Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 10ten

Es ist mir um so lieber, daß ich auf meiner Abreise von hier begriffen bin, da mir eben noch etwas ebenso Unangenehmes als Unerwartetes begegnet ist, was mich in dem Augenblick mehr en vue setzt, als mir lieb ist.

Schon einmal, glaube ich, schrieb ich Dir von einer Nichte Napoleons, die ich zum erstenmal beim Herzog von Devonshire sah, wo sie sich eben sehr eifrig mit H. Brougham unterhielt, als ich ihr bekannt gemacht wurde. Sie ist schön gewachsen, hat außerordentlich brillante Farben, Napoleons antike Nase, große ausdrucksvolle Augen, und alle französische Lebhaftigkeit, als Zugabe noch mit italienischem Feuer gemischt. Dabei etwas Exzentrisches in ihrem ganzen Wesen, was ich wohl liebe, wenn es Natur ist, obgleich ich offen bekennen muß, daß es mir hier nicht ganz frei von Absicht und Angewöhnung schien. Indessen ihr Name imponierte mir. Du kennst meine Ehrfurcht vor dem erhabnen Kaiser, jenem zweiten Prometheus, den Europa an einen Felsen jenseits der Linie schmiedete, jenem Riesen, welchen eine Million Pigmäen endlich zu ihrem Nachteil erschlugen, weil sie nicht Kraft genug hatten, diesen mächtigen Geist zu zähmen, daß er ihnen Dienst geleistet hätte.

Hauptsächlich um von ihm zu sprechen, ging ich also fleißig zu ihr, und kultivierte die Bekanntschaft der etwas männlich schönen Frau mehr als ich sonst getan hätte, nicht weil sie wenig Mode war, sondern weil diese Art weiblicher Charaktere und Reize überhaupt keineswegs diejenigen sind, welche ich vorziehe.

Unterdes waren wir ziemlich bekannt miteinander geworden, als sie nach Irland abreiste, und ich ihrer nicht weiter gedachte.

Vor einigen Wochen kam sie wieder hier an, von ihrem Manne, einem Engländer, geschieden, den sie exzentrisch genug, nur deshalb geheiratet hatte, um mit ihm nach Helena gehen zu können, was später dennoch vereitelt ward.

Ihr französisches Wesen und ihre lebhafte Unterhaltung, nebst allen diesen Details, zogen mich von neuem an, und ich sah sie noch öfter als früher. Vorige Woche trug sie mir auf, ihr ein billet zu einem déjeuner champêtre im Garten der Horticultural Society zu verschaffen, über welches Fest auch Lady-Patronesses gesetzt worden sind. Als ich das billet brachte, verlangte sie, ich solle sie begleiten. Ganz gutmütig erwiderte ich, daß hier, wo die Gesellschaft so kleinstädtisch sei, leicht ein Gerede darüber entstehen könne, und wir morgen vor einem Zeitungsartikel nicht sicher wären, wenn wir diesen Ort allein miteinander besuchten. Statt der Antwort brach sie in Tränen aus, und sagte: es tue nichts, denn ihr wäre alles ohnehin jetzt einerlei, da sie morgen nicht mehr auf dieser Welt sein würde. – Dabei zog sie ein Fläschchen Opium oder Blausäure aus ihrem Busen, und versicherte, daß sie diese noch vor Nacht auszuleeren entschlossen sei, bis dahin aber sich betäuben wolle so gut es gehe.

Ich war nicht wenig erstaunt über ein so unerwartetes propos, suchte indes die schluchzende Schöne so gut ich konnte zu beruhigen, warf das Giftfläschchen zum Fenster hinaus, und äußerte die Hoffnung, daß die heitre Fete, die Gesellschaft, die freie Luft, der Beifall, den ihre hübsche Toilette einernten müsse, gewiß dieser törichten, aufgeregten Stimmung schnell Herr werden würden.

