Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Dreiundzwanzigster Brief

London, den 24. März 1828

Geliebte Freundin!

Zu den aristokratischesten Abendgesellschaften gehören die concerts eines der liberalsten Mitglieder der Opposition, des Lord L..., eine Anomalie, die man hier oft findet, wo ein gewisser allgemeiner Liberalismus mit dem einseitigsten Adelstolz und Dünkel Hand in Hand geht, und der stolzeste Mann in seinem Hause im öffentlichen Leben den Ruf des populärsten besitzt.

Recht amüsante Feste gibt auch eine Herzogin, welche es seit so kurzem ist, daß sie von den exclusives noch zu den Plebejern gerechnet wird. Ein solches besuchte ich heute, wo zu gleicher Zeit im obern Stock ein vortreffliches concert, im zweiten ein Ball stattfand, während im untern fortwährend gespeist wurde. Bei dem vorangehenden dinner servierten, nach dem Beispiel eines andern fashionablen Herzogs, die Bedienten in weißen Glacé-Handschuhen, was mir das Fest verleidete, da ich mich von dem Gedanken an Lazarett und Kr... dabei nicht los machen konnte.

Reichhaltiger in geistiger Hinsicht war meine gestrige Mittagsmahlzeit beim Herzog von Somerset, einem sehr vielseitig gebildeten Manne. Über Tisch erzählte der bekannte Parlamentsredner H... seltsame Dinge. Unter andern versicherte er, kürzlich Mitglied einer Kommission der Regierung gewesen zu sein, um die Einverständnisse der Polizei mit den Verbrechern, über die man so viel geklagt, zu ergründen. Dabei sei denn herausgekommen, daß in London eine Gesellschaft, völlig wie eine Behörde organisiert, mit bureau-clerks etc. existiere, welche Diebstähle und Falschmünzerei im großen dirigiere, die Ertappten unterstütze, sowohl zu Angriff als Verteidigung mächtige Hilfe gewähre, dafür aber auch ihren bestimmten Anteil erhielte. An der Spitze stünden nicht nur mehrere angesehene Leute und Parlamentsglieder, sondern sogar ein wohlbekannter Lord und Pair im Oberhause! Die Beweise wären derart, daß man durchaus nicht daran zweifeln könne; das Ministerium sei aber bis jetzt der Meinung, um den entsetzlichen Skandal zu vermeiden, die Sache lieber fallen zu lassen. Man sieht, daß in den freien Ländern doch auch Dinge vorgehen, von denen man sich bei uns nichts träumen läßt!

Ein Naturforscher teilte uns nachher eine Vorlesung über die Kröten mit, welche mir, jedes in seiner Sphäre, ebenso seltsam als das vorhergehende vorkam. Bei einem wissenschaftlichen Artikel, wie diesem, mußt Du einige freie Ausdrücke nicht zu genau nehmen. Er sagte also, daß die Kröten die wollüstigsten aller Geschöpfe seien, wozu ihnen auch die Natur besonderen Vorschub geleistet, indem sie ihnen die Fakultät erteilt, sich bloß durch die Vorderfüße fortzupflanzen. Fänden die männlichen Kröten zufällig keine weiblichen, so setzten sie sich in den Teichen auf Karpfen, fixierten ihre Hände auf die Augen derselben, und blieben oft so lange darauf hängen, daß die Fische davon blind würden, ein Experiment, welches der Naturkundige selbst beobachtet haben wollte, und es witzelnd ›blinde Liebe‹ nannte.


