Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Zwanzigster Brief

London, den 1. Nov. 1827

Ein Franzose sagt: L'illusion fut inventée pour le bonheur des mortels, elle leur fait presques autant de bien que l'espérance. Wenn dieser Ausspruch wahr ist, so ist mir viel Glück zugemessen, denn an Illusionen und Hoffnungen lasse ich es nie fehlen.

Von diesen hat nun Dein Brief allerdings einige über den Haufen geworfen, indes sei guten Mutes, es wachsen schon neue wieder, so schnell wie Pilze, hervor. Bald mehr darüber. Aber an den widerwärtigen, immer schlafenden Präsidenten kann ich unmöglich von hier aus schreiben. Dazu, würde ein dandy sagen, ist der Mensch nicht fashionable genug. Du besorgst überdies alle diese Geschäfte so vortrefflich, daß es unrecht wäre, sie Dir nicht ganz allein zu überlassen. Dies ist zwar Egoismus von meiner Seite, aber ein verzeihlicher, weil er uns beiden Vorteil bringt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich habe in den letzten Tagen eine kleine Exkursion nach Brighton gemacht, und einen Umweg bei der Rückkehr genommen. Das Schloß des Herzogs von Norfolk, Arundel Castle, war einer der Gegenstände meiner Neugier. Es hat einige Ähnlichkeit mit Warwick, bleibt jedoch weit hinter diesem zurück, obgleich es teilweise vielleicht ebenso alt ist. Auch hier ist am östlichen Ende ein künstlicher Berg und keep. Auf dem runden verfallenen Turm soll man von dessen Gipfel eine herrliche Aussicht genießen. Der Nebel verhinderte sie heute, und ich konnte nicht einmal die das Schloß umschließenden Terrassengärten übersehen. Ich unterhielt mich dafür in nächster Nähe mit einem Dutzend zahmer Uhus (der größten Eulenart), welche des ehemaligen Turmwärters Stube bewohnen. Einer davon war schon 50 Jahre hier, sehr zutulich, und bellte, wenn er etwas verlangte, vollkommen wie ein Hund. Die Engländer sind große Freunde von Tieren, eine Neigung, die ich mit ihnen teile. So findet man in den meisten großen Parks eine Unzahl von Raben, die in Schwärmen von Tausenden oft das Schloß umkreisen, und zu so einer altertümlichen Burg und den sie umgebenden Riesenbäumen nicht übel passen, obgleich ihr Gekrächze keine angenehme Musik gewährt. Das Innere des Schlosses hat nichts Ausgezeichnetes. Die vielen bunten Fenster sind alle modern, und unter den Familiengemälden schien mir bloß das des Lords Surrey, seines seltsamen Kostüms wegen, merkwürdig. Er wurde unter Heinrich VIII. hingerichtet.

Die Bibliothek ist klein, aber sehr magnifik, ganz mit Zedernholz getäfelt, mit schönem Schnitz- und Bildwerk verziert, kurz, an nichts fehlt es ihr, außer an Büchern, denn kaum ein paar hundert waren darin.

Ein sehr großer, aber einfacher Saal, heißt ›die Halle der Barone‹, und hat viele bunte Fenster, deren Malereien nicht besonders geraten sind.

In den Stuben hatte man, so viel als möglich, lauter alte meubles vereinigt, und ihnen möglichst nachgeholfen, damit sie nicht in ihrer Wurmstichigkeit zusammenfielen. Dies ist jetzt überall die Mode in England, Sachen, die man bei uns als zu gebrechlich und altmodisch wegwirft, werden hier auf's teuerste bezahlt, und auch die neuen wenigstens ganz im Stil der alten bestellt. Ich finde das in solchen ehrwürdigen Schlössern recht passend, sobald die Bequemlichkeit nicht zu sehr dadurch leidet, in modernen Gebäuden ist es aber lächerlich.

