Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Neunundzwanzigster Brief

Gasthof zu Avoka, den 22sten August 1828

Geliebte Julie!

Gegen Mittag verließ ich Dublin ganz allein, bequem auf meinem guten Gaul etabliert, ließ Wagen und Leute in der Stadt zurück, und sandte einen kleinen Mantelsack mit den notwendigsten Effekten durch die Diligence voraus. Leider aber muß mit diesem eine Verwechselung vorgegangen sein, denn obgleich ich seinetwegen den ganzen Tag und die Nacht, in dem nur 20 Meilen von Dublin entfernten Bray verweilte, langte er nicht an, und ich habe daher, um nicht entweder zurückreisen, oder noch länger warten zu müssen, mir einen schottischen Mantel, nebst etwas Wäsche in Bray gekauft, und die tour ganz auf Studentenweise angetreten. Ich soupierte mit einem jungen Geistlichen von guter Familie, der mich, bei sonst sehr leichtfertigen Reden, durch seine Orthodoxie in Religionssachen lachen machte. Aber so ist die Frömmigkeit der Engländer beschaffen, es ist eine Parteisache für sie und zugleich eine Schicklichkeitssitte – und so wie sie im Politischen stets ihrer Partei, durch dick und dünn, verständig und unverständig, immer gleich unverrückt folgen, weil es ihre Partei ist, oder einer Gewohnheit immerfort sklavisch sich unterwerfen, weil es so bei ihnen üblich ist – betrachten sie auch die Religion, ohne alle Poesie, ganz aus demselben Gesichtspunkt, gehen sonntags ebenso unfehlbar in die Kirche, als sie täglich eine frische Toilette machen, um sich zu Tisch zu setzen, und schätzen den, welcher die Kirche vernachlässigt, fast ebenso gering, als jemand, der Fisch mit dem Messer ißtGemeine Engländer führen das breite Messer gleich einer Gabel zum Munde. Die Gebildeteren dagegen halten solches für eine wahre Sünde gegen den heiligen Geist, und kreuzigen sich innerlich, wenn sie z. B. einen deutschen Gesandten so essen sehen. Es ist hinlänglich, ihnen die ganze Nation zu verleiden. .

Begleitet von dem jungen Theologen, der eine Zeitlang denselben Weg mit mir verfolgte, verließ ich am andern Morgen Bray schon früh um 5 Uhr. In einer ausgezeichnet schönen Gegend passierten wir Kilruddery, ein neugebautes Schloß des Grafen Meath, im Geschmack der Häuser aus den Zeiten der Königin Elisabeth, welches aber, um einen guten Effekt zu machen, größere Massen verlangt hätte. Der Park ist nicht sehr ausgedehnt, lang und schmal, die altfranzösischen Gärten werden gerühmt, wir wurden aber wahrscheinlich unsres bescheidenen Aufzugs wegen, sehr unhöflich abgewiesen, als wir sie zu sehen wünschten. In England ist dies etwas Gewöhnliches, in Irland aber Seltnes, was daher auch keinen vorteilhaften Schluß auf die Humanität des Besitzers machen läßt. Mein Begleiter, der ein Anhänger der grâce efficace ist, d. h. fest überzeugt: daß Gott im voraus seine Lieblinge für den Himmel, andere, die ihm weniger gefallen, aber für die Hölle bestimme – zweifelte in seinem Zorne nicht, daß der Besitzer von Kilruddery zu den letztern gehören müsse. »Es ist eine Schande für einen Irländer!« rief er entrüstet, und ich hatte Mühe, ihm die Pflicht der Toleranz begreiflich zu machen.

Ein zweiter Park, Bellevue, einem würdigen alten Gentleman gehörig, öffnete uns bereitwilliger seine Tore. Hier ist über dem Glen of the Downs, einem tiefen Abgrund, hinter welchem zwei ausgebrannte Vulkane wie spitze Kegel sich erheben, ein Ruhesitz erbaut, der in der Luft zu hängen scheint. Man hatte diesen Pavillon sehr artig mit rotblühender Heide gedeckt. Weniger gut ausgedacht war ein im Vorzimmer, wie lebendig daliegender, ausgestopfter Tiger.

Hier verließ mich mein Reisekaplan, und ich ritt allein weiter nach dem Tal von Dunran, wo in einem engen romantischen Passe ein Felsen von 80 bis 100 Fuß Höhe steht, der die groben Umrisse eines Menschen darstellt, und daher von den Landleuten, die manche Märchen von ihm erzählen, ›Der Riese‹ genannt wird. Nicht weit davon findet man die Ruinen eines so ganz mit Efeustämmen überwachsenen Schlosses, daß man nahe davor stehen muß, um es von den umgebenden Bäumen unterscheiden zu können. Am Ende des Tales wendet sich der Pfad, über Wiesen, nach einer bedeutenden Anhöhe, vor der eine der überraschendsten Aussichten sich erschließt. Fast mit Heimwehgefühlen erblickte ich hier wieder, im blauen Dunst über dem Meer, die Berge von Wales.

