Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Dreiunddreißigster Brief

Limerick, den 22sten Septbr. 1828

Liebe Entfernte!

Limerick ist die dritte Stadt in Irland, und von einer Art, wie ich Städte liebe – alt und ehrwürdig, mit gotischen Kirchen, bemoosten Schloßruinen geziert; mit dunkeln, engen Straßen, und kuriosen Häusern aus verschiedenen Zeitaltern; einem weiten Fluß, der sie der ganzen Länge nach durchströmt, und über den mehrere altertümliche Brücken führen; endlich wohlbelebten Marktplätzen, und einer freundlichen Umgebung. Eine solche Stadt hat für mich etwas Ähnliches mit einem natürlichen Walde, dessen dunkle Schatten auch, bald hohe, bald niedrige, vielfach gestaltete Baumgassen darbieten, und oft ein Laubdach, gleich einer gotischen Kirche, bilden. Dagegen gleichen moderne regelmäßige Städte mehr einem verschnittenen französischen Garten. Jedenfalls sagen sie meinem romantischen Geschmacke weniger zu.

Ich war nicht wohl, und kehrte daher, nach einem kleinen Spaziergang in den Straßen, bald wieder nach meinem Gasthof zurück. Hier fand ich einen katholischen Kirchendiener auf mich warten, der mir ankündigte: man habe soeben mit den Glocken für mich geläutet, sobald man nur meine Ankunft erfahren. Er erbat sich dafür zehn Schilling. Je l'envoyai promener, bald darauf ließ sich ein Protestant bei mir melden. Ich frug was er wolle. »Bloß Your Royal Highness« (denn mit Titeln ist man hier freigebig, sobald jemand mit Extrapost und vier Pferden ankömmt) »warnen, vor den Impositionen der Katholiken, die auf eine schamlose Weise Fremde behelligen, und ich bitte Euer Hoheit, ihnen ja nichts zu geben; – zugleich nehme ich mir jedoch die Freiheit, um eine kleine Beisteuer für das protestantische Armenhaus zu ersuchen.« – »Go to the d... Protestants and catholics«, rief ich entrüstet, und warf meine Türe zu. Es war aber schon eine andere, förmliche Deputation der Katholiken davor, aus dem französischen Konsul (einem Irländer), ferner einem Verwandten und Namensvetter O'Connells und noch einigen andern bestehend, die mich haranguierten und mir sogar den Liberator-Orden erteilen wollten. Ich hatte alle Mühe, diesem und einer Einladung zum Mittagessen in ihrem club zu entgehen, mußte aber nachgeben, mich wenigstens von zweien aus ihrer Mitte durch die Stadt begleiten zu lassen, um mir die Merkwürdigkeiten derselben zu zeigen.

Ich ließ mich also gutwillig zuerst nach der Kathedrale bringen, ein sehr altes Gebäude, mehr im Stil einer Festung als einer Kirche, ebenso solide als roh aufgeführt, aber imposant durch seine Massen. Im Innern bewunderte ich fünfhundert Jahre alte, wunderschön gearbeitete Sitze, von bogwood (Sumpfholz) geschnitzt, das durch das Alter schwarz wie Ebenholz geworden war. Die reichen Verzierungen bestanden aus köstlichen Arabesken und höchst charakteristischen Masken, die bei jedem Sitze verschieden waren. Das Grab der Thomonds, Könige von Ulster und Limerick, obgleich verstümmelt und durch moderne Zusätze geschändet, ist dennoch ein interessantes Monument geblieben. Abkömmlinge des Geschlechts existieren noch jetzt, deren Chef den Titel eines Marquis von Thomond führt, ein Name, den Du in meinen Briefen aus London zuweilen erwähnt gefunden haben wirst, denn der Besitzer desselben gab dort gute dîner. Man findet überhaupt in Irland sehr alte Häuser, die stolz darauf sind, ihre Familie nie durch eine mésalliance entweiht zu haben, was, des Geldes wegen, der englische und französische Adel so häufig tat, weshalb auch reines stiftsfähiges Blut, wie es in Deutschland hieß, dort gar nicht zu finden ist. Die französischen Großen nannten solche Heiraten scherzweise, aber nicht sehr schmeichelhaft für die Braut: mettre du fumier sur ses terres, und gar mancher englische Lord dankt gleichfalls solchem fumier den jetzigen Glanz seiner Familie.