Den 27sten

Ich komme eben vom lever zurück, das diesmal sehr zahlreich war. Der König mußte wegen seines Podagras sitzen, sah aber sonst sehr wohl aus. Herzog Wellington dankte für die Erhebung zur Stelle des Premierministers, indem er auf beide Knie vor dem König niederfiel, statt daß man sonst nur eins zur Erde zu bringen pflegt. Er verdoppelte wahrscheinlich die Dankbarkeit wegen seiner doppelten Eigenschaft als erster Minister und früherer General en chef, wie ihn auch die Karikaturen darstellen, nämlich die linke Hälfte seines Körpers als Hofmann bekleidet, die rechte als Feldmarschall, aber mit beiden Augen lachend. Da, außer den großen entrées, beinahe jedermann zu den levers zugelassen wird, sowohl Herren als Damen, wenn sie nur im vorgeschriebenem costume erscheinen, so gibt es für den Liebhaber von Karikaturen keine bessere Ausbeute in England, weil eben die ungewohnte Kleidung und der ebenso ungewohnte königliche Glanz die nationelle Verlegenheit und Unbeholfenheit auf das burleskeste steigern. Unsre liebenswürdigen und routinierten Hofdamen würden oft dabei ihren eigenen Augen zum erstenmal mißtrauen.

Sobald ich mich umgezogen, ritt ich im schönsten Frühlingswetter im immer einsamen Regent's Park spazieren, wo hundert Mandelbäume blühen, und besah mir die dort angelegte neue Menagerie, welche ein sehr nachahmungswertes Muster für dergleichen abgibt. Es ist nichts Überladenes darin, und dabei eine Reinlichkeit, die man gewiß nur in England so zu realisieren imstande ist. Ich sah hier ein seltenes und zugleich eins der schönsten Tiere, die es gibt, die Tigerkatze, ein wahres Prachtexemplar von Eleganz unter den Quadrupeden.

Beim Marquis Thomond, einem irländischen Pair, erwartete mich darauf ein großes dinner, bei welchem ich die Bekanntschaft des allerentschiedensten Torys in England des Herzogs von N... machte. Ich muß gestehen, er sah nicht wie ein Genie aus, und die ganze Gesellschaft war so steif englisch, daß ich mich herzlich freute, neben der Prinzessin P... zu sitzen, deren gutmütiges Ultra-Geplauder mir heute so angenehm vorkam, als wäre es das geistreichste gewesen.

Den Abend schloß ich auf einem Ball beim Marschall Beresford, zu Ehren der Marquise von Luley, Schwester Don Miguels, die sich aber nicht wenig zu ennuyieren schien, da sie nur portugiesisch spricht, und daher außer dem Wirt nicht mit vielen reden konnte.

Der Marschall selbst ist ein interessanter, imposant aussehender Krieger, gegen den der Parteigeist sich sehr ungerecht äußert. Er ist bei sehr einnehmenden Manieren zugleich ein Mann von durchgreifendem Charakter, wie ihn manche Regierungen noch außer Portugal brauchen könnten, stark wie ein Löwe und klug wie die Schlangen. Er hält Don Miguels Recht auf die portugiesische Krone für besser begründet als das seines Bruders, und beweist in der Tat, daß man bei der Beurteilung der Personen in jenem Lande einen ganz andern Maßstab als den unsrigen anlegen muß, wenn man billig sein will. So äußerte er unter andern, die Erziehung Don Miguels sei absichtlich so vernachlässigt worden, daß er im dreiundzwanzigsten Jahre noch nicht habe schreiben können, zu viel dürfe man also von einem solchen Prinzen nicht erwarten, demungeachtet sei er durch viele glänzende persönliche Eigenschaften ausgezeichnet, und den Zeitungen dürfe man nicht alles auf's Wort glauben. Dieses letztere wenigstens darf niemand bezweifeln.


Den 7ten April

Es erschien mir wie eine wahre Wohltat, heute einmal sans gêne auf dem Lande zu essen, in H... Lodge, dem allerliebsten Local der Herzogin von St. A... Vor dem Hause, das am Abhange eines Berges steht, blühte im hellgrünen Rasen ein prächtiger Stern von Krokus und frühen Tulpen, zierlich rund um eine Marmor-Fontaine gezogen, und über die Bäume im Talgrunde hin, dämmerte die Riesenstadt wie eine fata morgana des neuen Jerusalem im Nebelflor. Das Mahl war wie immer vortrefflich, und nach Tisch ergötzte uns noch Gesang und concert im reichsten Gewächshause voller Blumen und Früchte. Ich saß während dem Essen bei einer direkten Urenkelin Karl II., einer Verwandtin des Herzogs, denn das erste halbe Dutzend englischer Herzöge im Rang, stammen größtenteils von den Maitressen Karls II. ab, und führen deshalb das königliche Wappen mit in dem ihrigen, worauf sie sehr stolz sind.