Obgleich ich ihre näheren Verhältnisse nicht kannte, so war doch nicht schwer zu erraten, daß eine unglückliche Liebe im Spiel sein mußte, der einzige Grund, aus welchem Weiber sich das Leben zu nehmen pflegen, und da ich ähnlichen Schmerz auch in meinem Leben empfunden habe, so gestehe ich, daß sie mir sehr leid tat, und ich ihre Äußerungen, wenn auch übertrieben, doch nicht ganz für leere Affektation hielt.

Unterdessen war mein Wagen gekommen, und wir stiegen ein, indem sie nochmals wiederholte, sie dränge sich bloß zu dieser Zerstreuung, weil sie die Marter der Einsamkeit nicht länger zu ertragen vermöge.

Während der Fahrt kam es denn zu einer vollständigen confidence, die ich übergehe, denn es war das alte Lied von Liebesleiden und Freuden, was der Mensch ebenso sicher in jeder Generation wieder singt, als Nachtigall und Zeisig die ihrigen.

Während ich meiner schönen Freundin möglichst Trost einsprach, konnte ich mich nicht enthalten, innerlich Betrachtungen anzustellen, wie sonderbar das Schicksal spiele, und wie noch viel sonderbarer es von uns selbst gehandhabt und beurteilt werde. Neben mir saß die Nichte Napoleons! des einstigen Herrn fast der ganzen zivilisierten Welt, eine Frau, deren Onkel und Tanten alle noch vor kaum vergangener Zeit auf den ältesten Thronen Europas saßen, während sie jetzt durch die ungeheuersten Ereignisse in die Klasse der gewöhnlichen Gesellschaft herabgeworfen worden sind – und das alles hat dennoch nicht den geringsten Eindruck mehr auf das neben mir sitzende Individuum gemacht, keinen Schmerz bei ihr zurückgelassen, aber die Untreue eines albernen englischen dandy erregt ihre Verzweiflung, und bringt sie zu dem Entschluß, seinetwillen ihr Leben zu enden!!! Mit einer wahren Indignation rief ich ihr zu, daran zu denken, wem sie angehöre, und an das erhabne Beispiel vom Ertragen des Lebens in wahrem Unglück, das ihr großer Oheim ihr und der Welt gegeben. Echt weiblich aber gab sie gar nichts auf diese Tirade und erwiderte: »Ach wenn ich jetzt die Wahl hätte, j'aimerais cent fois mieux être la maîtresse heureuse de mon amant que Reine d'Angleterre et des Indes

Bei alledem schien die Fete und die Gesellschaft, sowie einige Gläser Champagner beim Frühstück, die ich ihr einnötigte, ihre Verzweiflung bedeutend zu mildern, und ich brachte sie um 6 Uhr zurück, (ziemlich sicher, daß keine zweite Opiumflasche geholt werden würde) um meine Toilette zu einem großen dinner bei unserm Gesandten zu machen, das ich nicht versäumen wollte.

Denke Dir nun meinen wirklich nicht geringen Schreck, als mir einige Tage darauf R... mit seinem gut angenommenen englischen Phlegma erzählt: »Heute früh hat sich die W... im Serpentine River ersäuft, ist nachher von einem vorbeigehenden Bedienten herausgefischt und schon mehrere Stunden ehe unsereins aufsteht, unter großem Volkszulauf nach ihrer Wohnung zurückgebracht worden.« – »Mein Gott, ist sie tot?« rief ich. »Ich glaube nicht«, erwiderte R..., »sie soll, wenn ich recht höre, wieder zu sich gekommen sein.«

Ich eilte sogleich nach ihrer Wohnung, fand aber alle Läden verschlossen, und der Diener äußerte, daß niemand außer dem Arzte vorgelassen würde, die Herrschaft sei tödlich krank.

Das heißt doch die Narrheit ein wenig zu weit treiben, dachte ich bei mir selbst, und diese, ihrem unsterblichen Verwandten so schlecht nachahmende Nichte, illustriert recht die Wahrheit: wie viel leichter und schwächer es sei, ein unerträgliches Leid durch Selbstmord abzuwerfen, als es kühn bis zum letzten Atemzug zu tragen!

