Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 1sten Mai

Bei Est... fand ich gestern Morgen den Fürsten S..., der erst vor wenigen Monaten, von der Krönung in Moskau kommend, hierdurch nach Brasilien gegangen war, und jetzt bereits von dort zurückkam. Wie schnell man doch in unsern Zeiten die größten Reisen mit Leichtigkeit zurücklegt! Von allem was er gesehen, gab er den Naturschönheiten der Insel Madeira den Vorzug. Er hatte von da kaum 8 Tage bis London gebraucht, was mir große Lust macht, die Exkursion auch zu versuchen, sobald die season vorüber ist.

Von 4 Uhr nachmittags bis 10 Uhr abends saß ich im ›Hause der Gemeinen‹, gedrängt, in fürchterlicher Hitze, höchst unbequem, und dennoch mit so angespannter Aufmerksamkeit, so hingerissen, daß die 6 Stunden mir wie ein Augenblick vergingen.

Es ist in der Tat etwas Großes um eine solche Landesrepräsentation! Diese Einfachheit in der Erscheinung, diese Würde und Erfahrung, diese ungeheure Macht nach außen, und dieses prunklose Familienverhältnis im Innern. –

Die heutige Debatte war überdies vom höchsten Interesse. Das vorige Ministerium hat, wie Du weißt, größtenteils resigniert, unter ihnen die wichtigsten Männer Englands, ja selbst der (nach Napoleons und Blüchers Tode) berühmteste Feldherr Europas, Canning, der Verfechter der liberalen Partei, hat dieses Ministerium besiegt, und ist trotz aller ihrer Anstrengungen der Chef des neuen geworden, dessen Zusammensetzung ihm, wie es in England in solchem Falle üblich ist, allein überlassen wurde. Aber die ganze Gewalt der entrüsteten Ultra-Aristokratie und ihres Anhangs drückt noch immer schwer auf ihn, ja selbst einer seiner bedeutendsten Freunde, ein commoner dazu wie er, ist gleichfalls einer der ausscheidenden Minister, und schließt sich der ihm feindlichen Partei an. Dieser (Mr. Peel) eröffnete heute den Kampf, in einer langen und geschickten, sich jedoch zu oft wiederholenden Rede. Es würde mich viel zu weit führen, und ganz über die Grenzen einer Korrespondenz wie die unsrige hinausgehen, wenn ich mich in das Detail der grade jetzt vorliegenden politischen Fragen einlassen wollte, meine Absicht ist nur, Dir die Taktik anzudeuten, mit der auf der einen Seite gleich vom Anfang an der Gewandteste der neuen Opposition angriff, und dann erst noch mehrere gemeinere Streiter derselben losgelassen wurden, die regellos bald da bald dort anpackten; dagegen die alte Opposition der Whigs, die jetzt das liberale Ministerium aus allen Kräften unterstützt, umgekehrt und zweckmäßiger mit dem kleinen Gewehrfeuer anfing, und nachher erst, als schweres Geschütz, einen ihrer Hauptkämpfer, Brougham, sich erheben ließ, welcher in einer herrlichen Rede, die wie ein klarer Strom dahinströmte, seine Gegner zu entwaffnen suchte, sie bald mit Sarkasmen peinigte, bald einen höheren Schwung nehmend, alle Zuhörer tief ergriff und überzeugte. Z. B. wenn er sagte: »Nicht um Plätze zu erlangen, nicht um Reichtümer zu erwerben, ja nicht einmal um den Katholiken unsres Landes ihr natürliches und menschliches Recht wiedergegeben zu sehen, eine Wohltat, um die ich seit 25 Jahren Gott und die Nation vergebens anrufe, nicht für alles dieses habe ich mich dem neuen Ministerium angeschlossen, nein, sondern nur, weil, wohin ich mein Auge wende, nach Europas zivilisierten Staaten, oder nach Amerikas ungeheurem Kontinent, nach dem Orient oder Okzident, ich überall die Morgenröte der Freiheit tagen sehe, – ja, ihr allein habe ich mich angeschlossen, indem ich dem Manne folge, der ihr Vorfechter zu sein, ebenso würdig als willig ist!«

