Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Zehnter Brief

Hawkstone Park, den 2ten Januar 1827

Geliebte Freundin!

Obgleich ich gestern mich sehr parkblasiert fühlte, und nicht glaubte, noch irgendein lebhaftes Interesse für dergleichen fassen zu können, so bin ich doch heute wieder umgewandelt worden, und muß Hawkstone sogar vor dem bisher Gesehenen den Vorzug geben, welchen ihm, nicht Kunst, noch Pracht und aristokratischer Glanz, sondern die Natur allein verleiht, die hier Außerordentliches getan hat, ja in einem Grade, daß ich, selbst mit der Macht begabt der Schönheit dieser Gegend noch etwas hinzuzusetzen (Gebäude ausgenommen), nicht aufzufinden wüßte, was.

Es scheinen hier durchaus alle Elemente für die günstige Lage vereinigt, wie Du aus einer einfachen Beschreibung selbst entnehmen wirst.

Wirf also Deine Geistesaugen auf einen Erdfleck von solchem Umfang, daß Du von dem höchsten Punkt darin, rund umher den Blick über 15 verschiedene Grafschaften schweifen lassen kannst. Drei Seiten dieses weiten Panoramas heben und senken sich in steter Abwechselung mannigfacher Hügel und niedriger Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und werden am Horizont von den höchst seltsam geformten, zackigen Felsen und hohen Gebürgen von Wales umgeben, die sich auf ihren beiden Enden sanft nach der vierten Seite der Aussicht, einer fruchtbaren, von Tausenden hoher Bäume beschatteten Ebene abdachen, welche in dämmernder Ferne, da, wo sie mit dem Himmelsgewölke zusammenfließt, von einem weißen Nebelstreife, dem Meere, begrenzt wird.

Das Waliser Gebürge ist zum Teil mit Schnee bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwischen so eng mit Hecken und Bäumen durchwirkt, daß es in der Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt, den nur hie und da Gewässer, mit unzähligen größeren und kleineren Wiesen und Feldern durchschneiden. Grade in der Mitte dieser Szene siehst Du nun auf einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Buchen- und Eichwälder hinschauend, die oft mit den üppigsten Wiesenabhängen abwechseln, und deren Inneres 5-600 Fuß hohe Felsenwände mit hellgrün glänzenden, zutage gehenden Kupferadern, nach mehreren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe Gründe und freundliche Täler bilden. An einer der finstersten Stellen dieser Wildnis erheben sich die uralten Ruinen der ›Roten Burg‹, ein prachtvolles Andenken aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers. Nun denke Dir noch, daß diese ganze romantische Berggruppe, die sich, ganz für sich allein bestehend, aus der Ebene erhebt, fast in regelmäßigem Kreise von den silberhellen Wellen des Hawk-Flusses umströmt wird, und dieser so natürlich eingeschlossene Raum eben der Park von Hawkstone ist, ein auch in der Umgegend so anerkannt reizender Ort, daß die jungen Ehepaare aus den nahen Städten Liverpool und Shrewsbury seit lange die Gewohnheit haben, wenn ihre Trauung in die schöne Jahreszeit fällt, die ersten Wochen des neuen süßen Glücks in Hawkstone zuzubringen. Vielleicht ist dies die Ursache, daß dieser Park, ganz wider die englische Sitte, mehr dem Publikum als seinem Besitzer gewidmet ist, der gar nicht hier wohnt, ja dessen Haus verfallen und unansehnlich in einem Winkel des Parks, gleich einem hors d'œuvre, verborgen liegt. Dagegen ist ein schöner Gasthof darin erbaut, der besagte Ehepaare, sowie Liebende aller Art, nebst andern Naturfreunden, mit den ausgesuchtesten Betten und solider Stärkung durch Speise und Trank versorgt. Hier schlugen auch wir unser Lager auf, und begannen, nach einem guten Frühstück à la fourchette, den langen Weg zu Fuß – denn wegen des schwierigen Terrains kann der Park nicht befahren werden. Die kletternde Promenade, die im Winter sogar nicht ganz ohne Gefahr ist, dauerte vier Stunden.