Nachdem ich mich in einem ländlichen Gasthofe ein wenig mit Milch und Brot erfrischt, setzte ich meinen Weg nach The Devils Glen (der Teufelsschlucht) fort, die ihren Namen mit Recht trägt. Die wilde Naturszene beginnt mit einem gotischen Schloß, dessen von Rauch geschwärzte Mauern aus dem Walde hervorragen, dann vertieft man sich seitwärts in ein Tal, dessen Wände nach und nach immer höher werden, sich immer dichter zusammenziehen, während im dunklen Dickicht der pfeifende Luftzug heftiger, und das Brausen des Stroms immer furchtbarer wird. Mühsam auf dem schlüpfrigen Boden vordrängend, und unaufhörlich von den überhängenden Ästen belästigt, sieht man plötzlich den Weg durch eine prachtvolle Kaskade geschlossen, die, gleich einem weißen Ungeheuer, über hohe Absätze sich niederstürzt, und in der Tiefe wühlend verschwindet. Ist es nicht der Teufel selbst, so ist es wenigstens Kühleborn.

Zu einer sehr angenehmen Abwechselung dient es, daß auf diese schauervolle Schlucht das liebliche idyllische Tal von Rossana folgt, wo ich unter dem Schatten hoher Eschen mein Mittagsmahl einnahm. Ich fand noch zwei reguläre englische Touristen hier, die, mit Pflanzenbuch und Gebürgshammer bewaffnet, schon seit Wochen hier hausten, und ebenso ordnungsmäßig, als in einem Londoner Kaffeehause, ihr reines Tischtuch von dem schmutzigen Tische zum Dessert abnehmen ließen, und eine Stunde bei diesem sitzen blieben, obgleich sie dazu, statt Claret, nur elenden Krätzer, und statt reifer Früchte, nichts als gebratne Äpfel bekommen konnten.

Um 7 Uhr stieg ich wieder zu Pferde, und galoppierte 10 Meilen auf der großen Heerstraße fort, bis ich noch vor Sonnenuntergang das wunderherrliche Avondale (Tal des Avon) erreichte. In diesem Paradiese ist wirklich alles Reizende vereinigt. – Ein endlos scheinender Wald, zwei prächtige Flüsse, vielformige pittoreske Felsen, die frischesten Wiesen, alle Arten von Laub- und Nadelhölzern, in höchster Üppigkeit; fortwährend eine mit jedem Schritt abwechselnde, aber nie geringer erscheinende Natur. Ich hätte, da ich den letzten Teil des Tales bei Mondenschein durchzog, meinen Weg schwer aufgefunden, wenn nicht ein junger Herr, der von der Jagd zurückkam, mit echt irländischer Gefälligkeit, mich wohl 3 Meilen weit über die diffizilsten Stellen zu Fuß begleitet hätte. Die Nacht war äußerst klar und milde, der Himmel so blau wie am Tage, und der Mond glänzend wie Edelstein. Obgleich ich an den Fernaussichten verlor, gewann ich auf der andern Seite vielleicht mehr, durch den magischen Schein, der die Luft durchdrang, durch die dunkler, aber auch phantastischer hervortretende Contoure der Felsen, die gedankenschwangere Stille und süßschauerliche Einsamkeit der Nacht. Um10 Uhr erreichte ich das Ziel meiner heutigen Reise, Avoca Inn, wo man, mit bescheidnen Ansprüchen, recht leidliche Bewirtung, und sehr freundliche Bedienung findet. Ich traf abermals einen Touristen aus London im Speisezimmer, diesmal ein lustiger und interessanter junger Mann, der in seinem Entzücken über die reizende Gegend völlig mit mir harmonierte, und mit dem ich daher noch eine Stunde beim Abendtee sehr angenehm verplauderte, ehe ich mich hinsetzte, um Dir zu schreiben. Aber nun gute Nacht, denn auf Bergreisen muß man früh aufstehen, und daher nicht allzuspät das Bett aufsuchen.


Roundwood, den 23sten

Gestern ritt ich 8 deutsche Meilen, heute 9 – und meine Brust befindet sich eben nicht schlechter dabei. Aber Vergnügen tut viel, und ich sah so viel verschiedene Gegenstände, daß mir die paar Tage wie so viel Wochen vorkommen.