Es ist noch recht kalt, aber Blätter und Blüten dringen doch überall gewaltsam hervor, ein Anblick, der mich zu Hause entzücken würde, hier aber mir Herzweh verursacht, das manchmal kaum zu bezwingen ist. Demungeachtet mag ich mich nicht auf den alten, goldnen Dornensitz wieder niederlassen, und will mir lieber einen glatten und bequemen Alltagsschemel irgendwo anders in der Freiheit aussuchen.


R... Park, den 9ten

Seit gestern bin ich hier mit großer Gesellschaft bei einer sehr fashionablen Dame. Das Haus ist so geschmackvoll und reich als möglich, aber zu vornehm schon, und zu prätentiös, um wahrhaft angenehm zu sein, wenigstens für mich. Überdies ist ein gewisser L... da, ein Patentwitzbold, von dem die sehr debonnaire Gesellschaft jedes Wort bewundern zu müssen glaubt, und nur aus Furcht vor seiner bösen Zunge ihm Anhänglichkeit heuchelt. Solche geistigen bretteurs sind mir in den Tod zuwider, besonders wenn sie, wie dieser, mit einem widrigen Äußern nur Galle und Schärfe, ohne alle Grazie, besitzen. Sie erscheinen in der menschlichen Gesellschaft gleich giftigen Insekten, denen man aus erbärmlicher Schwäche hilft, sich mit andrer Blut zu nähren, nur damit sie einem das eigne nicht abzapfen.

Lieblicher als die Menschen sprachen mich die toten Gegenstände an, besonders eine freundliche hier herrschende Sitte, alle Zimmer mit einer Menge Vasen und Behältern aller Art voll frischer Blumen zu parfümieren. Unter den Gemälden bewunderte ich einen Murillo, ›Joseph‹ darstellend, welcher den kleinen Jesusknaben führt. In dem schönen Kinde liegt die künftige Größe und die göttliche Natur des Erlösers noch schlummernd halb verborgen, was sich besonders in dem ahnend aufblickenden Auge wundervoll ausspricht. Joseph erscheint als ein schlichter Mann in der vollen Kraft des mittlern Alters, mehr Würde des Charakters als des Standes verratend. Wild und originell ist die Landschaft, oben aus dunkeln Wolken lauschen liebreizende Engelsköpfe hervor. Dies Gemälde hat der Besitzer, wie er mir sagte, mit 2500 L. St. bezahlt.

Im Garten gefiel mir ein Gewächshaus für Palmen, so leicht und durchsichtig, fast ganz aus Glas bestehend, daß es einem Eispalaste glich. Häßlich finde ich dagegen eine sehr überhandnehmende Liebhaberei für alte verkrüppelte Baumstämme, die man so vielfach im geschornen Rasen eingräbt, und teils mit Clematis beranken läßt, teils mit verborgnen Blumentöpfen bestellt. Ganze Ruinen dieser Art werden gebildet, welches nebst manchem andern den sinkenden guten Geschmack für Gärten in England verrät.

Für mich ist das Leben auf dem Lande hier in gewisser Hinsicht zu gesellig. Wer z. B. lesen will, geht in die Bibliothek, wo er selten allein ist, und wer Briefe zu besorgen hat, schreibt sie an einem allgemeinen großen Sekretär ebenso öffentlich, worauf sie in ein durchbrochenes Kästchen gesteckt werden, das ein Bedienter jeden Morgen zur Post trägt. Daß man alles dies allein und auf seiner Stube tut, ist eben nicht üblich, befremdet daher, und wird nicht recht gern gesehen. So frühstückte auch mancher Fremde wohl lieber auf seiner Stube, wozu aber nicht zu gelangen ist, wenn man sich nicht durch Krankheit entschuldigen kann.

