Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 15ten

Mit mehreren Damen diesen Morgen spazieren reitend, erhob sich die Frage, welchen Weg man nehmen sollte, den herrlichen Frühlingstag am besten zu genießen. Da sahen wir am hohen Himmel einen Luftballon schweben, und die Frage war beantwortet. Mehr als 10 Meilen folgten die unermüdlichen Damen, gleich eines steeple-chase, dem lustigen Führer, der aber doch endlich unsern Blicken ganz entschwand.

Der Mittag war einem großen diplomatischen dinner gewidmet, wo mehrere der neuen Minister zugegen waren, und der Abend einem Ball in einem deutschen Hause, dessen solide und geschmackvolle Pracht den besten englischen gleichkommt, und durch die liebenswürdigen Eigenschaften der Wirte die meisten übertrifft, ich meine beim Fürsten Esterházy.

Bald aber wird mein Journal den Reiseberichten des weiland Bernoulli gleichen, die auch nur von Einladungen, Mittagsmahlen und Abendunterhaltungen handeln. Aber Du mußt es nun schon hinnehmen, wie es sich trifft. Vergleiche dies Tagebuch mit einem Gewande, auf dem sehr verschiedne, reichere und ärmlichere Stickereien vorkommen. Der feste dauerhafte Stoff repräsentiert meine immer gleiche Liebe zu Dir und den Wunsch, Dich, so gut es geht, mein ferneres Leben mitleben zu lassen; die Stickereien aber, die nur Kopien des Erlebten sind, müssen daher auch den Charakter desselben annehmen, bald glühender in Farben, bald blasser sein – und zu verwundern wäre es nicht, wenn sie in der dumpfen Stadt ganz verblaßten, die nimmer so liebliche Bilder bietet als die herrliche Natur!


Den 21sten

Ich muß vorderhand noch bei demselben Thema bleiben, und eines Frühstücks in Chiswick beim Herzog von Devonshire erwähnen, der hübschesten Art Feten, die man hier gibt, weil sie auf dem Lande, abwechselnd im Hause und in den schönsten Gärten stattfinden, déjeuners heißen, aber erst um 3 Uhr anfangen und vor Mitternacht nicht aufhören. Der Fürst B..., weiland Schwager Napoleons, war zugegen, auch einer von denen, die ich früher in einem äußern Glanz gesehen, den ihnen nur die damalige Welt-Sonne verlieh, und der mit ihr so schnell überall verlöscht ist!

Die größte Zierde dieses Frühstücks war aber die schöne Lady Ellenborough. Sie kam in einem kleinen Wagen mit Ponys bespannt an, die sie selbst dirigierte, und die nicht größer als kamtschatkalische Hunde waren. Man möchte versucht sein, von nun an dem Fuhrwerke der Venus die Tauben auszuspannen und Ponys statt ihrer vorzulegen.

Übler wird aber mit allen Sorten Equipagen hier umgegangen als irgendwo. Auf dem gestrigen Almacks-Ball entstand eine solche bagarre unter ihnen, daß mehrere Damen stundenlang warten mußten, ehe sich das Chaos entwickelte. Die Kutscher benehmen sich bei solchen Gelegenheiten wie unsinnig, um vorzudringen, und die Polizei bekümmert sich nicht um dergleichen in England. So wie diese heroischen Wagenlenker die kleinste Öffnung vor sich sehen, peitschen sie ihre Pferde hinein, als wären Pferde und Wagen ein eiserner Keil. Beider Erhaltung wird für nichts geachtet. Auf diese Weise war eins der Pferde der liebenswürdigen Lady Sligo mit beiden Hinterbeinen in das Vorderrad des Nebenwagens so eingedrungen, daß es nicht mehr möglich war, es zu degagieren, und eine Umdrehung des Rades ihm ohnfehlbar beide Knochen zermalmt haben würde. Demohngeachtet war der fremde Kutscher kaum dahin zu bringen, stillzuhalten. Man mußte zuletzt, als sich die foule etwas geklärt, beide Pferde ausspannen, und dann gelang es nur schwer, sie voneinander zu lösen. Während dieser Zeit brüllte das arme Tier so laut, wie der Löwe Nero in Exeter Change. Ein Cabriolet wurde daneben ganz zertrümmert und fuhr seinerseits mit den Gabeln in die Fenster einer Kutsche, aus der das Zetergeschrei von mehreren Weiberstimmen anzeigte, daß sie schon besetzt war. Viele andere Wagen wurden noch beschädigt.