Als wir die Kirche verließen, um den Felsen am Shannon zu besehen, auf dem der Traktat von Limerick mit den Engländern, nach der Schlacht von Boyne, unterzeichnet, aber von diesen nicht zum besten gehalten wurde – hatte sich ein ungeheures Gefolge von Volk um uns versammelt, das wie eine Lawine noch immer mehr anwuchs, uns aber mit ebensoviel Bescheidenheit als Enthusiasmus folgte. Plötzlich rief man: »Es lebe Napoleon und Marschall ...!«

»Mein Gott«, frug ich, »für wen hält man mich denn eigentlich hier? Als ganz anspruchsloser Fremder begreife ich gar nicht, weshalb man mir so viel Ehre anzutun scheint.« – »War Ihr Herr Vater«, erwiderte O'Connell, »nicht der Fürst von ...?« – »Nichts weniger«, versicherte ich, »mein Vater war zwar ein etwas älterer Edelmann, aber lange nicht so berühmt.« – »Dann müssen Sie verzeihen«, fuhr Herr O'Connell ungläubig fort, »aufrichtig gesagt, hält man Sie für einen natürlichen Sohn Napoleons, da dessen Vorliebe für Ihre Frau Mutter bekannt ist.« – »Sie scherzen«, sagte ich lachend, »ich bin wenigstens zehn Jahre zu alt, um der Sohn des großen Kaisers und der schönen Fürstin zu sein.« Er schüttelte aber mit dem Kopf, und unter wiederholtem Vivatrufen erreichte ich endlich meine Wohnung, die ich von nun an verschloß, und heute nicht mehr verließ. Das Volk nahm aber geduldig Posto vor meinen Fenstern und zerstreute sich erst mit einbrechender Dunkelheit.


Tralee, den 23sten

Diesen Morgen empfing mich wieder der Ruf: »Long life to Napoleon and to Your Honour!«, und während mein Wagen, mit meinem Kammerdiener darin, den man diesmal für Napoleons Sohn nahm, unter Vivatgeschrei abfuhr, schlich ich mich heimlich mit dem Hausknecht, der meinen Nachtsack trug, zur Hintertür hinaus, um einen Platz auf der Diligence zu nehmen, die mich nach dem See von Killarney bringen sollte. Meine Leute hatten Befehl, mich in Cashel zu erwarten, wo ich in 14 Tagen sie einzuholen denke.

In meinem jetzigen einfachen Aufzug fiel es keinem Menschen mehr ein, mir mit Ehrenbezeugungen beschwerlich zu fallen, und ich konnte nicht umhin, bei Gelegenheit dieser offenbaren Farce darüber zu philosophieren, daß aller Ehrgeiz doch auch nur zu einer verdeckten führt. Gewiß von allen Träumen dieses Lebens ist dieses der schattenartigste! Liebe befriedigt zuweilen, Wissenschaft beruhigt, Kunst erfreut, aber Ehrgeiz – Ehrgeiz gibt nur den qualvollen Genuß eines Hungers, den nichts stillen kann, oder gleicht der Jagd nach einem Phantom, das immer unerreichbar bleibt.