Über einen weiten Wiesenplan, von Eichen beschattet und von weidenden Herden bedeckt, wanderten wir auf sehr nassem Boden (denn es hatte leider die ganze Nacht geregnet und geschneit) den Kupferfelsen zu. Diese erheben sich über einen hohen Abhang alter Buchen, wie eine darüberhängende Mauer, und sind oben wieder mit schwarzem Nadelholz gekrönt, was einen herrlichen Anblick gewährt. In dieser natürlichen Mauer befindet sich die erste Hauptpartie des Parks, ›die Grotte‹ genannt, zu welcher man durch einen dunkeln in den Felsen gehauenen, bedeckten Weg von mehr als hundert Fuß Länge gelangt, nachdem man vorher eine geraume Zeit im Walde mühsam im Zickzack bergan gestiegen. Die Grotte besteht aus mehreren Höhlen, mit allerlei Steinen und Metallerzen inkrustiert, in welchen einige angebrachte Öffnungen, die mit bunten, brillantartig geschliffenen, kleinen Glasscheiben ausgesetzt sind, in der Dunkelheit täuschend aladinschen Edelsteinen gleichen. Eine alte Frau, welche wenigstens 50 Jahre zählte, war unsre Führerin, und erregte vielfach unsre Verwunderung durch ihre Ausdauer im Marschieren, und der Gewandtheit, mit der sie die Felsen in Pantoffeln auf und ab kletterte, denn die unregelmäßigen, abschüssigen, und spiegelglatten Felsenstufen waren zuweilen recht schwierig zu passieren, so daß der gute R..., der obenein eiserne Absätze an seinen Stiefeln hatte, oft nur mit der größten Anstrengung und bittern Klagen über die ungemeine Beschwerlichkeit, Felsen auf glatten Eisen hinabzuklettern, den sichern Boden wieder erreichte.

Bei einem aus Stämmen und Ästen erbauten Pavillon, der mit Heidekraut gedeckt, und mit Moos austapeziert war, und eine pittoreske Aussicht auf einen barock gestalteten Berg darbot, (›Der Tempel der Geduld‹ genannt) wandte sich nun der Weg noch mehr in das Innere des Waldes, und führte uns zu der sogenannten Schweizerbrücke, welche zwei Felsen kühn miteinander verbindet. Da das Geländer zum Teil heruntergefallen, und die Passage etwas schwindliger Art war, so würde hier für meine gute Julie (im Fall sie wirklich bis hierher hätte gelangen können) alles weitere Vordringen ein Ende gehabt haben. Wie gut ist es also in solchen Fällen, einen so unermüdlichen Führer im Reiche der Einbildungskraft zu besitzen, wie Du an mir hast, der Dich sofort mit leichter Mühe über die Teufelsbrücke hinüberschwingt, und Dir nun einen turmartigen Felsen zeigt, der aus den glatten Buchen schwarz hervortritt, dicht mit Dornen und Efeu bewachsen ist, das in hundert Guirlanden herabhängt, und lange Zeit einen Fuchs beherbergte, der hier sicher vor den verfolgenden Hunden, jahrelang seine Burg Malepartus aufgeschlagen hatte. Dies ist ein beglaubigtes Faktum, und hat dem Felsen den Namen Reinardshaus verliehen, den er noch trägt. Die Führerin behauptete sogar, es habe sich jetzt wieder ein neuer Bewohner dort angesiedelt, doch konnten wir nichts von ihm erblicken. Bergauf, bergab ging es fort, und schon ziemlich müde erreichten wir endlich die Terrasse, ein etwas offner Platz mit schönen, einzeln durch den Wald gehauenen Prospekten.