Hier schloß der Redner, nachdem er noch die feierliche Erklärung abgegeben, daß er um so unparteiischer hierin sei, und sein könne, da er nie, und unter keiner Bedingung je in ein Ministerium dieses Reichs treten werdeMan sieht jetzt, daß dies nur eine Redensart war. A. d. H. . –

Schon früher hatte ich Brougham gehört und bewundert. Niemand hat wohl je mit größerer Leichtigkeit gesprochen, stundenlang in einem nie unterbrochenen klaren Fluß der Rede, mit schönem und deutlichen Organ, die Aufmerksamkeit fesselnd, ohne irgendwo anzustoßen, nachzusinnen, zu wiederholen, oder, sich versprechend, ein Wort für das andere zu gebrauchen, welche störenden Fehler z. B. die Reden Peels oft verunstalten. Brougham spricht, wie ein geübter Leser Gedrucktes vorliest – demohngeachtet sieht man darin nur außerordentliches Talent, beißenden, vernichtenden Witz und seltne Gegenwart des Geistes, doch die jedes Herz erwärmende Kraft des Genies, wie Canning sie ausströmt, besitzt er, meines Erachtens, nur in weit geringerem Grade.

Jetzt erst trat Canning, der Held des Tages, selbst auf. Wenn der vorige einem geschickten und eleganten geistigen Boxer zu vergleichen war, so gab Canning das Bild eines vollendeten antiken Gladiators. Alles war edel, fein, einfach, und dann plötzlich ein Glanzpunkt, wie ein Blitz hervorbrechend, groß und hinreißend. Eine Art Ermattung und Schwäche, die, als sei es die Folge der so kürzlich erlebten Kränkungen, sowie der überhäuften Arbeit, seiner Energie etwas zu entnehmen schien, gewann ihm vielleicht in anderer Rücksicht noch mehr von Seiten des Gefühls.

Seine Rede war in jeder Hinsicht das Gediegenste, auch den Unbefangensten Ergreifende, der Kulminationspunkt des heutigen Tages! Nie werde ich den Eindruck vergessen, den sie, und jene schon berühmt gewordene, die er vor mehreren Wochen über die portugiesischen Angelegenheiten hielt, auf mich machten. Ich fühlte beidemal tief, daß die höchste Gewalt, die der Mensch auf seine Mitmenschen ausüben, der blendendste Glanz, mit dem er sich umgeben kann und vor dem selbst der des glücklichen Kriegers wie Phosphorschein vor der Sonne erbleicht – nur in dem göttlichen Geschenk der Rede liege! Dem großen Meister in dieser nur ist es gegeben, Herz und Gemüt einer ganzen Nation in jene Art von magnetischem Somnambulismus zu versetzen, wo ihr nur blindes Hingeben übrig bleibt, und der Zauberstab des Magnetiseurs über Wut und Milde, über Kampf und Ruhe, über Tränen und Lachen mit gleicher Macht gebietet.

Am folgenden Tage wurde das Haus der Lords eröffnet, unter gleich merkwürdigen Umständen als gestern das Haus der Gemeinen, jedoch zeigten sich darin keine so großen Talente, als Brougham und vor allen Canning.

