Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsunddreißigster Brief

Macroom, den 5ten Oktober 1828

Geliebte Teure!

Das Scheiden ward mir schwer – Du jedoch, die mich ganz wo anders hinwünschest, wirst gewiß sagen, daß ich schon viel zu lange geblieben – und so riß ich mich denn los, von den guten Leuten, und ihrem romantischen Wohnsitz. Es war grade Sonntag, und die alte Dame konnte sich nicht enthalten, ohngeachtet ihrer sichtlichen Herzlichkeit für mich, strafend auszurufen: »Aber wie ist es möglich, daß ein guter Mensch, wie Sie, an einem Sonntag eine Reise antreten kann!« Du weißt, daß die englischen Protestanten schon von Jakob des I. Zeiten an, wo diese Vergötterung des Sonntags anfing, und bald wütende Parteisache wurde, jetzt fast allgemein diesen Tag zu einem wahren Totentage gestempelt haben, an dem Tanz, Musik und Gesang verpönt sind, so daß ganz Fromme selbst die Kanarienvögel verhängen, damit ihnen kein Singlaut in der heiligen Zeit entfahre. Auch darf kein Brot gebacken und kein nützliches Geschäft überhaupt verrichtet werden, – wohl aber mögen Trinken und andere Laster noch üppiger als an Wochentagen blühen, denn niemals liegen die Straßen mehr voller Betrunkenen als am Sonntag, und niemals sind, den Polizeiaussagen nach, gewisse Häuser voller mit Besuchern angefüllt. Viele Engländer halten das Tanzen am Sonntag unbedingt für eine größere Sünde, als bloß etwas zu stehlen oder dergleichen, und ich las sogar in einer Geschichte von Whitby gedruckt, daß die dortige einst reiche Abtei habe untergehen müssen, weil die Mönche nicht nur jedes Laster, Mord und Notzucht nicht ausgenommen, sich erlaubt, sondern ihr verbrecherischer Abt, selbst am heiligen Sonntage habe arbeiten, und den Bau des Klosters fortsetzen lassen.

Von diesem Wahne war denn auch die gute Mistress W... angesteckt, und es ward mir ziemlich schwer, die begangene Sünde mit der dringendsten Notwendigkeit zu entschuldigen. Um sie jedoch völlig zu besänftigen, fuhr ich vorher noch mit der ganzen Familie, auf der Bay, zur Kirche nach B..., welche nicht sehr außer meinem Wege lag. Ich erzählte ihnen bei dieser Gelegenheit die seltsame Vision eines der Söhne meines früheren gütigen Wirtes, des Capitain B..., der dadurch zum Übergang zu der katholischen Kirche vermocht wurde. Er war, wie er mir selbst sagte, ein ebenso eifriger Protestant, als Orangeman, und ging eines Tags, in Dublin, in die katholische Kirche, mehr um sich über die dort stattfindenden Zeremonien lustig zu machen, als aus einem andern Grunde. Dennoch rührte ihn wider Willen die schöne Musik, und als er jetzt den Blick auf den Hochaltar zurückwarf, siehe – da stand der Erlöser selbst leibhaftig vor ihm, mit Engelsmilde das Auge fest auf ihn gerichtet, lächelte ihn freundlich an, winkte mit der Hand, und schwebte dann langsam, ihn fortwährend fest anblickend, zur Kuppel empor, bis er dort, von Engeln getragen, verschwand. Von diesem Augenblick an war B... überzeugt, ein besonderer Liebling Gottes zu sein, und wenige Tage darauf trat er zu einer andern allein seligmachenden Kirche über (denn die orthodoxe englisch-protestantische glaubt dieses Privilegium auch zu besitzen). Wie philosophisch urteilten meine gläubigen Freunde über diese Bekehrung! »Ist es möglich«, riefen sie, »welcher grasse Aberglaube!« – Gewiß, das war entweder eine Fieberphantasie, oder der Mensch ist ein Heuchler und hatte andere Gründe; entweder ist er toll, oder er erfand das Märchen nur zu seinem Vorteil.

O Menschen, Menschen! wie recht hat Christus, wenn er sagt: Ihr seht den Splitter im fremden Auge, und den Balken im eignen nicht! Gewiß, es geht uns allen so, mehr oder weniger, und ich nehme sicherlich Deinen armen Freund nicht von der allgemeinen Regel aus.

