Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Neunter Brief

Warwick den 28sten Dez. 1826

Teuere Julie!

Beim Himmel! diesmal erst bin ich von wahrem und ungemeßnem Enthusiasmus erfüllt. Was ich früher beschrieben, war eine lachende Natur, verbunden mit allem, was Kunst und Geld hervorbringen können. Ich verließ es mit Wohlgefallen, und obgleich ich schon Ähnliches gesehen, ja selbst besitze, nicht ohne Verwunderung. Was ich aber heute sah, war mehr als dieses, es war ein Zauberort, in das reizendste Gewand der Poesie gehüllt, und von aller Majestät der Geschichte umgeben, dessen Anblick mich noch immer mit freudigem Staunen erfüllt.

Du erfahrne Historienkennerin und Memoirenleserin weißt besser als ich, daß die Grafen von Warwick einst die mächtigsten Vasallen Englands waren, und der große Beauchamp, Graf von Warwick, sich rühmte, drei Könige entthront, und ebenso viele auf den leeren Thron gesetzt zu haben.

Sein Schloß steht schon seit dem 9ten Jahrhundert und ist seit Elisabeths Regierung im Besitz derselben Familie geblieben. Ein Turm der Burg, angeblich von Beauchamp selbst erbaut, hat sich ohne alle Veränderung erhalten, und das Ganze steht noch so kolossal und mächtig, wie eine verwirklichte Ahnung der Vorzeit da.

Schon von weitem erblickst Du die dunkle Steinmasse, über uralte Zedern vom Libanon, Kastanien, Eichen und Linden, senkrecht aus den Felsen am Ufer des Avon, mehr als 200 Fuß hoch über die Wasserfläche emporsteigen. Fast ebenso hoch noch überragen wieder zwei Türme von verschiedener Form das Gebäude selbst. Der abgerissene Pfeiler einer Brücke, mit Bäumen überhangen, steht mitten im Fluß, der, tiefer unten, grade wo die Schloßgebäude beginnen, einen schäumenden Wasserfall bildet, und die Räder der Schloßmühle treibt, welche letztere, mit dem Ganzen zusammenhängend, nur wie ein niedriger Pfeilervorsprung desselben erscheint.

Jetzt verlierst Du im Weiterfahren eine Weile den Anblick des Schlosses, und befindest Dich bald vor einer hohen krenelierten Mauer aus breiten Quadern, durch die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt. Die Flügel eines hohen eisernen Tors öffnen sich langsam, um Dich in einen tiefen, durch den Felsen gesprengten Hohlweg einzulassen, an dessen Steinwänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigste Vegetation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem glatten Felsengrunde hin, den in der Höhe alte Eichen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer Wendung des Weges das Schloß im freien Himmelslichte aus dem Walde hervor, auf einem sanften Rasenabhang ruhend, und zwischen den ungeheuren Türmen, an deren Fuß Du Dich befindest, verschwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch größere Überraschung steht Dir bevor, wenn Du durch das zweite eiserne Gittertor den Schloßhof erreichst. Etwas Malerischeres und zugleich Imposanteres läßt sich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phantasie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal so groß als das Innere des römischen Colosseums, und versetze Dich damit in einen Wald voll romantischer Üppigkeit. Du übersiehst nun den weiten Hofplatz rund umher von bemoosten Bäumen und majestätischen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall verschieden an Form, dennoch ein erhabenes und zusammenhängendes Ganze bilden, dessen bald steigende, bald sich senkende Linien in der blauen Luft, wie die stete Abwechselung der grünen Grundfläche am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine sonst nur den Werken der Natur eigne, höhere Harmonie verraten. Der erste Blick zu Deinen Füßen fällt auf einen weiten einfachen Rasenteppich, um den ein sanft geschlungner Kiesweg nach allen Ein- und Ausgängen dieses Riesenbaues führt. Rückwärts schauend, siehst Du an den beiden schwarzen Türmen empor, von denen der älteste, ›Guy's Turm‹ genannt, ganz frei von Gebüsch in drohender Majestät, fest wie aus Erz gegossen dasteht, der andre von Beauchamp erbaut, halb durch eine, wohl Jahrhunderte zählende, Kiefer und eine herrliche Kastanie verdeckt wird. Breitblättriger Efeu, und wilder Wein rankt, bald den Turm umschlingend, bald seine höchsten Spitzen ersteigend, an den Mauern hinan. Links neben Dir zieht sich weit der bewohnte Teil des Schlosses und die Kapelle hin, mit vielen hohen Fenstern geziert, von verschiedener Größe und Gestalt, während die ihm gegenüberliegende Seite des großen Vierecks, fast ganz ohne Fenster, nur mächtige krenelierte Steinmassen darbietet, die einige Lärchenbäume von kolossaler Höhe und baumartige Arbutus-Sträucher, welche hier im langen Schutze wunderbar hoch gewachsen sind, malerisch unterbrechen. Vor Dir jedoch erwartet Dich, wenn Du jetzt den Blick nach der Höhe erhebst, von allem das erhabendste Schauspiel. Denn auf dieser vierten Seite steigt aus einem niedrigen bebuschten Kessel, den der Hof hier bildet, und mit dem sich auch die Gebäude eine geraume Strecke senken, das Terrain von neuem, in Form eines konischen Berges steil empor, an dem die gezackten Mauern des Schlosses mit hinan klimmen. Dieser Berg, der ›Keep‹, ist bis oben dicht bewachsen mit Gesträuch, das jedoch nur den Fuß der Türme und Mauern bedeckt. Dahinter aber ragen, hoch über alle Steinmassen, noch ungeheure uralte Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in der Luft schwebend erblickt, während auf dem höchsten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmelsportal plötzlich die breiteste, glänzendste Lichtmasse, hinter der man die Wolken fern vorüberziehen sieht, unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkronen durchbrechen läßt.

Stelle Dir nun vor: diese magische Dekorationen auf einmal zu übersehen, verbinde die Erinnerung damit, daß hier neun Jahrhunderte stolzer Gewalt, kühner Siege und vernichtender Niederlagen, blutiger Taten und wilder Größe, vielleicht auch sanfter Liebe und edler Großmut, zum Teil ihre sichtlichen Spuren, oder wo das nicht ist, doch ihr romantisch ungewisses Andenken, zurückgelassen haben – und urteile dann, mit welchem Gefühl ich mich in die Lage des Mannes versetzen konnte, dem solche Erinnerungen des Lebens seiner Vorfahren durch diesen Anblick täglich zurückgerufen werden, und der noch immer dasselbe Schloß des ersten Besitzers der Veste Warwick bewohnt, desselben halb-fabelhaften Guy, der vor einem Jahrtausend lebte, und dessen verwitterte Rüstung mit hundert Waffen berühmter Ahnen in der altertümlichen Halle aufbewahrt wird. Gibt es einen so unpoetischen Menschen, in dessen Augen nicht die Glorie dieses Andenkens, auch den schwächsten Repräsentanten eines solchen Adels, noch heute umglänzte?