Ich hatte gut geschlafen, obgleich das zerbrochene Fenster meiner Kammer nur mit einem Kopfkissen zugestopft war. Dem ärmlichen Nachtlager folgte ein besseres Frühstück, und auch mein Pferd fand ich vortrefflich abgewartet. Ich reise, wie die Araber, im Galopp oder Schritt, dies fatiguiert am wenigsten, und man kommt am weitesten damit. Meine erste Exkursion war nach dem berühmten Ort, The Meeting of the Waters (die Begegnung der Wässer) genannt, wo sich die beiden Flüsse Avonmore und Avonbeg vereinigen, und die malerischste Gegend zu ihrem Hochzeitsfest gewählt haben. Auf einem Felsen jenseits, steht Castle Howard, mit vielfachen Türmen und Zinnen; es sind jedoch leider nur eben fertig gewordne – die in der Nähe nicht mehr imponieren. Ich fand im Schloß noch alles im Schlaf, und ein Diener, im Hemde, zeigte mir die Gemälde, unter denen sich ein herrliches Portrait der Maria Stuart befindet. Dies war gewiß eine sprechende Ähnlichkeit. Es ist offenbar aus ihrer Zeit, und das anziehende, echt französische Gesicht, mit der feinen Nase, dem reizenden Mund, den schmachtenden Feueraugen, und jenem unnachahmlichen Ausdruck, der, ohne grade entgegenzukommen, doch etwas so Muteinflößendes hat, und, obgleich nicht ohne weibliche Würde, dennoch, sozusagen, auf den ersten Blick schon, Vertraulichkeit hervorruft. – Alles überzeugt, daß so nur die Frau aussehen konnte, bei welcher fast jeder, der mit ihr in nähere Berührung trat, ohngeachtet ihres hohen Ranges, auch sogleich die Rolle eines Liebhabers spielte. Ihre Hände sind wunderschön, und in ihrer Tracht, obgleich im barocken Stil der Zeit, herrscht so viel Harmonie, daß man schnell inne wird, sie habe die Toilettenkunst nicht weniger gut verstanden, als ihre heutigen Landsmänninnen.

Eine vortrefflich unterhaltne Straße führt von hier nach dem entire vale und dem Park von Bally Arthur. Dieses Tal hat das Eigentümliche, daß die Berge, auf beiden Seiten, so undurchdringlich dicht mit Buchen bewaldet sind, daß kein sichtlicher Zwischenraum der Massen bleibt, und es wirklich scheint, als könne man auf den Baumgipfeln herabsteigen. Ich verließ hier die Straße, und folgte einem Fußsteig, im Dickicht, der mich zu einer sehr schönen Aussicht führte, wo, am Ende der langen Schlucht, die Türme von Arklow, wie in Rahmen gefaßt, erscheinen. Eine halbe Stunde später endete er aber plötzlich und brachte mich an ein Aha, welches mein Pferd durchaus nicht überspringen wollte. Da sich die herabgehende Mauer diesseits befand, und der Rasen darunter weich war, so ergriff ich, in der Not, ein neues Mittel, nämlich, ich verband dem widerspenstigen Tier die Augen, und stieß es rückwärts von der Mauer herab. Der Fall erschreckte das geblendete Pferd ein wenig, tat ihm aber, wie ich vorausgesehen, nicht den geringsten Schaden, und ruhig mit der Blindekuhbinde grasend, erwartete es nachher meine Ankunft. Dies Manœuvre ersparte mir wenigstens 5 Meilen Weg. Der neue Park, in dem ich mich nun befand – denn dieser ganze Teil der Grafschaft ist fast eine fortlaufende Anlage, durch Kunst verschönerter Natur – gehörte zu Shelton Abbey, auch eine moderne »Gotischerei«, die ein altes Kloster vorstellen sollte. Die Herrschaft war schon jahrelang abwesend, und ein Neger, der im Garten arbeitete, zeigte mir die Zimmer, welche einige sehr interessante, alte Genre-Gemälde enthielten. Der Held des einen ist ein Aeltervater der Familie selbst, die Szene in Italien, und die Tracht wie die dargestellten Sitten, äußerst sonderbar, ja anstößig. Quer über die Wiesen, und durch eine ziemlich tiefe Furt des Flusses, dessen eiskaltes Bad er nicht scheute, führte mich der dienstfertige Neger bis an die Stadt Arklow, von wo ich auf der Landstraße zum Mittagessen nach Avoca Inn zurückkehrte, nachdem ich vorher noch einen Bergvorsprung bestiegen, von dem man einen Blick in drei verschiedene Täler hat, deren ganz entgegengesetzter Charakter eine höchst originelle Ansicht gewährt.