Nach dieser Schilderung würdest Du, Gute, mit deiner poltronnerie Dich wohl hier nie mehr einem Wagen anvertrauen. Sicherer war es auch gewiß zu Zeiten der Königin Elisabeth, wo alles, auch die zarten Hoffräuleins, noch zu Pferde sich zu Balle begaben.


Den 27sten

Ich hatte die Ehre, beim Herzog von Clarence zu speisen, wo auch die Prinzessin Augusta, die Herzogin von Kent mit ihrer Tochter und die Herzogin von Gloucester gegenwärtig waren. Der Herzog macht einen sehr freundlichen Wirt, und erinnert sich immer gütig der verschiednen Epochen und Länder, wo er mich früher gesehen. Er hat sehr viel National-Englisches, im besten Sinne des Worts, auch die englische Liebe zur Häuslichkeit. Es war heute der Geburtstag der Prinzessin Carolath, den er feierte, und ihre Gesundheit dabei ausbrachte, welches die sanfte Emilie, ohngeachtet der Intimität, mit der sie hier als Verwandtin der liebenswürdigen Herzogin behandelt wird, doch vielfach erröten machte.

Unter den übrigen Gästen muß ich den Admiral Sir George Cockburn erwähnen, der Napoleon nach Helena führte, und mir nach Tisch viel von des Kaisers ungemeinem Talent erzählte, diejenigen zu gewinnen, welche er zu gewinnen die Absicht hatte. Der Admiral bewunderte auch die Aufrichtigkeit, mit der Napoleon über sich selbst, wie über eine fremde historische Person, sprach und unter anderem offen äußerte: die Russen hätten ihn in Moskau so völlig überlistet, daß er jeden Tag bis zum letzten bestimmt auf den Frieden gehofft, bis es endlich zu spät gewesen sei. »C'était sans doute une grande faute«, setzte er nachher gleichgültig hinzu.

Die Töchter des Herzogs sind d'un beau sang, alle außerordentlich hübsch, wenngleich alle in einem ganz verschiednen Genre; und unter den Söhnen zeichnet sich in vieler Hinsicht der Obrist Fitzclarence ausJetzt Lord Munster. , dessen Landreise von Indien durch Ägypten nach England Du mit so viel Interesse gelesen hast. Er hat auch über die deutsche Landwehr geschrieben, deren partisan er jedoch keineswegs ist. Selten findet man einen jungen Offizier von so vielseitiger Bildung. Ich kenne ihn schon von älteren Zeiten her, und habe mich schon oft vieler Freundlichkeit von seiner Seite zu rühmen gehabt.

Seine älteste Schwester ist an Sir Sidney verheiratet, und ich hörte von ihr, daß in dieser Familie, seit Lord Leicesters Zeit, die ununterbrochene Reihe der Ahnenbilder nicht nur, sondern sogar eine Haarlocke von jedem der Vorfahren aufbewahrt werde. Auch finde sich dort, unter alten Dokumenten, noch eine Liste sämtlicher Gäste bei dem Feste von Kenilworth und sehr merkwürdige Haushaltsrechnungen aus jener Zeit vor. Walter Scott hat, glaube ich, diese Papiere benützt.

Abends flötete die Pasta herrlich bei Gräfin St. A..., und zwei bis drei Bälle schlossen den Tag.


Den 29sten

Herzlich mußte ich diesen Morgen über einen jungen Lord lachen, dem der Aufenthalt in Paris noch nicht viel genützt hat, und dessen schönes Pferd mehr als er selbst die Blicke im Park auf sich zog. »Quel beau cheval vous avez là«, sagte ich. »Ja«, erwiderte er mit seinem englischen accent: »C'est une belle bête, je l'ai fait moi-même, et pour cela je lui suis beaucoup attaché.« Er wollte ohne Zweifel sagen, daß er es selbst bei sich aufgezogen habe. Ist das nicht ganz der pendant zu dem tauben russischen Offizier in B..., dem der König bei Gelegenheit eines auf den Tisch kommenden esturgeon zurief: ›Ce poisson est bien fréquent chez vous‹, und der, aufstehend, mit einem tiefen Bückling, erwiderte: ›Oui, Sire, je l'ai été pendant quinze ans.‹