Bei aller Freiheit und Abwesenheit von unnützen Komplimenten, existiert daher doch für einen an unsere Sitten Gewöhnten hier auf die Länge ein bedeutender Zwang, den das fortwährende Sprechen in einer fremden Sprache noch mehr empfinden läßt.


London, den 12ten

Mit einem aufziehenden Frühlingsgewitter verließ ich diesen Morgen R... Park, atmete unterwegs mit Wonne die duftige Frühlingsluft und schaute mit Entzücken auf das glänzende Grün und die schwellenden Knospen, ein Anblick, dessen man nie überdrüssig wird. Das Frühjahr entschädigt die nördlichen Gegenden für alle Unannehmlichkeiten ihrer Winter, denn dieses Aufwachen der jungen Natur ist im Süden doch mit weit geringerer Koketterie von ihrer Seite begleitet.

Ich war zum Mittag wieder bei der Herzogin von St. A... auf ihrem Landhause versagt, wo mich eine angenehme Überraschung erwartete. Man plazierte mich, der zu spät kam, zwischen der Wirtin und einem langen, sehr einfach aber liebevoll und freundlich aussehenden, schon bejahrten Manne, der im breiten schottischen, nichts weniger als angenehmen Dialekte sprach, und mir außerdem wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn mir nicht nach einigen Minuten bekannt geworden – daß ich neben dem berühmten – Unbekannten säße. Es dauerte nicht lange, so kam mancher scharfe, trockene Witz aus seinem Munde, und mehrere höchst anspruchslos erzählte Anekdoten, die, ohne eben brillant zu erscheinen, doch immer frappierten. Seine Augen glänzten dabei, sobald er sich irgend animierte, so licht und freundlich, und es war so viel treuherzige Güte und Natürlichkeit darin ausgedrückt, daß man ihn lieb gewinnen mußte. Gegen Ende der Tafel gab er und Sir Francis Burdett wechselsweise Geisterhistorien zum besten, halb schauerlich halb launig, welches mich encouragierte, auch Deine berühmte Schlüsselgeschichte zu erzählen, im dénouement noch ein wenig embelliert. Sie machte recht viel Glück, und es wäre spaßhaft genug, wenn Du sie im nächsten Romane des fruchtbaren Schotten wiederfändest.

Er rezitierte nachher noch eine originelle alte Inschrift, die er vor kurzem erst auf dem Kirchhofe von Melrose Abbey aufgefunden hatte. Sie lautete folgendermaßen:

The earth goes on the earth, glittering in gold,
The earth goes to the earth, sooner than it would,
The earth builds on the earth castles and towers,
The earth says to the earth: all this is ours.

In der Übersetzung ungefähr so:

Erd' geht auf Erde, glänzend in Gold,
Erd' geht zur Erde, früher denn wollt',
Erd' baut auf Erde Schlösser von Stein,
Erd' sagt zur Erde: Alles ist mein!

Wohl wahr! – denn Erde waren, sind und werden wir, und der Erde allein gehören wir vielleicht an.

Ein kleines concert beschloß den Abend, an dem auch die recht hübsche Tochter des großen Barden, eine kräftige, hochländische Schönheit, teilnahm und Miss Steevens nichts als schottische Balladen sang. Erst tief in der Nacht erreichte ich London, mein Erinnerungsbuch mit einem äußerst ähnlichen croquis von Sir W. Scott bereichert, welches ich der Güte meiner Wirtin verdanke. Da alle mir bekannten Kupferstiche desselben durchaus nicht ähnlich sind, so werde ich eine genaue Kopie diesem Briefe beilegen.


Den 27sten

Der trouble dieser Tage war sehr einförmig, nur ein dinner beim spanischen Gesandten bietet mir eine angenehme Erinnerung, wo eine feurige und schöne Spanierin nach Tisch Boleros auf eine Art sang, die einen ganz neuen Musiksinn in mir erweckte. Wenn ich darnach, und einem Fandango, urteile, den ich einmal tanzen sah, muß die spanische Gesellschaft etwas sehr verschiedenes von der unsrigen, und bei weitem pikanter sein.