Nach einer Viertelstunde war ich ganz bequem in meiner Diligence etabliert. Außer den Passagieren auf der Imperiale, bestand die Gesellschaft aus einer dicken jovialen Frau, einer andern, sehr magern, einer dritten, recht hübsch und wohlproportionierten, und einem magisterartig aussehenden Herrn, mit langem Gesicht und noch längerer Nase, Ich saß im Fond zwischen den zwei schmächtigen Damen, und unterhielt mich mit der korpulenten, die sehr gesprächig war. Sie erzählte unter anderm, als ich eben ein Fenster herunterließ, wie sie neulich auch in diesem Wagen gefahren, und beinahe seekrank darin geworden wäre, denn eine ihr gegenübersitzende kränkliche Dame hätte durchaus nicht zugeben wollen, daß man ein Fenster öffne. Sie habe sich aber nicht abschrecken lassen, und nach einer Viertelstunde Zuredens sei es ihr auch gelungen, die Dame zu vermögen, einen Zollbreit Luft hereinzulassen, eine Viertelstunde später einen andern Zoll, dann wieder einen, und so habe sie endlich das ganze Fenster heruntermanövriert. »Vortrefflich«, sagte ich, »das ist gerade die Art, wie Weiber alles zu erlangen wissen – erst einen Zoll, und dann so viel als deren zu haben sind. Ein französischer Geistlicher erzählt hiervon auch eine sehr erbauliche Geschichte.«Gricourt (Der Mann mit der langen Nase verzog hier sein Gesicht wie ein Satyr.) »Wie verschieden agieren aber in gleichen Lagen die Männer!« fuhr ich fort. »Ein englischer Schriftsteller in seinem Handbuch für Reisende, empfiehlt: wenn in der mail jemand darauf bestehen sollte, alle Fenster zuzuhalten, solle man sich ja in kein pourparler mit dieser Person einlassen, sondern sofort, wie durch Ungeschicklichkeit ein Fenster einschlagen, dann um Verzeihung bitten, und sich ruhig der hereindringenden Kühle erfreuen.«

Die Ruinen von Adair erregten jetzt unsere Aufmerksamkeit, und unterbrachen die conversation. Später gewährte der Shannon einen imposanten Anblick. Er ist an manchen Stellen, gleich einem amerikanischen Fluß, bis über neun Meilen breit, und seine Ufer herrlich bewachsen. In Listowel, einem kleinen Ort, wo wir Mittag machten, versammelten sich, wie gewöhnlich, hundert Bettler um den Wagen; was mir aber neu vorkam, waren kleine Holzschalen an langen Stäben, die sie, wie Klingelbeutel, in den Wagen hereinreichten, um auf diese Art bequemer zu den sollizitierten Pences zu gelangen. Ein andrer Bettler hatte sich an der Straße ein Schilderhaus von losen Steinen erbaut. in welchem er für immer zu biwakieren schien.

Ich muß schließen, da die mail in wenig Stunden wieder abfährt, und ich einiger Ruhe bedürftig bin. Morgen mehr.


Killarney, den 24sten

An dem heutigen Tage sah ich nach und nach zwölf Regenbogen, ein übles Omen für die Beständigkeit des Wetters, aber für mich nehme ich es als ein gutes an. Es verspricht mir eine bunte Reise.

Die bisherige Gesellschaft war einzeln, da und dort, wie reife Früchte abgefallen, und ich befand mich mit einem irländischen gentleman, einem Fabrikanten aus dem Norden, allein, als ich in dem freundlichen Killarney ankam, wo der unaufhörliche Besuch englischer Touristen, den Gasthöfen auch beinahe englische Eleganz – und Preise verliehen hat. Wir erkundigten uns sogleich nach Booten und der besten Art den See zu sehen, erhielten aber zur Antwort, daß es bei diesem Sturme unmöglich sei, ihn zu beschiffen; kein Boot könnte heute auf dem See »leben«, wie sich die Schiffer ausdrückten. Ein englischer dandy indessen, der sich uns während dem Frühstück angeschlossen hatte, ridikülisierte diese Beteuerungen, und da ich, wie Du weißt, auch nicht sehr an Unmöglichkeiten glaube, so überstimmten wir den Fabrikanten, welcher sehr wenig Lust zu der Fahrt bezeigte, und embarkierten uns, malgré vent et marée, bei Ross Castle, einer alten Ruine, nicht weit von Killarney.

