ihm. Der übriggebliebene Rumpf der Deichsel hatte sich in die Erde gebohrt und meinen Kopf mit eingeklemmt. Über mir lag, vom Geschirr gefesselt, das eine Pferd, welches die wütendsten Versuche machte aufzukommen und fortwährend mit den Hinterfüßen gegen den zerbrochenen Deichselschaft schlug, welcher auf diese Art mein alleiniger Retter wurde, indem er die Schläge auffing, welche sonst meinen Kopf zehnmal zerschmettert hätten. Fast eine Viertelstunde hatte es gedauert, ehe man imstande war, mich und das Pferd loszumachen.

Sei dieser Zeit begegne ich nicht gern Leichenzügen.

Als Nachschrift zu dieser Erinnerung aus meinem vergangenen Leben muß ich noch ein komisches Element hinzufügen. Der überfahrne Knabe genas völlig, und sechs Wochen nach seiner und meiner Katastrophe brachte mir ihn die Mutter rosig und im Sonntagsstaat ins Haus. Während ich ihn küßte und der Mutter ein letztes Geschenk einhändigte, rief diese arme Frau unter Tränen der Freude: »Ach Gott, wenn mein Sohn doch täglich so überfahren würde!«


Den 28sten

Lange hatte ich die City, in der ich, wie Du weißt, manchmal einen Tag zubringe, wie der gourmand zuweilen den Appetit mit einfacher Hausmannskost erfrischt, nicht besucht, und widmete ihr daher den gestrigen Tag.

Da ich (als deutscher Ritter) auch ein Bierbrauer bin, so lenkte ich mein Cabriolet zuerst nach jener durch ihre ungeheuren Dimensionen fast phantastisch gewordnen, Barcley'schen Brauerei, eine der sehenswertesten Merkwürdigkeiten Londons. Hier werden täglich 12-1500 Fässer, d.h. gegen 20 000 große Quart Bier, gebraut. Alles wird durch Maschinen bewegt, aber eine einzige Dampfmaschine treibt diese, und zugleich die Flüssigkeit durch alle Instanzen in kupfernen Röhren hin, die, beiläufig gesagt, das Bier eben nicht zum gesündesten machen mögen. In vier Kesseln wird es gekocht, deren jeder 300 Fässer und darüber faßt. Beim Kochen wird der Hopfen zuerst trocken in die Kessel getan, und eine Maschine rührt ihn beständig um, damit er nicht anbrennt. Die süße Masse fließt während dem Rühren fortwährend zu. Eine besondere Vorrichtung findet statt, das Bier in der heißen Jahreszeit zu kühlen. Es wird nämlich zu diesem Endzweck durch eine Menge Röhren, die einer Orgel mit ihren Pfeifen gleichen, getrieben, worauf frisches Wasser denselben Weg nachgeht, und so fort, immer mit dem Biere abwechselnd. Zuletzt fließt das fertige Getränk in haushohe Faßbehälter, deren es unter gigantischen Schuppen 99 gibt. Nichts ist sonderbarer, als sich ein solches Haus, das 600 000 Quart enthält, anzapfen zu lassen, um ein kleines Glas vortrefflichen Porters zu schöpfen, der sich so kalt wie Eis darin erhält. Diese Fässer sind oben mit einem kleinen Hügel frischen Sandes belegt, und konservieren das Bier ein Jahr lang frisch und gut. Dann erst wird es auf kleine Fässer gezogen und an die Käufer versendet. Das Abziehen geschieht durch Schläuche, wie das Begießen aus einer großen Spritze, sehr schnell, indem die kleinen Fässer schon in Gewölben unter dem Boden des Raumes, wo die großen aufbewahrt werden, bereitstehen.

Hundertundfünfzig elephantenartige Karrenpferde sind täglich mit dem Verfahren des Biers in der Stadt beschäftigt, von denen zwei: 100 Zentner ziehen.