Lord Ellenborough (der beiläufig gesagt, die schönste Frau in England besitztSie wurde später von demselben jungen Fürsten, der in diesem Briefe als schneller Reisender angeführt ist, mit gleicher Schnelligkeit nach dem Kontinent entführt. A. d. H. ) erhob sich zuerst, und sagte in der Hauptsache: Man klage die ausscheidenden Minister an, infolge einer gemeinschaftlichen Vereinigung resigniert, und sich dadurch des hohen Unrechts schuldig gemacht zu haben, dem Könige seine konstitutionelle Prärogative: ›ganz nach freier Willkür seine Minister zu erneuern‹, schmälern zu wollen. Zuvörderst müsse er daher verlangen, daß sie, um ihre Ehre zu retten, sich hierüber genügend rechtfertigten. Hier sah ich den großen Wellington in einer fatalen Klemme. Er ist kein Redner, und mußte nun bon gré mal gré sich wie ein Angeklagter vor seinen Richtern verteidigen. Er war sehr agitiert, und dieser Senat seines Landes, obgleich aus lauter Leuten bestehend, die einzeln ihm vielleicht nichts sind, schien wirklich imposanter in seiner Masse für ihn, als weiland Napoleon und alle seine Hunderttausende. Daß so etwas aber nur möglich wird, ist die große Folge weiser Institutionen! Es war bei alle dem rührend, den Heros des Jahrhunderts in einer so untergeordneten Lage zu sehen. Er stotterte viel, unterbrach und verwickelte sich, kam aber doch am Ende, mit Hilfe seiner Partei – die bei jedem Stein des Anstoßes (grade wie bei der Gesandtenrede am Lord Mayors-Tage) durch Beifall und Lärm eine Pause herbeiführte, in der er sich wieder zurechtfinden konnte – endlich so ziemlich damit zu Stande: zu beweisen, daß keine conspiracy obgewaltet habe. Er sagte zuweilen starke Sachen, vielleicht mehr als er wollte, denn er war seines Stoffes nicht Meister, unter andern folgende Worte, die mir sehr auffielen: »Ich bin Soldat und kein Redner. Mir gehen alle Talente ab, in dieser hohen Versammlung eine Rolle zu spielen, ich müßte mehr als toll sein (mad), wenn ich je, wie man mich beschuldigt, dem wahnsinnigen Gedanken Raum hätte geben können, Erster Minister werden zu wollenDiese Äußerung des Herzogs ist seitdem, selbst im Unterhause, öfters zur Sprache gekommen; weniger bekannt aber möchte folgende ganz neuere sein, die ich der liebenswürdigen Dame verdanke, an die sie gerichtet war. Im Monat November dieses Jahres 1830 unterhielt sich der Premier mit der Fürstin C... und der Herzogin von D... über mehreres Charakteristische der englischen und französischen Nation, und ihre gegenseitigen Vorzüge. »Ce qui est beau, en Angleterre«, sagte der Herzog mit vielem Selbstgefühl, »c'est que ni le rang, ni les richesses, ni la faveur sauraient élever un Anglais aux premières places. Le génie seul les obtient, et les conserve chez nous.« Die Damen schlugen die Augen nieder, und 8 Tage darauf war der Herzog von Wellington nicht mehr en place. A. d. H.

Alle ausgeschiedenen Lords, nach der Reihe, machten nun, so gut sie konnten, auch ihre Apologien. Der alte Lord Eldon versuchte es mit dem Weinen, was er bei großen Gelegenheiten immer bei der Hand hat, es wollte aber heute keine rechte Rührung hervorbringen. Dann antwortete der neue Lord und Minister (Lord Goderich, ehemals H. Robinson) für sich und den Premier, der im Hause der Lords nicht erscheinen kann, weil er nur ein commoner ist, als solcher aber dennoch jetzt England regiert, und zu berühmt als Mr. Canning geworden ist, um daß er diesen Namen gegen einen Lords-Titel vertauschen möchte.

Der Anfang der sonst guten Rede des neuen Pairs erregte ein allgemeines Gelächter, denn der langen alten Gewohnheit getreu, redete er die Lords, wie den Sprecher des Unterhauses mit ›Sir‹ statt ›Mylords‹ an. Er war selbst so sehr dadurch decontenanciert, daß er sich vor die Stirne schlug, und eine ganze Weile sprachlos blieb, aber durch viele freundliche »hear, hear«, doch bald wieder seine Fassung gewann.

