Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 8ten

Da ich vor meiner Abreise Dir noch vielerlei mit meinen Pferden, Wagen und Vögeln (von den letztern erhältst Du einen ganzen Transport der seltensten) zusenden will, so habe ich dieser Tage mit allerlei Einkäufen viel zu tun gehabt. Währenddem geriet ich auf die Ausstellung des Gewerbfleißes, wo man gar manches Interessantes sieht, als z. B. eine Maschine, die alle im Gesichtskreis befindlichen Dinge perspektivisch, sozusagen, von selbst zeichnet; ein Fortepiano, das, außer zu dem gewöhnlichen Gebrauche zu dienen, auch noch hundert Stücke extra allein spielt, so daß man diese mit eignen Phantasien auf den Tasten begleiten kann; ein sehr kompendiöser Haustelegraph, der die Bedienten mehr als zur Hälfte, und ihre lästige Anwesenheit fast ganz erspart; eine Waschmaschine, die für die größte Menge Wäsche doch nur eine Gehilfin braucht; eine höchst elegante Buttermaschine, um sich in Zeit von zwei Minuten die Butter selbst beim Frühstück zu verfertigen, und mehr andere Neuigkeiten dieser Art.

Von hier fuhr ich nach der größten nursery (Handelsgarten) in der Umgegend Londons, welche ich schon lange zu sehen gewünscht. Die mannigfachen Bedürfnisse so vieler reicher Leute bringen hier Privatunternehmungen von einem Umfang hervor, wie man sie sonst nirgends antrifft. So fand ich in diesem Garten eine Sammlung Gewächshäuser von jeder Größe. Bei vielen waren schmale bleierne Röhren, längs dem Rahmen des Glasdaches hin, angebracht, ohngefähr drei an jeder Seite des Daches. In diese Röhren sind ganz schmale Löcher gebohrt, nach Verhältnis ihrer Höhe vom Boden. Das bloße Drehen eines Hahnes füllt die Röhren mit Flußwasser, und in demselben Augenblick entsteht im ganzen Hause ein dichter Regen, gleich dem natürlichen, den man anhalten läßt, so lange man will. Dies macht das beschwerliche Begießen fast ganz unnötig, wirkt viel kräftiger und gleichförmiges ein, und nur, wo zu dichte Blätter vielleicht dem Regen undurchdringlich sind, wird nachgeholfen.

Gegen Schloßen fand ich folgende einfache Vorrichtung. Auf dem First des Glasdaches, wie auf den beiden Seitenmauern, sind eiserne Spitzen befestigt, und zwei Fuß über dem Glase zusammengerolltes Segeltuch an ihnen befestigt. Kommen Schloßen, so wird durch eine leichte und schnelle Vorrichtung dieses Segeltuch, vermittelst angezogener Schnüre, stramm aufgespannt, so daß es gleichsam ein doppeltes Dach bildet, und alle Schloßen davon abprallen müssen, ohne das Glas berühren zu können.

Ohne mich in das Detail der unzähligen Ananassorten, Rosen etc. einzulassen, bemerke ich nur, daß im département der Gemüse 435 Arten Salat, 261 Erbsen und 240 Kartoffeln zu haben waren, und so fort im gleichen Verhältnis fast mit allen Gegenständen des Gartenhandels.

Auf dem Rückwege begegnete ich den Tirolern , die sich einen freien Tag gemacht hatten, und frug das Mädchen, meine alte Bekannte, wie sie denn alle mit ihrem hiesigen Aufenthalt zufrieden wären? Sie versicherten enthusiastisch, daß ihr Heiliger sie hierher geführt haben müsse, denn wenige Monate hätten ihnen nun schon 7000 L. St. eingebracht, die sie sich bar mit ihren zwölf Liedern ersungen.

Der Fürst Esterházy hat dies Gejodle hier Mode gemacht, und Mode ist hier alles. Die Sontag und Pasta, ohngeachtet ihres herrlichen Talents, haben doch eigentlich auch nur diesem Umstande: daß sie Mode wurden, ihr Glück in London zu verdanken; denn Weber, der sich zu diesem Ende nicht zu benehmen wußte, erhielt bekanntlich fast nichts, die beiden Bohrer, Kiesewetter desgleichen und mehrere andere von großem Verdienste, waren nicht glücklicher.

Indem ich von der Mode rede, wäre es wohl gerade hier passend, mich vor meinem Abgange aus England noch einmal etwas weitläufiger über das Wesen der dortigen Gesellschaft auszulassen, das allerdings einen Fremden noch mehr als Nebel, Dampfmaschinen und Postkutschen in diesem gelobten Lande auffallen muß. Es ist wohl nicht nötig, hier erst zu bemerken, daß bei solchen allgemeinen Schilderungen nur das Vorherrschende ins Auge gefaßt wird, und bei dem Tadel, den das Ganze trifft, der hundert ehrenvollen Ausnahmen, die so vollkommen das lobenswerteste Gegenteil aufstellen, nicht gedacht werden kann.