Wir trennten uns endlich, nicht ohne gegenseitige Rührung; worauf mich (dessen exzentrische Art zu reisen übrigens den jungen Damen sehr gefiel) ein Bergkarren aufnahm, mit einem Gaule bespannt, der keineswegs eine glänzende apparence hatte. Die bestimmte Tagesreise betrug 30 Meilen, und begann äußerst langsam. Nach einiger Zeit ward das elende Pferd beim Bergsteigen sogar stätig, was mich einigemal zwang, den Wagen zu verlassen, um nicht etwa in irgendeinem Abgrund begraben zu werden, Das entêtierte Tier mußte nun fortwährend am Zaume geführt werden, oder es weigerte sich einen Schritt weiterzugehen. Eine ganze Weile trabte der Kutscher rüstig daneben her, konnte es aber am Ende nicht länger aushalten, und der Himmel weiß, was aus uns geworden wäre, wenn wir nicht zum Glück einem Reiter begegnet wären, der einwilligte, sein Pferd statt des unsrigen einzuspannen, mit welchem ich denn Macroom erst spätabends erreichte. Unterwegs stieß mir nichts Merkwürdiges auf, als der sogenannte Glen, ein langer und tiefer Felsenpaß, in dem, zu der Zeit der Verschwörung der Whiteboys, Lord B... und Col. W... von diesen, welche die Höhen besetzt hatten, überfallen wurden, und ihnen nur mit knapper Not entgingen. Die Whiteboys hatten ihre Maßregeln sehr gut getroffen, und während der Nacht einen großen Felsblock abgelöst, den sie beim Anmarsch der Truppen plötzlich mitten in den Weg herabrollen ließen, wodurch das gegen sie gesendete Cavallerie-Détachement nicht nur unvermutet am weitern Vordringen gehindert wurde, sondern sich zugleich, von hinten abgeschnitten, in einer verzweiflungsvollen Lage sah. Sehr viele kamen dabei um, die beiden genannten gentlemen aber, welche vortreffliche hunters ritten, entkamen glücklich durch ihre Hilfe, indem sie sich einen fast impractikabeln Weg an den Felsabhängen bahnten, während ein ununterbrochener Kugelregen auf sie herabsauste. Obrist W... wurde jedoch nur leicht am Arme verwundet, Lord B... blieb ganz unversehrt.

In der überaus wilden Gegend liegt, ohnfern von hier, ein großer See mit einer bebuschten Insel in seiner Mitte. Hier steht eine heilige Kapelle, zu der alljährlich große Wallfahrten angestellt werden. Die vorgerückte Tageszeit erlaubte mir jedoch nicht, sie näher zu besichtigen.

Macroom ist ein recht freundlicher Ort, mit einem schönen Schloß, dem Onkel der reizenden Afrikanerin (dem ihres Mannes eigentlich) gehörig. Sie hatte mir einen Brief an ihn mitgegeben, ich machte aber keinen Gebrauch davon, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.


Cork, den 6ten

Sehr früh verließ ich Macroom, in einem Gingle, eine Art bedeckter Diligence mit zwei Pferden. Es regnete und stürmte wieder; denn, gute Julie, ich befinde mich überhaupt nicht mehr, wie die Irländer hübsch sagen: »an der Sonnenseite des Lebens«.

Drei Frauenzimmer waren mit mir im Wagen, und ein fünfjähriger großer Bengel, der sich sehr unnütz machte, und von seiner sonst recht hübschen und lebhaften Mama entsetzlich verzogen wurde. Obgleich er eine große Semmel und ein gleiches Stück Kuchen vor sich hatte, an denen er fortwährend speiste und den Wagen mit Krummen und Brocken anfüllte, wurde doch seine üble Laune bei jeder Gelegenheit rege. Das Geschrei, welches er dann erhob, und das Getrampel seiner Füße, das er oft, ganz unbekümmert, auf den meinigen spielen ließ; die Begütigungen der Mutter und ihr Zu-Hilfe-Rufen des Mannes, der auf der Imperiale saß; dann ihre beständigen Bitten, doch einen Augenblick anzuhalten, weil dem armen Wurme vom Fahren übel geworden sei, oder weil er trinken, oder noch etwas anders tun müsse; zuletzt gar eine sich verbreitende mefitische Luft, welche die Mama selbst zwang die Fenster zu öffnen, die sie bisher, aus Furcht, der Kleine möchte sich ohngeachtet seines Pelzes, erkälten, stets hermetisch zugehalten hatte; – es war eine wahre Geduldsprobe! Auch für sich schien die junge Frau ebenso ängstlich als für ihr Kind, denn so oft der Wagen etwas auf die Seite hing, fing sie an zu schreien, und klammerte sich, mir fast um den Hals fallend, mit beiden Händen an mich an. Dies war noch das erträglichste meiner Leiden, und es belustigte mich deshalb, ihre Angst oft ein wenig zu vermehren. In den Zwischenakten erklärte sie mir mit vielem Patriotismus die Merkwürdigkeiten der Gegend, machte mich auf die schönen Ruinen aufmerksam, und erzählte mir ihre Geschichte. Zuletzt zeigte sie mir einen, mitten im Felde stehenden, spitzen und turmartigen Stein, und sagte, daß diesen ein Dänenkönig von dort über den See geworfen habe, um seine Stärke zu zeigen. Auch ihr Mann mußte von der Imperiale herunter, um diesen Stein zu bewundern, wobei sie ihm spottend verwies, daß die jetzigen Männer, wie er z. B., nur elende Schwächlinge gegen jene Riesen wären. Zugleich übergab sie ihm den Jungen, um ihn beiseite zu tragen. Der Ärmste machte ein langes Gesicht, zog die Nachtmütze über die Ohren und folgte geduldig dem Befehl.

Das Land wird jetzt sehr fruchtbar, voll reicher Feldfluren; hie und da sieht man stattliche Landsitze. Cork selbst liegt in einer tiefen Schlucht, höchst malerisch, am Meer. Es hat ein altertümliches Ansehn, welches noch origineller durch die Bekleidung vieler Häuser über und über mit schuppenartigen Schieferpanzern wird. Prachtvolle Gebäude sind die beiden neuen Gefängnisse, das der Stadt, und das der Grafschaft, wovon das eine im antiken Geschmack, das andere im gotischen Stil aufgeführt ist, und einer großen Festung ähnlich sieht.