Wir hatten ein exzellentes Fahrzeug, einen alten, charakteristisch aussehenden, eisgrauen Steuermann, und vier tüchtige Ruderer. Der Himmel aber war wie zerrissen – an wenigen Orten nur blau, an andern grau in grau schattiert, an den meisten aber rabenschwarz, und Wolken aller Formen tummelten sich darin umher, von Zeit zu Zeit durch einen Regenbogen gefärbt, oder durch ein fahles Sonnenlicht erleuchtet. Die hohen Berge dämmerten kaum durch die trüben Schleier, auf dem See aber war alles Nacht. Die schwarzen Wellen wühlten geschäftig unter sich, hie und da nur kräuselte sich blendend weißer Schaum auf ihrem Rücken. Da die Wogen fast so hoch gingen wie im Meere, bekam ich eine leichte Anwandlung von Seekrankheit. Der Fabrikant erblaßte vor der Gefahr, der junge Engländer aber, stolz auf seine Amphibiennatur, lachte uns beide aus. Der Sturm pfiff indessen so laut, daß wir uns kaum verstehen konnten und als ich den alten Steuermann fragte, wohin wir zuerst fahren würden, antwortete er: »Nach der Abtei, wenn wir anders hinkommen!« Dies klang nicht sehr encourageant, auch tanzte unser Boot (das einzige auf dem See, denn selbst die Fischer hatten sich nicht herausgewagt) so schrecklich auf und nieder, ohne doch mit aller Anstrengung der Ruderer avancieren zu können, daß der Fabrikant an Weib, Kind und Fabrik zu denken anfing, und peremptorisch die Rückfahrt verlangte, da er nicht die Absicht habe, auf einer Erholungsreise sein Leben zu verlieren. Der dandy wollte sich dagegen vor Lachen ausschütten, versicherte, er sei ein Mitglied des Yacht-Clubs und habe ganz andere Dinge erlebt, wobei er den Ruderern, die ebenfalls lieber zu Haus gewesen wären, Geld über Geld versprach, um auszuhalten. Was mich betraf, so folgte ich der Maxime des Generals Yermoloff: »Weder zu rasch noch zu furchtsam«, mischte mich gar nicht in den Streit, sondern erwartete, dicht in meinen Mantel gehüllt, ruhig den Ausgang. Ich genoß übrigens, wie es schien, allein die Schönheit der Szene, da den einen meiner Begleiter die Furcht daran verhinderte, den andern sein Wohlgefallen an sich selbst. Eine Weile kämpften wir noch gegen die Strömung der Wellen, auf denen wir, wie Wasservögel, in Sturm und Dunkelheit dahinfluteten, bis uns, aus einer gegenüberliegenden Bergschlucht, so heftige Windstöße faßten, daß es nun selbst dem Mitgliede des Yacht-Clubs zu bedenklich ward, und er den Bitten des Steuermanns nachgab, mit dem Winde zurückzurudern, und an einer Insel anzulegen, bis der Sturm etwas nachließen was gewöhnlich gegen Mittag der Fall sei.

Dies traf auch ein, und nachdem wir einige Stunden auf der Insel Inishfallen, einem lieblichen Eilande, mit schönen Baumgruppen und Ruinen, kampiert, waren wir imstande, unsre Fahrt gemächlicher fortzusetzen. Alle Inseln dieses Sees, bis auf die kleinste, nur ein paar Ellen lange, welche »die Maus« genannt wird, sind dicht mit Arbutus und anderm Immergrün bewachsen, welche hier wild gedeihen, und deren Blüten und Früchte Winter und Sommer in bunten Farben prangen. Viele dieser kleinen Eilande bieten ebenso seltsame Formen dar, als ihre Namen eigentümlich sind. Meistens sind sie nach O'Donoghue benannt. Hier ist es O'Donoghues White Horse (weißes Roß), an dessen Felsenhufen sich die Brandung bricht, dort seine Library (Bibliothek), weiterhin sein Pigeon-House, oder sein Flower-Garden (Taubenschlag und Blumengarten) u.s.w. Doch Du weißt vielleicht nicht, wie der See von Killarney entstand? Also höre!