England befindet sich, allerdings mit Berücksichtigung eines ganz verschiedenen allgemeinen Zeitgeistes, dennoch in einer ähnlichen Periode wie Frankreich 30 Jahre vor der Revolution. Es wird ihr auch wie jenes verfallen, wenn es ihr nicht durch radikale, aber sukzessive Reform entgeht. Nah verwandte Grundübel sind hier vorhanden, wie dort. Auf der einen Seite: Übermacht, Mißbrauch der Gewalt, versteinerter Dünkel und Frivolität der Großen; auf der andern zum allgemeinen Nationalcharakter gewordner Egoismus und Habsucht beim ganzen Volke. Die Religion ruht nicht mehr im Herzen und Gemüt, sondern ist eine tote Form geworden, trotz dem ungebildetsten Katholizismus, mit weniger Zeremonien, aber mit gleicher Intoleranz und einer gleichen Priesterhierarchie verbunden, die jedoch, außer ihrer Bigotterie und ihrem Stolz, noch das voraus hat, daß sie das halbe Vermögen des Landes besitzt.Es ist höchst auffallend, daß englische Schriftsteller sich auf alle Weise abmartern, um auszumitteln, worin der Grund der unermeßlichen Armentaxen, und des immer künstlicher und drohender werdenden Zustandes der arbeitenden Klassen in Großbritannien bestehe, und wie ihm abzuhelfen sei, zu welchem letzteren Ende einige sogar systematische Menschenausfuhr, wie die von baumwollenen Zeugen und Stahlwaren, nebst Gouvernements-Prämien dafür empfehlen – da doch das wahre augenblickliche Heilmittel so nahe liegt, – es bedürfte weiter nichts als Aufhebung des Zehnten, der überdies, weil er mit der vermehrten Kultur steigt die alleinige Ursache ist, daß in England selbst noch ungeheure Strecken eines Bodens, den man bei uns ›gut‹ nennen würde, wüste liegen bleiben, indem niemand sein Kapital und seinen Schweiß bloß für die Pfaffen hergeben will. A. d. H.

Diese Ursachen haben auch dem, was man vorzugsweise ›Gesellschaft‹ nennt, eine analoge Richtung geben müssen. Die Erfahrung wird dies jedem bestätigen, der Gelegenheit zur nähern Beleuchtung des high life in England findet, und höchst interessant wird es ihm sein, zu beobachten, wie verschieden diese Pflanze sich in Frankreich und bei John Bull durch die Verschiedenheit des Urgrundes ausgebildet hat; denn in Frankreich entwickelte sie sich mehr aus dem Rittertume und seiner Poesie, nebst einer allerdings in der Nation dominierenden Eitelkeit, verbunden mit leichtem Sinn und einer wahren Freude an der Sozialität; in England dagegen aus einer brutalen Vasallenherrschaft, dem spätern Handelsglück, angeborner übler Laune des Volkes und einer von jeher ziemlich versteinerten Selbstliebe.

Man bildet sich gewöhnlich im Auslande eine mehr oder weniger republikanische Ansicht von der englischen Gesellschaft. In dem öffentlichen Leben der Nation ist dieses Prinzip allerdings sehr bemerkbar, und wird es immer mehr; ebenso in der Art ihrer Häuslichkeit, wo zugleich auch der Egoismus seltsam vorherrscht. Erwachsene Kinder und Eltern werden sich schnell fremd, und was wir Häuslichkeit nennen, ist daher hier bloß auf Mann und Frau und kleine Kinder anwendbar, solange diese in der unmittelbaren Abhängigkeit vom Vater leben. Sobald sie größer werden, tritt sogleich republikanische Kälte und Trennung zwischen ihnen und den Eltern ein. Ein englischer Dichter behauptet sogar: die Liebe der Großväter zu ihren Enkeln entstehe bloß daher, weil sie in ihren erwachsenen Söhnen nichts anders als begierige und feindliche Erben sähen, in ihren Enkeln aber wiederum die künftigen Feinde ihrer Feinde liebten. Ein solcher Gedanke selbst konnte nur in einem englischen Gehirne entstehen!

In den gesellschaftlichen Verhältnissen dagegen ist, von oben bis auf die untersten Stufen herab, auch nicht eine Spur republikanischer Elemente anzutreffen. Hier ist alles im höchsten Grade mehr als aristokratisch, es ist kastenartig indisch. Eine andere Ausbildung der heutigen sogenannten großen Welt würde vielleicht noch stattgefunden haben, wenn in England ein Hof, im Kontinentalsinne, Ton und Richtung in höchster Instanz angegeben hätte.

Ein solcher ist aber hier nicht vorhanden. Die englischen Könige leben als Privatleute, die meisten Hofchargen sind fast nur nominell, vereinigen sich höchst selten, nur zu großen Gelegenheiten, und da sich doch irgendwo in der Gesellschaft ein focus organisieren muß, von dem das höchste Licht und die höchste Autorität fortwährend ausstrahlt, so schien die reiche Aristokratie berufen, diese Stelle einzunehmen. Sie war aber, bei aller ihrer Macht und Reichtum, dennoch nicht allein imstande, diesen Platz vollständig zu behaupten. Der englische Adel, so stolz er ist, kann sich doch an Alter und Reinheit, wenn solchen Dingen einmal Wert beigelegt werden soll, nicht exklusive nennen, kaum mit dem französischen, durchaus aber nicht mit dem höheren, großenteils intakt gebliebenem deutschen messen. Er blendet nur durch die weislich immer beibehaltenen alten historischen Namen, die, wie stehende Masken, durch die ganze Geschichte Englands durchgehen, obgleich immer neue Familien und oft solche, die von ganz geringen Leuten, oder Maitressen etc. abstammen, dahinter stecken. Englands Adel hat freilich die solidesten Vorzüge vor dem anderer Länder, durch seinen reellen Reichtum, und noch mehr durch den Anteil an der Gesetzgebung, den ihm die Verfassung einräumt; da er aber im gesellschaftlichen Leben nicht deshalb, sondern gerade nur vom affichierten edleren Blute und höherer Extraktion seinen Hochmut hernehmen und beurkunden will, so ist allerdings die Prätention doppelt lächerlich.