Nachdem ich gefrühstückt und mehrere kleine Häuslichkeiten besorgt hatte, mietete ich ein sogenanntes Walfischboot (schmal und spitz an beiden Enden, und daher sicherer und schneller als andere) und segelte bei gutem Winde, in der Bay, welche The River of Cork genannt wird, noch Cobh, wo ich mir vornahm, zu Mittag zu speisen. Ein Teil dieser, ohngefähr eine Viertelstunde breiten Bucht, bildet für Cork, von der Meerseite, eine der schönsten entrées in der Welt! Beide Ufer bestehen aus sehr hohen Hügeln, die mit Palästen, Villen, Landhäusern, Parks und Gärten bedeckt sind. Auf jeder Seite bilden sie, in ungleicher Höhe sich erhebend, die reichste, stets abwechselnde Einfassung. Nach und nach tritt dann, in der Mitte des Gemäldes, die Stadt langsam hervor, und endet auf dem höchsten Berge, der den Horizont zugleich schließt, mit der imponierenden Masse der Militärbaracken. So ist der Anblick von der See aus. Nach Cobh zu verändert er sich öfters, nachdem die Krümmungen des Kanals die Gegenstände anders vorschieben. Die eine dieser Aussichten schloß sich ungemein schön mit einem gotischen Schloß, das auf den, hier weit hervorspringenden Felsen, mit vielem Geschmack von der Stadtkommune erbaut worden ist. Durch die vortreffliche Lage gewinnt es nicht nur an Bedeutung, sondern es erscheint, wenn ich mich so ausdrücken darf, wie natürlich dort, während dergleichen, an andern Orten, so oft nur als ein unangenehmes hors d'œuvre auffällt. Obwohl ich glaube, daß wir den Engländern in der edlern Baukunst überlegen sind, so fehlen wir doch darin, daß wir bei unsern Gebäuden viel zu wenig die Umgebung und die Landschaft umher berücksichtigen. Diese aber ist es grade, welche größtenteils für den zu wählenden Stil entscheiden sollte.

Die Burg hier schien für irgendeinen alten Seehelden bestimmt, denn der Eingang war bloß vom Meer aus angebracht. Ein kolossales Tor, mit Wappen verziert, in das die Fluten bis an den Fuß der Treppe drangen, wölbte sich über der schwarzen Öffnung. Ich dachte mir Folko mit den Geierflügeln, wie er eben von einem gewonnenen Seetreffen hierher zurückkehrt, und belebte mir das Meer mit Phantasiebildern aus Fouqués ›Zauberring‹.

Wir segelten hierauf mit gutem Winde bei Passage, einem Fischerdorf, und Monkstown vorbei, das seinen Namen (Mönchstadt) von einer, im Wald darüber liegenden, Klosterruine herschreibt. Hier fing der, eine Zeitlang unterbrochene Regen, wieder an, gab aber diesmal Gelegenheit zu einer herrlichen Naturszene. Wir wandten uns, bei der Insel Arboulen, in die enge Bay von Cobh, die einen sehr schönen Anblick gewährte, denn ihren Eingang bildet links eine hohe Küste mit Häusern und Gärten, rechts die genannte Berginsel, auf der ein Fort, weitläuftige Marinegebäude und Storehäuser stehen, die das Material für die Seemacht enthalten; vor uns aber, in der Bay selbst, lagen mehrere Linienschiffe und Fregatten der königlichen Flotte, nebst einem zweiten Deportiertenschiff vor Anker, und hinter diesen erhob sich die Stadt Cobh, stufenweise am Berge aufgebaut. Indem wir dies alles eben ansichtig wurden, trat, an einem feuergelben Fleck des Himmels hinter uns, die dem Untergehen nahe Sonne unter den regnenden Wolken hervor, während vorn sich ein Regenbogen, so vollständig und tiefgefärbt, als ich ihn nie mich erinnere gesehen zu haben, über den Eingang der Bay spannte, aus dem Meere emporwachsend und wieder in dasselbe herabsinkend, gleich einer Blumenpforte, Himmel und Erde zu verbinden bestimmt. Innerhalb seines riesenhaften Halbkreises erschien das Meer und die Schiffe, die ein Berg in unserm Rücken schon vor der Sonne deckte, ganz schwarz, wogegen die abendlichen Strahlen über das höhere Amphitheater von Cobh eine solche Glorie von Licht ergossen, daß die darin schwebenden Seemöwen wie klares Silber schimmerten, und jedes Fenster in der, den Felsen hinansteigenden, Stadt, wie glitzerndes Gold erglänzte. Dieser unbeschreiblich schöne Anblick hielt nicht nur in derselben Beleuchtung aus, während wir einfuhren, sondern, kurz vor dem Landen, verdoppelte sich der Regenbogen sogar, beide Bogen in gleicher Schönheit der Farben brennend, worauf aber auch beide, als wir noch kaum den Fuß ans Ufer gesetzt, fast im Augenblick verschwanden.