Gestern war ich eingeladen to meet the ›Dukes of Clarence and Sussex‹, schlug es aber aus, to meet Mademoiselle H... bei unserm Freunde B..., die ich noch nicht gesehen, und der groß und klein hier zu Füßen liegt.

Sie ist in der Tat allerliebst, ein reizendes Geschöpf, und sehr verführerisch für alle, die entweder noch neu der Welt sind, oder an nichts als ihr Vergnügen zu denken haben. Es ist nicht möglich, eine harmlosere und doch ihr Ziel besser treffende, sozusagen angebornere Koketterie zu sehen, so kindlich, so lieblich – et cependant, le diable n'y perd rien.

Auch mir schien sie bald die schwachen Seiten abzumerken, und unterhielt mich ohne die mindeste scheinbare Absichtlichkeit, doch nur von dem, was passend und angenehm zu hören für mich sein konnte. Die vaterländischen Töne fielen dazu aus so hübschem Munde wie Perlen und Diamanten in den Fluß der Rede hinein, und die allerschönsten blauen Augen beschienen sie, wie eine Frühlingssonne hinter leichten Wolkenschleiern.

»Morgen spielt Kean ›Richard III.‹«, sagte sie endlich flüchtig, »der Herzog v. D... hat mir seine Loge abgetreten, wollen Sie mich vielleicht dahin begleiten?«

Daß eine solche Einladung jeder andern vorging, versteht sich von selbst.


Den 28sten

Nie habe ich noch weniger von einer Vorstellung gesehen und gehört, als von der heutigen, und doch muß ich gestehen, hat mir keine kürzer geschienen. Ja, ungeachtet der Gegenwart einer Gouvernante und eines Besuchs des Hrn. Kemble im Zwischenakt, fand kaum eine Pause in unserer Unterhaltung statt, der so viele Reminiszenzen aus der Heimat immer neues Interesse gaben.

Auch dauerte meinerseits das angenehme excitement ohne Zweifel noch auf dem nachherigen Balle bei der fashionablen Lady Tankarville fort, denn ich fühlte mich weit weniger von der hölzernen Fete ennuyiert, als gewöhnlich. Verzeih', wenn ich Dir heute nur diese wenigen Worte schreibe, denn eben geht Helios auf, und ich zu Bette.


Den 30sten

Alles ist hier in kolossalen Verhältnissen, selbst mein Schneider, dessen Werkstatt einer Manufaktur gleicht. Man kommt hin und fragt, umgeben von hundert Ballen Tuch und Zeug, und ebensoviel Arbeitern, nach dem Schicksal eines bestellten Fracks. Ein Sekretär erscheint mit großer Förmlichkeit, und fragt verbindlich nach dem Tage der Bestellung. Sobald man ihn angegeben, werden auf einen Wink des Geschäftsmannes zwei Folianten herbeigebracht, in denen er eine kurze Zeit studiert. »Mein Herr«, ist endlich die Antwort, »morgen um 11 Uhr 20 Minuten wird Ihr Frack soweit fertig sein, um ihn im Ankleidezimmer anprobieren zu können.« Dieser Zimmer sind mehrere, mit großen Wandspiegeln und psychés dekoriert, fortwährend mit Anprobierenden besetzt, wo der Schneider-Millionär selbst zehnmal ändert, ohne je Verdrießlichkeit darüber zu äußern.

Nachdem dem Frack sein Recht angetan worden ist, setze ich meine Promenade fort, und komme an einen Fleischerladen, wo nicht nur das rohe Fleisch die schönsten Guirlanden, Pyramiden und andere phantasiereiche Formen bildet, und zierliche Eisbehälter überall liebliche Kühle verbreiten, sondern auch noch hinter jedem Schinken ein Komödienzettel hängt, und auf den spiegelglatten Tischen die beliebtesten Zeitungen liegen.