Der alte Teil des Schlosses soll schon in der Römerzeit eine Festung gewesen sein, weshalb man in den Mauern viel römische Ziegel findet. Auch später hat es immer als Festung gedient, und viele Belagerungen ausgehalten; der neuere Teil, im Stile des übrigen, wurde erst vom Vater des jetzigen Herzogs gebaut, und kostete, wir mir gesagt wurde, 800 000 L. St. Bei uns würde man ganz dasselbe gewiß mit 300 000 Rthlrn. erstellen können. Die Gärten schienen mir mannigfaltig und weitläufig, und der Park soll auch sehr ausgedehnt und pittoresk sein; das abscheuliche Wetter hinderte mich aber, alles dies zu sehen. Ich fuhr den Abend noch bis Petworth, wo ein anderes sehenswertes Schloß ist, und schreibe Dir jetzt aus dem Gasthof, wo ich in wenigen Minuten wie zu Hause eingerichtet war, denn meine Reise-equipage und Bequemlichkeitsroutine hat sich in England noch sehr vervollkommnet.


Petworth House, den 2ten

Obrist C... kam heute früh zu mir in den Gasthof, machte mir viel Vorwürfe, nicht bei seinem Schwiegervater, Lord E..., dem Besitzer von Petworth-Schloß, gleich vorgefahren zu sein, und bat mich dabei so freundlich, wenigstens einen Tag bei ihnen zu bleiben, daß ich es nicht abschlagen konnte. Meine Sachen wurden also auf das Schloß gebracht, und ich sogleich dort installiert. Es ist ein schöner moderner Palast mit einer herrlichen Gemälde- und Antiken-Sammlung, und einem großen Park, der auch eine berühmte Stuterei in sich schließt. Unter den Gemälden sprachen mich drei besonders an, ein ganz ausgezeichnetes Bild Heinrich VIII. in Lebensgröße, von Holbein, merkwürdig durch den prachtvollen täuschend gemalten Schmuck und das frische, meisterhafte Kolorit; ein Portrait des unsterblichen Newton, der bei weitem weniger geistreich als eminent vornehm aussieht, und ein anderes des Moritz von Oranien, unserem Dichter Houwald so ähnlich, daß man es unbedingt für das seinige ausgeben könnte. Die Mischung von Statuen und Bildern untereinander, die hier beliebt worden ist, wirkt unvorteilhaft und schadet beiden. Zu den Kuriositäten gehört eine Familien-Reliquie, nämlich Percy Hotspurs, eines Ahnherrn des Besitzers, großes Schwert. Die Bibliothek diente, wie gewöhnlich, zugleich als Salon, gewiß eine sehr zweckmäßige Sitte. Sie war überdies hier so eingerichtet, wie Du es liebst, d. h. nur die modernsten und wertvollsten, vor allen elegantest gebundenen Bücher in der Bibliothek aufgestellt, und für alle übrigen ein besonderer Saal im obern Stock eingeräumt. Die Schränke waren weiß lackiert, und mit mehreren Konsolen versehen, an denen man zugleich bequem hinaufsteigen konnte, um zu den obern Büchern zu gelangen.

Die Freiheit in diesem Hause war vollkommen, wodurch es seine Annehmlichkeit für mich verdoppelte. Hier empfand man in der Tat auch nicht die mindeste gêne. Es waren eine Menge Gäste gegenwärtig, worunter mehrere sehr liebenswürdige Damen. Der Hauswirt selbst ist ein sehr gelehrter Kunstkenner und zugleich ein bedeutender Mann on the turf, denn seine Rennpferde gewinnen öfter als andere. In seinem Gestüt sah ich einen Hengst von mehr als 30jährigem Alter (Whalebone) der von mehreren Stallknechten unterstützt werden mußte, um gehen zu können, und von dem die Fohlen dennoch, im Mutterleibe noch, mit großen Summen bezahlt werden. Das nenne ich ein glorreiches Alter. Übrigens sind die hiesigen Stuterei-Prinzipien von den unsrigen ausnehmend verschieden. Dies Thema möchte Dich aber bei aller Deiner Wißbegierde doch zu wenig interessieren, ich will also die hierüber erlangte Wissenschaft lieber einem andern Hefte anvertrauen.

Am nächsten Tage kam die Herzogin von St. A... hier an, eine Frau, deren immer steigender Glückswechsel seltsam genug ist.