Man fühlte dies vielleicht instinktmäßig, und so wurde durch stillschweigende Übereinkunft als unumschränkte Herrscherin nicht die Aristokratie, nicht das Geld (denn da die Aristokratie ebenso reich als die Industrie ist, so konnte die höchste Gewalt unmöglich auf diese übergehen) sondern eine ganz neue Macht: die Mode – auf den Thron gestellt, eine Göttin, die nur in England wahrhaft personell, wenn ich mich so ausdrücken darf, despotisch und unerbittlich herrscht, immer aber durch einige geschickte Usurpatoren beider Geschlechter sinnlich repräsentiert wird.

Der Kastengeist, der sich von ihr herab jetzt durch alle Stufen der Gesellschaft mehr oder weniger erstreckt, hat hier eine beispiellose Ausbildung erhalten. Es ist hinlänglich, einen niedereren Kreis vertraut besucht zu haben, um in dem auf der Leiter immediat folgenden gar nicht mehr, oder doch mit großer Kälte aufgenommen zu werden, und kein Brahmane kann sich vor einem Paria mehr scheuen, als ein anerkannter exclusive vor einem nobody. Jede Gesellschaftsart ist von der andern getrennt, wie ein englisches Feld vom andern durch Dornhecken. Jede hat ihre eignen Manieren und Ausdrücke, ihren ›cant‹, wie man es nennt, und vor allem eine vollkommne Verachtung für alle unter ihr stehenden. Man sieht auf den ersten Blick hieraus, daß die Natur einer solchen Gesellschaft höchst kleinstädtisch in ihren einzelnen Coterien werden muß, was sie gar sehr von der Pariser unterscheidet.

Obgleich nun die Aristokratie, wie ich bemerkte, als solche nicht an der Spitze dieses seltsamen Ganzen steht, so übt sie doch den größten Einfluß darin aus. Es ist sogar schwer, fashionable zu werden ohne vornehmer Abkunft zu sein, aber man ist es auch noch lange nicht, wenn man vornehm, noch weniger, weil man reich ist. So ist es beinahe lächerlich, zu sagen, aber doch wahr, daß z. B. der jetzige König, Georg IV., höchst fashionable ist, der vorige es nicht im geringsten war, und keiner der Brüder des jetzigen es ist, was übrigens zu ihrem größten Lobe dient, da ein wahrhaft ausgezeichneter Mann nie frivol genug sein wird, um in dieser Kategorie sich auf die Länge behaupten zu können, noch zu mögen. Dennoch würde es auch mißlich sein, bestimmt anzugeben, was auf der andern Seite eigentlich die höchsten Stellen in jener Sphäre verbürge. Man sieht abwechselnd die heterogensten Eigenschaften darauf Posto fassen, und auch politische Motive können in einem Lande wie diesem nicht immer ohne Einfluß darauf bleiben, doch glaube ich, daß caprice und Glück, und vor allem die Weiber, auch hierin, wie in der übrigen Welt, das meiste tun.

Im ganzen aber zeigen allerdings die modischen Engländer, ohne deshalb ihre angeborne Schwerfälligkeit und Pedanterie sehr ablegen zu können, als den Hauptzug ihres Strebens, das lebhafte Verlangen: die ehemalige französische sittenlose Frivolität und jactance in ihrem vollen Umfang zu erreichen, während gerade im umgekehrten Verhältnis die Franzosen jetzt diese Disposition mit altenglischem Ernste vertauscht haben, und täglich mehr einem würdigeren Lebenszweck entgegengehen.

Ein heutiger Londner exclusive ist daher in Wahrheit nichts anders, als ein schlechter Nachdruck, sowohl der ehemaligen roués der Regentschaft, als der Höflinge Ludwig XV. Beide haben miteinander gemein: Selbstsucht, Leichtsinn, unbegrenzte Eitelkeit und einen gänzlichen Mangel an Herz – beide glauben sich mit Hohn und Übermut über alles hinwegsetzen zu können, und kriechen nur vor einem Idol im Staube, jene Franzosen ehemals vor ihrem König, diese Engländer vor dem von ihnen eben anerkannten Herrscher im Reiche der fashion. Aber welch ein Kontrast in dem ferneren Resultat! In Frankreich wurde die Abwesenheit der Moralität und Ehrlichkeit wenigstens durch ausgesuchte Höflichkeit ersetzt, für den Mangel an Gemüt durch Geist und Amabilität entschädigt, die Impertinenz, sich für etwas Bessers als andere zu halten, durch hohe Eleganz und Gefälligkeit der Formen erträglich gemacht, und die selbstsüchtige Eitelkeit wenigstens durch den Glanz eines imponierenden Hofes, ein vornehm repräsentierendes Wesen, die vollendete Kunst des feinen Umgangs, gewinnende aisance, und eine durch Witz und Leichtigkeit fesselnde Unterhaltung gewissermaßen gerechtfertigt, oder wenigstens entschuldigt. Was bietet uns dagegen ein englischer dandy dar!