Eine einzige turmhohe Feueresse absorbiert den Rauch der ganzen Anstalt, und auf der mit Zink gedeckten eleganten Plattform des Hauptgebäudes hat man die Aussicht auf ein sehr schönes Panorama Londons. Nachher besah ich die Westindia Docks und warehouses, ein unermeßliches Werk, eines von denen, bei deren Anblick auch der Kaltblütigste Ehrfurcht und Staunen für Englands Größe und Macht empfinden muß. Welches Kapital liegt hier in Gebäuden, Waren und Schiffen aufgehäuft! Das künstlich ausgegrabene Bassin, welches zu umgehen ich eine halbe Stunde brauchte, ist 36 Fuß tief und rund umher befinden sich die Warenhäuser und Schuppen, zum Teil 5-6 Stock hoch. Einige Magazine sind ganz aus Eisen aufgebaut, nur der Grund in der Erde ist Stein. Man hat jedoch diese Bauart gefährlich gefunden, da das Eisen durch den Einfluß der Witterung sich auf unegale Weise bald ausdehnt, bald zusammenzieht. In diesen unermeßlichen Warenlagern war Zucker genug vorhanden, um das nebenliegende Bassin zu versüßen, und Rum genug, um halb England trunken zu machen. 2500 Aufseher und Arbeiter pflegen hier täglich beschäftigt zu sein, und der Wert der aufgespeicherten Güter wird auf 20 Millionen L. St. geschätzt, außer den storesStores heißt alles, was zum Betriebe des Ganzen nötig ist. , welche in großer Menge im Vorratshause aufbewahrt werden, so daß das Verderben oder Brechen irgend eines Gerätes die Arbeit nur wenige Minuten aufhalten kann.

Die Menge der angewandten Maschinen und zweckmäßigen Utensilien ist bewundernswürdig. Ich sah mit großem Vergnügen zu, wie Blöcke von Mahagoni- und andern ausländischen Hölzern, manche größer als die stärksten Eichen, durch Maschinen gleich Flaumfedern aufgehoben und so behutsam, wie die zerbrechlichste Ware auf die Transportwagen wieder niedergelegt wurden. Alles erscheint hier im kolossalsten Stil. Im Bassin selbst stand auf beiden Seiten Schiff an Schiff gereiht, deren größter Teil eben jetzt neu angestrichen wurde. Solcher Bassins sind zwei, eins für den Import, das andere für den Export. Ich mußte sie früher, als ich wünschte, verlassen, da um 4 Uhr das Eingangstor wie alle Magazine geschlossen werden und man dabei nicht die mindeste Rücksicht nimmt, ob noch jemand darin ist, welcher, wenn er die Stunde versäumt, bis zum nächsten Morgen ohnfehlbar biwakieren muß. Der Mann am Tore versicherte mir ganz kaltblütig, und wenn der König darin wäre, so würde nicht eine Minute gewartet werden. Ich eilte also schleunigst von dannen, um in keine ähnliche Verlegenheit zu geraten.

Auf dem Rückweg kam ich bei einer Bude vorbei, wo man ausschrie, daß hier gezeigt werde: der berühmte deutsche Zwerg mit drei Zwergkindern, ferner das lebende Skelett, und endlich das dickste Mädchen, das je gesehen worden sei. Ich bezahlte der Kuriosität wegen meinen Schilling, ging hinein, und nachdem ich ¼tel Stunde hatte warten müssen, bis noch fünf andere Angeführte sich zu mir gesellten, wurde der Vorhang weggezogen, um die impertinenteste Charlatanerie zu produzieren, die mir je vorgekommen ist. Als lebendes Skelett erschien ein ganz gewöhnlicher Mensch, nicht viel magrer als ich selbst bin, und zur Erklärung dieser Überraschung wurde entschuldigend angeführt, er sei als Skelett aus Frankreich angekommen, aber hier durch die englischen guten Beefsteaks unaufhaltsam korpulenter geworden. Darauf kam ›die fetteste Frau in der Christenheit‹ das vortrefflichste Pendant zum Skelett, denn sie war nicht dicker als die Königin von Virginia Water.