Rex Judaeorum gab ein prachtvolles dinner, dessen Dessert allein, wie er mir sagte, 100 L. St. kostete. Ich saß neben einer sehr geistreichen Dame, der Freundin des Herzogs von W..., Mrs. A... eine sehr charakteristische, feine, nichtenglische Physiognomie. Du kannst Dir denken, welche enragierte Politikerin! Ich habe sie ohne Zweifel nicht wenig ennuyiert, denn erstens bin ich ein Canningianer, zweitens hasse ich die Politik bei Tische. Wir sahen hier viel Pracht. Das Tafelservice war vermeil und Silber, das zum Dessert, glaube ich, ganz Gold. Auch in der Nebenstube, unter dem Portrait des Fürsten Metternich (Präsent des Originals) befand sich ein großer, dito goldner Kasten, wahrscheinlich eine Kopie der Bundeslade. Ein concert folgte der Mahlzeit, in welchem Herr Moscheles so hinreißend spielte, wie seine danebenstehende junge Frau aussah, und erst um 2 Uhr kam ich auf den rout des Herzogs von Northumberland, eine kleine Gesellschaft, zu der bloß 1000, sage tausend, Personen eingeladen worden waren. In einer ungeheuren Gemäldegalerie wurden bei 30 Grad Réaumur große Musikstücke aufgeführt. Man hörte aber nicht viel davon wegen des Lärms und Drängens. Der Schweißgeruch war gleich der schwarzen Höhle in Indien, fast unerträglich. Sind es nun wirklich zivilisierte Nationen, die sich so amüsieren?


Den 31sten

Die an Kohlenbergwerken reiche Lady L..., deren teint zu der Farbe jener den angenehmsten Gegensatz bildet, und deren air chiffoné ganz originell ist, zeigte mir diesen Morgen ihren Bazar. Es ist kein gewöhnlicher, denn es lagen wohl für 300 000 Rtlr. Edelsteine darauf. Das ganze boudoir, voller Wohlgerüche, Blumen und Seltenheiten, das clair-obscur roter Vorhänge, und die Marquise selbst in einem gelben Gazekleide auf ihre chaise-longue hingestreckt, plongée dans une douce langueur, es war ein hübsches Bild ›of refinement‹. Diamanten, Perlen, Feder und Tinte, Bücher, Briefe, Spielsachen und Petschafte lagen vor ihr mit einer angefangenen Börse. Unter den Petschaften waren zwei Inschriften pikant durch ihren Kontrast; die eine, von Lord Byron, sagt in zwei schönen Strophen:

Love will find its way
Where wolf would fear to stray.
Liebe wird den Weg erspähn,
Wo der Wolf sich scheut zu gehn.

Die andere Inschrift sagt mit echt französischer Philosophie: Tout lasse, tout casse, tout passe! Außerdem war nichts häufiger im Hause als Portraite des Kaisers Alexander in allen Größen, der in W... der Marquise die Cour gemacht, und dessen Konterfei die Dankbarkeit daher so sehr vervielfältigt. Ihr Mann war dort Gesandter, und gebrauchte seine englischen Prärogative im vollen Maße. Einmal boxte er mit einem Fiaker, ein andermal präsentierte er die Erzherzogin und wenn ich nicht irre, gar die Monarchin selbst seiner Frau, statt umgekehrt, dann lief er in die Küche, seinen Koch zu erstechen, weil dieser seine Frau beleidigt, enfin il faisail la pluie et le beau temps à V..., ou plutôt l'orage et la grêle.

Denke nun, wie desappointiert die arme Dame, welche so lange auf dem Kontinent regierte, jetzt sein muß, hier malgré ses diamants, son rang et sa jolie mine, nicht recht fashionable werden zu können! Aber dieser Mode-Aristokratie ist schwerer beizukommen, als dem obersten Grade der Freimaurer, und viel kapriziöser ist sie noch dazu, als diese ehrwürdigen Männer, obgleich beide, wie der liebe Gott, aus Nichts schaffen!

Ich speiste bei Lord Darnley, wo ich unter andern den Lord Bloomfield, sonst ein markanter Mann und favorite des Königs, du temps de ses fredaines, und den Erzbischof von York fand, ein majestätischer alter Herr, der als Hofmeister angefangen hat, und durch die Protektion seines pupille zu dieser hohen Würde gelangt ist. Nichts ist häßlicher und zugleich komischer als die demi-toilette der englischen Erzbischöfe. Eine kurze Schulmeisterperücke, schlecht gepudert, ein schwarzer französischer Rock und eine kleine schwarzseidne Damenschürze vorne über die inexpressibles, wie sie die Bergleute hinten zu tragen pflegen. Lord D... lachte sehr, als ich ihn verwundert fragte, si ce tablier faisait allusion au vœu de chasteté. Ich besann mich in dem Augenblick nicht, daß die englischen Erzbischöfe, die sonst so echt-katholisch sind, sich das Heiraten reserviert haben. Doch ist es wahr, daß ihre Frauen eigentlich nur wie Maitressen behandelt werden, denn sie dürfen nicht den Namen ihres Mannes führen.