Um Dir meine Beschreibung wenigstens einigermaßen anschaulich zu machen, füge ich einen Grundplan bei, der Deiner Einbildungskraft zu Hilfe kommen muß.

Den Fluß auf der andern Seite mußt Du Dir nun noch tief unter dem Schloßplatz denken, und daß er von den bisher beschriebenen Stellen nicht gesehen wird, sondern erst aus den Fenstern des bewohnten Schloßteils, nach außen hin, (wie es das Kupfer zeigt) zugleich mit dem herrlichen Park sichtbar wird, der überall durch Wald am Horizont geschlossen ist, was der Phantasie so viel Spielraum läßt, und wieder für sich eine neue höchst romantische Aussicht bildet.

Nur über wenige Stufen tritt man vom Hofe aus in die Wohnzimmer, zuerst in einen Durchgang und von da in die Halle, auf deren beiden Seiten sich die Gesellschaftszimmer, 340 Fuß lang in ununterbrochener Reihe, ausdehnen. Obgleich fast de plain pied mit dem Hofe, sind diese Zimmer doch auf der andern Seite mehr als 50 Fuß hoch über dem Avon erhaben. Acht bis vierzehn Fuß dicke Mauern bilden in jedem Fenster, welche auch 10-12 Fuß breit sind, ein förmliches cabinet, mit den schönsten mannigfaltigsten Aussichten auf den unter ihnen wildschäumenden, weiterhin aber in sanften Wendungen den Park bis in düstere Ferne durchströmenden Fluß. War ich nun vorher, schon seit dem ersten Anblick des Schlosses, von Überraschung zu Überraschung fortgeschritten, so wurde diese, wenngleich auf andre Weise, fast noch in den Zimmern überboten. Ich glaubte mich völlig in versunkene Jahrhunderte versetzt, als ich in die gigantische baronial-hall trat, ganz wie sie Walter Scott beschreibt, die Wände mit geschnitztem Zedernholz getäfelt, mit allen Arten ritterlicher Waffen angefüllt, geräumig genug um alle Vasallen auf einmal zu speisen, und ich dann vor mir einen Kamin aus Marmor erblickte, in dem ich ganz bequem mit dem Hute auf dem Kopf, noch neben dem Feuer stehen konnte, das auf einem 300 Jahre alten eisernen, seltsam gestalteten Roste, von der Form eines Korbes, wie ein Scheiterhaufen aufloderte. Seitwärts war, der alten Sitte getreu, auf einer Unterlage, gleichfalls von Zedernholz, mitten auf dem steinernen Fußboden, den nur zum Teil verschossene hautelisse-Teppiche deckten, eine Klafter ungespaltenes Eichenholz aufgeschichtet. Durch einen in Braun gekleideten Diener, dessen Tracht, mit goldnen Kniegürteln, Achselschnüren und Besatz hinlänglich altertümlich aussah, wurde von Zeit zu Zeit dem mächtigen Feuer, vermöge eines drei Fuß langen Klotzes, neue Nahrung gegeben. Hier war überall der Unterschied zwischen der echten alten Feudalgröße, und der nur in moderner Spielerei nachgeahmten ebenso schlagend, als zwischen den bemoosten Trümmern der verwitterten Burg auf ihrer Felsenspitze, und der gestern aufgebauten Ruine im Lustgarten eines reich gewordnen Lieferanten. Fast alles in den Zimmern war alt, prächtig und originell, nirgends geschmacklos, und mit der größten Liebe und Sorgfalt unterhalten. Es befanden sich die seltsamsten und reichsten Zeuge darunter, die man jetzt gar nicht mehr auszuführen im Stande sein möchte, in einer Mischung von Seide, Samt, Gold und Silber, alles durcheinander gewirkt. Die meubles bestanden fast ganz, entweder aus alter außerordentlich reicher Vergoldung, geschnitztem braunen Nuß- und Eichenholz, oder jenen alten französischen mit Messing ausgelegten Schränken und Kommoden, deren eigner Name mir eben nicht beifällt. Auch waren viele herrliche Exemplare von Mosaik, wie von ausgelegten kostbaren Hölzern, vorhanden. Ein Kaminschirm mit schwerem goldenen Rahmen, bestand aus einem einzigen so klaren Glase, daß es völlig mit der Luft zusammenfloß. Ein solcher Schirm hat das Angenehme, daß man, am Kamin sitzend, das Feuer sieht, ohne es sengend am Gesicht zu fühlen. In dem einen Zimmer steht ein Staatsbett, von der Königin Anna, einer Gräfin von Warwick, geschenkt, noch immer wohl erhalten, von rotem Samt mit grüner und blauer Seide bestickt. Die Kunstschätze sind unzählbar, und die Gemälde, unter denen sich auch nicht ein mittelmäßiges befand, sondern die fast alle von den größten Meistern sind, haben überdem zum Teil ein ganz besonderes Familien-Interesse, da sehr viele Portraits der Ahnen sich darunter befinden, von der Hand Titians, Van Dycks und Rubens gemalt. Der größte Schatz, und zwar ein unschätzbarer, ist eins der bezauberndsten Bilder Raphaels, die schöne Johanna von Aragonien (eine nicht genau historisch auszumittelnde Person) von der es, seltsam genug, vier Bilder gibt, alle höchst vortrefflich, und die alle für das echte Original ausgegeben werden, drei davon jedoch ohne Zweifel Kopien sein müssen, dem Vorbilde aber so gut wie gleich geworden sind. Das eine ist in Paris, das andere in Rom, das dritte in Wien, das vierte hier. Ich kenne sie alle vier, und muß unbedingt dem hiesigen den Vorzug geben. Es liegt ein Zauber in diesem herrlichen Weibe, der nicht auszusprechen ist! Ein Auge, das in die Tiefen der Seele führt, königliche Hoheit, verbunden mit der weiblichsten Liebesempfänglichkeit, wollüstiges Feuer im Blick, zugleich mit süßer Schwermut gepaart, dabei eine schwellende Fülle des schönsten Busens, eine durchsichtige Zartheit der Haut, und eine Wahrheit, Glanz und Grazie der Gewänder, wie des ganzen Schmucks der Bekleidung – so, wie es nur ein so göttliches Genie in himmlischer Schöpferkraft vollständig hervorrufen konnte.