Lord Holland zeichnete sich, wie gewöhnlich, durch Schärfe und frappante Aufstellungen aus; Lord King durch vieles, zuweilen nicht sehr geschmackvolles Witzeln; Lord Lansdowne durch ruhigen, sachgemäßen, mehr verständigen als glänzenden Vortrag. Lord Grey sprach von allen mit dem meisten äußern Anstande, den die englischen Redner fast ohne Ausnahme entweder zu sehr verschmähen, oder seiner nicht mächtig werden können. Einen ähnlichen Mangel an Anstand bietet das Lokal des Unterhauses dar, das einem schmutzigen Kaffeehause gleicht, und auch das Benehmen vieler Volksrepräsentanten, die mit dem Hut auf dem Kopfe oft auf den Bänken ausgestreckt liegen und sich während der Reden ihrer Kollegen von Allotrien unterhalten, erscheint seltsam. Lokal und Verhandlung im Oberhause sind dagegen sehr schicklich.

Wenn ich von dem Totaleindruck dieser Tage auf mich Rechenschaft geben soll, so muß ich sagen, daß er erhebend und wehmütig zugleich war. Das erste, indem ich mich in die Seele eines Engländers versetzte, das zweite im Gefühl eines Deutschen!

Dieser doppelte Senat des englischen Volks, mit allen menschlichen Schwächen, die mit unterlaufen mögen, ist etwas höchst Großartiges – und indem man sein Walten von Nahem sieht, fängt man an zu verstehen, warum die englische Nation bis jetzt noch die erste auf der Erde ist.


Den 3ten

Aus dem ernsten Parlament folge mir, zur Veränderung, heute ins Theater.

Man führt ein Spektakelstück auf, dessen äußere Ausschmückungen hier täuschender bewerkstelligt werden als irgendwo. Nur die ›scenery‹ zweier Auftritte will ich beschreiben.

Zwischen Felsen, im wilden Gebürge Spaniens, erhebt sich ein maurisches Schloß in weiter Entfernung. Es ist Nacht, aber der Mond scheint hell am blauen Himmel und mischt sein blasses Licht mit den hellerleuchteten Fenstern des Schlosses und der Kapelle. Ein langer sich durch die Berge ziehender Weg wird an mehreren Stellen sichtbar und führt zuletzt, auf hohe Mauerbogen gestützt, bis in den Vordergrund.

Jetzt schleichen vorsichtig Räuber aus den Gebüschen herbei, verbergen sich lauernd an der Straße, und man hört aus ihrem Gespräch, daß sie eben einen Hauptfang zu machen gedenken.

Ihr schöner junger Hauptmann ist erkenntlich durch gebietenden Anstand und sein prächtiges costume, im Geschmack der italienischen Banditi. Nach kurzem Zwischenraum sieht man in der Ferne die Schloßtore sich öffnen, eine Zugbrücke wird heruntergelassen, und eine Staatskutsche mit sechs Maultieren bespannt rollt dem Gebürge zu. Einigemal verliert man sie hinter den Bergen, immer größer kommt sie wieder zum Vorschein (welches durch mechanische Figuren von verschiedener Dimension sehr artig und geschickt bewerkstelligt wird) und gelangt endlich im raschen Trabe auf die Szene, wo sogleich von den versteckten Räubern einige Schüsse fallen, deren einer den Kutscher tötet, worauf die Beraubung des Wagens unter Lärm und Getümmel vor sich geht. Während diesem Tumulte fällt der Vorhang.

Beim Anfang des zweiten Akts erblickt man zwar wieder dieselbe Dekoration, aber sie erweckt ganz verschiedene Empfindungen. Die Lichter im Schloß sind verlöscht, der Mond ist hinter Wolken getreten. In der Dämmerung unterscheidet man nur undeutlich die Kutsche, mit aufgerißnen Türen, auf dem Bocke liegt der getötete Diener hingestreckt, aus einem steinigten Graben sieht man das blasse Haupt eines gefallenen Räubers hervorragen, und an einem Stamme lehnt der sterbende, schöne Hauptmann, dessen fliehende Lebensgeister der Knabe Gilblas vergebens bemüht ist, zurückzuhalten. Dies halb lebende, halb tote Gemälde ist wirklich von ergreifender Wirkung.