Nicht weit davon, hinter sehr hohen Bäumen, steht eine Säule von 120 Fuß Höhe, dem Stifter der Familie des Besitzers gewidmet, einem Londoner Kaufmann und Lord Mayor von London zur Zeit Heinrich des III., dessen Statue die Säule krönt. Eine bequeme Wendeltreppe führt im Innern des turmartigen Gebäudes bis auf die Spitze, von wo man eben das früher beschriebene Panorama der 15 Grafschaften staunend überblickt. Durch immer wildere Felsenschluchten gelangt man von hier, in tiefster Einsamkeit, zu einer lieblichen cottage, am Ende eines freundlichen Wiesentals gelegen, wo früher mehrere seltne Tiere und Vögel gehalten wurden, die jedoch jetzt nur noch ausgestopft ein Zimmer der Hütte bewohnen. Als die dort als Aufseherin angestellte junge Person sie uns zeigte, bediente sie sich der lächerlichen Phrase: ›Alle diese Tiere, die Sie hier sehen, pflegten sonst zu leben‹ (used to live before). Das Gewächshaus, von Felsenstücken und Baumästen aufgebaut, sowie den gotischen Turm, eine Art Lusthaus, übergehe ich, und geleite Dich wieder einen langen, langen Weg erst durch Wald, dann über Wiesenhügel und durch eine schmale Schlucht, hierauf wieder mühsam einen Berg hinan, zu der prachtvollen Ruine, dem schauerlich gelegenen Roten Schloß. Weithin erstrecken sich die verwitterten Mauern und in den Felsen gehauenen Wälle dieser Burg, zu deren Innern man nur durch einen zwei Fuß breiten, in Stein gesprengten, gewundenen Gang gelangt, dessen Dunkelheit so groß ist, daß ich mich genötigt sah, den Unterrock meiner Führerin als Faden der Ariadne zu ergreifen, weil ich wörtlich die Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Aus diesem Schacht kommt man in eine malerische Felsengasse mit glatten hohen Wänden, über die sich Ebereschen und andere beerentragende Bäume hinwölben. Seitwärts erblickt man eine Höhle, deren weite Öffnung noch mit einem verrosteten eisernen Gitter verschlossen ist. Auf einer beschwerlichen Felsentreppe erreicht man endlich den obersten Teil der Ruine, einen hohen dachlosen Turm, in dessen 15 Fuß dicken Mauern mancher hundertjährige Baum Wurzel geschlagen hat, und in dessen Innern sich ein unabsehbarer Brunnen befindet, der bis in die Eingeweide der Erde zu gehen scheint. Wenn man über die feste und wohlverwahrte Barriere, die ihn umgibt, hinunter blickt, erregt der Kontrast der Turmhöhe über Dir, in welche der Himmel hineinschaut, und der bodenlosen Tiefe unter Dir, wo ewige Nacht herrscht, einen ganz eignen Eindruck. Man wähnt hier Verzweiflung und Hoffnung in einem Bilde allegorisch vereinigt zu sehen. Der Turm und die Felsen, auf denen er ruht, sinken in gleicher senkrechter Linie bis in eine schwindelnde Tiefe hinab nach dem Tale, dessen Riesenbäume von hier nur wie junges Dickicht erscheinen. Mit einem etwas starken Sprunge der Einbildungskraft gelangten wir nach einer Viertelstunde von hier zu der Hütte eines Neu-Seeländers, an einem kleinen See gelegen, nach einer Zeichnung Cooks vor vielen Jahren aufgebaut (denn diese Anlagen sind sehr alt), und mit Pfeilen, Tomahawks, Schädeln gefressener Feinde, und andern dieser niedlichen Kleinigkeiten versehen, die den unschuldigen Luxus jener Naturkinder ausmachen.

Hiermit beschlossen wir unsre Promenade, und ließen noch ungesehen (als dieses herrlichen Ganzen unwürdige Flecken) eine Höhle, wo ein Automat den Einsiedler spielt und ein Gedicht hersagt, eine alberne Darstellung des Neptun von Sandstein, verbunden mit einem chinesischen Tempel von Holz, und eine moderne Zitadelle ebenfalls von Holz, wo bei Feierlichkeiten und auf Bestellung mehrere Kanonen gelöst werden können. Diese Anlagen der Afterkunst, sowie leider auch die Wege, sind alle etwas verfallen, seit der Besitzer nicht mehr hier lebt. Dies sind aber, so wie die obenerwähnte Überladung und Spielereien, nur kleine Mängel eines erhabenen, und in aller Abwechselung natürlicher Schönheit, wunderbar glänzenden Ganzen.


Newport den 3ten

Es ist völlig und ernsthaft Winter geworden, die Erde mit Eis und 6 Zoll Schnee bedeckt, und die Kälte in den, jetzt selten durch ein unzureichendes Kaminfeuer erwärmten Zimmern, fast unerträglich! Da ich den heutigen Tag meistens im Wagen zugebracht habe, ist nichts weiter davon zu berichten.


Birmingham, den 4ten

Wir sahen auch heute nichts Merkwürdiges auf unserm Wege, als einen Park, durch den wir nur hindurchfuhren, und der größtenteils neu angelegt schien. Ein kleiner, aber hübscher Garten, bot sehr niedliche Modelle für Blumengerüste dar, wie auch zierliche Körbe, alles sehr fein in Eisendraht ausgeführt, und mit rankenden Gewächsen bezogen. R... mußte sie mit steifen Fingern kopieren.

Der Gasthof, wo wir unser luncheon einnahmen, war, wie die darauf eingehauene Jahrszahl lehrte, 1603 gebaut, also über 200 Jahre alt, und das hübscheste Spezimen von cottage im alten Geschmack, mit Fachwerk in verschiedenen dessins, das mir auf dieser Tour vorgekommen ist. Gegen Abend erreichten wir bei immer empfindlicher werdenden Kälte Birmingham, wo ich mich jetzt gemächlich ausruhen will.