Ich etablierte mich nun sehr vergnügt am Fenster des kleinen Gasthofs, in der Hoffnung, eine vortreffliche Fastenmahlzeit mit den delikatesten frischen Fischen zu machen. Es blieb aber bloß beim Fasten, denn auch nicht ein Fisch, noch Auster, oder Muschel war zu bekommen. In den kleinen Fischerorten am Meer begegnet dies häufiger als man glaubt, weil alles Disponible sogleich zum Verkauf in die großen Städte gebracht wird. In dieser Hinsicht war also mein Zweck schlecht erreicht, und ich mußte mich mit den gewöhnlichen, in englischen Gasthäusern unsterblichen mutton-chops begnügen. Doch ließ ich mir meine Laune dadurch nicht verderben, las ein paar alte Zeitungen, deren ich lange nicht gesehen, zum kärglichen Mahle, und trat, nach schon eingebrochener Dunkelheit, meinen Rückweg zu Land an. Ein offner Karren mit Strohsitz war alles, was ich mir verschaffen konnte; der Wind blies kalt und heftig, und ich war genötigt, mich dicht in meinen Mantel zu hüllen. Wir cotoyierten das Meer in ziemlicher Höhe, und die vielen Lichter der Schiffe und Marinegebäude unter uns, glichen einer reichen Illumination. Fünf flackernde Flammen tanzten wie Irrwische auf dem schwarzen Schiffe der Deportierten, und ein Kanonenschuß, der vom Wachschiff gefeuert wurde, donnerte dumpftönend durch die Stille der Nacht.

Als diese Aussicht verschwand, wendete ich meine Aufmerksamkeit erst auf den ungemein klaren Sternhimmel. Wer kann lange in die hehre Pracht dieser flimmernden Weltkörper blicken, ohne von den tiefsten und süßesten Gefühlen durchdrungen zu werden! Es sind die Charaktere, mit denen Gott von jeher am deutlichsten mit den Menschenseelen gesprochen hat. Und doch hatte ich der himmlischen Lichter nicht gedacht, so lange noch die irdischen glänzten! Aber so geht es immer auf der Erde – erst wo diese uns verläßt, suchen wir den Himmel auf. Sie liegt uns ja auch näher, und ihre Autorität bleibt für uns die mächtigste – grade wie der Bauer mehr von der Person des Amtmanns, als der des Königs, in Zaum gehalten wird; der Soldat sich mehr vor seinem Lieutenant fürchtet, als dem General en chef; der Hofmann mehr dem Günstling, als dem Monarchen die Cour macht, und endlich der Fromme... doch, wir wollen darüber nicht weiter philosophieren, liebe Julie, denn Dir brauche ich es ja nicht zu wiederholen: qu'il ne faut pas prendre le valet pour le roi. –


Den 7ten

Wie ich aus den Zeitungen sehe, trübt sich der politische Himmel immer mehr. O, wäre ich jetzt dort! in jenen von den unsern so verschiedenen Regionen, mitkämpfend in den Reihen der bisherigen arrière-garde der Zivilisation, welche sich nun umdreht, um als avantgarde sie den Barbaren mit dem Schwert in der Faust zuzubringen, und im Lehren immer besser selbst lernend, vielleicht sich bald an die Spitze des ganzen alternden Weltteils stellen wird. Nicht zu berechnende Folgen, kann, muß dieser Krieg haben. – Es ist kein gewöhnlicher Türkenkrieg mehr. Alle Zeichen verkünden in ihm den Beginn einer neuen Weltepoche, und sollte auch das europäische Interesse schwerlich jetzt schon eine Hauptkrisis gestatten, so wird es doch der erste der magnetischen Stiche sein (das baquet bilden die russischen Kanonen) von denen der, seit so vielen Jahrhunderten wie im unbeweglichen Grabe schlummernde, Orient zum Hellsehen zu erwachen bestimmt ist. Wie unermüdlich wird hier Wirkung und Wechselwirkung sein, und welche Geheimnisse wird der Magnetisierte dem Magnetiseur verraten!

In Europa aber nimmt Kultur und Politik einen solchen Weg, daß hier der letzte Akt des Dramas unsrer Zeit sich wahrscheinlich nur mit einem allgemeinen kommerziellen Kampf gegen England schließen kann, dem stolzen England, dessen Handels-Universal-Monarchie schwereren Tribut von uns erhebt, als aller militärische Druck weiland Napoleons. Gewiß hatte dieser Heros bei seinem Kontinental-Systeme die richtige Ansicht gefaßt, woran es eigentlich Europa not tue. Er glich nur einem zu gewaltsamen Arzte, der vorläufig seinem Patienten Hände und Füße bindet, um ihm die, seiner Meinung nach, heilsame Medizin sofort bon gré, mal gré einzuflößen. Es war daher sehr natürlich, daß sich der Patient, sobald er konnte, losgerissen, und den Arzt zur Türe hinausgeworfen hat – ob er aber dennoch in der Folge die Kur nicht auf diese oder jene Art von neuem und freiwillig wird wieder anfangen müssen, ist eine andere Frage. England hat uns in der Zivilisation vorgeleuchtet, und ist dadurch größer und mächtiger als alle geworden, aber grade deshalb trägt es auch, nach den unwandelbaren Gesetzen der Natur, die hier Vollkommenheit des Einzelnen nicht gestattet, wieder den Keim früheren Verwelkens in sich. Unverträgliche alte und neue Elemente von gleicher Gewalt, die sich in ihm bekämpfen, müssen es über kurz oder lang von dem Gipfel herabziehen, auf dem es jetzt noch glänzt. Es wird dann, im Laufe der Zivilisation, andern zum Schemel dienen, (ja vielleicht geschah es schon) die nächste Stufe zu erklimmen, nachdem es lange selbst auf der höchsten wohnte, denn alles Irdische hat seine zugemessene Zeit. Ist der Kulminationspunkt einmal erreicht, so geht unfehlbar die Rückkehr an – und fast scheint es, als sei die Epoche von Waterloo und der Sturz Napoleons ein solcher für England gewesen.