Sein höchster Triumph ist, mit den hölzernsten Manieren ungestraft, so ungeschliffen als möglich aufzutreten, ja selbst seine Höflichkeiten so einzurichten, daß sie der Beleidigung nahe sind, in welchem letztern Benehmen er besonders seine Zelebrität sucht. Statt nobler aisance, sich jeder gêne der Schicklichkeit entledigen zu dürfen, das Verhältnis mit den Frauen dahin umzukehren, daß diese als der angreifende und er nur als der duldende Teil erscheint; seine besten Bekannten, sobald sie ihm nicht durch die fashion imponieren, gelegentlich aus Laune so zu behandeln, als kenne er sie nicht mehr, ›to cut them‹, wie der Kunstausdruck heißt, den unsäglich faden jargon und die Affektation seines ›set‹ gut inne zu haben, und stets zu wissen, was ›the thing‹ ist – das ohngefähr macht den jungen ›lion‹ in der Modewelt. Hat er noch dazu eine besonders hübsche Maitresse, und ist es ihm nebenbei gelungen, irgendeine Törin zu verführen, die albern genug war, sich der Mode zu opfern, und Mann und Kinder seinetwegen zu verlassen, so erhält seine Reputation einen noch höhern Nimbus. Verschwendet er dabei auch noch viel Geld, ist er jung und hat einen Namen im Peerage-Buch, so kann es ihm kaum mehr fehlen, wenigstens eine vorübergehende Rolle zu spielen, und er besitzt jedenfalls in vollem Maße alle Ingredienzien für einen Richelieu unserer Zeit. Daß seine Konversation nur in trivialen Lokalspäßen und médisance besteht, die er einer Frau in großer Gesellschaft ins Ohr raunt, ohne darauf zu achten, daß noch jemand anders außer ihr und ihm im Zimmer ist, daß er mit Männern nur vom Spiel und Sport sprechen kann, daß er außer der Routine einiger Modephrasen, die der seichteste Kopf gewöhnlich am besten sich merkt, höchst unwissend ist, daß seine linkische tournure nur die nonchalance des Bauerburschen erreicht, der sich auf die Ofenbank hinstreckt, und seine Grazie viel Ähnlichkeit mit der eines Bären hat, der im Auslande tanzen gelernt – alles das raubt ihm keinen Stein aus seiner Krone.

Schlimmer noch ist es, daß trotz der vornehmen Roheit seines äußern Betragens, der moralische Zustand seines Innern, um modisch zu sein, auf einer noch weit niedrigern Stufe stehen muß. Wie sehr der Betrug in den vielen Arten von Spiel, die hier an der Tagesordnung sind, in der großen Welt vorherrscht, und lange mit Erfolg ausgeübt, eine Art von Relief gibt, ist notorisch, aber auffallender ist es noch, daß man den krassesten Egoismus, der doch auch solchen Handlungen nur zum Grunde liegt, gar nicht zu verbergen sucht, sondern ganz offen als das einzige vernünftige Prinzip aufstellt, und ›good nature‹ oder ›Gemüt‹ als comble der Gemeinheit belacht und verachtet, wie es in keinem andern Lande der Fall mehr ist, wo man sich solcher Gesinnungen wenigstens schämt, wenn man sie hat. ›We are a selfish people‹, sagt ein beliebter Modeschriftsteller, ›I confess, and I do believe that what in other countries is called amor patriae is amongst us, nothing but, a huge conglomeration of love of ourselves; but I am glad of it; I like selfishness; there's good sense in it‹ und ferner, nicht etwa satirisch, sondern ganz ernsthaft eifrig gemeint:

›Good-natured is quite mauvais ton in London, and really it is a bad style to take up, and I will never do.‹

Freilich, wenn man jedes Gefühl auf das spitzfindigste analysieren und verfolgen will, so wird man vielleicht immer eine Art von Egoismus im tiefsten Grunde entdecken, aber eine edle Scham wirft eben deshalb bei allen andern Nationen einen Schleier darüber, wie auch der Geschlechtstrieb etwas sehr Natürliches und Wahres ist, und dennoch, auch vom Rohsten, verborgen wird.

Hier schämt man sich aber der krassesten Eigenliebe so wenig, daß mich ein vornehmer Engländer einmal belehrte, ein guter fox-hunter müsse sich durch nichts in der Verfolgung des Fuchses irremachen lassen, und wenn sein Vater vor ihm, über eine Barriere gestürzt, da läge, so würde er, ›if he couldn't help it‹, mit seinem Pferde unbedenklich über oder auf ihn springen, ohne sich vor beendigter Jagd weiter um sein Schicksal zu bekümmernGewiß ist die neue Pariser Gesellschaft: ›hilf Dir selbst, so wird Dir Gott helfen‹, in praxi noch nicht so weit gekommen. A. d. H. .

Bei alledem hat unser pattern eines dandy auch in seinen bösen Eigenschaften nicht die geringste Selbstständigkeit, sondern erscheint nur als der ängstlichste Sklave der Mode bis in die größten Kleinigkeiten, sowie der demütigste Trabant des Glücklichen, der noch höher steht, als er. Würde plötzlich Tugend und Bescheidenheit Mode, so würde niemand exemplarischer darin sein, so schwer es ihm ankommen möchte.

Ohne alle Originalität und ohne eigne Gedanken ist er eigentlich jener Tonfigur im Galgenmännchen zu vergleichen, die eine Weile mit allen menschlichen Eigenschaften täuscht, aber plötzlich in Kot zusammenfällt, sobald man entdeckt – daß sie keine Seele hat.

Wer die besten der neueren englischen Romane liest, namentlich vom Verfasser des ›Pelham‹, wird aus ihnen eine ziemlich richtige Idee der englischen fashionablen Gesellschaft sich abstrahieren können, wenn er nota bene nicht vergißt, das abzurechnen, was die nationelle Eigenliebe sich zuschreibt, ohne es zu besitzen, nämlich Grazie für ihre roués, verführerische Formen und gewinnende Unterhaltungsgabe für ihre dandies. Ich habe eine Zeitlang sowohl die Zirkel derjenigen besucht, die den Gipfel bewohnen, als der, welche sich in der Mitte des modischen Narrenberges, und auch derjenigen, die an seinem Fuße sich angesiedelt haben, und sehnsüchtig nach jenem für sie unerreichbaren Gipfel blicken – selten aber fand ich eine Spur jener anziehenden Gesellschaftskunst, jenes vollkommen und wohltuend befriedigenden Gleichgewichts aller sozialer Talente, ebenso weit entfernt von Zwang als licence, welches Verstand und Gefühl gleich angenehm anspricht, und fortwährend erregt, ohne je zu ermüden, eine Kunst, in der die Franzosen so lange fast das einzige europäische Vorbild waren.