Den 5ten

Der ganze Tag wurde abermals, wie bei meinem früheren Aufenthalt hieselbst, den Fabriken gewidmet, und Ausstellungen von Waren besehen. Die armen Arbeiter sind doch mitunter übel daran! Sie verdienen zwar hinlänglich, aber mehrere ihrer Beschäftigungen sind auch, bei der geringsten Nachlässigkeit, bei dem kleinsten Versehen, oft furchtbar gefährlich. So sah ich heute einen, dessen Geschäft es ist, bei dem Stampfen der Livree-Knöpfe den Würfel zu halten, und dem bei dieser Gelegenheit schon zweimal der Daumen zerschmettert wurde, welcher jetzt nur noch einen kleinen unförmlichen Fleischklumpen bildete. Wehe denen, die den Dampf- und andern Maschinen mit ihren Röcken zu nahe kommen. Schon mehrere faßte diese unerbittliche Macht, und zerquetschte sie, wie die grausame Boa ihre hilflose Beute. Dabei sind viele Arbeiten so ungesund wie in den Bleiwerken Sibiriens, und bei manchen ist ein Geruch auszustehen, den der ungewohnte Besucher kaum minutenlang ertragen kann.

Es hat alles seine Schattenseite, auch diese hochgesteigerte Industrie, doch ist sie deshalb nicht zu verwerfen. Hat doch selbst die Tugend ihre Nachteile, wo sie im geringsten das Maß überschreitet, und dagegen das Schlimmste, ja das Laster nicht ausgenommen, seine lichteren Stellen.

Merkwürdig ist es, daß bei diesem raffinierten Fortschreiten in jeder Erfindung, die Engländer, gleich dem eignen Geständnis des Herrn Thomasson, noch immer nicht imstande sind, es den Berliner feinen Eisengußwaren gleichzutun. Was ich von dieser Art hier sah, stand jenen ungemein nach. Oft scheint es mir überhaupt, als wäre, ohngeachtet die Engländer uns noch so weit voraus sind, dennoch der Zeitpunkt schon eingetreten, wo sie zu sinken und wir zu steigen anfangen. Da sie von so hoch sinken, und wir von so tief steigen müssen, so kann es dem ohngeachtet noch lange dauern, ehe wir uns auf demselben Punkte begegnen, aber, wie gesagt, uns entgegen zu gehen, haben wir, glaube ich, angefangen. Deutschland Glück auf!! erlangen deine Bewohner nur Freiheit, so wird ihnen jedes Streben gelingen.


Stratford, den 6ten

Die heutige Tagereise war nicht groß, aber inhaltsschwer, denn der Ort, dessen Namen neben dem Datum meines Briefes steht – ist ja der Geburtsort Shakespeares! Es ist ein tief ergreifendes Gefühl, die unbedeutenden Gegenstände zu sehen, die vor Jahrhunderten mit einem so großen und geliebten Manne in unmittelbarer und häuslicher Berührung standen, und gleich darauf den Ort, wo längst seine Gebeine vermodern – und so in wenig Augenblicken von seiner Wiege den langen Weg bis zu dem seines Grabes zurückzulegen. – Das Haus, in dem er geboren ist, sowie die Stube selbst, in der dies große Ereignis vor sich ging, stehen noch fast unverändert da. Die Stube gleicht vollkommen einer geringen Bürgerstube, wie sie in unsern kleinen Städten zu sein pflegen, ganz der Zeit angemessen, wo England auf derselben Stufe der Kultur stand, die bei uns der gemeine Mann noch jetzt einnimmt. Millionen Namen, von Königen und Bettlern hingeschrieben, bedecken die Wände des kleinen Zimmers, und obgleich ich dieses Anhängen an fremde Größe, wie Ungeziefer an Marmorpalästen klebt, nicht besonders liebe, so konnte ich doch hier dem Drange nicht widerstehen, auch meinen Namen mit einer tiefen Empfindung von Dankbarkeit und Ehrfurcht den übrigen beizugesellen.

Die Kirche am Avon (derselbe Fluß, der Warwicks ehrwürdige Schloßmauern bespült) wo Shakespeare begraben liegt, ist ein schöner Überrest des Altertums, mit vielen merkwürdigen Monumenten geziert, unter denen natürlich das des unsterblichen Dichters obenan steht. Es war früher, so wie seine Büste, in bunten Farben gemalt und vergoldet, ist aber durch die Stupidität eines gewissen Malone vor nahe 100 Jahren überweißt worden, wodurch es viel von seiner Eigentümlichkeit verloren haben muß. Die Büste ist übrigens nichts weniger als von künstlerischem Wert, und auch ohne Ausdruck, wahrscheinlich also auch ohne Ähnlichkeit. Es gelang mir nur mit vieler Mühe und Geld, ein kleines Bild des Denkmals in den alten Farben, welches das letzte noch vorrätige Exemplar war, von der Küsterin zu erlangen, was ich diesem Briefe beilege.