O'Donoghue war der mächtigste chieftain eines Clans, der hier, wo jetzt der See seine Wellen rollt, eine große und reiche Stadt bewohnte. Alles war dort im Überfluß – nur Wasser fehlte – und die Sage ging, daß selbst der einzige kleine Brunnen, den die Stadt besaß, nur das Geschenk eines mächtigen Zauberers sei, der ihn einst, auf Bitten einer schönen Jungfrau, hervorgerufen, aber dabei streng gewarnt: daß man nie vergessen möge, ihn jeden Abend mit einem großen silbernen Deckel zu schließen, den er zu diesem Ende zurücklasse. Die seltsame Form und Verzierungen desselben schienen die wunderbare Sage zu bestätigen – auch wurde der uralte Gebrauch nie vernachlässigt.

O'Donoghue aber, ein mächtiger und unerschrockener Krieger (vielleicht auch, wie Talbot, ein Ungläubiger) machte sich über dieses Märchen, wie er es nannte, nur lustig, und eines Tages, als er beim wilden Gelage vom viel genossenen Weine mehr als gewöhnlich erhitzt war, befahl er, zum Schrecken aller Anwesenden, den silbernen Brunnendeckel in sein Haus zu bringen, wo er, wie er spottend meinte, eine vortreffliche Badewanne für ihn abgeben solle. Vergebens blieben alle Vorstellungen. – O'Donoghue war gewohnt, sich Gehorsam zu verschaffen, und als mit Wehklagen die geängstigten Diener endlich das schwere Gefäß herbeischleppten, rief er lachend: »Seid unbesorgt, die Kühle der Nacht wird dem Wasser gar gut bekommen, und morgen werdet ihr alle es frischer finden!« Aber die, welche dem silbernen Deckel zunächst standen, wandten sich mit Grausen davon, denn es deuchte ihnen, als bewegten sich die verworrenen Charaktere darauf, wie ein Knäuel ineinander sich verschlingender Würmer, und ein schauerlicher Laut schien klagend daraus hervorzutönen, wie einst aus dem Koloß zu Theben. Voll Sorge legten sich alle zur Ruhe, nur einer floh in das nahe Gebürge. Als nun der Morgen anbrach und dieser Mann wieder hinab in das Tal blickte – da rieb er sich vergebens die Augen, und glaubte noch zu träumen – Stadt und Land waren verschwunden, die reichen Fluren nicht mehr vorhanden, und der kleine Brunnen, aus der Erde Klüfte schwellend fort und fort, hatte einen unabsehbaren See geboren. – Geschehen war, was O'Donoghue prophezeit: Kühler war in einer Nacht für alle das Wasser geworden, und das letzte Bad hatte ihm die neue Wanne bereitet.

Nur bei ganz hellem klaren Wetter haben, wie die Fischer behaupten, manche noch jetzt auf des Sees »tiefunterstem Grunde« Paläste und Türme, wie durch Glas schimmern gesehen, aber viele schon erblickten, wenn ein Sturm dem Ausbruche nahe war, O'Donoghues riesige Gestalt, auf weißem schnaubendem Roß auf den Wogen reitend, oder in gespenstiger Gondel mit der Schnelle des Falken über die Wasser gleiten.