Zu den interessantesten Portraits, durch das historische Interesse, welches man an den Personen nimmt, noch erhöht, gehören folgende:

Zuerst Machiavelli, von Titian. Ganz, wie ich mir ihn gedacht. Ein feines und kluges, und doch dabei leidendes Gesicht, wie trauernd über die so tief erkannte, nichtswürdige Seite des menschlichen Geschlechts, jene hündische Natur, die nur liebt, wenn sie getreten wird, nur folgt, wo sie fürchtet, nur treu ist, wo sie Vorteil davon hat. Ein Zug mitleidigen Spottes umschwebt die schmalen Lippen, während das dunkle Auge nachdenkend in sich selbst hineinzuschauen scheint.

Es deucht einem im ersten Augenblick sonderbar und auffallend, daß dieser große und klassische Schriftsteller so lange auf die abgeschmackteste Weise mißverstanden worden ist, entweder als ein moralisches Scheusal geschildert (und wie albern ist in dieser Hinsicht die Refutation Voltaires) oder gar die abenteuerliche Hypothese aufgestellt, daß sein Buch eine Satire sei! Bei näherer Betrachtung erlangt man indes bald die Überzeugung: daß nur die neuere Zeit, welche endlich anfängt, die Politik aus einem höhern, wahrhaft menschlichen Gesichtspunkte zu verstehen und zu behandeln, Machiavellis ›Fürsten‹ richtig beurteilen konnte .

Dieser tiefe und scharfsinnige Geist gibt wirklich den Fürsten der Willkür – so nenne ich aber alle die, welche sich nur par la grâce de Dieu, um ihrer selbst willen, ›Fürsten‹ glauben; alle Eroberer, auch alle Glückspilze der Geschichte, denen durch ein blindes Ohngefähr Völker geschenkt wurden, die sie für ihr Eigentum ansahen – dieser Art Fürsten also, sage ich, gibt er die einzige und wahre Weise an, wie sie prosperieren, die einzigen erschöpfenden Regeln, die sie befolgen müssen, um ihre, von Haus aus auf dem Boden der Sünde und des Irrtums erwachsene Macht erhalten zu können. Sein Buch ist und bleibt für ewige Zeiten das unübertreffliche, das wahre Evangelium für solche, und wir Preußen insbesondere mögen uns Glück wünschen, daß in neuester Zeit Napoleon ›seinen Machiavelli‹ so schlecht inne hatte, weil wir sonst wohl noch unter seinem Joche seufzen möchten!

Wie herrlich geht aber über diesem Abgrund, dem seine relative Wahrheit nicht abzustreiten ist, die Sonne des repräsentativen Volksfürsten neuerer Zeit auf! Wie nichtig wird dann, von dieser Basis ausgehend, das ganze Gebäude der Finsternis, welches Machiavelli so meisterhaft entwickelt, und sinkt vor ihren Strahlen in Nichts zusammen, denn es braucht ja nun weder mehr der List und Unwahrheit, noch der despotischen Gewalt und Furcht, um zu regieren. Humanität und Recht tritt, hundertmal mächtiger und wohltätiger für Fürst und Völker, an die Stelle jenes trüben Glanzes, und dem fortwährenden Kriege folgt einst ein ewiger Frieden! Dies aber fühlte und ahnete, und wünschte Machiavelli, und gar viele Stellen seines Buches deuten deutlich darauf hin, unter andern, wenn er sagt: »Wer eine freie Stadt erobert hat, dem bleibt kein sicheres Mittel, sie zu behalten, als sie zu zerstören, oder ihre Einwohner zu erneuern; denn keine Wohltat des Souverains wird sie ihre verlorne Freiheit vergessen lassen

Indem er endlich unumstößlich beweiset, daß man sich nur durch Nichtachtung aller Moral (und was war bis jetzt, beinahe anerkannt, die Politik anders) auf einer solchen Stufe willkürlicher Macht erhalten könne, und den Fürsten ernstlich diese Lehre gab, zeigt er auch zugleich nur zu deutlich: daß die ganze Gesellschaft damals ein Prinzip des Verderbens in sich trug, bis zu dessen Erkenntnis und Beseitigung kein wahres Glück der Völker, keine wahre Zivilisation möglich war. Die Revolutionen neuerer Zeiten und ihre Folgen haben endlich der Menschheit die Augen geöffnet, und sie wird sie nicht wieder schließen!

Der Herzog Alba, von Titian. Höchst ausdrucksvoll, und, wie ich glaube, treu, denn dieser Mann war keineswegs eine bloß grausame und finstere Karikatur. Ernst, fanatisch, stolz, aber fest wie Eisen, praktisch, die Idee eines unerschütterlichen, treuen Dieners aufstellend, der, einmal den Auftrag angenommen, nun weder rechts noch links mehr abweicht, seines Herrn und seines Gottes Willen blind zu erfüllen stets bereit ist, und nicht darnach fragt, ob Tausende dabei in Martern untergehen; mit einem Wort, ein kräftiger, nicht unedler, aber beschränkter Geist, der andere für sich denken läßt, und für fremde Autorität handelt.

Heinrich VIII. mit Anna Boleyn, von HolbeinHeinrich VIII. und Elisabeths Bilder findet man so häufig in England, daß Du auch, bei ausgezeichneten Exemplaren, die öfter wiederkehrende Schilderung derselben verzeihen mußt. Immer findet sich doch eine oder die andere Nuance verschieden. . Der König in prachtvoller Kleidung, ein fetter, etwas fleischerartig aussehender Herr, bei dem Wollust, Schlauheit, Grausamkeit und Kraft in einer furchtbar behaglichen, und fast jovialen Physiognomie hervorherrschen! Man sieht bei alledem, daß ein solcher Mann zittern machen, und dennoch an sich fesseln kann. – Anna Boleyn ist eine freundlich unbedeutende, beinahe etwas dumm erscheinende, echt englische Schönheit, von einer Gestalt, wie man sie auch heute, nur in anderm Kostüme, noch häufig hier antrifft!