Statt dessen sah ich in der Modewelt, mit wenigen Ausnahmen, nur zu oft eine wahre Gemeinheit der Gesinnung, ein wenig gezierte Immoralität, und den offensten Dünkel, in grober Vernachlässigung aller Gutherzigkeit, sich breit machen, um in einem falschen und nichtigen refinement zu glänzen, welches dem gesunden Sinn noch ungenießbarer wird, als die linkische und possierliche Preziosität der erklärtesten nobodies. Man hat gesagt: Laster und Armut sei die widerlichste Zusammenstellung – seit ich in England war, scheint mir Laster und Plumpheit noch ekelerregender.

Doch laß mich, vom Allgemeinen auf's Einzelne übergehend, einige Heroen dieser Region selbst flüchtig skizzieren.

Zuerst begegnet uns ein schwer hörender und schwer sprechender Edelmann, eine lange, blonde Figur, was die Soldaten Napoleons im gemeinen aber passenden Ausdruck un grande flandrin nannten, mit einem Gesicht von der coupe der echt spanischen Merinos, und nur insofern good looking, als dies ohne alle Feinheit der Züge und geistvollen Ausdrucks derselben möglich ist. Das unbedeutende Auge spiegelt nur eine große Idee ab, nämlich die, welche das Individuum von sich selbst hegt.

»Sehen Sie sich diesen Mann an«, sagte ich zu meinem kürzlich debarkierten Freunde, »er ist kein dandy, dazu auch nicht mehr jung genug; demohngeachtet aber und in noch höherer Potenz dermalen der Sultan der Mode in England.« – »Unmöglich«, rief mein Freund, »Sie scherzen.« – »Nicht im geringsten«, erwiderte ich, »und ohngeachtet dessen, was sie sehen, und was sie nicht zu bestechen scheint, besitzt dieser glückliche Sterbliche doch einige Eigenschaften für die Rolle, welche er spielt, die nicht zu verachten sein möchten.« – »Und die sind?« unterbrach mich H... »Für's erste«, belehrte ich ihn, »ist er einer der vornehmsten und reichsten Edelleute des Landes, für den wenigstens 50 000 Irländer, die er nicht leicht mit seiner Gegenwart beglückt, Hunger leiden müssen; ferner ist er noch unverheiratet, und an Person wie Geist von der wünschens- und empfehlenswertesten Mittelmäßigkeit, die weder Neid erregt noch Anstoß gibt. Dabei ist er genereus für seine Umgebung, gibt gerne Feste, sieht gerne Leute, läßt sich von den Damen geduldig und mit solchem Vergnügen beherrschen, daß er ihnen Leib und Seele à discrétion hingeben würde, hat ferner das beste Palais in London und das schönste Schloß auf dem Lande, und ist endlich, um gerecht zu sein, in meubles, Equipagen und Festen geschmackvoller und erfindungsreicher, als viele andere; was ihm aber unter solchen Umständen am meisten zur Ehre gereicht, ein sehr rechtlicher Mann.

Dies letztere könnte gewissermaßen im Widerspruch mit dem erscheinen, was ich früher über die Haupteigenschaften der Modischen gesagt, aber abgerechnet, daß die Ausnahme keine Regel bildet, so muß man auch bedenken, daß die Bewunderer eines glänzenden fripon auch eine dupe unter sich zu schätzen wissen.

Schwerlich wäre er auch mit allen genannten Vorzügen so hoch gestiegen, wenn nicht ein großes fremdes Talent sich ihn ausersehen gehabt hätte, um durch und mit ihm, sich selbst ebenso hoch auf den Thron zu stellen.

Dem stolzen und männlichen Geiste dieser Dame, den sie, wo sie will, unter der gewinnendsten Affabilität zu verbergen weiß, verbunden mit aller diplomatischen Schlauheit ihres Standes, ist es gelungen, der englischen Suprematie den Fuß auf den Nacken zu setzen, doch konnte sie dem Hofe, der sie seitdem umgab, und sich blindlings von ihr beherrschen ließ, weder ihren Witz und Takt, noch ihre vornehme Haltung, noch jene zurückschreckende Artigkeit gegen alle, die nicht zu den Auserwählten gehören, mitteilen, die das non plus ultra dessen ist, nach dem die exclusives zu streben haben. Fast burlesk ist daher der Abstand, der zwischen ihr und dem Mitregenten in jeder dieser Hinsichten stattfindet. Dennoch herrschen beide jetzt im Olymp nebeneinander. Aber auch die unsterblichen Götter müssen Opposition erleiden, und als solche sehen wir einen Giganten in dem Marquis v ... auftreten, der, sozusagen, dem Reich der Unterwelt gebietet. Bei gleichem Reichtum, mehr Verstand und Geschmack, vornehmem Manieren, als der Herzog, und geistvollern, obgleich häßlichen Zügen, ist auch seine Reputation positiver. Seines Charakters wegen wird er zwar vielleicht von manchen gemieden, von andern aber desto eifriger aufgesucht, und obgleich auch er den weisen Grundsatz der sich wichtig und gesucht machen wollenden englischen Modewelt: nur sehr schwer jemanden zu seiner Intimität zuzulassen, streng beobachtet, so hält er sich doch im allgemeinen populärer, als die von mir zuerst genannten Koryphäen. Auf seinen großen assembléen darf z. B. der König der Juden erscheinen, der des H... Türen stets verschlossen, und die der F... höchstens diplomatisch im geheimen geöffnet sieht, und noch manche andere dii minorum gentium findet man dort, als zu Duchesses und Ladies gewordene Schauspielerinnen u. s. w., die man in jenen Zirkeln par excellence nicht leicht zu sehen bekommt.