Kaum hatte ich mich in Avoca zu Tisch gesetzt, als man einen Herrn bei mir meldete, der mich zu sprechen wünsche. Ein mir ganz fremder junger Mann trat ein, und überreichte mir eine Brieftasche, in der ich, mit nicht geringer Verwunderung, meine eigne erkannte, die, außer andern wichtigen Papieren, welche ich auf der Reise immer bei mir trage, mein ganzes Reisegeld enthielt. Ich hatte sie in dem Bergpavillon, Gott weiß wie, aus der Brusttasche verloren, ohne es zu bemerken, und mir daher jetzt nicht wenig zu einem so ehrlichen und gefälligen Finder zu gratulieren. In England möchte ich meine Brieftasche schwerlich wieder zu sehen bekommen haben, selbst wenn sie ein gentleman gefunden hätte, denn dieser hätte sie wahrscheinlich entweder ruhig liegenlassen, oder – behalten. Bei dieser Gelegenheit muß ich doch erwähnen, was der bekannte Ausdruck »Gentleman« eigentlich sagen will, da die Bedeutung, welche man ihm im Lande gibt, die Engländer ungemein gut charakterisiert. Ein gentleman heißt weder ein Edelmann, noch ein edler Mann, sondern, wenn man es streng betrachtetDenn im allgemeinen wird freilich jeder anständig erscheinende Mann ein Gentleman genannt. A. d. H. , nur: ein durch Vermögen, und genaue Bekanntschaft mit den Gebräuchen der guten Gesellschaft unabhängiger Mann. Wer dem Publikum in irgendeiner Art dient, oder für dasselbe arbeitet, höhere Staatsdiener und etwa Dichter und Künstler erster Kategorie ausgenommen, ist kein, oder höchstens nur zur Hälfte gentleman. Ich war noch vor kurzem sehr erstaunt, einen bekannten Herrn den wenigstens alle Pferdeliebhaber im In- und Auslande kennen, der reich ist, mit manchem Herzog und Lord auf vertrautem Fuße steht, und überhaupt recht viel Ansehen genießt, aber dennoch wöchentlich in einer großen Anstalt Pferde verauktioniert, wodurch er dem Publikum gewissermaßen verpflichtet wird – von sich selbst sagen zu hören: »Ich kann nicht begreifen, wie mir der Herzog von B... den Auftrag geben konnte, dem Grafen M... eine Ausforderung zu überreichen, dazu hätte er einen gentleman wählen müssen – meine Sache ist so etwas nicht.«

Ein wirklich armer Mann, der auch keine Schulden zu machen imstande ist, kann unter keiner Bedingung ein gentleman sein, weil er von allen der abhängigste ist. Ein reicher Schuft dagegen kann, wenn er eine gute Erziehung hat, solange er seinen Charakter (Ruf) leidlich zu menagieren verstehtVon Moralität ist dabei nicht die Rede, sondern nur von Skandal. A. d. H. , sogar für einen perfect gentleman gelten. In der exklusiven Gesellschaft Londons gibt es noch feinere Nuancen. Wer dort z. B. schüchtern und höflich gegen Damen sich beträgt, statt vertraulich, ohne viele Rücksicht, und mit einer gewissen nonchalance sie zu behandeln, wird den Verdacht erregen, daß er kein gentleman sei; sollte der Unglückliche aber, bei einem dîner, gar zweimal Suppe verlangen, oder, bei einem großen Frühstück, welches um Mitternacht endet und um 5 Uhr nachmittags angeht, in einer Abendtoilette erscheinen – so mag er ein Fürst und Millionär sein, aber ein gentleman ist er nicht.

Doch zurück von Babylons Zwang zu der Freiheit der Berge. Das Land, welches ich jetzt durchritt, glich auffallend den flacheren Gegenden der Schweiz, immer allmählich ansteigend, bis ich mich den höchsten Bergen Wicklows gegenübersah, deren Häupter wieder gleich dem Snowdon, von Wolken verhüllt erschienen. Das Tal von Glenmalure hat den Charakter einer toten Erhabenheit, mit dem das trübe Wetter vortrefflich harmonierte. In der Mitte desselben steht, wie ein verwünschtes Schloß, eine große verlassene und schon baufällige Kaserne, weder Baum noch Strauch ist dabei zu sehen, und die Seiten der hohen Berge sind nur mit zerbröckelten Steinen bedeckt. Bloß unterirdisch ist dieses Tal belebt, und selbst dieses Leben bringt Tod. Es befinden sich nämlich große Bleibergwerke hier, deren ungesunde Ausdünstungen man auf den bleichen Gesichtern der Arbeiter wahrnimmt. Ich fuhr, in einen schwarzen Kittel gehüllt, in die Felsenschachten ein – eine düstre schauerliche Fahrt! Die Gänge waren kalt wie Eis, tiefe Dunkelheit herrschte in ihnen und ein schneidender Wind wehte uns mit Grabesdüften entgegen. Von der niedrigen Decke, die zu gekrümmter Stellung zwang, tropfte mit hohlem Klang taktmäßig Wasser herab, und die unerträglichen Stöße des Karrens, den ein Mann langsam über den holperigen Felsenboden hinzog, vollendeten das Bild einer schrecklichen Existenz! Der leidende Zustand meiner Brust erlaubte mir hier keinen längern Aufenthalt, und ich gab daher die weitere Untersuchung auf, froh – »wie ich wieder begrüßte das rosige Licht«.