Einer unsrer Bootsleute, ein Mann von ohngefähr fünfzig Jahren, mit langem, schwarzen Haar, das der Wind um seine Schläfe trieb, von ernstem und stillem, aber phantastischem Ansehen, wurde mir von den andern verstohlen mit dem Finger gezeigt, indem sie mir zuflüsterten: »Der ist ihm begegnet.« –

Du kannst denken, daß ich mich schnell mit ihm in ein Gespräch einließ, und ihn zutraulich zu machen suchte, da ich weiß, daß diese Leute, wo sie Unglauben und Neckerei voraussetzen, hartnäckig schweigen. Im Anfang war auch er zurückhaltend, bald aber geriet er in Feuer, und nun schwor er bei St. Patrick und der Jungfrau, daß, was er erzähle, die reinste Wahrheit sei. Seiner Aussage nach, begegnete er O'Donoghue bei einbrechender Dämmerung, kurz vor dem Wüten eines der fürchterlichsten Stürme, den er je erlebt. Er hatte sich beim Fischen verspätet, den ganzen Tag war der Regen schon in Strömen herabgeflossen, es war schneidend kalt, und ohne seine whiskey-bottle hätte er es kaum länger aushalten können. Auch war lange bereits kein lebendiges Wesen mehr auf dem ganzen See zu sehen gewesen. Mit einem Male segelte, wie aus den Wolken gefallen, ein Boot auf ihn zu, die Ruder arbeiteten mit Blitzesschnelle, und doch war kein Ruderer dabei zu erblicken, hinten aber saß unbeweglich ein riesengroßer Mann. Sein Anzug war scharlachrot und gold, und auf dem Kopf trug er einen dreieckigen Hut mit breiter Tresse. So flog das Geisterboot heran. Paddy sah mit starrem Blick darauf hin – als aber jetzt die lange Gestalt ihm fast gegenübersaß und aus dem roten Mantel zwei große schwarze Augen wie Kohlen ihn anbrannten – da fiel ihm die Brannteweinflasche aus der Hand, und er kam nicht eher wieder zu sich, als bis die unsanften Karessen seiner Ehehälfte ihn weckten, die, voller Zorn ihn einen Trunkenbold über den andern schalt, und sich einbilden mochte, der Whiskey habe ihn so zugerichtet – aber Paddy wußte es besser! –

Ist es nicht sonderbar, daß das eben beschriebene Kostüm so gut mit unserm deutschen Teufel im vorigen Jahrhundert übereinstimmt, der jetzt wieder so beliebt ist? Vom Freischützen hatte Paddy aber doch gewiß noch nichts gehört. Fast scheint es, als hätte die Hölle auch ihr Modejournal. Sehr belustigend war mir des Alten Reue und Angst nach der Erzählung. Er tadelte sich mehrmals laut darüber, bekreuzte sich und wiederholte beständig: O'Donoghue habe, obgleich schrecklich, doch ganz wie ein echter gentleman ausgesehen, »denn«, setzte er, sich schüchtern umsehend, hinzu, »ein perfect gentleman ist er immer gewesen, ist es jetzt, und wird es immer bleiben.« Die jüngeren Bootsleute waren nicht ganz so starkgläubig, und schienen nicht übel Lust zu haben, den Geisterseher ein wenig zu necken, dessen Ernst und Zorn ihnen aber doch sogleich wieder imponierte. Einer dieser Menschen war ein wahres Modell für einen jungen Herkules. Mit aller Lustigkeit eines ganz kerngesunden Körpers, trieb er unaufhörlich Possen, und arbeitete dabei für drei.