Sonderbar bleibt es immer, daß von jenen Inseln her die mächtigste Quelle der Freiheit und Aufklärung uns zuströmte, und wir dennoch fremde Despotie grade dort zuletzt werden bekämpfen müssen. Diese scheinbare Undankbarkeit herrscht aber fast überall in der Geschichte. Einiges Nachdenken erklärt und rechtfertigt sie.


Mitchelstown, den 9ten früh

Um vier Uhr nachmittags verließ ich gestern Cork, in der mail, neben dem Kutscher sitzend, dessen vier Pferde ich gelegentlich dirigierte. Bis eine Stunde von der Stadt ist die Gegend pittoresk, nachher schien sie ziemlich uninteressant, auch ward es bald dunkel. Nach einigen Stationen verließen uns die meisten Passagiere, und ich setzte mich in den Wagen, wo mir ein dreistündiges tête à tête mit einer Dame beschert wurde – leider war sie indessen siebenzig Jahre alt, und eine Puritanerin, aber wie es schien keine Puristin. Diese unangenehme Gesellschaft, sowie die Lobeserhebungen, welche ein früherer Reisegefährte mir von dem neu erbauten gotischen Schlosse zu Mitchelstown gemacht, bewogen mich, mitten in der Nacht, die mail zu verlassen, und hier den Morgen zu erwarten. Um 7 Uhr weckte man mich, um das gepriesene Wunderwerk in Augenschein zu nehmen. Ich fand mich aber sehr getäuscht, so wie einige andere Fremde, die derselbe Zweck hierher geführt hatte. Man zeigte uns allerdings einen großen und kostbaren Steinhaufen, der dem Besitzer 50 000 Pf. St. aufzuführen gekostet hatte, eine Hauptingredienz war aber dabei vergessen worden, nämlich guter Geschmack. Das Gebäude ist erstens viel zu hoch für seine Ausdehnung, hat nur Konfusion im Stil, ohne Varietät, eine schwerfällige Außenlinie, und machte überhaupt einen kleinen Effekt mit großer Masse. Dazu stand es kahl auf dem Rasen, ohne irgendeine malerische Unterbrechung, welche Schlösser im gotischen oder verwandten Stil grade am meisten bedürfen; auch der unansehnliche Park besaß weder eine schöne Baumgruppe, noch eine erwähnungswerte Aussicht.

Ich habe so viel Worte über dieses manquierte Werk verloren, weil es, des Namens des Besitzers, und der großen Kosten seines Baues wegen, eine gewisse Reputation in Irland hat. Wie unendlich überlegen ist ihm jedoch die, vielleicht mit dem achten Teil dieser Mittel ausgeführte Anlage meines guten Col. W..., welche niemand kennt.

Die innere Verzierung des Schlosses glich seinem Äußern; in fünf Minuten hatten wir völlig genug daran, und da man zwar von einer schönen Aussicht auf der Höhe des Turmes sprach, aber den Schlüssel dazu nicht finden konnte, so kehrten wir alle verdrüßlich in den Gasthof zurück. Hier erzählte mir beim Frühstück einer der Fremden allerlei Interessantes über die hiesige Gegend und Menschen. Lord K..., sagte er, unter anderm, hat selbst und in seiner Familie ungewöhnliche Avanturen erlebt. Er ist jetzt als einer der eifrigsten Orangemen mehr gefürchtet als geliebt. Sein Vater wurde, erst zwölf Jahr alt, mit der zehnjährigen Erbin alles des jetzt von der Familie besessenen Vermögens vermählt, wobei Hofmeister und Gouvernante die Instruktion erhielten, die jungen Eheleute wohl bewachen und vor jedem tête à tête bewahren zu lassen. Indessen, somehow or other, wie mein Irländer sagte, kamen sie drei Jahr später dennoch einmal zusammen, und der jetzige Lord war das Resultat dieser kleinen équipée. In der Folge bekamen sie noch mehrere Kinder, von denen ich, beiläufig gesagt, einen Sohn in Wien kannte. Er war ein ausgezeichnet schöner Mann, und berühmt durch seine bonnes fortunes; damals der erklärte Liebhaber der Herzogin von ..., die er mit so wenig gêne behandelte, daß, als er mich einst in dem Hotel, wo beide wohnten, zum Frühstück eingeladen hatte, ich die Herzogin allein dort antraf, während er selbst erst später, aus seiner oder ihrer Schlafstube, ich weiß nicht welcher, im Schlafrock und Pantoffeln eintrat.