Ich mußte nun auf einer neu gebauten schönen Militärstraße (denn das Gouvernement ist, mit einem üblen Gewissen, immer in Irland besorgt) über einen der Bergkolosse hinüber, die das Tal verschließen. Die Aussicht von der Höhe war weit und herrlich, und doch in einem sehr verschiedenen Charakter von dem bisher Gesehenen, wozu die glücklichste Beleuchtung viel beitrug, indem die Sonne hinter schwarzen Wolken hervorblitzte. Nichts gibt fernen Gegenständen eine größere Klarheit und ein verklärteres Licht. Die Strahlen legten sich in breiten Streifen wie eine Glorie über die vielfach sich durchkreuzenden Bergflächen, und die zwei Sugar-Loafs (Zuckerhüte) standen, alles überragend, dunkelblau in dieser Helle am Horizont. Der Weg, den Berg hinunter, ist so allmählich in Schlangenlinien geführt, daß ich ihn bequem hinabgaloppieren konnte. Demohngeachtet war es schon voller Abend, ehe ich in das letzte der während der heutigen Tagreise zu besuchenden Täler, das der sieben Kirchen, kam. Hier stand, vor mehr als tausend Jahren (sic fabula docet) eine große Stadt mit sieben Kirchen, welche die Dänen zerstörten. Noch ist ein schönes Tor fast ganz erhalten, obgleich ihm der Schlußstein fehlt, den aber die Zeit durch einen dicken Efeustamm ersetzt hat, welcher die ganze Wölbung zusammenhält. Sieben einzeln stehende Ruinen sind, dem Volksglauben nach, die Überbleibsel der heiligen Kirchen, welche dem Tale den Namen geben. Nur eine davon trägt diesen Charakter unzweifelhaft, und ist merkwürdig durch einen der höchsten jener seltsamen mysteriösen Türme, ohne Tür und Fenster, welche man bei vielen Klosterruinen in Irland antrifft, und deren eigentliche Bestimmung noch immer unbekannt geblieben ist. Weiterhin ruhen, im tieferen Grunde und heiliger Stille zwei dunkle Seen, berühmt durch die Abenteuer des heiligen Kevin. Die Felsen sind hier ungewöhnlich steil, und an manchen Orten wie Treppenstufen geformt. In dem einen ist eine schmale und tiefe Spalte, die ganz einem gewaltsam gemachten Einschnitte gleicht. Die Sage erzählt, daß der junge Riese Fian MacComhal – als seine Kameraden befürchteten, er sei noch zu schwach zu dem Kriege, in den sie eben verwickelt waren – um ihnen eine Probe seiner Kraft zu geben, mit seinem Schwerte diesen Felsen spaltete, und so jedem ferneren Zweifel ein Ende machte. Weiterhin entdeckt man in einem, jenseits über dem See hängenden Felsen, gleich einem schwarzen Loch im Gestein, die Höhle St. Kevins. Hier verbarg sich der Heilige vor der ihn verfolgenden Liebe der schönen Königstochter Cathelin, und lebte lange, in tiefster Einsamkeit von Wurzeln und Kräutern. In einer verhängnisvollen Stunde entdeckte jedoch die von der Leidenschaft umhergetriebene Schöne den Flüchtling, und überraschte ihn, im Dunkel der Nacht, auf seinem Mooslager. Mit süßen Küssen erweckte sie den ungalanten Heiligen, welcher, seine Tugend verloren sehend, sich kurz entschloß und Cathelin über Bord warf, wo in den kalten Fluten des Sees Liebe und Leben sie zugleich verließ. Doch fühlte der Mann Gottes nachher ein menschliches Rühren, und legte einen Zauber über die Gewässer, daß fortan niemand mehr sein Leben in ihnen verlieren solle, welche Beschwörung noch heutzutage in Kraft geblieben ist, wie mein Cicerone bezeugte. Dieser Cicerone war ein hübscher, wie gewöhnlich halbnackter Knabe von elf Jahren, und seine Kleidung ein erwähnungswerter echantillon irländischer Toilette. Er trug den Leibrock eines erwachsenen Mannes, dem, außer verschiedenen transparenten Stellen, anderthalb Ärmel und der eine Rockschoß fehlten, während der andere, wie ein Kometenschweif, hinter ihm auf der Erde schleppte. Halstuch, Weste und Hemde waren als gänzlich unnütz beseitigt. Dagegen nahmen sich die Rudera von ein paar roten Plüschhosen recht stattlich aus, obgleich weiter unten nur barfuße Beine daraus hervorguckten. Diese Gestalt über die Felsen, wie ein Eichhörnchen klettern zu sehen, und dabei von TommySo nennen ihn die Irländer am liebsten, stolz auf seine Landsmannschaft. A. d. H. Moore und Walter Scott singen zu hören, war gewiß charakteristisch. Als er mich nach der Höhle führte, wo die Passage etwas glitscherich war, rief er: »O, das geht sehr gut, hier habe ich Walter Scott auch hingebracht, der mit seinem lahmen Fuß auf die schlimmsten Stellen hinkletterte. Der konnte gar nicht weg davon kommen« – und nun rezitierte er schnell vier Verse, die Scott oder Moore, ich erinnere mich nicht mehr welcher, auf die Höhle gedichtet. Diese Menschen hier passen so vortrefflich zu dem wilden, mit Ruinen des Erdbodens wie seiner Bewohner bedeckten Lande, daß ohne sie gewiß das Ganze einen großen Teil seiner romantischen Wirkung verlieren würde.