Meine heutigen Frühvisiten waren nützlich, denn sie verschafften mir 3 neue billets für die nächsten Almacks, und ich bewog sogar eine der gefürchteten, strengen Patronesses, mir ein billet für eine kleine obskure Miss meiner Bekanntschaft zu geben, eine große faveur! Ich mußte aber lange intriguieren und viel bitten, ehe ich es errang. Die Miss und ihre Gesellschaft küßten mir beinahe die Hände, und benahmen sich, als wenn sie sämtlich das große Los gewonnen hätten. Je crois qu'après cela, il y a peu de choses qu'elle me refuserait.

Außer Almacks ist den englischen Damen am besten durch die Politik beizukommen. Diese letzte Zeit hörte man, weder bei Tisch noch in der Oper, ja selbst auf dem Ball nie etwas anders als von Canning und Wellington aus jedem schönen Munde, ja, Lord E... beklagte sich sogar, daß seine Frau selbst in der Nacht ihn damit behellige. Plötzlich im Schlafe habe sie ihn durch ihren Ausruf aufgeschreckt: »Wird der Premier stehen oder fallen?«

Wenn ich mich daher hier in nichts anderen vervollkommne, so geschieht es wenigstens in der Politik und auch im Cabrioletfahren, denn das letztere lernt man hier perfekt, und windet sich im schnellen Lauf durch Wagen und Karren, wo man früher minutenlang angehalten haben würde. Überhaupt wird man nach einem langen Aufenthalt in solcher Weltstadt in allen Dingen wirklich etwas weniger kleinlich. Man sieht die Dinge breiter und mehr en bloc an.


Den 10ten

Das ewige Einerlei der season geht noch immer so fort. Eine Soirée bei Lady Cooper, einer der sanftesten Lady Patronesses, eine andere bei Lady Jersey, einer der schönsten und ausgezeichnetsten Frauen Englands, vorher aber noch ein indisches Melodram, füllte den heutigen Abend recht angenehm. Das Melodram spielte auf einer Insel, deren Einwohner mit dem herrlichen Geschenk des Fliegens begabt waren. Die hübschesten Mädchen kamen, wie Kranichschwärme, in Masse angesegelt, und ließen nur, wenn man ihnen recht eindringlich die Cour machte, die Flügel sinken, aber zu viel durfte man auch nicht wagen, – ein Nu – und die graziösen bunten Falter breiteten sich schnell aus, und weg waren sie, ohne daß man sogar die dünnen Seile sehen konnte, an denen sie heraufgezogen wurden.

Auf einem dinner und der darauf folgenden Soirée beim Fürsten Polignac waren mehrere interessante Personen zugegen, unter andern der Gouverneur von Odessa, einer der liebenswürdigsten Russen, die ich kenne, und Sir Thomas Lawrence, der berühmte Maler, von dem man sagt, daß er alle die ungeheuren Summen, welche ihm seine Kunst einbringt, regelmäßig im Billardspiel verliert, weil er sich irrig darin ein Meister zu sein einbildet. Es ist ein Mann von interessantem Äußern, mit etwas Mittelaltrigem in seinen Zügen, was auffallend an Bilder aus der venetianischen Schule erinnert.

Noch mehr zogen mich indes die portugiesischen Augen der Marquise P... an, denn portugiesische und spanische Augen übertreffen alle andern.