Nach den ersten Erinnerungen, die sie hat, fand sie sich, ein verlassenes, hungerndes und frierendes Kind in der entlegensten Scheune eines englischen Dorfes. Eine Zigeunerbande nahm sie dort auf, von der sie später zu einer wandernden Schauspielertruppe überging. In diesem Fach erlangte sie durch angenehmes Äußere, stets heitere Laune und originelle Eigentümlichkeit einigen Ruf, erwarb sich nach und nach mehrere Freunde, die großmütig für sie sorgten, und lebte lange in ungestörter Verbindung mit dem reichen Banquier C..., der sie zuletzt auch heiratete, und ihr bei seinem Tode ein Vermögen von 70 000 L. St. Einkünften hinterließ. Durch dieses kolossale Erbteil ward sie später die Gemahlin des Herzogs von St. A..., des dritten englischen Herzogs im Range, und, was ein ziemlich sonderbares Zusammentreffen ist, des Nachkommen der bekannten Schauspielerin Nell Gwynn, deren Reize der Herzog auf ganz gleiche Weise (nur einige hundert Jahre früher) seinen Titel verdankt, wie seine Gemahlin jetzt den ihrigen.

Es ist eine sehr gute Frau, die sich nicht scheut, von der Vergangenheit zu sprechen, im Gegenteil, ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung tut. So unterhielt sie uns den ganzen Abend aus freien Stücken mit der Darstellung mehrerer Rollen aus ihrem Schauspielerleben. Das drolligste dabei war, daß sie ihrem sehr jungen Mann, der 30 Jahre jünger ist als sie, die Liebhaber-Rollen einstudiert hatte, welche ihm gar nicht recht gelingen wollten. Die bösen Zungen waren natürlich dabei sehr geschäftig, um so mehr, da viele der rezitierten Stellen zu den pikantesten Anspielungen fortwährend Anlaß gaben.

Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt kehrte ich hieher zurück, und feierte heute meinen Geburtstag in tiefster Einsamkeit bei verschlossenen Türen. Drei Viertel meiner melancholischen Anwandlungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken, in dem ich das Licht der Welt erblickte. Maikinder sind weit heiterer, ich habe noch nie einen hypochondrischen Sohn des Frühlings gesehen. Mir fiel einmal ein Lied, überschrieben: ›Prognostica‹, in die Hände. Es tut mir sehr leid, daß ich es nicht aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt war den Erdenkindern ihr Los verkündet. Nur das erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebornen ein trüber Sinn zugeschrieben war, und der Spruch also anhub:

Ein Junge, geboren im Monat Oktober,
Wird ein Kritiker, und das ein recht grober!

Ich verlasse Dich aber jetzt für ein großes dinner beim Fürsten E..., denn den ganzen Tag will ich der Einsamkeit doch nicht widmen, dazu bin ich zu abergläubig. Adieu.


Den 4ten November

Als Ludwigsritter wohnte ich heute, am Namenstag meines Heiligen, glaube ich, oder des Königs von Frankreich, ich weiß es wahrlich nicht gewiß, einem großen Mahle beim Fürsten P... bei, und sah darauf noch die Fortsetzung des ›Don Juan‹ in Drury Lane.

Of course spielt der erste Akt in der Hölle, wo Don Juan bereits die Furien, und zuletzt gar des Teufels Großmutter verführt hat, und deshalb von ›Seiner Satanischen Majestät‹ höchsteigenhändig aus der Hölle hinausgeworfen wird. Als er bei Charon und den pittoresken Ufern des feuerflutenden Styx ankommt, fährt der Alte eben drei weibliche Seelen aus London herüber. Don Juan beschäftigt beim Aussteigen den Fährmann mit dem Wechseln einer Banknote, denn auch in der Hölle ist schon Papiergeld eingeführt, und nimmt währenddessen den Augenblick wahr, mit den drei Weibern schnell vom Ufer abzustoßen, und sie so der Erde wieder zuzuführen. In London angelangt, hat er seine gewöhnlichen Abenteuer, Duelle, Entführungen etc.; die Reiter-Statue im Charing Cross ladet ihn zum Tee ein, seine Gläubiger aber bringen ihn nach King's Bench, aus dem eine reiche Heirat ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun erst – in einer bösen Frau – endlich die genügende Strafe seiner Sünden findet, was die Hölle nicht vermochte. Madame Vestris ist als Don Juan der wunderlieblichste und verführerischeste Jüngling, dem man es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine fehlt.

Das Stück amüsierte mich, und noch unterhaltender fand ich einen neuen Roman auf meinem Tische zu Hause, der (allerdings eine schon oft gebrauchte Idee) im Jahr 2200 spielt.