Außerdem kaufte ich im Buchladen mehrere Ansichten des Orts, und der erwähnten Gegenstände. Auf dem Rathause ist ein großes Bild Shakespeares, in neuerer Zeit gemalt, und ein noch besseres von Garrick, das einige Ähnlichkeit, auch in der Art der tournure, mit Iffland hat.


Oxford den 7ten

Nachdem wir zwei Tage lang die Parkomanie ruhen gelassen hatten, brachten wir heute das Verlorne wieder ein, indem wir nicht weniger als vier große Parks besuchten, wovon der letzte, das berühmte Blenheim war. Doch in der Ordnung – exécutez-vous.

Zuerst kamen wir durch Eatrop Park, deshalb merkwürdig, weil er noch aus der Zeit ist, wo man eben anfing, die französische Manier zu verlassen, dies aber, in solcher Übergangs-Periode, noch so wenig imstande war, daß man nur statt Alleen von einzelnen Bäumen, nun Alleen von clumps aus verschiedenen, immer aber regelmäßig abwechselnden Figuren pflanzte, oder in Schlangen-Linien Haine anlegte, und lotrechte Bergabhänge aus unregelmäßigen Terrassen bildete. Das Ganze schien in großem Verfall.

Ein schönerer Besitz ist Ditchley Park. Leider spielte uns aber das englische Klima heute einen boshaften Streich. Nachdem am Morgen (ich glaube erst zum zweitenmal seit wir London verlassen) die Sonne geschienen hatte, und wir schon über unser Glück triumphierten, fiel plötzlich ein solcher Nebel, daß wir den ganzen übrigen Tag nie weiter als kaum 100 Schritte vor uns, manchmal aber kaum zehn weit sehen konnten. Im Schloß fanden wir eine bedeutende Menge Gemälde, besonders schöne Portraits, von denen uns aber kein Mensch sagen konnte, wen sie vorstellten. Etwas Neues in Hinsicht auf unsere Kunst lernten wir nicht, doch sahen wir etwas anderes Neues. Am Jägerhause nämlich waren, in Ermanglung wirklichen Raubzeuges, einstweilen sechs Dutzend Ratzen sehr zierlich, mit ausgebreiteten Schwänzen und Beinen, angenagelt.

Der dritte Park in der Reihe war Blandford Park, dem Lord Churchill gehörig und sehr unbedeutend; im Hause aber fanden wir einige herrliche Kunstwerke. Zwei Gemälde besonders beneidete ich dem Besitzer. Das erste stellt ein nacktes, liegendes, reizendes Weib vor, die durch die Finger ihrer Hand schalkhaft lächelt; gewiß fälschlich auf Michel Angelos Namen getauft. Es ist allerdings von kühner Zeichnung, aber außerdem auch von einer Wahrheit und Elastizität des Fleisches, einer titianischen Färbung und einer Lieblichkeit des Ausdrucks, die keinen Michel Angelo verraten, wenn es auch vielleicht ungegründet ist, daß, wie manche wollen, gar keine Öl-Gemälde von diesem Meister existieren.

Noch mehr zog mich das zweite, ›Judith‹, angeblich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich früher nicht erinnere, ein Bild gesehen zu haben. Gewöhnlich ist dieser Gegenstand, die triumphierende Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in der Hand, mir eher widerlich als angenehm gewesen – hier aber: welcher poetisch aufgefaßte Ausdruck in Judiths gleich erhabnen und reizenden Antlitz. Eine Welt von Empfindungen liegt in diesen inhaltsschweren Zügen. Es ist nicht das Gesicht einer Jungfrau mehr, sondern schon das einer jugendlichen Frau. In den feuchten, schwimmenden Augen sind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu lesen, und um den üppig schwellenden, noch wie entzückten Mund, verrät ein leises Beben, daß sie, wenngleich wider ihren Willen, doch die Lust kennengelernt! – Stärker aber war im Geiste ihre Liebe zu Gott und Vaterland, und darum blieb fest ihr früherer Entschluß. Das Opfer mußte dennoch fallen, aber kein Triumph hebt ihre Brust – sinnend, über Gedanken brütend, die ihr selbst nicht ganz klar sein mögen, schreitet sie dahin, die zarte Hand krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männlich schönen Hauptes gedrückt, das sie jetzt, wie bewußtlos, mit sich fortträgt.