Das jüngste Kind des Lords war eins der reizendsten Mädchen in Irland geworden. Sie zählte erst sechzehn Jahr, als sich ein Vetter von mütterlicher Seite, ein verheirateter Mann, mit Namen F..., ebenfalls in dem Ruf, ein unwiderstehlicher Weiberverführer zu sein, in sie verliebte, und auch diesen Ruf so glänzend bei ihr bestätigte, daß er sie, die angebetete Tochter des mächtigen Grafen, vermochte – nicht nur ihm ihre Unschuld zu opfern, sondern sogar als förmliche Maitresse nach England zu begleiten, wo er beinah ein Jahr lang, erst verborgen, mit ihr lebte, zuletzt aber die effronterie hatte, sie nach einem der besuchtesten Badeörter zu bringen. Hier wurde natürlich ihr Aufenthalt entdeckt, und sie zum zweitenmal, aber diesmal auf Befehl ihres Vaters, entführt und im Norden Englands in sichern Verwahrsam gebracht. F..., vielleicht nur durch den erfahrenen Widerstand der Familie angeregt, beschloß, sie, es koste was es wolle, wieder in seine Gewalt zu bekommen, und da er glaubte, man habe sie auf die väterlichen Besitzungen zurückgebracht, eilte er unverzüglich, durch eine Verkleidung gänzlich entstellt, nach Irland. Hier logierte er sich in demselben Gasthof ein, in dem wir jetzt eben frühstückten, und suchte den Aufenthalt seiner Geliebten zu erspähen. Seine gelegentlichen Erkundigungen, sein ganzes geheimnisvolle Benehmen, und der unglückliche Umstand, daß ein früherer Bekannter von ihm äußerte, er habe nie eine größere Ähnlichkeit gesehen, als zwischen dem Fremden und dem berüchtigten F... stattfinde – erweckten den Argwohn des Wirts, welcher sogleich sich aufmachte, um Lord K... seinen Verdacht mitzuteilen. Dieser empfing die Mitteilung scheinbar ganz gelassen, und empfahl dem Angeber bloß die größte Verschwiegenheit. Dann frug er, zu welcher Zeit der bewußte Fremde gewöhnlich aufzustehen pflege, und als er vernahm, daß dies nie vor acht Uhr der Fall sei – entließ er den Wirt mit einem Geschenk, und setzte hinzu, daß er morgen früh um sechs Uhr selbst die Sache untersuchen werde, wo er ihn bäte, seiner allein zu warten. Der Morgen kam, und mit ihm pünktlich der Graf. Ohne weitere Umstände stieg er, in Begleitung des Wirts, die Treppe hinan, und verlangte von des Fremden Diener, ihm augenblicklich das Zimmer seines Herrn zu öffnen; als dieser sich weigerte, brach er selbst die Tür mit einem kräftigen Fußstoße ein, ging dann zum Bette, wo F..., vom Lärm aufgeschreckt, sich eben aufrichtete, sah ihn fest an, zog, als er an seiner Identität keinen Zweifel mehr hegte, eine Pistole aus der Tasche – und zerschmetterte ganz ruhig dem modernen Don Juan den Kopf, dessen Leichnam ohne einen Laut in das Bett zurücksank. – Die Folge beweist, wie leicht es in England die Gesetze einem Vornehmen und Mächtigen machen, sich ihnen zu entziehen, wenn kein noch Größerer da ist, der ein Interesse hat, Rechenschaft von ihm zu fordern. Lord K... wurde zwar in Untersuchung gezogen – da er aber Sorge getragen, sich mit den einzigen beiden Zeugen zu arrangieren und sie infolgedessen zu entfernen, so ward er, wegen Mangel eines Klägers und Beweises, freigesprochen. Für dieselbe Sache darf nun in England niemand, der einmal acquitted (freigesprochen) ist, von neuem in Anspruch genommen werden. Es war daher von diesem Augenblick an, ohngeachtet des ganz offenkundigen Mordes, alle Gefahr einer Bestrafung für den Grafen vorüber. Das junge Mädchen soll bald nachher ganz verschollen oder gestorben sein, Lord K... überlebte sie aber lange, im späten Alter noch dafür berüchtigt, die schönsten Maitressen zu haben, von denen er auf jeder seiner Besitzungen eine hielt. Die Folge dieser Unregelmäßigkeiten war endlich eine Trennung von seiner Gemahlin, und die erbittertesten Streitigkeiten zwischen ihm und ihr, die bis zu seinem Tode dauerten. Unterdessen hatte sein ältester Sohn, der jetzige Earl, sich, gegen des Vaters Willen, noch unmündig, in Sizilien verheiratet, bereits drei Kinder mit seiner jungen Frau gezeugt, und gänzlich von seinem Vaterlande getrennt, als plötzlich eine höchst liebreiche Einladung des alten Lords, die alles Vergangene zu vergeben und zu vergessen versprach, bei ihm eintraf und ihn mit seiner ganzen Familie zur Rückkehr bewog. Kaum angekommen indes, ward durch seines Vaters Einfluß seine Ehe für ungültig erklärt und kassiert, die Mutter zu Hause geschickt und über die Kinder, als uneheliche, in England disponiert. Der Sohn scheint sich, wider Erwarten, ohne viele Mühe den Ansichten seines Vaters gefügt zu haben, denn nicht lange darauf heiratete er gleichfalls eine reiche Erbin und führte, nach des alten Grafen Tode, einen noch erbitterteren Prozeß mit seiner Mutter als jener, um sogleich in den, ihm von ihr verweigerten Besitz ihrer Güter zu treten. Er konnte jedoch seinen Willen hierin nicht durchsetzen, ebensowenig wie sie später den ihrigen, ihn gänzlich zu enterben.

Welches Sittengemälde der Vornehmen des achtzehnten Jahrhunderts!


Cashel, spätabends

Der kommunikative Fremde setzte die Reise mit mir bis Cashel fort. Das Wetter war leidlich, d. h. es regnete nicht – und das war in diesem nassen Lande hinlänglich, den guten Freund neben mir einmal über das andere ausrufen zu machen: »What a delightful day! What lovely weather!«Welcher himmlische Tag, welch liebliches Wetter! A. d. H. Ich zog vor, einen Teil des Wegs zu Fuß zu gehen, wobei ein großer, achtzehnjähriger, comme de raison, zerlumpter Bursche, mir zum Führer diente. Er ging sehr beschwerlich, in einer Art Pantoffeln, und schien an den Füßen verwundet, als ich ihn aber deshalb befragte, antwortete er: »O nein, ich habe bloß Schuhe angezogen, weil ich Militär werden will, und ich mich daher sachte daran gewöhnen muß, Schuhe zu tragen. Es geht sich aber so verzweifelt schlecht in den Dingern, daß ich gar nicht fortkommen kann!«