England ist darin wieder katholisch und eine absolute Monarchie geworden, und die allgemeine Bildung hat solche Fortschritte gemacht, daß Gelehrsamkeit Gemeingut der niedrigsten Klassen geworden ist. Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach mathematischen und chemischen Prinzipien. Lakaien und Köchinnen, welche Namen, wie ›Abelard‹, ›Heloise‹ etc. führen, sprechen mit dem Tone der Jenaer Literaturzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen Mode geworden ist, sich im Gegensatz zu dem Plebs, der gemeinsten Sprache und Ausdrücke zu bedienen, und außer Lesen und Schreiben jede weitere Kenntnis sorgfältig zu verbergen. Dieser Gedanke ist witzig, und vielleicht prophetisch!

Auch die Lebensart dieser Stände ist höchst einfach, grobe und wenig Speisen erscheinen allein auf ihrer Tafel, und Küchenluxus wird nur noch bei den Diener-Tischen angetroffen.

Daß übrigens Luftballons das gewöhnliche Fuhrwerk sind, und Dampf die ganze Welt regiert, versteht sich fast von selbst. Ein deutscher Professor macht aber, vermöge einer neuen Anwendung des Galvanismus, gar die Entdeckung, Tote zu erwecken, und die Mumie des Königs Cheops, kürzlich in einer der bis jetzt noch uneröffneten Pyramiden aufgefunden, ist die erste Person, an welcher dieses Experiment versucht wird. Wie nun die lebende Mumie nach England kommt, und wie abscheulich sie sich dort aufführt, magst Du nachlesen, wenn der Roman ins Deutsche übersetzt sein wird. Übrigens komme ich mir selbst manchmal hier auch wie eine Mumie vor, an Händen und Füßen gebunden, und sehnlich meiner Auferstehung wartend.


Den 5ten

Diesen Morgen bedeckte ein solcher Nebel die Stadt, daß ich in meiner Stube nur bei Licht frühstücken konnte. An Ausgehen war bis gegen Abend nicht zu denken. Zum Essen war ich bei Lady Love eingeladen, und P... auch gegenwärtig, den sie sonst, ich weiß nicht recht warum, sehr anfeindet. Mit seiner gewöhnlichen étourderie verdarb er es aber heute vollends. Die Dame hat nämlich, wie Du Dich noch aus älteren Zeiten erinnern wirst, eine etwas rote Nase, und Übelwollende suchen die Ursache davon in der Sitte, welche der General Pillet den Engländerinnen vorwirft. P... wußte dies wahrscheinlich nicht, und bemerkte, als er am Tisch neben ihr saß, daß sie ihren Wein aus einer andern Flasche mit einer dunkeln Flüssigkeit mischte, die wie Liqueur aussah. In seiner Unschuld – oder Bosheit, frug er scherzend, ob sie schon so ganz Engländerin geworden sei, ihren Wein mit Cognac zu mischen. An dem nunmehrigen Rotwerden ihres ganzen Gesichts, wie an der Verlegenheit der Nahesitzenden entdeckte er erst seine bévue, denn das unschuldige Tischgetränk war wirklich nur Brotwasser. Mir fiel dabei die komische Vorschrift ein, die ein Lehrbuch für gute Lebensart in unsrer nationell-pedantischen Manier gibt: ›Wenn Du in eine Gesellschaft gehst‹, heißt es dort, ›so erkundige Dich vorher immer genau nach den Personen, die Du dort anzutreffen vermuten kannst, nach ihren Verwandtschaften, Schwächen, Fehlern und ausgezeichneten Eigenschaften, damit Du auf der einen Seite nicht unbewußt etwas sagst, das eine wunde Stelle trifft, auf der andern aber mit Unbefangenheit angenehm und passend schmeicheln kannst.‹

Eine zwar lächerlich vorgetragene, und etwas schwer auszuführende, aber nicht üble Regel!

Es war viel von Politik die Rede, und dem prachtvollen Kriegsanfang mit Vertilgung der türkischen Flotte.