Mit ihm wetteifert einige Häuser weiter der Händler mit Seeungeheuern, der, wie ›König Fisch‹ im Märchen, zwischen Marmor und Springbrunnen sitzt, es aber doch schwerlich so weit bringen wird als sein berühmter Kollege Crockford, der noch bessere als gewöhnliche Fische zu angeln verstanden hat. Es ist dies ein genialer Mann, der sich von einem armen Fischer zur Geißel und zugleich zum Liebling der vornehmen und reichen Welt hinaufgeschwungen hat. Er ist ein Spieler, der Millionen gewonnen, und damit jetzt einen Spielpalast in der Art des Salons in Paris, aber mit einer asiatischen Pracht erbaut hat, die selbst die königliche fast hinter sich läßt. Alles ist in dem jetzt wieder herrschenden Geschmack der Zeit Ludwig XIV., verziert mit jenen geschmacklosen Schnörkeln, Übermaß von Vergoldung, gehäufter Mischung von Stukkatur und Malerei u. s. w., eine Wendung der Mode, die sehr konsequent ist, da der englische Adel wirklich immer mehr jenem aus Ludwig XIV. Zeit zu gleichen anfängt.

Crockfords Koch ist der berühmte Ude, praktisch und theoretisch der Erste in Europa; Bewirtung und Bedienung in höchster Vollkommenheit, dabei un jeu d'enfer, wo schon oft 20 000 L. St. und mehr in einem Abend von diesem und jenem verspielt wurden. Die Gesellschaft formiert einen Club, der Eintritt ist sehr schwer zu erlangen, und obgleich Hazardspiel kriminell in England ist, sind dennoch die meisten der Minister Mitglieder, und der Premier, Herzog von Wellington, einer der Direktoren dieses Spiel-Clubs!


Den 2ten Mai

Gestern wurde der erste Tag des Wonnemonats von der Herzogin von St. A... durch eine sehr angenehme ländliche Fete auf ihrer schönen Villa gefeiert.

In der Mitte des bowling-green war die Maistange mit vielen Bändern und Blumen-Guirlanden aufgerichtet und buntgeschmückte Landleute im altenglischen costume tanzten darum her. Die Gesellschaft erging sich in Haus und Garten nach Belieben. Manche schossen mit Bogen und Pfeilen, andere tanzten unter Zelten, oder spielten allerlei Spiele, schaukelten und drehten sich, oder munkelten im Dunkeln in dichten Bosketts, bis einige Trompetenstöße um 5 Uhr ein prachtvolles Frühstück verkündeten, bei dem alle Delikatessen und Kostbarkeiten, die der Luxus aufbieten kann, im reichsten Überfluß vorhanden waren.

Viele Diener hatte man als Gärtner in ein fancy-costume gekleidet und an allen Büschen frische Blumenguirlanden aufgehangen, die einen unbeschreiblich reichen Effekt machten. Dabei war es ein so wunderbar schöner Tag, daß ich zum erstenmal in der Ferne London ganz klar von Nebeln, und nur ein wenig durch Rauch verdüstert, gänzlich zu übersehen imstande war.

Mit einbrechender Dunkelheit wiederholte sich der Effekt der Blumenguirlanden, nun durch bunte Lampen, zweckmäßig auf allen Bäumen verteilt, oder im Dickicht der Büsche halb verborgen. Es war schon Mitternacht vorbei, als das Frühstück sich endete.

Alles das war sehr reizend, aber doch sind es nur tote Gegenstände, und ich gestehe, daß in meinen Augen eine kleine Rose am Busen der lieblichen H..., die ich ihr heute früh gegeben, und im concert in D... House als einzigen Schmuck auf ihrem schwarzen Kleide erblickte, alle Guirlanden und Illuminationen des vorigen Tages weit überstrahlte. Das concert endigte diesmal mit einem Ball, und auch hier glänzte die deutsche Walzerin über alle ihre Rivalinnen, immer so anspruchslos, als bemerke sie keine ihrer Eroberungen. Nie gab es noch einen Schalk, der sich kindlicher anzustellen verstand, und gewiß ist eine so liebliche Koketterie der größte Reiz, wenn auch nicht das größte Verdienst der Frauen.


Den 3ten

Es geht mir wie den Vögeln, die im Mai immer am liebendsten gestimmt sind, und zu verdenken ist es mir daher nicht, wenn ich in dieser Jahreszeit der flötenden ›Nachtigall‹ nur mit klopfendem Herzen zuhören kann.