Ich merke mir alle diese schönen Gemälde wohl, um sie einmal kopieren lassen zu können, wenn ich Muße dazu habe, denn gute Kopien so herrlicher Bilder ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich nicht ansprechenden Originalen vor, selbst wenn die letzteren von den berühmtesten Meistern herstammen, denn nur das Dichterische, nicht das Technische eines Kunstwerks kann mich reizen. Eine kostbare Sammlung Handzeichnungen von Raphael, Claude Lorrain und Rubens, und mehrere interessante Portraits übergehe ich, um nicht zu weitschweifig zu werden.

Der abscheuliche Nebel wurde immer dicker, und so sahen wir Blenheim nur wie in der Dämmerung. In Hinsicht auf Glanz und Größe ist es ohne Zweifel außerordentlich zu nennen, und sehr gefiel mir was ich davon sehen, oder vielmehr ahnen konnte, denn es war alles wie in einen Zauberschleier gehüllt, hinter welchem die Sonne ohne Strahlen, wie der Mond erschien. Das Schloß ist sehr groß, und regelmäßig, leider im alt-französischen Geschmack erbaut, an Pracht einem königlichen gleich. Der Park hat 5 deutsche Meilen im Umfang, und das künstlich ausgegrabne Wasser, das herrlichste Werk seinesgleichen, nimmt allein einen Flächenraum von 800 Morgen ein. Ebensogroß ist der pleasure-ground, zu dessen fortwährendem Mähen täglich 40 Leute erforderlich sind. Das Wasser bildet dem Schlosse gegenüber eine künstliche Kaskade, die von großen, gesprengten und weit hergeschafften Felsenstücken so täuschend der Natur nachgeahmt ist, daß man, ohne es zu wissen, schwerlich Kunst dabei voraussetzen würde.

Man muß Browns großartiges Genie bewundern, wenn man diese Anlagen durchwandert. Es ist der Garten-Shakespeare Englands. Dabei sind seine Pflanzungen so wunderbar groß geworden, daß wir, unter andern, einen einzigen Strauch portugiesischen Lorbeers auf dem Rasen fanden, der mit seiner dichten Masse 200 Fuß im Umfang erreichte!

Der jetzige Besitzer ist mit einer Revenue von 70 000 L. St., so verschuldet, daß sein Vermögen für die Gläubiger administriert wird, und ihm nur 5000 L. St. jährlich übrig bleiben, solange er noch leben kann. Es ist jammerschade, daß er dieses wenige noch dazu anwendet, die imposanten Gärten Browns einzureißen, und nach einem elenden neueren Geschmack zu modernisieren, der mit unzähligen kleinen Klümpchens, Beeten und Pflanzen, die reichen Gewänder, die Brown der Natur umgetan, in Harlekinsjacken umwandelt. Ein großer Teil des alten pleasure-grounds ist bereits auf diese Art zerstört, wie uns der alte Gärtner fast mit Tränen in den Augen zeigte. Mehrere der Riesenbäume lagen noch gefällt umher, und ein schwarzer Fleck auf dem Rasen zeigte einen Lorbeerstrauch an, fast von derselben Größe als der beschriebene, der noch vor kurzem hier in aller Fülle seiner Pracht gestanden hatte. Ich dachte mit Kummer, wie vergeblich es ist, etwas Dauerndes gründen zu wollen, und sah in Gedanken schon denjenigen meiner Nachkommen, der einst meine Anlagen ebenfalls zerstören wird, die wir doch beide mit so viel Liebe erdachten und pflegten!

Blenheim wurde bekanntlich größtenteils auf demselben Fleck angelegt, wo der uralte, königliche Park von Woodstock (den Du Dich aus Walter Scotts neuesten Roman erinnerst), stand, und ein großer Teil des Eichwaldes ist noch wohl aus der unglücklichen Rosamunde-Zeit her, immer grünend, und stirbt nur langsam ab, in einer Agonie von hundertjähriger Dauer. Wahre Ungeheuer von Eichen und Zedern an Form und Größe findet man hier. Manche hat der Efeu so umsponnen, daß er sie zwar getötet, ihnen aber auch wieder, durch sich selbst, ein neues und schöneres immergrünes Laub gegeben hat, das jetzt den verwitterten Stamm, wie ein prachtvolles Leichentuch der Natur, so lange umhüllt, bis er in Staub zerfällt.