Welche Inkonsequenz ist es doch, Engländer so sprechen zu hören! aber seit Napoelons Fall wissen die leitenden Politiker fast alle nicht mehr recht, was sie wollen. Die jammervollen Resultate ihres Kongresses genügten ihnen zwar selber nicht, aber dennoch erschien keine Originalidee, sie weiter zu treiben, kein Hauptwille steht mehr hinter ihnen, und das Schicksal Europas hängt schon nicht mehr von seinen Führern, sondern von dem Zufalle ab. Cannings Erscheinung war nur eine transitorische, und wie sind seine Nachfolger beschaffen! Die Zerstörung der Flotte ihres sichersten und treuesten Bundesgenossen, ohne Krieg, ist wohl der beste Beweis dafür, obgleich ich mich als Mensch und Griechenfreund herzlich darüber freue.

Wir werden aber bei diesen Mißgeburten politischer Systeme, bei diesem Schwanken aller Orten, gewiß noch seltsame Dinge erleben, und vielleicht Zusammenstellungen, die man jetzt für unmöglich hält. Canning selbst ist zum Teil daran Schuld, da seine angefangenen Pläne nicht reif wurden, und ein Mann von eminentem Genie auf einem hohen Platze immer seinen Nachfolgern verderblich wird, wenn diese Pygmäen sind. Die jetzigen Minister haben ganz das Ansehen, als wollten sie England langsam dem Abgrund zuführen, den Canning für andere gegraben hat.

Auch diese Gewitter, die sich an Asiens Grenze zusammenziehen, schlagen vielleicht erst später mitten in Europa am heftigsten ein. Mit uns hoffe ich aber, wird der Donnergott sein, Preußens Zukunft steht in meiner Ahnung selbst höher und glänzender da, als sie ihm bis jetzt das Schicksal gönnte, nur verliere es seine Devise nicht aus den Augen: ›Vorwärts!‹

Zu Haus angekommen, fand ich Deinen Brief, der mich sehr belustigte, besonders die von H... vergeblich in Paris auf bouteilles gezogenen saillants, die in S... so wenig Anwendung finden, denn wohl hast Du Recht:

»Rien de plus triste qu'un bon mot qui se perd dans l'oreille d'un sot«,

und in diesem Falle mag er sich oft genug befinden.


Den 20sten

Da man jetzt Zeit hat, das Schauspiel zu besuchen, und gerade die besten acteurs spielen, so widmete ich viele meiner Abende diesem ästhetischen Zeitvertreibe, und sah unter andern gestern mit erneutem Vergnügen Kembles künstlerische Darstellung des Falstaff wieder, von der ich Dir schon einmal schrieb. Nachholen kann ich jetzt noch, daß sein costume, in weiß und roten Farben, sehr gewählt, und von der sorgfältigsten Eleganz, wenngleich ein wenig abgenutzt war, so daß es wie sein schön gelockter weißer Kopf und Bart ihm eine glückliche Mischung von Vornehmem und Komischem gab, welches, meines Erachtens, die Wirkung sehr erhöhte, und sozusagen verfeinerte.

Überhaupt waren alle Kostüme musterhaft, dagegen es unverzeihlich störend genannt werden muß – wenn soeben Heinrich IV. mit seinem prachtvollen Hofe und so vielen in Stahl und Gold glänzenden Rittern abgezogen ist – zwei Bediente in der Theater-livrée, Schuhen und roten Hosen erscheinen zu sehen, um den Thron hinwegzutragen. Ebensowenig kann man sich daran gewöhnen, Lord Percy eine Viertelstunde mit dem im Hintergrunde sitzenden Könige sprechen zu hören, ohne daß das Publikum von besagtem Percy dabei etwas anderes als seinen Rücken zu sehen bekommt. Es ist auffallend, daß gerade die berühmtesten hiesigen Schauspieler diese Unart förmlich affektieren, während man bei uns in den entgegengesetzten Fehler verfällt, und zum Beispiele der primo amoroso während der feurigsten Liebeserklärung seiner Schönen den Rücken weiset, um mit dem Publikum zu liebäugeln. Das gehörige Mittel zu halten ist allerdings schwierig, und die szenische Anordnung muß es dem Schauspieler erleichtern.