Cromwell, von Van Dyck. Ein herrlicher Kopf. Etwas von dem bronznen Gladiatoransehen Napoleons, aber mit viel gemeineren Zügen, hinter denen jedoch, wie hinter einer Maske, eine große Seele dämmert. Schwärmerei ist fast zu wenig darin ausgedrückt, dagegen eine beinahe ehrlich scheinende, und desto betrügendere List im Auge, aber doch nirgends eine Spur von Grausamkeit, die man auch dem Protektor wohl nicht vorwerfen kann, da selbst die Hinrichtung des Königs zwar eine grausame Handlung war, in Cromwells Gemüt aber nur wie eine ihm unumgänglich notwendige politische Operation erschien, keineswegs aber in Freude am Blutvergießen ihren Grund fand. Unter Cromwells Bilde hängt sein eigner Helm.

Prinz Rupert, von Van Dyck. Ganz der kühne Soldat, jeder Zoll ein Kavalier! Du weißt, daß die Anhänger des Königs sich damals ausschließend ›Cavaliere‹ nannten. Ich meine jetzt aber damit den Vornehmen und Ritterlichen. Ein schönes, den Weibern wie dem Feinde gefährliches Gesicht, und eine malerische Kriegertracht und Haltung.

Elisabeth, von Holbein. Das beste, und vielleicht ähnlichste Bild, was ich bis jetzt von ihr gesehen. Sie ist in ihrer Blüte dargestellt, ziemlich widerlich weiß, mit sehr blaßrötlichen Haaren. Die Augen etwas albinosartig, fast ohne Augenbrauen. Das viele Weiße darin gibt ihnen, trotz ihrer künstlichen Freundlichkeit einen falschen Ausdruck. Man glaubt zu entdecken, daß heftige Begierden und beharrliche Leidenschaften unter dieser blassen Hülle verborgen sind, wie ein Vulkan unter dem Schnee, und erblickt hinlänglich jene eitle Sucht zu gefallen, in der überreichen, mit Zieraten überladenen Kleidung. Ganz anders, streng, hart und gefährlich zu nahen, erscheint sie in den Bildern ihres spätern Alters, aber auch da immer noch gleich übertrieben geputzt.

Maria von Schottland. Wahrscheinlich im Gefängnis und kurz vor ihrem Tode gemalt; denn sie hat hier das Ansehen einer vierzigjährigen Matrone. Noch immer eine gediegene Schönheit, aber nicht mehr die leichtsinnige, Leben und Reize üppig genießende Maria, sondern sichtlich geläutert durch Unglück, ernsten Ausdrucks, Schillers Maria, eine edle Natur, die sich endlich selbst wiedergefunden hat! Es ist eins der seltneren Bilder dieser vielbeweinten Königin, die man sonst immer jung und glänzend geschildert zu sehen gewohnt ist.

Ignaz Loyola, von Rubens. Ein sehr schön gemaltes, großes Bild, dem man es indessen anmerkt, daß es nur eine Fiktion, und kein Portrait ist. Der heilige, ganz gewöhnliche geistliche Ausdruck ist nichtssagend, und das Kolorit daran bei weitem das Schönste.

Doch ich würde nicht aufhören, wenn ich die ganze Galerie durchgehen wollte. Also laß Dich in das letzte Kabinett führen, wo sich noch eine schöne Sammlung von Majolika und Email, größtenteils nach Zeichnungen von Raphael, befindet, sowie eine Marmorbüste des Schwarzen Prinzen, eines derben Soldaten mit Kopf und Faust, aus einer Zeit, wo die letztere allein oft schon zu großem Ruhme hinlänglich war. Viele kostbare etruskische Vasen, nebst andern Kunstwerken, dienen den verschiedenen Zimmern, außer den Gemälden und Antiken, zum Schmuck, und es ist sehr zu loben, daß sie hierzu verwandt, und nicht in einer Galerie als tote Masse zusammengehäuft sind! Es wurde mir als eine Merkwürdigkeit der genauen und festen Bauart des Schlosses gezeigt, daß ohnegeachtet seines Alters, wenn alle Türen der enfilade geschlossen sind, man aus dem letzten cabinet, die ganze Weite von 350 Fuß entlang, durch die Schlüssellöcher eine am andern Ende gerade in der Mitte stehende Büste erblicken kann! In der Tat eine merkwürdige Genauigkeit, die unsere Handwerker sobald noch nicht begreiflich oder gar ausführbar finden werden! Obgleich, wie ich Dir erzählte, schon die Wände der Halle mit einer Unzahl von Waffen bedeckt sind, so befindet sich doch auch noch eine eigene Rüstkammer im Schlosse, die außerordentlich reich ist. Hier wird unter andern Lord Brookes lederner, noch mit schwarz gewordnem Blut befleckter Koller aufgehoben, in dem dieser nicht unberühmte Vorfahr der jetzigen Grafen, in der Schlacht von Lichfield getötet wurde. In der einen Ecke des Zimmers liegt ein ganz eigentümliches Kunstwerk, von sehr heterogener Natur mit den Übrigen, eine in Eisen gegossene Meerkatze, aber von einer Vollkommenheit und abandon in ihrer Stellung und ihren Gliedern, die die Natur selbst erreicht. Es tat mir sehr leid, nicht von der Kastellanin erfahren zu können, wer das Modell zu diesem Gusse gemacht. Es muß ein bedeutender Künstler gewesen sein, der alle Affengrazie und Gelenkigkeit, in dieser Stellung, welche in der behaglichsten Faulheit schwelgt, mit so viel Wahrheit auszudrücken vermochte.