Der junge Erbe eines berühmten Namens und eines großen Besitzes schien auch Ansprüche auf eine dominierende Stellung machen zu wollen; da aber bei ihm die vortrefflichen Lebenslehren, welche die Briefe seines Ahnherrn enthalten, auf ein sehr dürres Feld gefallen sind, und andere Umstände ihn noch nicht hinlänglich begünstigt haben, so mußte er sich bisher mit sehr untergeordneten Hoheitsrechten und der bloßen Anerkennung seiner schönen Wagen und Pferde, wie den Reizen seiner gefeierten Maitresse begnügen.

Eine hohe Stufe des Einflusses nimmt ferner ein fremder Ambassadeur ein, der ohne allen Zweifel die erste verdiente, wenn der beste Ton, gemütliche Liebenswürdigkeit, hoher Rang, der feinste Geschmack, und ohngeachtet einer angenommenen englischen tournure, doch eine völlige Abwesenheit jener Schwerfälligkeit und Pedanterie, die englische fashionables nie los werden können – die einzigen Ansprüche dazu gäben. Aber eben weil er sowohl durch seine ausländische, immer über die Anglomanie den Sieg davontragende Liebenswürdigkeit, wie durch seine deutsche Gemütlichkeit den Engländern zu fern steht, erregt er zum Teil mehr noch ihren Neid, als ihre Bewunderung, und obgleich ihn die meisten recherchieren, schon weil er Mode ist, so bleibt er ihnen doch immer ein mehr fremdes Meteor, das sie hie und da sogar anfeinden, und zu dem sie jedenfalls solches Herz nicht fassen können, wie zu ihrem eignen Jupiter-Ammon, noch dem sie sich so blindlings unterwerfen wollen, wie der autorité sans réplique ihrer Autokratin. Leicht würde vielleicht auch die schöne Gemahlin des Ambassadeurs die Rolle jener Dame gespielt haben, die sie an Reizen, wie an Jugend übertrifft, und eine Zeitlang mochten die Chancen zwischen beiden gleich stehen; aber sie war zu harmloser Gemütsart, zu natürlich und zu gutmütig, um definitiv obzusiegen. So hoch sie daher auch ihren Platz im Reiche der Mode einnimmt, hat ihr jene doch, vorderhand wenigstens, den höchsten abgelaufen. Niemand wird sie aber der genannten Ursachen wegen weniger liebenswert finden.

Unter den weiblichen Mitherrscherinnen erster Kategorie muß ich noch einiger andern erwähnen, die niemand übergehen darf, der den Eintritt in das Heiligtum wünscht. Obenan steht zuerst eine nicht mehr ganz junge, aber immer noch schöne Gräfin, eine der wenigen Engländerinnen, von der man sagen kann, daß sie eine vollkommen gute und wahrhaft distinguierte tournure habe. Sie würde mit ihren Naturgaben in jedem andern Lande gewiß durchaus liebenswürdig geworden sein, hier hat sie dem Gepräge des lieblosen, und alles menschlich Schöne und Liebenswerte so vernichtenden, Kastengeistes der hiesigen Gesellschaft nicht ganz entgehen können. Man hat sie oft und auf häßliche Weise in der boshaften ›Age‹ angegriffen ohne ihr jedoch schaden zu können. Sie steht zu hoch und zu lieblich dazu da.

Eine schottische Viscountess, die ganz speziell im Schatten der fremden Herrscherin sich entfaltet hat, unter deren Fittichen ich sie vor 12 Jahren noch ziemlich demütig emporklimmen sah, hat seitdem allen Hochmut, um nicht zu sagen, coarseness ihrer Berg-Kompatrioten angenommen. Von der erwähnten impertinenten Artigkeit hat sie nur die erste Eigenschaft zu erlangen verstanden, und würde, wenn sie nur ihren Mann und nicht auch außerdem ein großes unabhängiges Vermögen und dadurch politischen Einfluß beherrschte, wohl schwerlich von ihrer hohen Gönnerin auf den jetzt inne habenden Platz gestellt worden sein, obgleich man in einem, so verschiedene Zwecke beabsichtigenden, weiblichen Ministerium auch zuweilen odd characters gebrauchen mag. Vor 12 Jahren, als ich England zum erstenmal besuchte, war diese Dame recht hübsch, und damals schon in diplomatischen Fesseln, aber anderer Art. Jetzt lebt sie bloß der Modeherrschaft und der Politik.

Wie die nachsichtige Gouvernante der übrigen erscheint eine dritte Lady, welche, glaube ich, auch auf den Titel einer deutschen Reichsgräfin Anspruch macht, der zwar in England sehr gering geachtet wird, aber, von einer Engländerin besessen, durch sie natürlich einen ganz andern Glanz erhalten muß. Dieser Titel in der Familie wurde auf dieselbe ehrenvolle Art erlangt, welcher die ersten Herzöge Englands den ihrigen verdanken. Eine Ahnfrau der Familie gefiel einem deutschen Kaiser, u. s. w. Ihre Enkelin würde jedoch schwerlich ein gleiches Glück gemacht haben, obgleich sie in der Tat noch einige Spuren der österreichischen Unterlippe in ihrem etwas in die Länge gezogenen Gesichte aufweisen kann. Sie ist bei gebildetem Geist wohl die gutmütigste der Lady Patronesses, sehr inoffensive, und sieht so oft aus, als wenn sie die häusliche fireside weit mehr lieben und zieren würde, als ihren hohen Posten für Almacks.