Nach meiner Art, die keine Auskunft verschmäht, oft aber, selbst in der Unterhaltung mit dem Gemeinsten, einige brauchbare Ähren aufliest, erkundigte ich mich bei meinem Führer nach dem jetzigen Zustande der Provinz. »Ja«, sagte er, »hier ist es noch ruhig, aber in Tipperary, wo wir jetzt bald hinkommen werden, besonders weiter hin nach Norden, da wissen sie den Orangemen wohl die Spitze zu bieten. Dort haben uns O'Connell und die association ordentlich wie Truppen organisiert. Ich gehöre auch dazu, und habe auch zu Hause meine Uniform. Wenn Ihr mich so sähet, würdet Ihr mich kaum wiedererkennen; vor drei Wochen waren wir alle dort, über 40 000 Mann zusammen, um Revue über uns halten zu lassen. Wir hatten alle grüne Jacken an, die sich jeder anschaffen muß, so gut er kann, und mit der Inschrift auf dem Arm: ›King George and O'Connell.‹ Unsere Offiziere haben wir selbst gewählt; die exercieren uns, und wir können schon marschieren und schwenken wie die Rotröcke. Waffen hatten wir freilich nicht, aber... die würden sich auch wohl finden – wenn O'Connell nur wollte. Fahnen hatten wir, und wer sie verließ, oder sich betrank, den warfen wir ins Wasser, bis er wieder nüchtern wurde. So was ist aber selten vorgekommen. Man nennt uns nur O'Connells Miliz.«

Das Gouvernement hat seitdem weislich diese Heerschau verboten, und mein angehender Volkssoldat war wütend auf Lord K..., der alle seine tenants (kleine Pächter, die in Irland, fast mehr als Leibeigne von ihren Lords abhängig sind) welche bei der Revue gegenwärtig gewesen waren, hatte arretieren lassen. »Aber«, fügte er hinzu, »jede Stunde, die sie im Gefängnis sitzen, soll dem Tyrannen bezahlt werden, den wir lieber tot als lebendig sähen. Wären sie hier in Cork nur nicht solche zahme Schafe! in Tipperary hätten sie ihm längst das Handwerk gelegt. O'Connell kömmt auch nie hier durch, wenn es auch sein nächster Weg ist, denn er kann Lord K...'s Gesicht nicht vor seinen Augen leiden.«

So arbeitet überall der Parteigeist, und so wohl unterrichtet von seinen Affären ist das bettelnde Volk!

Die Fahrt bis Caher war von geringem Interesse. Die Straße führt zwar zwischen zwei Bergketten hin, den Galty- und den Knockmealdown-Mountains, da aber die weite Ebne, welche sie trennt, nur wenig Bäume und Abwechselung bietet, so sind die Aussichten ohne Reiz. Mein Reisegefährte zeigte mir einen hohen peak der Galty-Mts., wo man den renommiertesten sportsmanSportsmann, sport, ist ebenso unübersetzbar, wie gentleman; es heißt keineswegs bloß »Jäger«, sondern benennt einen Mann, der alle Vergnügungen dieser Art, oder auch nur mehrere davon, mit Leidenschaft und Geschick treibt. Boxen, Pferderennen, Entenschießen, Fuchshetzen, Hahnenkämpfe etc., alles ist sport. A. d. H. der Gegend mit seinem Hunde und seiner Flinte auf dem höchsten Gipfel begraben hat. Nicht weit davon sind unterirdische Höhlen, voller Stalaktiten, die eine noch unergründete Ausdehnung haben sollen. Sie werden aber nur in der heißesten Jahreszeit besucht, da sie während den übrigen zu sehr mit Wasser angefüllt sind.

In Caher, dem Lord Glengall gehörig, welchem die Londner Karikaturen voriges Jahr so übel mitspielten, ist ein sehr schöner Park. Er beginnt mit der imposanten Ruine eines Schlosses König Johanns, auf dessen verfallnem Turm Lord Glengall jetzt seine Fahne hat aufstecken lassen. Am andern Ende des Parks findet man den Kontrast zur Ruine, nämlich eine cottage orné, in welcher der Besitzer, wenn er hier ist, wohnt. Die Lage dieser cottage ist so reizend, und gut gewählt, daß sie eine etwas nähere Beschreibung verdient. Der ganze Park wird nämlich, von der Stadt und Johanns-Schloß anfangend, durch ein sehr langes, und verhältnismäßig nicht breites Tal gebildet, mit einem Flusse, der sich durch die Wiesen windet. Baumgruppen und Wäldchen wechseln auf diesen letztem lieblich miteinander ab, und zwei Wege führen an beiden Seiten den Fluß entlang. Die das Tal einschließenden Bergrücken sind ganz mit Wald bewachsen, in welchem ebenfalls Wege angebracht sind. Gegen das Ende des Parkes, der ohngefähr eine Stunde lang ist, öffnet sich die Schlucht, und erschließt eine schöne Aussicht auf das höhere Galty-Gebürge. Bevor man aber dahin gelangt, steht, gerade in der Mitte des Tals, ein isolierter langer Hügel auf dem Wiesengrunde. Auf diesen ist die cottage erbaut, mehr als zwei Drittel derselben vom Walde verborgen, welcher den ganzen Berg bedeckt. In diesen Gebüschen ist der pleasure-groundPleasure-ground (Vergnügungs-Grund) ist eine von Barrieren eingeschlossene, sorgfältig gepflegte, und mit Blumen geschmückte Partie des Parks, das Mittel zwischen dem Park und den eigentlichen Gärten haltend. A. d. H. und alle Gärten angebracht, nebst blumenreichen Promenaden, die auf beiden Seiten die schönsten Aussichten des Tales entfalten. Auf den entfernten hohen Bergen werden mehrere Schloß- und Abteiruinen sichtbar, in der Nähe aber ist alles Ruhe, ländliche Stille und freundlicher Blüten-Schmuck, selbst noch im Winter.