Ehe ich von dem prachtvollen Warwick schied, bestieg ich noch den höchsten der beiden Türme, und genoß dort eine schöne und reiche Aussicht nach allen Seiten hin bei ziemlich hellem Wetter. Weit entzückender als dieses Panorama war aber der lange Spaziergang in den Gärten, die das Schloß von zwei Seiten umgeben, und in ruhiger Größe dem Charakter desselben ganz angemessen sind. Die Höhe und Schönheit der Bäume, wie die Üppigkeit der Vegetation und des Rasens kann nirgends übertroffen werden, während eine Menge riesenmäßiger Zedern (›vom Libanon‹ genannt), und die sich jeden Augenblick neu gestaltenden Ansichten der majestätischen Burg – in deren hohen Zinnen transparente Kreuzesformen, den Lichtstrahlen ein immer wechselndes Spiel gewähren – einen solchen Zauber über das Ganze webten, daß ich mich nur mit Gewalt davon losreißen konnte. Wir gingen bis zum anbrechenden Mondschein, der alles noch gigantischer erscheinen ließ, in den dunkelnden Gängen umher, und konnten deshalb nur bei Laternenlicht die berühmte kolossale Warwick-Vase, welche mehrere hundert Gallonen Wasser enthalten kann und mit der schönsten Arbeit geziert ist, sowie die Altertümer besehen, welche in der Loge des Pförtners aufbewahrt werden, und hauptsächlich in den antediluvianischen Stierhörnern und Eberzähnen bestehen, die man Tieren zuschreibt, welche der fabelhafte Ahnherr der ersten Grafen von Warwick, Guy, aus der Sachsenzeit, erlebt haben soll. Die Dimensionen seiner ebenfalls hier aufbewahrten Waffen, verraten einen Riesen von größeren Kräften, als sie jetzt die Natur hervorbringt.

Hier nahm ich endlich zögernden Abschied von Warwick Castle, und legte die Erinnerung wie einen Traum erhabener Vergangenheit an mein Herz, und mir war in dem dämmernden Mondenlicht wie einem Kinde, dem ein phantastisches Riesenhaupt aus ferner Zeit über den Wipfeln des Waldes freundlich zugenickt.

Mit solchen Phantasien, gute Julie, will ich einschlummern, und dem Morgen wieder entgegentreten, der mir auch romantisches beut – die Ruinen von Kenilworth!


Birmingham, den 29sten abends

Ich fahre in meiner Erzählung fort. Der Badeort Leamington (car il faut pourtant, que j'en dise aussi quelque chose) bestand vor dreißig Jahren noch aus einem kleinen Dorfe, und bildet jetzt schon eine reiche und elegante Stadt, mit 10-12 palastartigen Gasthöfen, vier großen Badehäusern mit Kolonnaden und Gärten, mehreren Lesebibliotheken, die mit Spielzimmern, Billard-, Konzert- und Tanzsälen (wovon einer für 600 Personen) verbunden sind, und einer Unzahl von Privathäusern, die bloß zum Gebrauch der Badegäste dienen, und fortwährend wie Pilze aus der Erde wachsen. Dergleichen ist hier alles im kolossalen Maßstabe, obgleich die Wasser, etwas schwefel- und salzhaltig, eigentlich sehr unbedeutend sind. Man benutzt dasselbe Wasser zum Baden und Trinken, und noch jetzt wimmelt es von Badegästen. Die Bäder sind so geräumig wie die englischen Betten, in den Boden eingelassen, oben mit Eisenplatten umlegt, und durchaus mit Porcelaine-Tafeln ausgefüttert. An den Seiten haben sie noch besondere Sitze.

Eine elegante und sehr bequem zu applizierende douche, nebst einer nützlichen Maschine, um unbehülfliche Kranke auf ihrem Stuhl mit leichter Mühe in ihren Bereich zu bringen, verdiente auch bei uns Nachahmung. R... nahm eine Zeichnung davon. Die Trinkanstalt befand sich in einem Saale von der Größe eines Exerzierhauses, um sich hinlängliche motion darin machen zu können, und die Röhren, aus denen das Wasser floß, wie die Hähne zum Drehen, waren, so weit sie sichtbar wurden, aus massivem Silber. Das Wasser selbst schmeckte, wie alle Schwefelwasser, faulig und fatal.

Nicht weit von Leamington, und eine Stunde von Warwick, befindet sich ein höchst lieblicher und reizender Ort, ›Guy's Cliff‹ genannt, dessen kleines Schloß teilweise ebenso alt als Warwick Castle ist. Darunter sieht man in den pittoresken Felsenufern des Avon eine tiefe Höhle, in welche sich, der Sage nach, der gestern so oft erwähnte Guy von Warwick, nach vielen großen Taten im In- und Auslande, heimlich begab, um sein Leben in frommer contemplation zu beschließen.

Nach zwei Jahren ununterbrochener Nachforschungen seiner trostlosen Gemahlin, fand diese, einst selbst auf der Jagd, ihn hier tot in seiner Höhle liegen, und stürzte sich aus Verzweiflung über die Felsen hinab in den Avon, wo sie schnellen Trost im Tode fand. Auf derselben Stelle wurde später zum Andenken dieser tragischen Begebenheit eine geräumige Kapelle in den Felsen gehauen, die noch besteht, und mit der Statue Guys von Heinrich III. geziert ward. Diese letztere aber ist leider von Cromwells Truppen später so mütiliert worden, daß sie nur noch einem unförmlichen Blocke ähnlich sieht. Gegenüber der Kapelle sind 12 Mönchszellen in den Felsen gehauen, die jetzt zu Ställen dienen; mit der innerlich ganz renovierten Kapelle aber ist das Schloß des Besitzers verbunden worden, von dem ein Teil gotisch, und viele hundert Jahre alt, ein zweiter in späterer Zeit im alt-italienischen Geschmack, und ein dritter ganz neu, mit dem gotischen ältesten Teile gleichartig aufgebaut ist. Das Ganze zeigt sich äußerst malerisch, und ebenso geschmackvoll und ansprechend ist das Innere eingerichtet. Besonders fand ich das größere Gesellschaftszimmer mit zwei großen herausspringenden Fenstererkern höchst freundlich. Das eine dieser Fenster steht auf dem 30 Fuß senkrecht hinabsinkenden Felsen, gerade über dem Flusse, der nahe dem Schlosse eine lieblich geformte Insel bildet, hinter welcher sich eine weite Aussicht auf üppige Wiesen, schöne Bäume, und im Hintergrunde ein im Wald halb verstecktes Dorf ausbreitet. Seitwärts sieht man, ohngefähr in einer Entfernung von 1000 Schritten, eine uralte Mühle, welche schon zur Zeit des Einfalls der Normannen existiert haben soll. Ein wenig weiter schließt sich das Bild mit einem bebuschten Hügel, noch im Bereich des Parks, auf dem ein hohes Kreuz die Stelle anzeigt, wo Gaveston, der berüchtigte Liebling Eduard II., nachdem er von den rebellischen Großen, namentlich Warwick und Arundel gefangen worden war, ohne Erbarmen hingerichtet wurde. Alle diese Erinnerungen, mit so viel Naturschönheiten vereinigt, machen einen großen Eindruck. Das andere Fenster bot dagegen den vollständigsten Kontrast mit dem ersten dar. Es ging zu ebener Erde auf, und zeigte nichts als einen sehr niedlichen, von hohen Bäumen umschlossenen, französischen Blumengarten, in dem bunte Porcelaine-Stückchen und farbiger Sand mit den Blumen abwechselten, gegenüber eine herrliche mit Efeu übervoll umrankte Allee, in spitzen Bögen ausgeschnitten. Im Zimmer selbst brannte ein behagliches Kaminfeuer, ausgezeichnete Gemälde schmückten die Wände, und viele Sofas von verschiedenen Formen, sowie Tische mit Kuriositäten bedeckt, und in angenehmer Unordnung zerstreute meubles ließen alles auf's wohnlichste und anmutigste erscheinen.