Um zur Nachtruhe in einen leidlichen Gasthof zu gelangen, mußte ich von hier aus, bei Mondschein, noch zehn Meilen über ein endloses Torfmoor reiten, den gewöhnlichen Aufenthalt allerlei Spuks, von dem mich jedoch nur einige einsame Irrlichter, vorbeigleitend, mit ihrer Gegenwart beehrten.

Als ich im Dorfe ankam, waren beide Gasthöfe schon von Touristen besetzt, und ich erhielt nur mit großer Mühe ein kleines Vorzimmer eingeräumt, wo ich auf Stroh schlafen werde. Tee, Butter, Toast und Eier sind aber vortrefflich, und der Hunger würzt überdem das Mahl. Ich kann Dir nicht sagen, wie angenehm mir dieses Leben ist! Mit allen Entbehrungen fühle ich mich doch wahrlich hundertmal mehr à mon aise, als encombriert und belästigt von tausend unnötigen Bequemlichkeiten. Ich bin frei wie der Vogel in der Luft, und das ist ein hoher Genuß. Übrigens: Ehre dem Ehre gebührt. Wenig Menschen würden nach solchen Fatiguen sich mit religiöser Ordnung alle Abend hinsetzen, um Dir so langen Rapport von den Tagesbegebenheiten abzustatten. Erfreut es Dich nur, so bin ich hundertfach belohnt. –


Bray, den 24ten

Gall behauptet, wie Du Dich erinnern wirst, als er in Paris meinen Schädel untersuchte, daß ich ein sehr hervorstehendes Organ der Theosophie habe. Demohngeachtet halten mich viele für einen argen Ketzer – aber Gall hat Recht – wenn anders Religiösität in Liebe, und im aufrichtigen Streben nach Wahrheit besteht. In einer solchen frommen, frohen Stimmung, begrüßte ich betend und dankend den frischen Morgen, und die innere Heiterkeit durchdrang wohltuend den häßlichen, feuchten Nebel, der mich umgab, denn das Wetter war herzlich schlecht. Auch der Weg war öde und traurig, aber Geduld! Sonne und Schönheit brachte dennoch der Abend. – Für jetzt war nur dürre Heide und Torfmoor um mich, so weit das Auge reichte, und ein Sturm pfiff stoßweise darüber hin, und trieb nasse Nebelwolken vor sich her, die, wenn ich in ihren Bereich kam, mich wie ein starker Regen durchnäßten. Nur schwache kurze Sonnenblicke gaben momentane Hoffnung, bis, gegen Mittag, sich die Wolken teilten, und grade als ich auf der Bergspitze über den prächtigen See und Tal von Luggala anlangte, die Sonne die Gegend vor mir herrlich vergoldete, obgleich die Häupter der Berge noch alle verschleiert blieben. Auch dieses Tal gehört einem reichen Besitzer, der einen reizenden Park daraus gemacht hat. Es ist originell gestaltet, und ich will versuchen, Dir eine anschauliche Idee davon zu geben. Es bildet einen fast regelmäßigen länglich-ovalen Kessel. Die erste Hälfte des Grundes vor Dir füllt, bis dicht an den Fuß der Berge, Wasser; die zweite ist eine mit Baumgruppen bedeckte Wiesenfläche, durch die ein Bergstrom sich mäandrisch schlängelt, und in deren Mitte, an einen einzeln stehenden Felsen gelehnt, sich eine elegante shooting lodge (Jagdhaus) zeigt. Die das Tal umgebenden Berge sind sehr hoch und steil, und steigen überall, glatt und ohne Absatz, von der wie planiert erscheinenden Fläche empor. Links sind es nackte Felsen, von imponierender Gestalt, nur hie und da mit roter und gelber Erika bewachsen, die andern drei Seiten aber mit dichten und mannigfaltigen Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See hinabhängt. Wo der erwähnte Bergstrom sich, auf glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt, bildet er einen breiten Wasserfall. Es ist wohl ein schöner Fleck Erde – einsam und abgeschlossen, der Wald voll Wild, der See voll Fische, und die Natur voll Poesie.

Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten ist, war die Herrschaft abwesend, und die Frau des Inspektors, eine noch hübsche, wiewohl etwas passierte Frau mit schönen weißen Händen, und Manieren über ihrem Stand (wahrscheinlich hatte sie hier eine Versorgung erhalten), besorgte mir auf meine Bitte Frühstück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn vorher im Tal umherführte. Ein schöner Windhund, der so leicht wie ein vom Wind entführtes Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändigen Sätzen sich der gegebenen Freiheit freute, begleitete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen meiner kranken Brust, car je ne vaux plus rien à pied) eine etwa 400 Fuß hohe Felsenplatte, von der man das Tal ganz übersieht. Gegenüber erblickt man ein seltsames Naturspiel, ein ganz regelmäßig in Stein geformtes ungeheures Gesicht, das finster und verdrießlich auf den See herabschaut. Die Augenbrauen und der Bart werden auf das deutlichste durch Moos und Heide gebildet, und die dicken Backen, wie die tiefen Augen, durch Felsenspalten täuschend nachgeahmt. Der Mund steht offen, wenn man aber ein Stück weiter geht, schließt er sich, ohne doch sonst die Züge zu verändern. Einen so lebendigen Berggeist zu besitzen, ist wirklich eine besondere Prärogative. Dieser sieht aber, wie gesagt, recht verdrießlich in die Tiefe, und scheint mit seinem offenen Munde nach dem See herabzurufen: Ihr Menschengezücht! Laßt mir mein Tal, meine Fische, mein Wild, meine Felsen und Bäume in Ruh, oder ich begrabe Euch Pygmäen alle unter ihren Trümmern! – Es hilft aber nichts, der Ruf der Geister ist ohnmächtig geworden, seit der Menschen eigner Geist erwacht – in Stein gebannt bleibt Rübezahls Antlitz, und seine Stimme verhallt im spielenden Winde, der ehrerbietungslos seine buschichten Augenbrauen schüttelt, und ihm die Wellen des Sees, wie spottend, entgegenkräuselt.

Ein Intervall von 10 Meilen uninteressanter Gegend, lag zwischen diesem Spaziergang und meiner Ankunft vor den Toren des Parks von P..., einem der größten und schönsten in Irland. Aber – es war Sonntag! der Herr ein Frömmler, und folglich das Tor verschlossen. – An diesem Tage sollte, nach ihm, ein Frommer seine Wohnung höchstens für eine dumpfige Kirche verlassen, aber keiner sich in Gottes eignem wunderherrlichen Tempel erfreuen. Dieser Sünde wollte der Herr v. P... keinen Vorschub leisten, und hatte daher, bei augenblicklicher Verabschiedung, die Öffnung seiner Pforten verpönt. Ich versuchte, durch meine frühere Dir bekannte Avanture in England gewitzigt, nicht einmal durch ein Geschenk den Eingang zu erzwingen, sondern verfolgte meinen Weg längs der Mauer, über die ich zuweilen sehnsüchtig nach dem großen Wasserfall und der bezauberten Gegend verstohlene Blicke warf. Du lieber Gott, dachte ich, wie verschieden wirst Du angebetet! Die einen braten Dir ihren Nächsten, die andern machen Dich zum Apis; diese glauben Dich parteiischer und ungerechter noch als den Teufel selbst, und jene denken: mehr als alle zu leisten, wenn sie Deine schöne Lebensgabe sich und andern verderben und entziehen! O Herr von P...! Du wirst diese Zeilen nicht lesen, aber es wäre gut, wenn du es tätest, und sie beherzigtest. Gar mancher arme Mann, der die Woche lang schwitzt, um dir sein Pachtgeld abzuzahlen, wurde am Sonntag froh in deinem schönen Parke sein, und des Herrn Güte segnen, der ihm doch nicht alles, selbst den Anblick seiner Herrlichkeit, entzieht, dies würde am Ende auch dich erfreuen, aber – du selbst bist wohl gar nicht zugegen, und sendest deine frommen Befehle bloß von weitem? Du bist vielleicht, wie so viele deiner Kollegen, auch einer jener absentees, die durch heißhungrige und erbarmungslose Beamten das Volk von den letzten Lumpen entblößen, die letzte Kartoffel ihm rauben lassen, um in London, Paris oder Italien, Mätressen und Scharlatans zu bereichern?Das ist keineswegs Übertreibung, ich habe hier aktenkundige Dinge vernommen, und Elend gesehen, das nie während der Leibeigenschaft in Deutschland erhört worden ist, und in den Ländern der Sklaverei kaum seinesgleichen finden möchte. Dann freilich – kann deine Religion nicht weiter gehn, als den Sonntag und die Zeremonien deiner Priester heilig zu halten.