Als ihr Gegensatz kann eine andere Gräfin betrachtet werden, eine Französin von Geburt, die aber, von Kindheit an nach England emigriert, längst vollständig nationalisiert wurde, und gewiß nicht zu ihrem Vorteil. Dennoch ist sie mehr für die Gesellschaft gemacht geblieben, als die bisher geschilderten. Sie ist durchaus eine Frau von Welt, nicht mehr jung, aber ebenfalls noch gut konserviert, mit vielsagenden, feurigen Augen und schönen dichten Augenbrauen darüber, denen auch viele Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die chronique scandaleuse hat von ihr behauptet, sie habe es im conseil der dirigierenden Modedamen vorzüglich übernommen, wie bei den alten französischen Regimentern immer einer unter den Offizieren dazu gewählt wurde, die valeur der Neuangekommenen auf die Probe zu stellen und der ›tateur‹ genannt wurde, dieselbe Rolle gegen alle Neulinge, hinsichtlich ihrer Fähigkeit Mode zu werden, in der großen Welt zu spielen.

Es bleiben nun noch zwei Frauen übrig, mit denen die Zahl der Auserwählten ziemlich geschlossen ist, ja die letzte davon gehört schon eigentlich nicht mehr dazu, und schwebt mehr vereinzelt in der Atmosphäre, wie ein Komet im Planetensystem. Beide sind Marquisinnen, beide passieren für hübsch, beide sind reich, die eine hat auch Verstand, welcher der andern abgeht, und es ist daher wohl möglich, daß die erste sich durch die Zusammenstellung mit der andern ziemlich beleidigt fühlen würde, wenn dieser bescheidne Versuch einer flüchtigen Charakteristik ihr je unter die Augen käme.

Es ist überhaupt schade, daß diese Frau eine so große Meinung von sich selbst hat, und als eine der heftigsten Ultras ganz in Politik vergraben ist. Wenn sie in ihrem alten Schlosse, das einst der Königin Elisabeth zugehörte, Hof hält, scheint sie sich wirklich in der douce illusion zu befinden, sie selbst sei Elisabeth. Die Politik hatte sie damals mit der Alleinherrscherin etwas gespannt, folglich auch mit ihrem Satelliten, dem großen und langen H... Dagegen sah man zwei andere wichtige Personen im Reiche der Mode sehr häufig in ihrem Hause, das sich übrigens in der Politik blindlings dem Helden von Waterloo unterworfen hatte. Da die eine dieser Personen ein dandy der höchsten Art, die andere aber der erste bel esprit der hohen Gesellschaft ist, so muß ich ihnen wohl auch eine kurze Aufmerksamkeit schenken.

Nur in der Unschuldsepoche der englischen Modeherrschaft, wo man noch das Ausland für seine Sitten kopierte, und nicht die jetzige Selbstständigkeit, die nun sogar als Muster für andere Länder aufzutreten anfängt, erlangt hatte, regierte ein dandy hauptsächlich durch seine Kleidung, und der berühmte Brummel tyrannisierte mit diesem einzigen Mittel bekanntlich jahrelang town and country. Jetzt ist dies nicht mehr der Fall; der höhere exclusive affektiert im Gegenteil eine gewisse Unaufmerksamkeit auf seine Kleidung, die sich fast immer gleich ist, und, weit entfernt jeder Mode zu folgen oder solche zu erfinden, bleibt sein Anzug höchstens nur durch Feinheit und Sauberkeit ausgezeichnet. Es gehört jetzt allerdings schon mehr dazu, der Mann nach der Mode zu sein. Man muß unter andern, wie einst in Frankreich, der Ruf eines herzlosen Weiberverführers haben, und ein gefährlicher Mensch sein. Da man es aber den ehemaligen Franzosen an glänzender Liebenswürdigkeit und einnehmender Gewandtheit, mit einem undistinguierten Äußern und unbezwinglich holprigen Manieren, auch bei dem besten Willen nicht gleich zu tun imstande ist, so muß man sich dafür, wie Tartuffe, als ein gleich süßer und giftiger Heuchler geltend zu machen wissen, mit leisem Gespräch, welches jetzt Mode ist, und falschen Worten sich die Bahn zu jeder gewissenlosen Handlung im Dunkeln brechen, als da sind falsches Spiel und Betrug des Neulings in jeder Art von Sport, bei dem so mancher junge Engländer, statt gehoffter Belustigung, Selbstmord und Verzweiflung einerntet, oder, wo diese Künste nicht anwendbar sind, durch Intrigen aller Art die im Wege stehenden um Ehre oder Vermögen zu bringen suchen, im geringsten Fall aber sie wenigstens ihres Einflusses in der ausgewählten Gesellschaft zu berauben wissen.

Wer Englands Schattenseite genauer kennt, wird mich hier nicht der Übertreibung zeihen, und es nicht auffallend finden, daß der von mir erwähnte Modeheld, ein junger Mann von guter Abkunft, aber ohne Vermögen und im Grunde nichts als ein geschickter chevalier d'industrie, sich durch den Namen sweet mischief (sanftes Verderben) ebenso gut charakterisiert als geschmeichelt fühlt. Die Marquise scheint bis jetzt nur von dem sweet angezogen worden zu sein, es besteht größtenteils in, wie man sagt, unterhaltender, süß zugeflüsterter Verleumdung, vielleicht lernt sie später auch noch das mischief kennen.