Ich kehrte von hier noch einmal nach der Stadt Warwick zurück, um die dortige Kathedrale zu besuchen, und die Kapelle, mit des großen Königsentthroners Beauchamps Grab-Monument, das er sich selbst noch bei Lebzeiten setzen ließ, und auch darunter ruht. Seine Statue von Metall liegt oben auf dem Sarkophage, mit einem Adler und einem Bären zu seinen Füßen. Der Kopf ist sehr ausdrucksvoll und natürlich. Er faltet nicht die Hände, wie es sonst bei den alten Ritterstatuen fast immer der Fall ist, sondern erhebt sich bloß etwas gegen den Himmel, wie einer, der nicht eben beten will, sondern nur den lieben Gott mit schuldiger Höflichkeit willkommen heißen, wozu er zwar den Kopf geneigt hat, aber keineswegs demütig aussieht! Rund an den Seiten des Steinsarges sind die bunt bemalten Wappen aller seiner Herrschaften angebracht, und ein ungeheures Schwert liegt ihm noch drohend zur Seite. Die herrlichen bunten Fenster, und die vielfachen, wohl erhaltenen und reich vergoldeten Zierate geben dem Ganzen ein ungemein feierliches Ansehen.

Unglücklicherweise hat man vor 150 Jahren einer Familie aus der Stadt erlaubt, gerade unter dem größten, dem Eingang gegenüberstehenden, Fenster, ein Monument für, ich weiß nicht welchen, Landjunker aus ihrem Hause, aufzuführen, welches die ganze Wand einnimmt, und der schönen Einheit des Ganzen durch seine abscheulichen modernen Schnörkel einen wahren Schandfleck aufdrückt.

An der Seitenwand steht, oder liegt vielmehr auf seinem Sarge, in Stein gehauen ein anderer Eindringling, aber von besserem Schrot und Korn; denn es ist kein Geringerer als der mächtige Graf von Leicester, noch in mittleren Jahren abgebildet; wie es scheint, ein schöner, vornehm und stolz aussehender Mann, doch ohne die Genialität in seinen Zügen, die des großen Warwicks metallnes Bild so sprechend ausdrückt.

Wenige Posten von Leamington in einer immer einsamer und dürftiger werdenden Gegend liegt Kenilworth.

Mit W. Scotts anziehendem Buche in der Hand, betrat ich die so mannigfaltige Gefühle hervorrufende Ruine. Sie nimmt einen Raum von mehr als einer Viertelstunde Umfang ein und zeigt, obgleich in schnellem Verfall, noch viele Spuren großer einstiger Pracht. Der älteste Teil des Schlosses, der 1120 erbaut wurde, steht noch am festesten, während Graf Leicesters neu hinzugefügte Gebäude schon fast der Erde gleich sind. Der weite See, der damals das Schloß umgab, und um welchen sich ein Park von 30 englischen Meilen Umfang ausbreitete, ist unter Cromwell ausgetrocknet worden, in der Hoffnung, versenkte Schätze darin aufzufinden, und auch der Park längst verschwunden, und jetzt in Felder umgewandelt, auf welchen man einzelne Hütten zerstreut erblickt. Ein freistehender und abgelegener Teil der Schloßgebäude, den Schlingpflanzen aller Art fast verbergen, ist zu einer Art Vorwerk umgewandelt, und die ganze Gegend hat ein ärmeres, verlasseneres und melancholischeres Ansehn, als irgend ein Teil des Landes, den wir bisher durchfuhren. Doch ist dieser öde Charakter dem Ganzen nicht unangemessen, und erhöht vielleicht noch den wehmütigen Eindruck so tief gefallner Größe.

Noch steht der Söller, ›Elisabeth's Bower‹ genannt, und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei mondhellen Nächten eine weiße Gestalt dort gesehen worden sei, stumm und still in die Tiefe hinabschauend. Die rudera der Banketthalle mit dem Riesen-Kamin, der weitläufigen Küche und den Weinkellern darunter, sind noch deutlich zu erkennen, ja manches einsame Zimmerchen mag noch in den Türmen wohlerhalten sein, wohin schon längst kein Zugang mehr führt. Die Phantasie ergötzt sich, aus dem noch Bestehenden die Vergangenheit zu erraten, und oft träumte ich, bei dem Umherklettern zwischen den Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben, wo der schändliche Vernon die treueste und unglückseligste der Gattinnen in ewige Nacht verräterisch hinabstieß! Doch gleich vergessen sind jetzt Verbrechen wie Großtaten, die innerhalb dieser Mauern geschahen; über sie hat längst die Zeit ihren alles bedeckenden Schleier gelegt, und dahin sind die ewig sich wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte Pracht und das vergängliche Streben.

Der Tag war trübe, schwarze Wolken rollten am Himmel, hinter denen selten ein gelber, fahler Schein hervorbrach, der Wind flüsterte im Efeu, und pfiff hohl durch die leeren Fenster, hie und da zuweilen einen losen Stein von den zerbröckelten Mauern ablösend, und mit Geprassel in den Burgwall herunterschleudernd. Kein menschliches Wesen ließ sich sehen; alles war einsam, schauerlich, ein düstres, aber erhabnes Denkmal der Vernichtung.

Solche Augenblicke sind eigentlich tröstend! Man fühlt lebhafter als sonst, daß es nicht der Mühe wert ist: sich über irdische Dinge zu grämen, da die Sorge wie das Glück nur eine Spanne Zeit dauert. – Auch mich ergriff noch heute der ewige Wechsel des Menschenlebens, und versetzte mich am Abend, im schreienden Kontrast mit der leblosen Ruine, in das prosaische Gewühl einer nur mit Gewinn beschäftigten Menge, in die dampfende, rauchende, wimmelnde Fabrikstadt Birmingham. Der letzte romantische Anblick für mich waren die Feuer, welche bei der anbrechenden Dunkelheit die Stadt auf allen Seiten aus den langen Essen der Eisenhämmer umleuchteten, dann entsagte ich den Spielen der Phantasie bis auf gelegnere Zeit.