Wir wurden sehr gut bewirtet, mit zahmem Garten-Wildbret und herrlichen Früchten von Cobham, und fuhren nach Tisch in ein concert, was sich gar sehr von den hier gewöhnlichen unterschied. Es ist dies eine entreprise mehrerer vornehmen Edelleute, Freunde der alten Musik von Händel, Mozart und den alten Italienern, deren Kompositionen hier allein aufgeführt werden.

Ich habe lange keinen ähnlichen Genuß gehabt. Was ist doch das moderne Trillilieren gegen die Erhabenheit dieser alten Kirchenmusik! Ich fühlte mich ganz lebhaft in die Jahre meiner Kindheit zurückversetzt, ein Gefühl, das in der Tat die Seele auf viele Tage stärkt und ihr von neuem leichtere Schwingen gibt. Der Gesang war durchaus vorzüglich, und in seiner Einfachheit oft überirdisch schön, denn es ist unglaublich, welche Gewalt Gott in die menschliche Stimme gelegt hat, wenn sie recht angewandt wird, und einfach und sicher aus einem schönen Munde ertönt. Bei Händels Chören glaubte man entsetzt die Nacht zu fühlen, die sich über Ägypten ausbreitet, und den Tumult der Heere Pharaos mit dem Gebrause des Meeres zu hören, das sie unter seine Wogen begräbt.

Ich konnte mich nicht entschließen, nach so heiligen Tönen die Ball-Fiedeln zu hören, und begab mich daher um 12 Uhr zu Hause, Almacks und noch einen andern Ball der fashionablen Welt gern im Stich lassend. Ich will den Nachhall jener Sphärenmusik mit in meine Träume hinübernehmen, und auf ihren Fittichen mit Dir, meine Julie, eine verklärte Nachtreise antreten. Are You ready? – Now we fly...


Den 1sten Juni

Sehr bei Zeiten weckte mich heute mein alter B..., welches er nur tut, wenn ein Brief von Dir da ist. Bei minder wichtigen Gelegenheiten läßt er mich immer ruhen, wenn ich ihm abends auch noch so sehr einschärfe, mich zu wecken. Die Entschuldigung ist dann stets: Sie schliefen so gut.

Es ist ein wahres Glück, daß ich nicht die Art Eitelkeit besitze, die durch Lob schwindlig wird – sonst müßtest Du einen rechten Toren aus mir machen. Ach, ich kenne mich selbst nur zu gut, und hundert Fehler, die Deine Liebe zur Hälfte übersieht! Das kleine Teufelchen aber, das Du attackierst, spukt allerdings manchmal in mir. Es ist aber ein ziemlich unschuldiges, oft ein recht dummes, armes, ehrliches Teufelchen; eine Sorte die, hinsichtlich der Moralität, im Grunde zwischen Engel und Teufel in der Mitte steht, mit einem Wort: ein echtes, schwaches Menschenkind! Da es Dir aber mißfällt, das kleine Teufelchen, so stecke ich es in die bouteille wie Hoffmann, und pfropfe sie mit Salamonis Siegel zu. Von nun an produziere ich Dir nur den Herrnhuter; denn Du weißt, unter ihnen verlebte ich meine Jugend, et si je m'en ressens, je ne men ressens guères.

Auf dem fancy ball, den Du denen in Brighton nachahmen willst, erscheine ich gewiß, und es wird mich dennoch sicher niemand erkennen, da ich nur unsichtbar zugegen sein kann. Ich werde bloß einen Kuß auf Deine Stirn drücken, und dann wieder verschwinden wie eine Ahnung. Gib also acht!


Den 3ten Juni

Aus der großen Welt wandelte ich gestern wieder einmal in die City und beobachtete die mühsame industry, welche jener immer die frivolen Luxus-Artikel liefert. Täglich erfindet man hier etwas Neues. Dahin gehören auch die unzähligen Annoncen, und wie sie en evidence gesetzt werden. Früher begnügte man sich, sie anzuschlagen. Jetzt sind sie ambulant. Einer hat einen Hut von Pappe aufgesetzt, dreimal höher als andre Hüte sind, auf welchem in großen Buchstaben: ›Stiefel zu 12 Schilling das Paar‹ rekommandiert werden. Ein andrer trägt eine Art Fahne, auf der ein Waschweib abgebildet ist, und darunter steht: ›Only one sixpence a shirt.‹ (Nur einen sixpence das Hemde.) Kasten, wie die Arche Noah, ganz mit Annoncen überklebt und von der Größe eines kleinen Hauses, mit Menschen oder einem Pferde bespannt, durchziehen langsam die Straßen, und tragen mehr Lügen auf ihren Rücken als Münchhausen je erfinden konnte.