Fünfzehnhundert Hirsche, eine Unzahl von Fasanen- und die zahlreichsten Herden von Schafen und Kühen bewohnen den Park, dessen Wiesenflächen sich in dem ungewissen Nebel, ohne Grenze, gleich dem Meere auszudehnen schienen, an einigen Stellen fast nackt wie eine Steppe, auf andern dicht mit Wald und Gruppen besetzt.

Das Schloß sieht innerlich, wegen der üblen ökonomischen Lage des Besitzers, etwas verfallen aus, enthält aber eine Menge der kostbarsten Kunstschätze. Man muß gestehen, daß nie eine Nation einem ihrer großen Männer eine würdigere Belohnung an Geld und Gut gab, als Blenheim für den Herzog von Marlborough war, welches bis in alle Kleinigkeiten hinab königlich zu nennen ist. Wenn man das Schloß betritt, kommt man zuerst durch ein triumphbogenartiges Tor, das oben einen Wasserbehälter enthält, der alle Gebäude mit Wasser versorgt, dann in einen geräumigen Hof, wo die Küchen und offices sich befinden, und von hier erst in den großen Schloßhof, der nach dem Park zu die offene Aussicht gewährt, und nur mit einer eisernen grille geschlossen ist. Ein dritter Hof bildet auf der andern Seite den pendant zum erstern, und enthält die Ställe.

Viele Kuppeln machen das Schloß noch imposanter. Die Halle bildet eine solche von 150 Fuß Höhe, höher als gewöhnliche Türme zu sein pflegen. Den plafond darin nimmt ein schönes Fresko-Gemälde ein. Als wir hereintreten, rauchte es aus einem defekten Ofen so stark, daß wir einen zweiten Nebel im Hause anzutreffen glaubten. Einige höchst schmutzige, fast abgerissene Bediente, was in solchen Häusern hier unerhört ist, liefen bei uns vorbei und holten die Kastellanin, welche, in einen schottischen plaid gehüllt, mit einem Stäbchen in der Hand und dem Anstand einer Zauberin, so majestätisch auf uns zuschritt, daß man sie für die Herzogin selbst hätte halten mögen. Das Zauberstäbchen diente dazu, um bequemer auf die verschiedenen Merkwürdigkeiten hinweisen zu können. Fürs erste verlangte sie, daß wir unsre Namen in ein großes Buch einschreiben sollten, denn Blenheim steht an gewissen Tagen dem Publikum, bis auf die reservierten Plätze, offen. Unglücklicherweise fehlte aber im Tintenfaß die Tinte, es mußte also unterbleiben. Darauf ging es durch viele nie geheizte und sehr verblichene Gemächer, die aber mit zahlreichen und schönen Gemälden geschmückt sind, unter diesen jedoch auch manche mittelmäßige, die man sehr freigebig mit den Namen ›Raphael‹, ›Guido‹ etc. beschenkt hatte. Sehr reich erschien die Galerie an schönen und echten Rubens, worunter für mich das ansprechendste sein eigenes, von ihm oft, hier aber vorzüglich gut gemaltes Bild war. Außerdem interessierte mich sehr ein Portrait in Lebensgröße des berüchtigten Herzogs von Buckingham, von Van Dyck, welches doch eine ganz andere Art roué darstellt, sowohl im Gehalt der feinen Züge, wie des ritterlichen Anstandes und der geschmackvollen Kleidung, als unsre Modernen aufweisen. Ferner eine schöne Madonna, von Carlo Dolci, weniger glatt und banal als andere dieses Malers, und ein ganz vortreffliches und höchst charakteristisches Bild der Catharina von Medici. Sie ist sehr weiß, hat wunderschöne Hände, und einen merkwürdigen Ausdruck von kalter Leidenschaft, wenn ich es so nennen darf, in ihren Zügen, ohne jedoch dadurch, wie man vermuten sollte, ein widriges Gefühl zu erregen. Rubens' Frau hängt als ein entgegengesetzter Pol neben ihr, ein reizendes flamländisches häusliches Weib, etwas gemein aussehend, aber herrlich gemalt und geistreich aufgefaßt. Philipp II., von Titian, schien mir unbedeutend, zwei Bettelbuben, von Murillo, dagegen vortrefflich. Lot und seine Töchter, von Rubens. Die Mädchen sind etwas weniger gemein und plump als der größte Teil der Schönheiten dieses Malers, die alle zu viel Verwandtschaft mit den Produkten seines Vaterlandes haben, aber der alte Lot ist das unübertrefflichste Muster eines greisen, trunkenen Wollüstlings. Das Gemälde war übrigens indezenter behandelt, als es sich die Kunst bei heiligen Gegenständen gestatten sollte. Im Schlafzimmer hatte man, sonderbar genug, ein widerlich schauerliches Bild, ›Senecas Hinrichtung im Bade‹, aufgehangen, Seneca selbst bereits ein grünlicher Leichnam. Hier würde, dächte ich, noch eher der Lot hingepaßt haben. Sehr gefällig erschien das Bild der Mutter des Herzogs mit ihrem Kinde spielend, von Joshua Reynolds, gewiß dem besten aller englischen Maler. Die Schönheit, liebliches Wesen und Kindlichkeit der Herzogin war fast einer Madonna wert, und der kleine ein wahrer Liebesgott, voll Schalkheit und Grazie. Ein großes Gemälde Carls I. zu Pferde, von Van Dyck, ist berühmt, und hat 10 000 L. St. gekostet, bietet aber einen gar zu abgenutzten Gegenstand. Aus Raphaels frühester Zeit, in der Manier des Perugino, vielleicht auch von diesem selbst, befindet sich eine große Tafel hier, die Jungfrau mit dem Kinde, St. Nikolas und Johannes darstellend. Der Ausdruck der Figuren gefiel mir nicht, und ich erwähne des Gemäldes nur aus Respekt für den Namen.