Den 30sten

Birmingham ist eine der ansehnlichsten und zugleich häßlichsten Städte Englands. Sie zählt 120 000 Einwohner, wovon gewiß zwei Drittel Fabrikarbeiter sind, auch gewährt sie nur den Anblick eines unermeßlichen Ateliers.

Ich begab mich schon nach dem Frühstück in die Fabrik des Herrn Thomasson, unsers hiesigen Konsuls, der zweiten an Größe und Umfang; denn die ansehnlichste von allen, wo 1000 Arbeiter täglich beschäftigt sind, und wo von der Dampfmaschine zu 80 Pferden Kraft bis zum Livrée-Knopfe und der Stecknadel unzählige Gegenstände verfertigt werden, ist seit dem Besuch der österreichischen Prinzen (deren Gefolge einige wichtige Geheimnisse erlauscht haben soll) für jeden Fremden ohne Ausnahme hermetisch verschlossen worden.

Ich hielt mich hier, obgleich in abscheulichen, schmutzigen und stinkenden Löchern, die zu verschiedenen Ateliers dienten, doch mit vielem Interesse mehrere Stunden auf, und machte selbst einen Knopf, den Dir R... als ein Zeichen meines Fleißes mitbringen soll.

Im untern Stock sind in besserem Lokale alle die Erzeugnisse ausgestellt, welche die Fabrik liefert, von Gold, Silber, Bronze, platierten und Lackwaren (die in ihrer Nachahmung die chinesischen Originale selbst übertreffen) Stahlsachen in jeder Gestalt u.s.w. in einer Menge und Eleganz geordnet, die wirklich Staunen erregt. Unter andern sah man hier eine Kopie der gestern beschriebenen ungeheuren Warwick-Vase, von derselben Größe wie das Original, in Bronze gegossen, welche 4000 L. St. kostete, so wie prachtvolle Tafelservices in Silber und plate, welches letztere jetzt auf eine Art gearbeitet wird, daß man es von keiner Seite mehr vom Silber unterscheiden kann, daher auch selbst die Großen gar häufig plate mit Silber vermischen, wie die Pariser Damen falsche Steine und Perlen mit echten.

Eine Menge neue und angenehme Erfindungen des Luxus lernte ich im kleinen und großen hier kennen, und widerstand auch nicht ganz der Kauflust, die hier so viel Nahrung findet, doch beschränkte ich mich bloß auf Kleinigkeiten, die in einer wohlverpackten Kiste nächstens bei Dir ankommen werden.

Die Eisenwerke mit ihren riesenhaften Dampfmaschinen, die Nadelfabriken, die Stahlfabrikation, wo man von der kleinsten Schere bis zum größten Kamin und ganzen, hell wie Spiegel polierten, Treppen, alle dazwischenliegende Nuancen aufgehäuft findet – alles das zu sehen füllt einen Tag recht angenehm aus, doch erlaß mir die nähere Beschreibung, ce n'est pas mon metier.


Den 31sten

Da heute am Sonntage die Fabriken Ruhe haben, machte ich eine Exkursion nach Aston Hall, dem Landsitze des Herrn Watt, wo zwar für die Gärtnerei sich wenig Ausbeute zeigte, in dem alten Schlosse sich aber viele kuriöse Portraits befinden. Leider konnte mir ein unwissender Portier nur über wenige Auskunft geben.

Äußerst schön war ein Bild in Lebensgröße von Gustav Adolph. Die Freundlichkeit, Würde und Klugheit, die klaren, biedern, und doch mehr als das noch sagenden Augen, und die sanfte, aber nicht weniger feste Sicherheit in seiner ganzen Erscheinung waren höchst anziehend. Daneben stand eine treffliche Büste Cromwells, die ich noch für ähnlicher halten möchte, als das Gemälde in Warwick, weil sie dem historischen Charakter angemessener ist. Grobe, und wenn man will, gemeine Züge, aber eine Felsennatur im ganzen Antlitz, hier deutlich verschwistert mit jener finstern Schwärmerei und dämonischen List, die den Mann so treu charakterisieren.

Zwei Kanonenkugeln, die Cromwell in das Schloß, welches damals Feste war, werfen ließ, und die das Treppengeländer an zwei Stellen zerschmetterten, werden sorgfältig auf dem Fleck gelassen, wo sie hinfielen, und das Geländer wird nicht repariert, obgleich es seitdem, alberner Weise, samt dem zerstörten Teile mit weißer Ölfarbe neu angestrichen worden ist.

Um den morgenden Tag nicht auch zu verlieren, da außer den Fabriken hier nichts zu sehen ist, denke ich heute Abend noch, und die Nacht durch, nach Chester zu fahren. Dort wollen wir morgen Eaton, den berühmten Park des Lord Grosvenor sehen, von dem ich Dir schrieb, daß Batthyány mir eine so prächtige Beschreibung gemacht hätte, und der nach allem was ich höre gewiß erreicht, was Geld erlangen kann. Übermorgen komme ich dann wieder hierher, besehe die übrigen Fabriken und gehe dann über Oxford zurück, in dessen Nähe zwei der größten Parks in England, Blenheim und Stowe, nebst mehreren andern noch mit besucht werden sollen.


Chester, den 1sten Januar 1827

Wieder ein Jahr dahin! Keines der schlechtesten für mich, außer der Trennung von Dir. Ich hatte die Leselampe im Wagen angezündet, und durchlief behaglich den neuesten Roman der Lady Morgan, während wir im Galopp in der Ebene dahinrollten. Sowie der Zeiger seiner Uhr auf 12 stand, gratulierte mir R... für mich und Dich zum neuen Jahr. Zwölf Stunden später erreichten wir Chester, eine altertümliche barocke Stadt.