Als ich bei Hrn. R... anlangte, war ich sehr müde, und akzeptierte eine Einladung, bei ihm auf dem comptoir zu essen. Während dem Essen philosophierten wir über Religion. R... est vraiment un très bon enfant, und gefällig, mehr wie andere seines Standes, sobald er nur nicht selbst etwas dabei zu riskieren glaubt, was man ihm auch keineswegs verdenken kann. Bei dem Religionsgespräch war er übrigens gewissermaßen im Vorteil, da seine Glaubensgenossen von älterem Religionsadel sind, als wir Christen. Sie sind die wahren Aristokraten in diesem Fach, die durchaus noch nie eine Neuerung passieren lassen wollten. Ich sagte endlich mit Goethe: ›Alle Ansichten sind zu loben‹, und fuhr in einem höchst zerbrechlichen Fiaker wieder nach dem West End of the town zurück, wo es weder Christen noch Juden, sondern nur fashionables und nobodies gibt, um bei Mistress P... die Pasta wieder singen zu hören, und mit der Freundin des Lords H... de moitié Ecarté zu spielen.

Als ich endlich um 4 Uhr zu Haus kam und beim rosigen Tageslicht eingeschlafen war, bildete ich mir ein, mein Lager sei das Moos eines Waldes. Da weckte mich ein klägliches Geschrei. Ich sah mich um und erblickte einen armen Teufel, der eben von der Spitze eines hohen Baumes schräg durch die Luft fuhr, und neben mir zur Erde stürzte. Stöhnend und leichenblaß raffte er sich auf und jammerte schmerzlich: nun sei es aus mit ihm! Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, als ein Wesen, das einem zugestöpselten Tintenfaß glich, herbeikam und dem halbtoten Menschen unter Flüchen noch mehrere Stöße mit dem Stöpsel gab. Ich packte es aber, zog den Stöpsel heraus, und wie die Tinte nachströmte, verwandelte es sich in einen Mohren in glänzend silberner Jacke und prächtigem costume, der lachend rief: ich sollte ihn nur in Frieden lassen, er wolle mir Sachen zeigen, wie ich noch nie gesehen. Jetzt fingen auch sogleich Zaubereien an, die alle Pinettis und Philadelphias der Welt weit hinter sich zurückließen. Ein großer Schrank, unter andern, veränderte seinen Inhalt jeden Augenblick und alle Schätze Golkondas mit den unerhörtesten Seltenheiten kamen nacheinander zum Vorschein. Ein dicker Mann mit vier hübschen Töchtern, welcher eifrig zusah, und den ich sogleich als einen Herrn erkannte, der früher in Brighton Bälle gab, und Rolls hieß, weshalb man ihn (seiner Korpulenz wegen) ›double-rolls‹, seine Töchter aber ›hot-rolls‹ nannte, äußerte indes, das Ding daure ihm zu lange, er sei hungrig. Sogleich rief der beleidigte Zauberer mit zorniger Miene, indem sein Anzug sich vor unsern Augen scharlachrot färbte:

Zwei wird fünf und sieben zehn.
Augen eßt! Der Mund soll seh'n,
Vorn und hinten wechselt schnell.
Fitzli butzli very well.

Kaum war diese Verschwörung ausgesprochen, als ein prächtiges Mahl erschien, und der arme Rolls sich eifrig frische grüne Erbsen in die Augen steckte, die auch ohne alle Umstände heruntergingen, während er, mit dem lorgnon vor dem Munde, alle die übrigen Wunderdinge, die sich auf der Tafel ausbreiteten, betrachtete und in Gedanken verschlang. Jetzt wollte er Frau und Töchter auch dazu einladen, konnte aber über kein anderes Sprechorgan als dasjenige disponieren, dem gewöhnlich das Lautwerden untersagt ist, so daß alle ›hot-rolls‹ sich über Papas sonderbare ›propos‹ fast totlachen wollten. Zu guter Letzt ging er noch, in der groteskesten Verdrehung, auf den Händen zum Zauberer hin, um sich zu bedanken, und langte en passant mit den Füßen in eine Schüssel tutti frutti, die sein neues Sprachorgan mit einem melodischen: »Delicious!« begleitete.

Hat man je von so tollen Träumen gehört, als mich hier heimsuchen? Es sind die trüben Dünste, die Stickluft Londons, die meine Sinne umnebeln. Ich schicke sie daher fort, um sich im heimatlichen Sonnenschein wieder aufzulösen, und lege auf ihre schweren Fittiche tausend liebevolle Grüße.

Deines treuen Freundes L.


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