Wir landeten nun bei der Abtei von Muckross, in dem Park des Herrn Herbert gelegen, aber dennoch reichlich mit Schädeln und Gerippen ausgestattet. Die Ruinen sind von bedeutendem Umfang, und voll interessanter Einzelheiten. So steht z. B. im Klosterhofe einer der größten Taxusbäume, die es vielleicht in der Welt gibt, denn er überragt nicht nur alle Gebäude, sondern beschattet und verdunkelt mit seinen Ästen den ganzen Hof, wie ein darübergespanntes Zelt. Im zweiten Stockwerk bemerkte ich einen Kamin, an dem zwei Efeustämme, einer auf jeder Seite, die schönste regelmäßige Verzierung bildeten, während ihre Blätter die darüber stehende Feueresse so dicht umlaubten, daß sie einem Baume glich. Unser Führer erzählte uns hier ein merkwürdiges Beispiel von der unumschränkten Gewalt der katholischen Priester über das hiesige gemeine Volk. Zwei Parteien, die Moynihans, und die O'Donoghues genannt, waren schon seit einem halben Jahrhundert in permanenter Fehde begriffen. Wo sie sich daher in gehöriger Anzahl begegneten, entstand sogleich ein Shillelagh-Kampf, bei welchem manches Leben verloren ging. Da es nun, seit dem Bestehen der katholischen Association, das Interesse der Priester erheischt, Friede und Eintracht unter ihrer Herde zustande zu bringen, so verordneten sie voriges Jahr, bei der letzten Schlägerei dieser Art, als Strafe für alle Teile: daß die Moynihans zwölf Meilen nordwärts marschieren, und dort ein Bußgebet verrichten; die O'Donoghues dasselbe südwärts ausführen; sämtliche teilnehmende Zuschauer aber sechs Meilen nach andern Orten wallfahrten sollten; im Wiederbetretungsfalle jedoch würde die doppelte Strafe eintreten. Alles wurde mit religiöser Genauigkeit befolgt, und der Krieg hatte seitdem ein Ende.

Nach einer Stunde erreichten wir am jenseitigen Ufer des Sees, an einer dicht bewaldeten Küste, den Wasserfall O'Sullivans, der, vom Regen angeschwellt, doppelt reich erschien. Die Üppigkeit der Bäume und rankenden Pflanzen, die ihn malerisch überhängen, sowie die Höhle, in der man gegenüber trockenen Fußes die schäumend stürzenden Wasser betrachtet, vermehren das Originelle der Szene. Hier gibt es herrliche einsame Promenaden, die auf der andern Seite des Bergrückens zu einem, von der ganzen Welt abgeschiedenen, mitten im tiefen Walde liegenden Dorfe führen. Da aber die Sonne noch immer mit den Wolken kämpfte, und wir uns hinlänglich durchnäßt (vom Himmel und vom See, dessen Wellen uns mehr als einmal übergossen hatten) und ermüdet fühlten, so beschlossen wir, für heute die tour zu beschließen und über die freundliche Villa der Lady Kenmare zurückzukehren.

Als wir noch ungefähr vier Meilen zu schiffen hatten, erbot sich der hübsche junge Mann, welcher beiläufig gesagt, ohngeachtet seiner athletischen Gestalt, im Gesicht eine merkwürdige Ähnlichkeit mit der berühmten Mamsell Sontag hatte – uns, wenn wir drei Schilling mit ihm wetten wollten, in einer halben Stunde zu Haus zu bringen. Der alte Geisterseher wollte nicht daran, sich einer solchen Anstrengung zu unterziehen, das junge Sonntagskind versicherte aber, für ihn mitrudern zu wollen. Wir nahmen daher die Wette an, und flogen von nun an, wie ein Pfeil über den See. Nie sah ich eine größere Darlegung von Kraft und Ausdauer, unter fortwährendem Singen, Possen und Scherzen. Demohngeachtet gewannen die Ruderer ihre Wette nur um eine halbe Minute, erhielten aber von uns mehr als das Doppelte des Betrags, was sie, in großer Freude, alle noch dieselbe Nacht zu vertrinken versprachen. Zu guter Letzt hielten sie eine drollige, schon darauf eingerichtete, conversation mit dem Echo der Mauern von Ross Castle, dessen Antwort immer einen scherzhaften Sinn hatte, z. B.: shall we have to night a good bed? (werden wir diese Nacht ein gutes Bett bekommen? Antwort: bad (schlecht) u. s. w.


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