Obgleich wir die 19 deutsche Meilen von Birmingham hierher in 13 Stunden zurücklegten, so finde ich doch, daß in England wie in Frankreich, je mehr man sich von der Hauptstadt entfernt, eine allmählige Abnahme in vielem Guten stattfindet, die Gasthöfe weniger vorzüglich, die Postpferde schlechter, die Postillons schmutziger, die Kleidung der Leute überhaupt unansehnlicher, und das vielfach sich drängende Leben einsamer wird. Dabei nimmt die Teuerung im umgekehrten Verhältnisse zu, und man ist einzelnen Prellereien unterworfen, die in größerer Nähe Londons wegen der starken Konkurrenz fast nie vorfallen.

Das Wetter war uns im neuen Jahr noch ungünstiger als im vorigen. Es regnete den ganzen Tag. Wir eilten, sobald ich ein wenig Toilette gemacht hatte, die Wunderdinge von Eaton Hall zu sehen, von denen ich jedoch keine zu große Erwartung hegte. Ich fand auch selbst meine mäßigen Hoffnungen kaum erfüllt, denn der Park und die Gärten waren, meinem Geschmack nach, von allen bisher beschriebenen dieser Kategorie am unbedeutendsten, obgleich von sehr großem Umfang, und das Haus erweckte ganz dieselben Empfindungen wie Ashridge in mir, nur mit dem Unterschiede, daß es noch überladner, und auch innerlich weit weniger schön, obwohl ungleich teurer meubliert war. Man fand alle mögliche Pracht und Ostentation, die ein Mann nur anwenden kann, der jährlich eine Million unsres Geldes Revenuen, aber Geschmack vielleicht nicht in demselben Verhältnis besitzt. Ich bemerke in diesem Chaos von neugotischem Geschnörkel, schlecht gemalten, modernen Glasfenstern, und unförmlichen Tischen und Stühlen, welche höchst unpassend architektonische Verzierungen nachahmten, auch nicht eine Sache, die mir des Auszeichnens wert geschienen hätte, und es ist mir völlig unbegreiflich, wie Herr Lenné, dessen Verdienste um die Verschönerung seines Vaterlandes man alle Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, in den Annalen des Berliner Gartenvereins, diesem Park vor allen, die er gesehen, den Vorzug geben kann, worüber sich die englischen Kritiker auch etwas lustig gemacht haben. Herr Lenné ahmte vor dem neuen Palais in Potsdam den hiesigen Blumengarten nach. Ich hätte mir, ich gestehe es, an seiner Stelle ein andres Muster gewählt, doch paßt dieser Stil allerdings vor dem dortigen Palais weit besser, als vor einer gotischen Burg. Kunstschätze sind mir hier gar nicht vorgekommen, bis auf einige mittelmäßige Gemälde von West; alle Pracht liegt in den Stoffen und dem aufgewandten Gelde, wie der kolossalen Größe der Staatszimmer und der Bibliothek, die als Reitbahn dienen könnte. Das große Portrait des Besitzers und seiner Gemahlin im Speisesaal gewährt auch wenig Interesse, außer für Bekannte. Eine Menge affröse gotische Tempelchen verunstalten den pleasure-ground, der überdies, so wie der Park, keine schönen Bäume hat, indem der Boden ungünstig ist, und die Anlage überall nicht alt zu sein scheint. Die Gegend ist indes recht leidlich, obwohl nicht sehr pittoresk, und zu flach.

Da uns noch Zeit übrig blieb, besahen wir das königliche Schloß in Chester, welches jetzt in ein vortreffliches Grafschafts-Gefängnis umgewandelt ist, dessen Einrichtung mir ebenso menschlich als musterhaft in jeder Hinsicht erschien. Der Anblick von der Terrasse des corps de logis, in dem die Gerichtssäle sind, auf die Gefangenen in ihren Höfen tief darunter, ist höchst überraschend.

Denke Dir eine hohe Felsenterrasse, auf der ein Schloß mit zwei Flügeln steht. Das corps de logis ist, wie gesagt, für die Gerichts-Lokale bestimmt, die sehr geräumig sind, und die Flügel für die Gefangenen, welche wegen Schulden sitzen. Der Hof bildet ein Gärtchen, wo diese Schuldner spazieren gehen können. In der Tiefe unter dem Hofe ist eine Art Zwinger in Sternform, durch hohe Mauern in viele Abteilungen separiert, hinter denen ein halbmondförmiges Gebäude hinläuft, welches die Friedensstörer, Diebe und Mörder beherberget. Im letzten Teile desselben rechts sind die Weiber eingesperrt. Jeder der einzelnen Strahlen des Zwingers ist als ein Blumengarten benutzt, mit Gängen durchschnitten, und zum Gebrauch der Gefangenen bestimmt, die, so lange sie noch nicht verurteilt sind, in grauer Kleidung, nach der Verurteilung aber in halb grüner, halb roter erscheinen. In jeder Abteilung des hintern Gebäudes ist unten ein Gesellschaftszimmer, wo an Wochentagen gearbeitet und dazu Feuer gemacht wird. Die Zellen sind reinlich und luftig, die Nahrung verschieden, nach dem Grade des Verbrechens, bei der letzten Klasse nur Brot, Kartoffeln und Salz. Heute, als am Neujahrstag, hatten dagegen alle roastbeef, plum-pudding und Ale bekommen, waren größtenteils, besonders die Weiber, sehr animiert, und machten einen furchtbaren Lärm mit ›Hurraschreien‹ auf das Wohl des Stadtmagistrats, der ihnen diese Fete gegeben.

Die Aussicht von der obern Terrasse, über die Gartenzwinger, die Gefängnisse und eine herrliche Gegend, wo man den Fluß in der Tiefe gleich hinter den Gefangenenzellen strömen, seitwärts die Dächer und Spitzen der Stadt in malerischem Wirrwarr, und in der Entfernung die Berge von Wales erblickt, ist herrlich, und à tout prendre wohnen bei uns selten die Oberlandesgerichtsräte so gut als hier die Spitzbuben.

Ich danke dem Himmel, daß wir morgen die Rückreise antreten, da ich Merkwürdigkeiten und Parks gänzlich überdrüssig bin. Ich fürchte sehr, daß es Dir mit meinen monotonen Briefen ebenso gehen wird, indessen wer ›A‹ gesagt hat, muß auch ›B‹ sagen, und so mache Dich noch auf ein Dutzend Parks mehr gefaßt, ehe wir das neblige London wieder erreichen.

Indessen sende ich noch heute die vorliegende Epistel nach der Hauptstadt, um Dir wenigstens einen wohltätigen intervalle zu gönnen, und bitte dann Gott, Dich in seinen guten und treuen Schutz zu nehmen.

Dein ewig ergebener L...


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