Doch fühlte ich lebhaftes Bedauern mit der armen Frau, und freute mich fast, daß meine nahe Abreise mir das Wiedersehen derselben, nach einer solchen Katastrophe erspare, da ich ihr weder helfen noch ihr Benehmen billigen konnte. Wie sie gestern die Horticultural Gardens, besuchte auch ich heute, nämlich bloß um mich von diesen unangenehmen Eindrücken zu zerstreuen, eine große Gesellschaft bei der Marquise H... Kaum war ich durch einige Zimmer gegangen, als ich dem Herzog von C... in den Wurf kam, einem Prinzen, der, obgleich er sich nicht pikiert ein Liberaler zu sein, doch die Öffentlichkeit sehr liebt.

Kaum wurde er mich ansichtig, als er mir schon von weitem zurief: »O P... was zum T... haben Sie für Streiche gemacht? Es steht schon in den Zeitungen, daß sich die W... Ihretwegen ersäuft hat.« – »Meinetwegen, E. K. H.? was für ein Märchen!« – »Leugnen Sie es nur nicht, ich sah Sie ja selbst solus cum sola mit ihr im Wagen – alle Welt ist davon unterrichtet, und ich habe es auch schon nach B... an den K... geschrieben.« – »Nun, diese fremde Sünde auf meinem Konto fehlte mir noch«, erwiderte ich verdrießlich. »Übrigens wissen Sie, daß dem Napoleonischen Geschlechte nur die Engländer verhängnisvoll sind? Der Höchste desselben hat der ganzen Nation die Schmach seines Todes zum ewigen Vermächtnis hinterlassen, seine arme Nichte wird wohl nur einen einzigen englischen dandy den unterirdischen Mächten weihen; aber da die Nemesis, in der Weltgeschichte wie in den kleinen Lebensverhältnissen, nie ausbleibt, so ist es wohl möglich, daß einst noch ein Buonaparte des kaiserlichen Ahnherrn schmähliches Ende an der Nation rächt, und sich auch vielleicht einmal ein englischer dandy in Paris der schönen Augen einer Nachkommin Napoleons wegen erschießt. Wir Deutsche begnügen uns, jenen Helden und sein Geschlecht in jeder Hinsicht nur von weitem zu bewundern, denn gleich der Sonne, tat es einst in der Mittagshitze nicht gut, zu nahe seinem Glanz zu wohnen, und heut ist das Gestirn untergegangen.«Wir hätten Bedenken tragen können, das Vorhergehende im Texte stehen zu lassen, wenn das Wesentliche der Begebenheit nicht schon, mit noch viel näheren, wenngleich zum Teil unrichtigen Details, aus mehreren öffentlichen Blättern dem Publikum bekannt geworden wäre. A. d. H.

Damit empfahl ich mich, und gab, zu Hause angekommen, sogleich Befehl zur Beschleunigung meiner Abreise. Hoffentlich werde ich imstande sein, morgen schon meinen Zug in entferntere, freiere Gegenden zu beginnen, und sobald soll kein städtisches, eingepferchtes Leben mir wieder nahen!

Irgendwo sagt Lord Byron von sich: seine Seele habe nur in der Einsamkeit ihren vollen freien Wirkungskreis gehabt. Diese Wahrheit paßt auch, sehe ich auf geringere Leute, denn mir geht es nicht anders. In der lästigen Gesellschaft fühle ich die Seele stets nur halb, und schrecklich ist mir schon der Gedanke: jetzt sollst du womöglich aimable sein! Dagegen bin ich, wie Du weißt, eben in der Einsamkeit am wenigsten allein, und am seltensten entbehre ich dort, meine teure Freundin, Deiner Gesellschaft.

Bist Du auch noch so fern, so umschwebt doch mein Geist Dein Wachen wie Deine Träume, und über Meer und Berge hin empfindet mein Herz den liebenden Pulsschlag des Deinen.

L...


*   *   *

(Ende des vierten und letzten Teils)


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