»Nun habe ich nur noch einen Tag«, sagte sie gestern am Sonnabend, »nach welchem ich wohl länger als einen Monat nicht mehr frei sein werde, und der ist morgen, in jeder Hinsicht mein Tag, wo ich noch einmal meinem Wunsche nach leben kann, dann bleibe ich auf lange, lange Zeit eine arme Sklavin!«

Ich schlug ihr schüchtern vor, an diesem Tage auf dem Lande mit mir zu essen, früh dorthin zusammen zu reiten, wozu ich mein Pferd als einen ›Phönix von Sanftmut‹ rekommandierte; abends aber, um sie nicht zu sehr zu ermüden, zurück zu fahren, was sie nach vielen Bitten endlich genehmigte.

O Natur, ländliche FreudenAuf diese paßte wahrscheinlich nicht, was ich einen liebenswürdigen Prinzen, dem die Ironie nicht fremd ist, einmal so ergötzlich zu seinen Hofleuten sagen hörte: ›Nur mit einem verschont mich, mit euern ländlichen, schändlichen Vergnügungen und mit Euern häuslichen. scheußlichen Freuden!‹ A. d. H. , wie schön seid ihr, wie doppelt genießt man euch in solcher Gesellschaft! Wir sollten die Sternwarte in Greenwich besehen, es blieb aber bei den zwei blauen Sternen in der Nähe, die hunderttausendmal magnetischer funkelten, als alle Welten der Milchstraße, und ich dankte innerlich von Herzen dem lieben Gott, daß wir gar nicht nötig haben, mit Doktor Nürnberger nach dem Sirius und Jupiter zu reisen, um in Ekstase zu geraten, und gegen die Venus am Himmel sehr gleichgültig bleiben können, wenn wir viele Stunden lang uns in dem ungestörten Anschauen einer irdischen verlieren dürfen.

Wir mußten, der bösen Welt und einer unbequemen Ankunft wegen, die Sache etwas geheim betreiben. Die Pferde waren vorausgeschickt, ich ritt auf einem Klepper nach, und H... fuhr mit der guten Gouvernante in einem Mietwagen nach dem Orte des rendez-vous.

Der gelbe Wagen ließ lange auf sich warten, und ich ängstete mich nicht wenig, daß etwas dazwischengekommen sein möchte: Es war auch so, aber ehrlich hielt das liebe Mädchen ihr gegebenes Wort. Endlich sah ich den alten Kasten langsam auf uns zukommen, sprengte heran, hob die Liebliche auf ihren Zelter, und dahin flogen wir (denn sie reitet kühn wie ein Mann) in die duftende Mailuft hinaus, wie ein paar lustige Vöglein flatternd und kosend. Bis es dunkel ward, wurde geritten, umhergewandert, und dies und jenes besehen. Beim Schein der Lichter und Sterne zugleich aßen wir bei offnen Fenstern in dem Dir schon bekannten heimlichen Stübchen über dem Fluß, und erst um 11 Uhr in der Nacht nahm uns der Wagen wieder auf zur Heimfahrt.

Wahr ist es, der Himmel schuf dieses Wesen aus ganz besonderem Stoff! Welche Mannigfaltigkeit und welche Grazie in jeder wechselnden Nuance! Scheu oder zutraulich, bös oder gut gestimmt, boudierend, hingebend, gleichgültig, sanft, spottend, gemessen oder wild – immer ergreift sie, wie Schiller sagt, die Seele mit Himmelsgewalt! Und welche Selbstbeherrschung bei der höchsten Milde, welch festes kleines Köpfchen, wenn sie will, wie viel Herzensgüte, und dabei doch wie viel kecke Schlauheit!

Sie ist geschaffen, den Männern zu gefallen, und auch alle Weiber lieben sie. Gewiß eine glückliche, eine eigentümliche Natur.

Aber, gute Julie, es ist Zeit, daß ich ende, nicht wahr? Du möchtest zuletzt gar denken, ich sei närrisch oder verliebt, oder beides zugleich. En vérité, pour cette fois-ci je n'en répondrai pas.


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