Die Bibliothek ist ein prachtvoller Saal, mit 17 000 Bänden angefüllt, auf der einen Seite die marmorne Statue der Königin Anna, auf der andern als sonderbarer pendant, eine kolossale, antike Büste Alexanders, ein Ideal jugendlicher Schönheit, das nach meinem Gefühl noch das Antlitz des Apollo vom Belvedere übertrifft. Es ist menschlicher, und doch zeigt es einen Göttlichen unter den Menschen, freilich im heidnischen, nicht im moralisch-christlichen Sinne.

Es ist billig hier noch des die Bibliothek zierenden Bildes des großen Herzogs von Marlborough zu erwähnen, der durch seine Taten dieser ganzen Schöpfung den Ursprung gab. Seine Geschichte ist in mehr als einer Hinsicht merkwürdig; besonders rate ich jedem, der sein Glück machen will, sie zu studieren. Er kann viel von diesem, so ganz zum Fortkommen in der Welt geeigneten, Charakter lernen. Folgende, nicht sehr bekannte, Anekdote ist mir in dieser Hinsicht, so unbedeutend die Begebenheit an sich ist, immer merkwürdig erschienen.

Der Herzog ward eines Tags beim Spazierenreiten mit seiner suite von einem jählingen Regenschauer überrascht. Er verlangte schnell vom Reitknecht seinen Überrock, und wiederholte, als er ihn nicht gleich erhielt, den Befehl mit einiger Hast. Dies ärgerte den Diener, der mit impertinenter Miene erwiderte: »Nun ich hoffe, Sie werden doch so lange warten, bis ich ihn losgeschnallt habe.« Der Herzog, ohne die geringste Empfindlichkeit zu zeigen, wandte sich darauf lächelnd zu seinem Nachbar und sagte: »Nun, für alles in der Welt möchte ich nicht das Temperament dieses Menschen haben.«

Die bekanntere Geschichte der pétulance, der Herzogin von Castlemaine, welche Churchill (der damalige Name des Herzogs) so gut zu benutzen wußte, und die, gewiß auf die seltsamste Weise, die große carrière eines Helden begründete, verrät eine ganz gleiche Disposition und Gewalt über sich selbst.

Bei Nacht und Nebel, wörtlich, erreichten wir Oxford, wo ich im ›Stern‹ abtrat, und mich mit einem vortrefflichen dinner stärkte, da ein französischer Koch aus London hierher verschlagen worden ist, und wenn ich auch nicht den Köchen, wie die Alten, eine religiöse Huldigung darbringen so kann ich doch nicht leugnen, daß ich für ihre Kunst keine geringe Verehrung hege. »Il est beau au feu« kann man auch von einem solchen Virtuosen sagen, so gut wie vom glänzenden Krieger, und was vollends Diplomatie und Politik betrifft, so ist wohl kein Minister so undankbar, nicht anzuerkennen, wie viel er seinem Koch verdankt.

Meine Exkursion naht sich nun ihrem Ende, und in drei Tagen hoffe ich Dir R... mit allen gesammelten Materialien, wie die Biene voll Honig, wieder zusenden zu können.


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