Aus dem Charakter des Percy machen die deutschen Akteure gewöhnlich eine Art wütendes Kalb, das sich sowohl mit seiner Frau als mit dem Könige gebärdet, als sei es eben von einem tollen Hunde gebissen worden. Diese Leute wissen gar nicht mehr, wo man den Dichter mildern, wo ihn steigern soll. Young versteht dies vollkommen, und weiß das jugendlich stürmische Aufbrausen sehr wohl mit der Würde des Helden und dem Anstande eines Fürsten zu vereinen. Er ließ jenes Feuer nur wie Blitze über eine Gewitterwolke zucken, aber nicht in ein Hagelwetter ausarten. Auch das Zusammenspiel finde ich besser als auf den deutschen Bühnen, und in den szenischen Anordnungen viele gesunde Beurteilung. Um nur ein Beispiel zu geben, so erinnere Dich (da Du einmal mit mir zusammen dies Stück in Berlin gesehen und Vergleiche die Sache anschaulicher machen) der Szene, wo der König die Gesandten Percys empfängt. Du fandest sie damals so unanständig, weil sich Falstaff dabei vor und an den König drängte, um ihm jeden Augenblick mit seinen Spässen grob in die Rede zu fallen. Es kommt dies aber nur daher, weil unsre Schauspieler mehr an ihre Persönlichkeit als an ihre Rolle denken. Herr D... fühlt sich dem Herrn M... gegenüber selbst ›every inch a king‹, und vergißt, wen er und wen der andere in dem Augenblick vorstellt. Hier wird Shakespeare besser verstanden, und die Szene demgemäß dargestellt. Der König steht mit den Gesandten im Vordergrunde, der Hof im Gemache verteilt, und in der Mitte des Theaters seitwärts der Prinz und Falstaff, welcher letztere als ein halbprivilegierter Lustigmacher zwar seine Spässe macht, aber sie nur mit halblauter Stimme mehr an den Prinzen als an den König richtet, und zurechtgewiesen, sogleich respektvoll die ihm gebührende ehrfurchtsvolle Attitüde wieder einnimmt, nicht aber mit dem Könige wie mit seinesgleichen fraternisiert.

Auf diese Weise kann man sich der Illusion hingeben, einen Hof vor sich zu sehen; bei der andern glaubt man sich immer in Eastcheap. Die hiesigen Schauspieler leben in besserer Gesellschaft, und haben daher mehr Takt.


Den 23sten

Es ist seltsam genug, daß der Mensch bloß das als Wunder anstaunen will, was im Raum oder der Zeit entfernt von ihm steht, die täglichen Wunder neben sich aber ganz unbeachtet läßt. Dennoch müssen wir in der Zeit der Tausendundeinen Nacht noch wirklich leben, da ich heute ein Wesen gesehen, was alle Phantasiegebilde jener Epoche zu überbieten scheint.

Höre, was das erwähnte Ungetüm alles leistet.

Zuvörderst ist seine Nahrung die wohlfeilste, denn es frißt nichts als Holz oder Kohlen. Es braucht aber gar keine, so bald es nicht arbeitet. Es wird nie müde, und schläft nie. Es ist keinen Krankheiten unterworfen, wenn von Anfang an nur gut organisiert, und versagt nur dann die Arbeit, wenn es nach langer, langer Zeit vor Alter unbrauchbar wird. Es ist gleich tätig in allen Klimaten, und unternimmt unverdrossen jede Art von Arbeit. Es ist hier ein Wasserpumper, dort ein Bergmann, hier ein Schiffer, dort ein Baumwollenspinner, ein Weber, ein Schmied- und Hammerknecht, oder ein Müller – in der Tat, es treibt alles und jedes Geschäft, und als ein ganz kleines Wesen sieht man es ohne Anstrengung neunzig Schiffstonnen Kaufmannsgüter, oder ein ganzes Regiment Soldaten auf Wagen gepackt, mit einer Schnelligkeit sich nachziehen, welche die der flüchtigsten stage-coaches übertrifft. Dabei markiert es noch selbst jeden seiner taktmäßigen Schritte auf einem vorn angehefteten Zifferblatte. Auch reguliert es selbst den Wärmegrad, den es zu seinem Wohlsein bedarf, ölt wunderbar seine innersten Gelenke, wenn diese es bedürfen, und entfernt beliebig alle nachteilige Luft, die durch Zufall in Teile dringen sollte, wo sie nicht hingehört – sollte sich aber in ihm etwas derangieren, dem es nicht selbst abhelfen kann, so warnt es sogleich durch lautes Klingeln seine Herrschaft vor Unglück. Endlich ist es so folgsam, ungeachtet seine Stärke der von hundert Pferden gleichkommt, daß ein Kind von vier Jahren mit dem Drucke seines kleinen Fingers jeden Augenblick seine ungeheure Arbeit zu hemmen imstande ist.