Als ich zum Essen in den Gasthof zurückkehrte, erzählte mir der Wirt, als eine große Neuigkeit, daß in Cashel der Wagen eines fremden Prinzen mit seinen Leuten schon seit 14 Tagen auf ihn warte, der Prinz aber eine geheime Reise, man sage, zu O'Connell, angetreten, und daß die ganze Gegend in Aufruhr und voller Neugierde deshalb sei. Viele meinten, er sei vom Könige von Frankreich mit geheimen Aufträgen an O'Connell geschickt, einige aber hatten ihn selbst schon in Limerick gesehen, und behaupteten, es sei ein Sohn von Napoleon.

Während der Wirt dieses und noch mehreren Unsinn dieser Art debitierte, ohne zu ahnen, daß er mit der personnage selbst spräche, die eben auf einem Karren angekommen war, meldete er mir zugleich, daß der zweite Karren, (die einzige Art hier fortzukommen) eben angespannt werde, um mich weiter zu befördern. Ich machte mich also auf, und hatte bald nachher Gelegenheit zu neuen philosophischen Betrachtungen, indem ich an dem Pferde, das mich zog, die wunderbare Macht der Gewohnheit studierte. Es war ein sehr williges und gutes Tier, aber sobald es den Ort erreichte, wo es seit 15 Jahren getränkt wird, hielt es an der bestimmten Stelle plötzlich von selbst an, und Feuer hätte es nicht eher zu einem Schritt weiter vermocht, bis es seinen Trunk Wasser erhalten hatte. Dann bedurfte es keiner weitern Antreibung, dasselbe Manöver wiederholte es später, als wir dem Retourkarren begegneten, wo immer angehalten zu werden pflegt, um Nachrichten auszutauschen. Wie plötzlich gelähmt, parierte es auf der Stelle, und ging sogleich von selbst weiter, sobald die Kutscher sich hinter ihm die Hände geschüttelt. Wirklich, dies ist das ganze große Geheimnis der Erziehung bei Menschen und Vieh – Gewohnheit, voilà tout. Die Chinesen sind ein Beispiel davon, und ich erinnere mich, daß mir einmal in London der bekannte Ambassadeur einer großen Nation sehr weitläuftig auseinandersetzte, daß diese chinesische Staatsverfassung eigentlich die beste und zweckmäßigste sei, weil dort stets alles beim alten bliebe. C'est plus commode pour ceux qui règnent, il n'y a pas de doute.

Um sieben Uhr erreichte ich Cashel und passierte vorher den Suir, einen Fluß, der ›die Blume Irlands‹ genannt wird, denn an seinen Ufern liegen die reichsten Fluren, und die schönsten Landgüter. Ich fand im Gasthofe einen entsetzlichen trouble, weil eben einer der liberalen Clubs meeting und folglich auch dinner hatteOhne dinner geschieht nichts irgend Feierliches, in England, es mag nun religiöser, politischer, belletristischer oder irgend anderer Natur sein, vom königlichen Gastmahl bis zur Henkersmahlzeit herab. A. d. H. . Man ließ mir kaum Zeit, meine Stube zu betreten, als auch schon der Präsident in propria persona nebst einer Deputation ankam, um mich einzuladen, dem dinner beizuwohnen. Ich bat inständig, mich mit der Ermüdung von der Reise und einem heftigen Kopfweh zu entschuldigen, versprach aber beim Dessert zu erscheinen, weil ich selbst neugierig war, ihr Treiben von nahem zu sehen. Der Club hatte einer recht vernünftigen Absicht sein Entstehen zu verdanken, denn er war aus Katholiken und Protestanten zugleich zusammengesetzt, die sich vorgenommen, an der Versöhnung beider Teile zu arbeiten, und zugleich für Erlangung der emancipation nach Kräften mitzuwirken. Als ich eintrat, fand ich ohngefähr 80-100 Personen an einer langen Tafel sitzend, die alle aufstanden, während der Präsident mich an die Spitze des Tisches führte. Ich hielt ihnen eine dankende kleine Anrede, worauf auf meine Gesundheit getrunken wurde, was ich erwiderte. Unzählige andere folgten, immer von Reden begleitet. Die Beredsamkeit der Sprechenden war jedoch nicht sehr ausgezeichnet, und dieselben Gemeinplätze wurden fortwährend, nur mit andern Worten, wiederholt. Nach einer halben Stunde nahm ich daher einen günstigen Moment wahr, um mich zu beurlauben. Gestatte mir dasselbe, da ich sehr ermüdet bin. Von Dir habe ich nun schon sehr lange nichts mehr gehört, und finde Deine Briefe erst wieder in Dublin. Bleibe nur gesund, das ist die Hauptsache für Dich – und höre nicht auf, mich zu lieben, denn das ist die Hauptsache für mich. –

Dein treuester L...


 << zurück weiter >>