Von hier bis Bray prunkt eine üppige Kultur, voller Landhäuser und Gärten der reichen Städter. Der Weg führte nahe am Fuß des großen Sugar-Loafs vorbei, dessen weißgrauer, nackter Felsenkegel von aller Vegetation entblößt ist. Ich sah einige Reisende, die ihn eben erstiegen hatten, wie Schachfiguren darauf umherspazieren, und beneidete sie um die erhabene Aussicht, denn der Tag war herrlich, und der Himmel völlig klar geworden. An einer einsamen Stelle lagerte ich mich gegen Abend, unter Feldblumen am Bache hin, und träumte, Gott dankend, in die schöne Welt hinein; wie ein fahrender Ritter mein zahmes Tier neben mir grasen lassend. Ich dachte viel an Dich und vergangene Zeiten, ließ Lebende herankommen und Tote auferstehen, und blickte, wie im Spiegel, über das geschwundene Leben hin – manchmal wehmütig, manchmal auch heiter lächelnd – denn durch alle Torheiten und Eitelkeiten dieser Welt, durch Irrtum und Fehler zog sich doch ein reiner Silberfaden hin, noch stark genug für lange auszuhalten – kindlich liebendes Gefühl, und hohe Empfänglichkeit für Freuden, die Gottes Güte jedem erreichbar läßt.

Bei guter Zeit traf ich in Bray wieder ein, wo auch der Mantelsack sich endlich eingefunden hatte. Manches, was er enthielt, war nach der langen Entbehrung nicht zu verachten, unter andern lieferte er mir den interessantesten Tischgefährten, Lord Byron. Eben betrachte ich seine beiden Portraits, zwei mir geschenkte Handzeichnungen, die ich dem ›Giaour‹ und dem ›Don Jouan‹ beigeheftet habe. Gleich Napoleon, erscheint er mager, wild und leidend, wo er noch strebte; fett geworden und lächelnd, als er erreicht hatte. Aber in beiden so verschiednen Gesichtern, zeigt sich doch schon der tief vom Schicksal aufgewühlte, tiefer noch empfindende, und doch dabei höhnende, verachtende, vornehme Geist, der diese Züge belebte.

Lachen muß ich immer über die Engländer, die diesen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespeare gebührt gewiß ihm die Palme), so jämmerlich spießbürgerlich beurteilen, weil er ihre Pedanterie verspottete, sich ihren Krähwinkelsitten nicht fügen, ihren kalten Aberglauben nicht teilen wollte, ihre Nüchternheit ihm ekelhaft war, und er sich über ihren Hochmut und ihre Heuchelei beklagte. Viele machen schon ein Kreuz, wenn sie nur von ihm sprechen, und selbst die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthusiasmus glühen, wenn sie ihn lesen, nehmen öffentlich heftig Partei gegen den heimlichen Liebling, oft zugunsten der gemeinen Seele eines Weibes, die nie würdig war, Lord Byrons Schuhriemen aufzulösen, und deren kleinlicher Rache es dennoch leicht wurde, ihn in der englischen Gesellschaft zugrunde zu richten!Daß wir diesem Verhältnis auch die Vernichtung von Byrons Memoiren verdanken mußten, ist gewiß ein bitter empfundenes Unglück, und man kann kaum begreifen, wie sein edler Freund, Thomas Moore, eine solche Treulosigkeit am Dichter, und einen solchen Raub am Publikum, bei sich selbst verantworten mag. A. d. H. Es war der anerkennenden Deutschen, es war unsers Patriarchen würdig, durch ein gewichtiges und tiefes Wort diesem Heroen, der Europa angehört, der englischen Schandsäule gegenüber, eine dauernde deutsche Ehrenpforte zu errichten.

Könnte ich Dir auch heute, mit seinen unsterblichen Worten, ein farewell, aber kein letztes, ja hoffentlich kein langes, nur ein gleich inniges zurufen! So gedenke mein.

Dein treuer L...


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