Hätte man wohl sonst einen solchen dienstbaren Geist ohne Salomons Siegelring erhalten können, und hat je eine wegen Zauberei verbrannte Hexe ähnliches geleistet?

Jetzt – ein neues Wunder – magnetisierst Du bloß fünfhundert Goldstücke mit dem festen Willen, daß sie sich in eine solche lebendige Maschine verwandeln sollen, und nach wenig Zeremonien siehst Du sie in Deinem Dienste etabliert. Der Geist geht in Dampf auf, aber er verflüchtigt sich nicht. Er bleibt mit göttlicher und menschlicher Bewilligung Dein legitimer Sklave. Dies sind die Wunder unsrer Zeit, die wohl die alten heidnischen und selbst christlichen aufwiegen.

Ich brachte den Abend bei der braunen Dame, Lady C... B... zu, die eben wieder einen neuen Roman ›Flirtation‹ (Liebelei) beendigt hat. Ich sprach sehr freisinnig mit ihr darüber, denn sie ist eine gescheite und gute Frau, und das Resultat war ein für mich unerwartetes, nämlich sie drang in mich, selbst ein Buch zu schreiben, und versprach es nachher zu übersetzen. Dieu m'en garde! – übrigens ist zuviel vom Skeptiker in mir, um daß, wenn ich schriebe, die sanfte, fromme, regelrechte Lady B... nur zwei Seiten davon übersetzen könnte, ohne mein Buch mit einer Bekreuzigung von sich zu schieben. Vielleicht habe ich auch hie und da ein bißchen Humor, der ihr nicht zusagen würde. Dagegen will ich sie, wozu sie mich heute ebenfalls angelegentlich eingeladen, mit großem Vergnügen künftigen Sommer nach Schottland begleiten. Dies wird ein völliger Triumphzug sein, da sie, als Schwester einer der mächtigsten Großen in Schottland, und dabei von eignem literarischen Glanze strahlend, in dem Feudal-Lande, wo wahre Gastfreundschaft noch keine Fabel ist, und wo man statt fashionables noch seigneurs antrifft, überall eine freudige Erscheinung sein wird. Ich sehe sie schon im Geiste, von Schloß zu Schloß ziehend, ein Gefolge stolzer ›Ohnehosen‹ hinter sich, und fáma in eleganter englischer Toilette vor sich. Ich selbst schließe mich als fremder Ritter an das Gefolge, und nehme alle die guten Sachen mit, die uns geistig und körperlich, romantisch und prosaisch zustoßen werden, bei dem großen Barden aber schließen wir die Tour, und kosten, nachdem er uns so oft den phantastischen Tisch gedeckt, einmal auch seinen eigenen.

Ich weiß nicht, ob ich Dir gesagt, daß ich in Albemarle Street bei einer Putzmacherin wohne, die einen wahren Blumenflor von Engländerinnen, Italienerinnen und Französinnen um sich versammelt hat. Alles ist die Dezenz selbst, demungeachtet macht sich manches Talent darunter geltend und nützlich, so unter andern eine Französin, welche ganz vortrefflich kocht, und mich daher in den Stand gesetzt hat, heute meinen Freund L..., der so viele Artigkeiten für mich gehabt, auch einmal in meiner Häuslichkeit zu bewirten. Dinner, concert (spaßhaft genug war es, denn bloß Putzmacherinnen sangen und spielten), kleiner Ball für die jungen Damen, viele künstliche Blumen, viele Lichter, sehr wenige ausgewählte Freunde, kurz, eine Art ländlichen Festes mitten in dem Londner Jahrmarkt. Es war fast Morgen, ehe die wilden Mädchen zu Bett kamen, obgleich die Duegna sie treulich bis zum letzten Augenblick chaperoniert hatte, ich aber wurde von allen hoch gepriesen, wenn auch mein jüngerer Freund L... ihnen im Herzen ohne Zweifel besser gefallen hatte.


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