Der bel esprit, – dessen kaustische Kraft man so ungeheuer fürchtet, daß man ihn, wörtlich, wie die Wilden den Teufel, hofiert, damit er nicht beiße, – hat eine der widerlichsten Außenseiten, die mir noch vorgekommen sind. Er ist wohl über fünfzig Jahre alt, und sieht vollkommen aus wie eine in Galle eingemachte bittere Pomeranze, ein grau und grünlicher alter Sünder, der bei Tisch nicht essen kann, bis er zwei oder drei Menschen ihres guten Namens beraubt, und ebensoviel andere, oft nichts weniger als geistreiche, Bosheiten gesagt hat, die aber dennoch von allen sich in seinem Bereich befindenden, stets mit lautem Beifall und konvulsivischem Lachen aufgenommen werden, obgleich manchem dabei die Gänsehaut überrieseln mag, daß, sobald er den Rücken gekehrt, ihm Gleiches widerfahren werde. Aber der Mann ist einmal Mode. Seine Aussprüche sind Orakel, sein Witz muß exquisit sein, seitdem er das Privilegium dazu von der fashionablen Gesellschaft erhalten hat, und wo die Mode spricht, da ist, wie gesagt, der freie Engländer ein Sklave. Überdem fühlt der vulgaire wohl, daß er in Künsten und geistreichen Dingen im allgemeinen kein recht kompetentes eigenes Urteil hat, und applaudiert daher am liebsten blindlings einem bon mot, wenn er andere lachen sieht, so, wie ihn jedes Urteil, wenn es aus patentiertem Munde kommt, – ebenso wie das hiesige Publikum einen ganzen Winter lang sich durch die Tiroler Gassendudler für schweres Geld, welches die grüne Fleischerfamilie lachend einstrich, – bis in den dritten Himmel entzücken ließ.

Bald hätte ich aber vergessen, daß mir noch eine letzte Dame mit wenigen Worten zu schildern übrig bleibt. Es ist dies eine recht artige petite-maîtresse, der zugleich ihr großer Reichtum erlaubt, das ein wenig leere, aber doch ganz hübsche Köpfchen, mit den schönsten Steinen aller Farben zu schmücken, die England aufweisen kann. Wenn man sie früh, languissant auf ihrer chaise-longue hingeworfen, sieht, erblickt man in hundert eleganten Behältern um sie her unzählige colifichets, niedlich ausgelegt, deren Vorweisen aber dennoch kaum hinreichend ist, eine stets stockende Unterhaltung im Gang zu erhalten. Ein meistens gegenwärtiger Hausfreund, auf dessen Lippen ein fortwährend nichtssagendes Lächeln schwebt, bringt ebenfalls nicht viel Veränderung in's Gespräch, und die Busenfreundin, eine Art beweglicher Zwerg mit einem pied de nez, ist noch aimabler, wenn sie schweigt, als wenn sie spricht. Zwei allerliebste Kinderpuppen in den niedlichsten Phantasiekleidungen, welche häufig mit den colifichets zusammen ausgestellt werden, und recht artig plappern, vollenden das Gemälde. Die arme Marquise, welche bei allem Schmachten und blassem durchsichtigen Teint, doch, wie alle etwas beschränkten Geister, auch zuweilen recht boshaft werden kann, zumal wo ihre Eitelkeit mit ins Spiel kommt, ärgert sich fortwährend, daß sie nicht ganz mode und recht fashionable, weder Fisch noch Fleisch, wie man sagt, werden kann. Dieser fortwährende Amphibienzustand ist auch sehr unangenehm, und scheint sans remède, denn sie mag nun einmal die ›Gurli‹ spielen, ein andermal die Tugendheldin affichieren, oder durch einen frischen Aufenthalt in Paris sich ein neues lustre zu geben versuchen – it will never do.

Über die berühmten Almacks und die unrivalisierte Macht der Lady-Patronesses habe ich Dir schon geschrieben. Zwei große Akte ihrer Herrschaft muß ich aber noch hinzufügen.

Einmal geboten diese Damen in ihrer liebenswürdigen Laune, daß jeder, der nach Mitternacht auf den Ball käme, nicht mehr eingelassen werden sollte. Der Herzog von Wellington kam einige Minuten später aus der Parlamentssitzung und glaubte, für ihn werde die Ausnahme nicht fehlen. Point tu tout, der Held von Waterloo konnte diese Festung nicht erobern, und mußte unverrichteter Sache wieder abziehen.

Ein anderesmal erließen die Lady-Patronesses den Befehl, daß nur solche Herren, welche krumme Beine hätten, in weiten pantalons auf Almacks erscheinen dürften, allen andern wurden kurze Hosen vorgeschrieben, in England, wo selbst der Name dieses Kleidungsstückes sonst verpönt ist, ein kühner Befehl.

Die Furcht vor dem neuen Inquisitionstribunal war so groß, daß man auch hier im Anfang gehorchte, später erfolgte indes eine réaction. Eine große Anzahl Herren erschienen an den Toren in den probierten pantalons, und verlangten Einlaß, indem sie sich der krummen Beine schuldig erklärten, und im Fall man ihnen nicht glauben wolle, die Lady-Patronesses einluden, sich selbst durch genauere Untersuchung davon zu überzeugen. Seit dieser Zeit drückten die Damen über diesen Teil der männlichen Kleidung ein Auge zuEs möchte zweckmäßig sein, hier zu bemerken, daß, seitdem obiges geschrieben wurde, die Natur der höhern englischen Gesellschaft wesentlich modifiziert werden ist. Des jetzigen Königs edle und praktische Gesinnung und die einfach liebenswürdige und vortreffliche Königin haben den Narrenszepter der Mode jener Zeit gebrochen, und man fängt an, einen würdigern Maßstab für Verdienst und Grazie anzulegen, als man bisher gewohnt war; die Koryphäen der Vergangenheit aber müssen sich diesen fügen, oder sich sonsten nur mit der eigenen Bewunderung begnügen, und statt Ausschließliche (exclusives) Ausgeschlossene werden. .


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