Zuletzt zeigten sich die sogenannten Zwerge, welche nichts anders als – kleine Kinder des Unternehmers waren, die man in eine Art Vogelbauer gesteckt hatte, der ihr Gesicht verhüllte, und nur Beine und Hände frei sehen ließ, mit welchen letzteren die kleinen Dinger mit großen Klingeln einen furchtbaren Lärm machen mußten. Damit schloß die Vorstellung, eine englische Prellerei, die kein Franzose burlesker und mit mehr effronterie hätte ausfahren können.


Den 29sten

Seit ich Devilles Schüler geworden bin, kann ich nicht umhin, immer den Schädel meiner neuen Bekannten mit den Augen zu messen, ehe ich mich weiter mit ihnen einlasse, und heute habe ich, wie in der Kotzebueschen Komödie, einen englischen Bedienten, den ich annahm, vorher in optima forma untersucht. Hoffentlich wird das Resultat nicht das nämliche sein, denn die durch's Ohr gezogene Linie gab guten Ausweis, wobei es mir lebhaft auffiel, daß das gemeine Sprüchwort (und wie viel populäre Wahrheit enthalten oft diese) mit Devilles Prinzip ganz einverstanden sei, indem es sagt: ›Er hat es hinter den Ohren, hütet Euch vor ihm.‹ Allen Scherz beiseite, bin ich ganz überzeugt, daß man, wie mit dem Magnetismus, auch bei der Kranologie das Kind mit dem Bade verschüttet, wenn man sie selbst nur für ein Hirngespinst ansieht. Es mögen noch manche Modifikationen nicht aufgefunden sein, aber ich habe die Richtigkeit des bestehenden Prinzips an meinem eignen Schädel so sehr erprobt, daß ich es durchaus nicht mehr lächerlich finden kann, wenn Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder darauf Rücksicht nehmen, und auch Erwachsene zu Erleichterung der Selbstkenntnis es zu benutzen suchen. Wenigstens habe ich auf diesem Wege mehr Klarheit über mich selbst erlangt, als mir sonst vielleicht möglich gewesen wäre.

Da ich den ganzen Tag mit einigen schriftlichen Arbeiten beschäftigt war, so benutzte ich die milde und helle Mondnacht zu meinem Spazierritt, denn, gottlob, ich brauche mich nicht sklavisch an die Zeit zu binden!

Die Nacht war ganz italienisch und außerdem hinlänglich mit Lampen erleuchtet, in deren Bereich ich mich stets hielt, und so mehrere Stunden lang in Stadt und Vorstädten umherritt. Von Westminster Bridge aus entfaltete sich eine wunderbare Aussicht. Die vielen Barkenlichter tanzten wie Irrwische auf der Themse, und die vielen Brücken spannten sich wie weite, illuminierte Bogen-Festons, von einer Häusermasse zur andern über den Fluß. Nur Westminster-Abbey lag ohne Lampenschein da, und die sehnsüchtige Luna allein, altvertraut mit Ruinen und gotischen Denkmälern, buhlte mit ihrem blassen Scheine mystisch um die steinernen Spitzen und Blumen, senkte sich inbrünstig in die dunklen Tiefen und versilberte emsig die langgestreckten, glitternden Fenster, während Dach und Turm des hohen Baues, in schwarzer farbloser Majestät, über den Lichtern und dem Gewimmel der Stadt zum blauen Sternenhimmel still und starr emporstrebten.

Die Straßen blieben bis Mitternacht ziemlich belebt, ja ich sah sogar einen Knaben von höchstens acht Jahren, der ganz allein in einem kleinen Kinderwagen, mit einem großen Hunde bespannt, im vollen Trabe neben den letzten Diligencen und Equipagen furchtlos vorbeifuhr. Dergleichen findet man gewiß nur in England, wo Kinder schon im achten Jahre selbstständig, und im zwölften gehangen werden.

Doch guten Morgen, liebe Julie, es ist Zeit, das Bett zu suchen.


 << zurück weiter >>