Die nièce des Fürsten Polignac erzählte mir, daß ihr Onkel, der bei einem noch ganz jugendlichen und angenehmen Aussehen doch einen ganz weißen Kopf hat, diesen in den französischen Revolutions-Gefängnissen, noch nicht 25 Jahre alt, in wenigen Wochen vor Kummer und Angst ergrauen gesehen hätte. Er mag den jetzigen Kontrast mit damals gar wohltätig finden, aber die Haare kann ihm leider die Restauration doch nicht wieder schwarz machen!Wie wenig mochte mein verstorbener Freund damals vermuten, daß dieser schlecht organisierte Kopf noch solches Unheil über die Welt zu bringen bestimmt war! Auch aus ihm wird zwar, wie aus allem Übel einmal Gutes hervorgehen, aber schwerlich werden wir diese Früchte ernten. A. d. H. Mich interessierte dieser Gegenstand, besonders deshalb, gute Julie, weil die meinigen leider auch, mit zu viel Patriotismus, hie und da unsre Nationalfarben, schwarz und weiß, anzunehmen anfangen.

Übrigens ist die hiesige season, wenn man, als lernbegieriger Fremder, alle Gradationen der hausmachenden Welt sehen will, kaum auszuhalten. Mehr wie 40 Einladungen liegen auf meinem Tische, fünf bis sechs zu einem Tage. Alle diese Gastgeber wollen nachher früh Visiten haben, und um höflich zu sein, muß man sie in Person machen. C'est la mer à boire, und dennoch sehe ich abends beim Vorbeifahren immer noch vor vielen Dutzenden mir unbekannter Häuser ebenfalls dichte Wagenburgen stehen, durch die man sich mühsam durchdrängen muß.

Ein Ball, dem ich neulich beiwohnte, war besonders prachtvoll, auch einige königliche Prinzen zugegen, und wenn dies der Fall ist, hat die Eitelkeit der Wirte die Mode eingeführt, dies immer schon auf den Einladungskarten anzuzeigen.

»To meet His Royal Highness« etc. ist die lächerliche Phrase. Der ganze Garten des Hauses war überbaut und zu großen Sälen umgeschaffen, die man in weißen und rosa mousseline drapiert, mit enormen Spiegeln und 50 Kronleuchtern von Bronze ausgeschmückt, und durch die Blumen aller Zonen parfümiert hatte. Die Herzogin von Clarence beehrte das Fest mit ihrer Gegenwart, und alles drängte sich, sie zu sehen, denn sie ist eine jener seltnen Prinzessinnen, deren Persönlichkeit weit mehr Ehrfurcht als ihr Rang gebietet, und deren unendliche Güte und im höchsten Grade liebenswerter Charakter ihr eine Popularität in England gegeben haben, auf die wir Deutsche stolz sein können, um so mehr, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach einst die Königin jenes Landes zu werden bestimmt ist.

Die Person, welche diesen glänzenden Ball gab, war demohngeachtet nichts weniger als modisch, eine Eigenschaft, die hier den seltsamsten Nuancen unterworfen ist. Indes raffiniert jeder, modisch oder nicht, wie er es dem andern bei seinen Festen zuvortun möge.

Die Gräfin L... gab den Tag nach dem erwähnten Ball einen andern, wo ich, gewiß tausend Schritt vom Hause schon, aussteigen mußte, da vor der Menge von Wagen gar nicht mehr heranzukommen war, und bereits verschiedene Equipagen, die sich gewaltsam Bahn brechen wollten, unter schrecklichem Fluchen der Kutscher unauflöslich zusammenhingen. Bei diesem Ball waren die Treibhäuser mit Moos aus verschiedenen Farben tapeziert, und der Boden mit abgehauenem Grase dicht belegt, aus dem hie und da Blumen frei hervorzuwachsen schienen, die vom Stiel aus erleuchtet waren, was ihre Farbenpracht verdoppelte. Die Gänge aber wurden durch bunte Lampen, die gleich Edelsteinen im Grase funkelten, markiert. Ebenso hatte man solche bunte Arabesken im Moose der Wände angebracht. Im Hintergrunde schloß eine schöne transparente Landschaft, mit Mondschein und Wasser die Aussicht.


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